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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Mumford, Lewis: "Modern" als Handelsware
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0269

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Hierin liegt ein wirklicher Konflikt. Unsere Möbel-
fabrikanten haben sich das — natürlich etwas uto-
pische — Ziel gesetzt, jeder amerikanischen Familie
alle sechs Jahre eine neue Wohnungseinrich-
tung zu verkaufen. Der Gedanke ist verrückt, doch
er würde eine Basis für raschesten Umsatz des Ka-
pitals und, was ebenso schlimm ist, für raschesten
„modernen" Formwechsel schaffen. Offenbar könnte
nur auf zwei Wegen dieses Ziel erreicht werden:
einerseits durch die Verwendung schlechten Mate-
rials und ebenso schlechte Verarbeitung; anderer-
seits durch sehr raschen Wechsel der „Stile". Beide
Wege sind für die Entwicklung eines echten, moder-
nen Stils äußerst schädlich. Denn wenn dieser sich
überhaupt bildet, so kann er nur Stück um Stück,
Schritt für Schritt in langsamem Verlauf geschaffen
werden, wie es bei unserer Badezimmer- und
Kücheneinrichtung geschehen ist. Jeder Zoll vor-
wärts muß ein fester Gewinn sein, und in seiner Be-
grenzung wird ein solcher Stil sich nicht in sechs
oder in zwanzig Jahren so vollkommen ändern las-
sen, daß er die Forderungen unserer habgierigen
Geschäftsleute befriedigen würde.

Wie in allen Zweigen der Maschinenindustrie, ist
auch hier nur ein kleiner Teil der ursprünglich not-
wendigen Betriebsanlage erforderlich, um jedes
Jahr das bestehende Möbellager zu ergänzen und
Bevölkerungszuwachs zu versorgen. Unsere Auto-
mobilfabriken haben dies allmählich erkannt, und
wir sehen jetzt ihre peinlichen Anstrengungen, mit
verschiedenen Mitteln dagegen anzukämpfen: sie
bringen neue Modelle mit zweifelhaften Verbesse-
rungen heraus, sie sorgen, daß ihre Wagen in schnel-
lerem Tempo veralten, und versuchen, jene, die es
sich leisten können, zu beschwatzen, der Besitz von
zwei oder sogar drei Automobilen sei eine „Not-
wendigkeit". Diese verzweifelten Auswege unter-
streichen nur die Tatsache, daß Ubersteigerung der
Maschinenproduktion zu einem ständigen Uberange-
bot von Waren führt. Man hat nun die Wahl, ent-
weder die Betriebe zu verringern oder durch irgend-
welche Mittel die Nachfrage zu steigern.

Wären die Einkommen gleichmäßiger verteilt, so
könnte dies durch Erhöhung der Verbraucherzahl
geschehen; doch endigt diese Möglichkeit in dem
Augenblick, wo die ganze Bevölkerung versorgt ist.
Früher oder später muß jedes Gemeinwesen der
Tatsache ins Auge sehen, daß Maschinenproduktion
sozial gerichtet sein muß. Denn sie schafft ent-
weder nützliche, dauerhafte Waren und freie Zeit
oder eine große Menge wertloser Waren, die weder
an freier Zeit noch an Wohlstand Gewinn bringen,
außer für die Money-maker.

Es mag scheinen, daß diese Erörterung weitab
von dem Problem der Form für gestaltende Indu-
striearbeit liegt; sie trifft jedoch den Kernpunkt.
Was amerikanische Fabrikanten jetzt salbungsvoll
„art moderne" nennen, ist nur ein anderer Stil, der
ihren Händlerzwecken dienen wird, ohne dabei mit
Sicherheit eine einzige wirksame oder schöne Form
hervorzubringen.

Ein großer Teil der Möbel, der Silberwaren und
der Nippsachen, die in Amerika „modern" genannt
werden, weisen nur irgendeinen dekorativen Kunst-
griff, wie voneinander abstechende Hölzer oder
Anordnungen von Kuben und Rechtecken auf. Dies
ist leicht an kleinen Gegenständen, wie Zigaretten-

anzündern, zu sehen, die wirklich modern waren, bis
dem Hersteller der glückliche Gedanke kam, ihnen
einen Anflug von „art moderne" zu geben. Mit
diesem Anflug verschwanden Logik und Schön-
heit eilig.

Unseren Fabrikanten ging es häufig wie dem
„Bourgeois Gentilhomme" mit seiner Prosa; sie
haben modern gesprochen, ohne dessen gewahr zu
werden. Es war wirklich interessant, im letzten Jahr
auf der Macy-Exhibition festzustellen, daß zwei der
gelungensten der von allen Ländern ausgestell-
ten Räume ein Badezimmer und eine Wohnküche mit
Nische waren; beide waren von einem Amerikaner,
Mr. Kern Weber, entworfen und hatten den großen
Vorzug, daß sie jene schönen industriellen Erzeug-
nisse verwandten, die unsere Fabrikanten von Öfen,
Eisschränken und Badewannen während der letzten
zwanzig Jahre ständig verbessert haben, ohne dabei
irgendwie bewußt an modernen Stil oder Kunst zu
denken.

In den Vereinigten Staaten besteht die große Ge-
fahr, daß an Stelle der echten modernen Gesinnung,
die ihren Weg von Badezimmer und Küche aus in
das übrige Haus nimmt und so unsere Möbel, Tep-
piche, Tafelgeräte und schließlich den ganzen Stil
unseres Heimes beeinflußt, gerade das Entgegen-
gesetzte sich durchsetzen wird, nämlich eine soge-
nannte moderne Kunst, die im Hinblick auf Ver-
kaufsumsätze und nicht mit der Achtung vor Zweck
und Gebrauch geschaffen wird; sie wird allmählich
auch die Zweige der auf diesem Gebiete arbeiten-
den Industrie anstecken, die jetzt noch gesund sind.

Wir besitzen schon das abstoßende „stilechte"
Badezimmer; und es gab mehr als ein oder zwei An-
zeichen ähnlicher Rückfälle bei einigen der moder-
nen Räume, die in diesem Winter von einer Gruppe
von Architekten und Kunstgewerblern, die zusammen
in der American Designer's Gallery ausstellen, ge-
zeigt wurden. Einer dieser Räume war ein von Mr.
Varnum Poor entworfenes Badezimmer. Mr. Poors
Tischgerät, seine Gefäße und Vasen gehören zum
Auserlesensten der modernen Keramik; ich glaube,
daß auch in Europa keiner Feineres geschaffen hat.
Diese sehr liebenswerte und persönliche Kunst
scheint mir jedoch ganz falsch am Platze bei einem
Badezimmer-Entwurf zu sein. Die Einführung von
Mr. Poors geschmückten Fliesen in jenes keusche
Heiligtum der amerikanischen Zivilisation war für
den guten Geschmack gerade so schädlich wie der
Versuch, die Maschine auf den der menschlichen
Hand, dem Auge und Geiste vorbehaltenen Gebie-
ten zu verwenden. Natürlich könnte Mr. Poors Bade-
zimmer nicht für Massenproduktion verwendet wer-
den. Doch fürchte ich, daß es unseren Fabrikanten
in Trenton schlechte Ideen eingeben wird, denn sie
schauen zweifellos begierig nach jeder Gelegenheit
aus, den Stil ihrer hübschen Töpferarbeiten ebenso
oft zu ändern, wie die Möbelindustrie den Stil der
Möbel.

Gerade da liegt bei unserer in sozialem Sinne un-
geregelten Maschinenproduktion die Gefahr für mo-
dernen Geschmack und moderne Form. Mir scheint,
es kann kein gesunder Stil entstehen, bis das Wirt-
schaftsproblem sich damit verbindet; denn, tiefer
gesehen, erscheint echte Form erst dann in der
Werkstatt des Künstlers, wenn sie die ganze Kultur
durchdringt.

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