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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0446

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alte Block, die bewährte Dachwohnung und die
Villenkolonie seien viel menschlicher und überhaupt
— vergeßt nicht die Vögel und die Schmetterlinge
und die „neue Herzlichkeit". ;

Der Anlaß zu Behnes Kritik ist uns verständlich,
und wir werden versuchen, diesem Anlaß auf den
Grund zu gehen. Nicht verständlich ist aber, daß er
seine Kritik gegen das System des Zeilenbaus über-
haupt und gegen die Ideen der modernen Architektur
als Ganzes richtet.

Die Architekten, Hygieniker usw. sind sich heute
nicht einig, welche Besonnung und damit welche
Lage der Wohnungen die richtigste ist und welche
andern Faktoren ebenso wichtig oder noch wichti-
ger sein können — Fragen, die nur durch lange Be-
obachtung und Erfahrung geklärt und auch dann
mit andern Vor- und Nachteilen abgewogen werden
müssen. Liegt darin ein Grund, den Zeilenbau oder,
allgemeiner gesagt, die Notwendigkeit der Syste-
matik im Bebauungsplan abzulehnen? Soll man die
Erkenntnis, daß der heutige Städtebau weitergehen
muß als das übliche Umbauen irgendwelcher
Straßenzüge, wieder verlassen, weil man noch nicht
einig ist und Fehler macht?

Behne lehnt allerdings weniger den Zeilenbau an
und für sich ab als die Architekten und ihre Syste-
matik — weil „das Leben" ja doch ganz anders sei!
Nehmen wir einmal an, geben wir sogar zu, die Sy-
stematisierung so isolierter Dinge wie die Form der
Wohnung, die Gestalt der Gardinen usw. habe kei-
nen Einfluß auf die individuelle Mentalität der Be-
wohner, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß
der Architekt nach der Mentalität der Bewohner
bauen solle. Wenn der Sockel im Dammerstock ein-
heitlich grau gestrichen wird, so ist das eine syste-
matische Überlegung — wenn nachher einige Be-
wohner das teurere Rot hübscher finden, so ist das
eine individuelle Überlegung. Der Architekt, der
nicht gerade eine Villa baut, wird immer systema-
tisch überlegen müssen. Wir sind sogar der Mei-
nung, daß er heute noch viel zu wenig systematisch
überlegt, ganz einfach, weil es ihm an der nötigen
Schulung und Erfahrung fehlt.

Ist der Dammerstock zu sehr systematisch? Adolf
Behne schließt aus einem von ihm empfundenen
ästhetischen Unbehagen, daß dies der Fall ist.
Suchen wir dieses Unbehagen an einigen Punkten
zu erklären:

1. Der Dammerstock teilt das Schicksal unserer
meisten Siedlungsunternehmungen, daß wir nämlich

Städtebau fast immer auf irgendeinem zufällig aus-
gewählten Terrain der möglichen Stadterweiterung
treiben müssen. Wir fühlen beim hintersten Stumpen-
geleise eines Rangierbahnhofs: das ist notwendig
mit einem ganzen Organismus verbunden. Diese Ver-
bundenheit mit einer zwingenden Stadtentwicklung
fehlt beim Dammerstock sehr stark. Seine Syste-
matik wird äußerlich und scheint in der Luft zu
stehen.

2. Wir gelangen zum Dammerstock auf einer stark
betonten Ausfallstraße. Unser elementarstes Be-
dürfnis wäre, von dieser Straße aus das Ganze zu
übersehen, genau über Ausdehnung und räumliche
Gestalt der Anlage unterrichtet zu werden. Statt
dessen müssen wir die Siedlung hinter einer Wand
von Miethäusern suchen. Vielleicht hat bei dieser
Anordnung die üble Theorie nachgewirkt, nach der
Verkehrsstraßen der Anliegerkosten wegen mit ho-
hen Häusern als „Randbebauung" ausgenutzt wer-
den müssen. Rein räumlich wäre es richtiger ge-
wesen, andersherum zu verfahren, wie dies, mit-
bestimmt durch wirtschaftliche Überlegungen, bei
der Hellerhofsiedlung in Frankfurt (Main) (Archi-
tekt Mart Stam) durchgeführt wurde.

3. Die straffen Zeilen der Dammerstocksiedlung
sind von 9 verschiedenen Architekten mit 23 ver-
schiedenen Haustypen ausgefüllt worden. Die Folge
ist, daß der Rhythmus der Öffnungen usw. von Reihe
zu Reihe wechselt, daß plötzlich ein Riß klafft zwi-
schen der Systematik des Ganzen und dem Wesen
des Einzelnen, daß ein Kompromiß entsteht zwi-
schen einer typisierten Bebauung und einer nicht
typisierten Hausform. Ist das notwendig? Ent-
sprechen die 23 Haustypen tatsächlich ebenso vie-
len Bedürfnissen der Bewohner — oder ist es nicht
vielmehr so, daß die 9 Architekten noch nicht so
weit sind, oder nicht so weit sein können, auf Grund
ihrer Erfahrung diese Bedürfnisse rationell zu formu-
lieren und zu befriedigen?

Wir möchten mit diesen Punkten nicht die Kritiker
des Dammerstocks vermehren — es ist uns darum
zu tun, die falsche Richtung der Behneschen Kritik
zu zeigen. Wenn etwas versagt hat, so ist es nicht
die Konsequenz der modernen Ideen, sondern der
Kompromiß zwischen scheinbarem System und tat-
sächlicher Systemlosigkeit. Ist das erstaunlich? In-
nerhalb weniger Jahre wird die ganze Architektur
modern aufgebügelt — unsere Kritiker sollten zuerst
erkennen, daß mit dieser Bügelfalte noch lange nicht
alles getan ist. Hans Schmidt

IST DAS AUCH NOCH HEIMATSCHUTZ?

In Nummer 30 der „Deutschen Bauzeitung" hat
der Geschäftsführer des deutschen Bundes Hei-
matschutz, Dr.-Ing. Werner Lindner, den dankens-
werten Versuch gemacht, Beziehungen zu finden
zwischen dem Heimatschutz und dem Deutschen
Werkbund, und im besonderen dargetan, daß — wie
der Fall einer Jugendherberge in der Lüneburger
Heide zeigte, wo der Architekt Otto Haesler

zwar nicht die Anpassung an irgendeinen Heimat-
stil betrieben hatte, wohl aber die an die Schön-
heit der Landschaft — diese ästhetische Anpassung,
wenn ich so sagen darf, eine solche Beziehung dar-
stellte. So ist es schon recht; in diesem Falle war
die freie Natur das tonangebende Moment — wie
aber, wenn es sich um vorhandene Häuser aus älte-
rer Zeit handelt, denen ein bestimmter Wert auch

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