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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Frank, Josef: Was ist modern?: Vortrag von Professor Josef Frank, gehalten am 25. Juni 1930 auf der Öffentlichen Kundgebung der Tagung des Deutschen Werkbundes in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0470

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uns fast gänzlich veraltet sind. Wir müssen aber
nicht in derartig verächtlicher Weise von diesen Din-
gen denken; auch sie sind Entwicklungsperioden
einer neuen Zeit, die einer früheren an Kraft nicht
nachsteht. JedesZeitalter ist ein Übergangszeitalter.

Wir wissen, daß im 19. Jahrhundert die bürger-
liche Kultur sich über die ganze Welt verbreitet hat.
Im Sinn dieser bürgerlichen Kultur wurden zunächst
einmal sämtliche Formen, die früher nicht zu-
gänglich waren, verwendet, und dadurch später der-
art banalisiert, so daß sie für uns bedeutungslos ge-
worden sind. Die ganzen Symbole der Macht — die
Symbole der Kirche, des Königtums, des Feudalis-
mus — wurden vom Bürgertum als Symbole der eige-
nen Macht übernommen und damit ihres ursprüng-
lichen Sinnes beraubt. Das hat uns eigentlich erst
die Möglichkeit gegeben, wieder von neuem begin-
nen zu können und das tun wir nun seit vierzig
Jahren.

Die Entwicklung dieser neuen Kunst ging aus dem
Kunstgewerbe hervor und ist auch heute noch zum
größten Teil Kunstgewerbe. Dieses hat in den letz-
ten Jahren an Ausdehnung nicht abgenommen, wie
immer behauptet wird, sondern im Gegenteil zuge-
nommen und alles, was heute dieser Materie nahe
kommt, Technik, Industrie, Gewerbe, Handwerk, wird
zum Kunstgewerbe; allerdings hat es andere For-
men als vor 1914, aber das ist unwesentlich. Es ist
eine der bemerkenswertesten Eigenschaften des
Kunstgewerbes, sich sehr schnell zu verändern, weil
es nicht eigentlich modern ist, sondern mehr modi-
scher Art und deshalb schnellem Wechsel unterliegt.
Es schließt sich immer neu den momentanen Bedürf-
nissen, Ideen und Symbolen seiner Zeit an und man
kann diese Entwicklung des neuen Kunstgewerbes
seit 40 Jahren lückenlos verfolgen. Ob Ornamente
verwendet werden oder nicht, ob es geschmückt ist
oder nicht, ist gleichgültig; es bleibt immer Kunst-
gewerbe.

Ich will mich hier nicht auf Definitionen einlassen:
es hat ja gar keinen Zweck, all die Begriffe wie
Kunst, Künstler, Kunstgewerbe usw. zu definieren,
denn diese heute so beliebten, wissenschaftliche
Denkungsweise vortäuschenden Definitionen werden
immer nur verwendet, um den eigentlichen Sinn zu
verwischen und auf Grund dieser falschen Definitio-
nen irgend ein System als das allein richtige aufzu-
stellen. Dieses Aufstellen eines allein richtigen
Systems gehört aber in höchstem Maß zum Wesen
des Kunstgewerbes.

Die Welt vom Kunstgewerbe aus zu reformieren
ist verhältnismäßig leicht, weil es eben ein System
hat, das einheitlich auf die ganze Welt und alle
Gegenstände angewendet werden kann, und deshalb
werden diese Versuche immer wieder unternommen.
Sein Grundprinzip ist das folgende: Alles, was exi-
stiert, ist schlecht, es muß also reformiert werden,
und zwar derart, daß es sich innerhalb eines ge-
schlossenen Systems noch unterbringen läßt. In frü-
herer Zeit hat man zum Beispiel ein Ornament über
alles gezogen oder gleichartiges Material verwendet;
heute verwendet man gleichartige Formen und Far-
ben und ähnliches mehr. Aber das Prinzip, ein ein-
heitliches System über die Welt auszubreiten, be-
steht heute noch und wird vielfach für modern an-
gesehen. Es ist dies gerade das Gegenteil von dem,
was ich heute als modern charakterisieren möchte.

Unsere Zeit unterscheidet sich von der früheren,
wie wir in jedem beliebigen Heft einer jeden beliebi-
gen Zeitschrift lesen können, dadurch, daß die Ent-
fernungen kleiner geworden sind, da wir kürzere
Fahrzeiten brauchen und daß wir Kenntnis von der
ganzen Welt haben, wenn wir nämlich Zeitungen
lesen. Was aber nie erwähnt wird, ist, daß wir nicht
nur räumlich die ganze Welt übersehen, sondern
auch zeitlich viel weiter zurückschauen und in Wirk-
lichkeit ein viel größeres Wissen von der Welt haben
als diejenigen, die es allein auf das Räumliche aus-
dehnen möchten, und das gibt uns heute ein Gefühl
für die ganze Welt, das sich schwer in ein einheit-
liches System hineinbringen läßt.

Wir wollen also heute keines dieser Wörter de-
finieren und, weil die Definition nicht stimmt, sie
durch unverständliche ersetzen. Es hat keinenZweck,
beispielsweise das Wort Kunstgewerbe durch ein
anderes zu ersetzen, zum Beispiel durch die Aus-
drücke „Zweckkunst" oder „Geschmacksindustrie"
oder „Neue Gestaltung" oder ähnliches. Es ist im
Grunde immer dasselbe Prinzip — alles Existierende
formal zu vereinheitlichen und in gleichartige For-
men zu pressen, wenn die Formen auch wechseln.
Wenn sich zum Beispiel jemand sein Zimmer einrich-
tet, sei es in einem historischen Stil, sei es durch
irgendeine, der heute so zahlreich existierenden
„Werkstätten", oder sei es mit Stahlrohrmöbeln, so
besteht zwischen diesen drei Einrichtungen kein
großer Unterschied. Sie mögen reizvoll oder prak-
tisch oder hygienisch sein wollen, — eine Eigen-
schaft haben sie gemeinsam: modern sind sie nicht.
Denn in alles moderne Wesen muß sich all das ein-
fügen können, was unsere Zeit hat, und unsere Zeit
umfaßt so vielerlei, daß wir es nicht in eine an-
nähernd einheitliche Form bringen können.

Man sagt immer, daß die frühere Zeit pathetisch
war, die heutige aber sachlich ist. Es hat aber kaum
jemals eine pathetischere Zeit gegeben als die un-
sere, nie wurden Forderungen so eindeutiger Art
aufgestellt. Jede Einfachheit, die nicht mehr zu
überbieten ist, ist pathetisch; es ist pathetisch,
alles gleich machen zu wollen, so daß Varianten
nicht mehr möglich sind, alles organisieren zu wollen,
um alle Menschen in eine große gleichartige Masse
hineinzuzwingen.

Wir verwenden formale Symbole wie je zuvor, nur
sind es eben andere. Ein bekanntes Beispiel hier-
für aus der modernen Architektur ist das flache
Dach. Dieses Dach ist zweifellos modern. Warum?
Wenn Sie die Literatur darüber nachlesen, so wer-
den Sie lauter falsche Angaben darüber finden. Man
schreibt: es ist praktischer, billiger, gesunder,
schneller herstellbar, leichter zu reparieren und ähn-
liches mehr. Das wären alles keine Gründe, die das
flache Dach zu einem derartigen Streitobjekt hätten
machen können. Es kann ja unter Umständen vor-
kommen, daß eine dieser Begründungen zutrifft, aber
es muß nicht der Fall sein. Trotzdem werden die
meisten von uns (und ich auch) das flache Dach an-
wenden. Warum? Weil es ein modernes Symbol
unserer Zeit ist. Es war von Anfang an gewiß nicht
als solches gedacht, ist aber zum Symbol geworden
und wird auch heute allgemein von den Gegnern
— die Freunde verstehen es noch nicht oder wagen
es nicht auszusprechen — als Symbol angesehen.

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