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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Renner, Paul: Das Lichtbild: Rede zur Eröffnung der internationalen Ausstellung "Das Lichtbild" München 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0444

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Kleinstwohnungen und um den Serienbau von Häu-
sern bemühen. Die ältere Generation hat die mecha-
nisierte Massenherstellung ja keineswegs verhin-
dert. Wie hätte sie auch etwas so Zwangsläufiges
verhindern können. Sie hat sich um sie nicht geküm-
mert und hat ihre Formgebung schlecht vorgebilde-
ten Bauunternehmern und Fabrikzeichnern über-
lassen.

Nein wirklich, wir lieben das Mechanische nicht
mehr als irgend jemand von ihnen; aber wir fürch-
ten es auch nicht. Wir sehen den Tatsachen, die
wir nicht geschaffen haben, ins Auge und ziehen
daraus die Folgerungen, die jeder ziehen muß, der
sich für die Kultur unserer Zeit verantwortlich fühlt.
Diese entschiedene Stellungnahme zu dem wichtig-
sten Formproblem der Gegenwart hat allen Ausstel-
lungen, die der Deutsche Werkbund in den letzten
Jahren veranstaltet hat, eine besondere Bedeutung
gegeben. Und dieses Bekenntnis zu der vornehm-
sten Aufgabe unserer Zeit ist auch im Auslande
verstanden worden und hat der von Walter Gropius
zusammengestellten Werkbundausstellung, die in
diesen Wochen in Paris zu sehen ist, die stärkste
Beachtung und Anerkennung verschafft.

Sie werden nun verstehen, was gerade uns Werk-
bundleute an einer fotografischen Ausstellung inter-
essiert und weshalb wir sie nicht lediglich als eine
Angelegenheit der fotografischen Fachwelt betrach-
ten. Und Sie werden nun auch verstehen, warum
wir den Vorwurf nicht scheuen, daß wir mit unserem
Interesse an der modernen Fotografie den Verkauf
von Handzeichnungen, Holzschnitten, Radierungen
oder Lithografien schädigen könnten. Dieser Scha-
den ist schon recht alt und wird kaum noch zu be-
heben sein. Das mit Holzschnitten illustrierte Fami-
lienblatt ist schon lange ersetzt worden durch illu-
strierte Zeitungen, die von der ersten bis zur letz-
ten Seite mit Fotos angefüllt sind. Das deutsche
Volk allein kauft davon wöchentlich fünf Millionen
Exemplare und gibt dafür wöchentlich eine Million
Reichsmark aus. Das ist nur eine von den vielen
Tatsachen, welche die Verbreitung und Bedeutung
der Fotografie in der Gegenwart beweisen. Man
kann diesen Siegeszug des mechanischen Lichtbil-
des beklagen; aber man wird ihn kaum aufhalten
können. Daraus aber folgt für uns die Verpflichtung,
der Fotografie den Weg zu zeigen, der zu ihrer eige-
nen Sphäre führt. Das wäre ein Gewinn nicht nur
für die Fotografie, sondern auch für die freien
Künste selbst; so wie eine reinliche Trennung der
Sphären dem Theater und dem Film nur Vorteil
brächte. Unsere Ausstellung wollte deshalb keinen
Querschnitt geben durch die Produktion unserer
Zeit, sondern mit bewußter Einseitigkeit das zei-
gen, was auf diesem Wege weiterhelfen kann. Ich
will nicht mit vielen Worten schildern, was für diese
neue Fotografie charakteristisch ist. Sie sehen das
ja besser mit Ihren eigenen Augen. Ich möchte nur
eines noch hervorheben. Die neue Fotografie sucht
alles, was im fotografischen Negativ ist, auch in der
Kopie zu erhalten und opfert den Reichtum an
Schattierungen nicht einer wohlfeilen malerischen
Wirkung. Sie will nichts verändern und beschönigen
und verzichtet deshalb auf jede Retusche, die nicht
etwa durch einen Fehler der Platte gefordert ist.
Sie scheut sich nicht davor, die menschliche Haut
wiederzugeben mit all ihren Poren und Härchen, mit

all ihren reizvollen Unebenheiten und Flecken. Sie
verwandelt das menschliche Gesicht nicht in eine
fade Plastik aus Wachs oder parfümierter Seife,
Sie fordert nicht mit einem „Bitte recht freundlich"
auf, ins Objektiv zu sehen. Ihr ist jede Koketterie
des Fotografierten mit einem imaginären Betrach-
ter der Fotografie — verhaßt. Sie sucht wie ein
pürschender Jäger zum Schuß zu kommen. Sie
sucht das Leben zu überraschen. Sie will dokumen-
tarische Treue. Sie will Urkunden natürlicher Vor-
gänge schaffen. Sie will, daß ihre Fotos den Foto-
grafen nicht verraten und daß man dem, was foto-
grafiert ist, nicht ansieht, daß es dem Fotografen
stillgehalten habe.

Aber es ist nun keineswegs so, daß diese, dem
Mechanischen offenbar so angemessene Unpersön-
lichkeit und Objektivität durch die Anwendung des
mechanischen Verfahrens selbst schon gewährlei-
stet wäre. Sondern wir haben es hier überraschen-
derweise mit der gleichen Rangordnung zu tun wie
in jeder älteren Kunst. Die Wahrheit in der Foto-
grafie ist keineswegs automatisches Ergebnis die-
ser mechanischen Technik, sondern sie ist im
Grunde genommen künstlerische Wahrheit, sie ist
eine geistige Leistung, sie ist das Ergebnis einer
seelischen Haltung. Sie ist deshalb wie in allen
anderen Künsten das auszeichnende Merkmal der
Allerbesten. Wer zweiten Ranges ist, zeigt schon
alle Unarten des Fotografen, genau so wie der
Schauspieler zweiten Ranges den Schauspieler ver-
rät. Beim Pfuscher aber und beim Heer der Dilet-
tanten zeigt sich hier wie überall trotz des exakt
zeichnenden Objektivs die falsche Geste, das un-
echte Gefühl. Sentimentalität und Pose, das Süß-
liche und Verlogene; kurz und gut alles das, was
den Kitsch auch in anderen Künsten so unerträglich
macht.

Und dies ist vielleicht der stärkste Eindruck, den
Sie bei aufmerksamer Betrachtung so vieler Fotos
haben werden; daß auch hier die Technik ganz
hinter das Geistige zurücktritt; daß also auch hier
der menschliche Wert allein entscheidet; daß die
Kunst des Fotografierens mehr ist als die Beherr-
schung einer mechanischen Apparatur. Auch sie ist
eine besondere Art und Weise, die Welt zu be-
trachten.

Doch wir versprechen uns von dieser Ausstellung
noch etwas anderes als die ästhetische Klärung sol-
cher Probleme. Schon die Stuttgarter Ausstellung
hat die allerstärksten Wirkungen auf Fachwelt und
Publikum ausgeübt. Diese weitaus größere Ausstel-
lung wird den Beweis liefern, daß die neue Anschau-
ung, welche die Gegenwart den Anfängen der Foto-
grafie wieder so nahe bringt, heute schon im In-
land und Ausland gesiegt hat. Wir hoffen, daß
unsere Ausstellung die noch zögernd Widerstreben-
den mit sich reißen werde.

Da es sich bei der Fotografie, wenn auch keines-
wegs um die sublimste, aber zweifellos um die popu-
lärste Bildnerei unserer Tage handelt, so glauben
wir, daß wir bei Wahrung der höchsten Ansprüche
eine wirklich volkstümliche Ausstellung zusammen-
gebracht haben. Und so hoffen wir, daß recht viele
kommen werden, um sich die hier aufgestellten
Sperrholztafeln mit ihren Tausenden von Fotos, wie
ein großes, lehrreiches und unterhaltendes Bilder-
buch zu betrachten.

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