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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Fries, Heinrich de: Neue Pläne von Frank Lloyd Wright
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0410

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Ebenso verhält es sich mit organischen Bauwerken.
Monotonie ist ausgeschlossen bei der Ausarbeitung
eines Grundsatzes, weil dabei alles lebt. Standardi-
sierung könnte ähnlich leben.

Beziehung ist die erste Hauptsache bei allem
Wachstum.

Wachstum ist ein Vorgang des Werdens — Verfall
ebenso nicht minder.

Nur Wachstum braucht oder findet immer Ausdruck.
Tod ist eine Krise des Wachstums.
Vom Grundstein an gehört Vernunft zum Bauwerk;
aber hüte dich, damit beim Giebel anzufangen.

Bauwerke sind, wie Bäume, Brüder des Menschen.
Bauwerke, Bäume und Mensch wachsen alle vom
Grund ins Licht.

Gute Form ist Ausdruck der Vernunft, zu tatsäch-
licher Gestalt gefügt und einem Material angepaßt.
Form wird durch Funktion gebildet, aber gewertet
durch Gebrauch. Daher wechselt die Form, wenn
die Bedingungen wechseln. Die letzte Analyse wird
niemals gefunden.

Was wir verstehen und würdigen, das gehört uns----

Von dem übrigen mögen wir Wächter oder Poli-
zisten sein — mehr aber nicht.
Kaugummi, Schaukelstuhl und Film —
das sind alles Erfindungen, die der modernen Kunst
ganz gleichwertig sind.

Eine Geschmackssache ist gewöhnlich eine Sache
der Unwissenheit.

Echte Ausdrucksformen des Arbeitsprinzips in ihrer
Durchführung werden immer wertvolle Entwick-
lungserrungenschaften sein und sollten genau so
wenig verworfen werden wie Bücher, die zu irgend-
einer Zeit die Wahrheit verkörperten.
Insoweit die Wahrheit in ihnen verkörpert wird,
stehen alle Formen prophetisch, schön und für
immer da.

Sie werden häßlich und nutzlos nur dann, wenn sie
gezwungen sind, etwas zu scheinen und zu sein,
was sie nicht sind und nicht sein können. Alles
Leben entflieht nach und nach in nachahmenden
Formen.

Schöpfung ahmt niemals nach; Schöpfung gleicht
sich an ....

Das Geschöpf ahmt nach und täuscht vor.
Wahrheit ist unverletzter Grundsatz ....
aber beim Bauen findet sie unendliche Mannigfaltig-
keit des Ausdrucks.

Der Sinn für Romantik in allem menschlichen Sinn
für Rhythmus, der menschliche Geist, wird, ebenso
wie die tierischen Sinne des Geschmacks oder Ge-
ruchs durch Süßigkeiten oder Düfte angezogen ....
und zwar durch den Stil.

Romantik ist die Poesie jener Freude, die wir am
Leben fühlen, im Unterschied vom einfachen Ver-
gnügen.

Wir empfinden Romantik als „schön", das Schöne
als Romantik.

Ebenso wie es notwendig ist, zwischen Freude und
Vergnügen zu unterscheiden, ist es auch notwendig,
einen Trennungsstrich zu ziehen zwischen dem
Sonderbaren und dem Schönen. Das Schöne spen-
det überall Freude; das lediglich Sonderbare erregt
nur in dem Maß Interesse, in dem das Vergnügen der
Freude gleicht.

Der Intellekt ist das Werkzeug der Vorstellung. Er
schafft nichts____

Das Auge sieht, das Ohr hört, die Vorstellung aber
empfindet, nimmt auf, schafft.

Musik ist verfeinerte Mathematik, verfeinert durch
Vorstellung.

Komposition ist Tod, damit die Schöpfung lebe.
Das Unorganische muß dem Organischen weichen.
In der organischen Architektur ist Dekoration Ent-
heiligung, weil Dekorieren Aufkleben ist.

„Das Ding an sich"____„niemals das Ding für etwas"

ist anwendbar für jede Einzelheit eines organischen
Bauwerks; darum sollte das Gefühl für den Hinter-
grund dem inneren Zusammenhang oder .... der
Plastik weichen.

Der neue Sinn für Tiefe, der die Architektur als ein-
heitlich charakterisiert, ist ein geistiger Ausdruck
der dritten Dimension.

Die Horizontallinie ist die Linie des Wohnbaus ....
Die Erde die Linie des menschlichen Lebens.
Bauen heißt: der menschlichen Vorstellungskraft ein
Denkmal schaffen, eine große Folgerung.
Wir haben fünf Sinne, um unsere Vorstellungskraft
zu nähren ____

daß doch die fünf so etwas wie einen sechsten ent-
stehen ließen, um alledem Schönheit zu geben.
Feierlichkeit, Ernsthaftigkeit, Nüchternheit, Heiter-
keit, sie alle mögen die Baukunst kennzeichnen, aber
die Menschheit wird die schöpferische Arbeit am
meisten lieben, die durch Freude gekennzeichnet ist.
Shibui ist ein japanisches Wort für tiefe Stille in
der Baukunst, eine Stille, die zu ihrer Verwirklichung
sorgsamer Kenntnis bedarf____

Ein verfeinerteres Zeugnis für tiefes Gefühl als
selbst Ruhe. Darin liegt die reifste Frucht der
menschlichen Seele in der Architektur.
Verwirklichte Persönlichkeit ist die unübertreffliche
Unterhaltung der menschlichen Seele, des Meisters
des Meisterwerks der Kunst. Persönlichkeit ist
heilig.

Laßt uns diese Republik der Vermehrung und Er-
hebung jenes Wertes weihen, für alle Kunst und
Architektur, für alle Menschen, für alle Zeit.
Ein gutes Wort in der Baukunst ist „sauber", ein
anderes ist „vollständig", noch ein anderes „pla-
stisch" — ein weiteres „still".

Architektur ist die wissenschaftliche Kunst, durch
Bauen Gedanken auszudrücken.
Architektur ist der Sieg menschlicher Vorstellung
über Stoffe, Methoden und Menschen — der Mensch
im Besitz seiner Erde.

Architektur ist Menschenverstand, von ihm selbst in
seiner eignen Welt verkörpert. Wie der Mann ist, so
wird sein Bauwerk sein.

Die Chinesen suchten Werte in Farbe und Stoffen
mit größerem Sinn für die Tiefe als irgendeine
andere Rasse.

Ihre Glasuren schufen im Kleinen alle großen Werte,
die in der Weite der äußeren Natur zu sehen sind;
ihre Gewebe waren weich wie Haut anzufühlen, von
Farben wie Blumen in der Sonne oder Moose im
Regen ....

Ihr Formensinn fand Freude am Schwebenden ----

Nur einer sehr alten Zivilisation, verfeinert und tief,
konnte es gelingen, das letzte Wort der Formver-
feinerung zu erreichen ....

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