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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0544

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eine Zutat, die keine Notwendigkeit, aber eine Ge-
schmacksangelegenheit ist. Es gibt in der heutigen
Zeit nur ganz wenig Gebiete und Fälle, bei denen
die Farbe sich logischer und konsequenter Weise
ergibt: bei der Werbegestaltung, bei Verkehrszei-
chen und langsam auch bei der Gestaltung der
Innenräume, bei deren Anstrich man allmählich davon
ausgeht, welche psychologischen Wirkungen be-
stimmte Farbgebungen haben können. Hier liegt,
wie ich glaube, überhaupt der Ausgangspunkt für
ein neues Verhältnis des modernen Menschen zur
Farbe, für eine Zweckfarbigkeit im höchsten und
edelsten Sinn genommen.

Im Zusammenhang mit diesen Erörterungen soll
ein Vorschlag zur farbigen Gestaltung der Außen-
architektur behandelt werden, der von dem Bres-
lauer Kaufmann Adolf Rothenberg zuletzt in einer
kleinen Broschüre des Vereins „Die farbige Stadt"
zu Breslau „Genormte Schlesische Farben" nieder-
gelegt worden ist. Ganz gleich, wie man sich zu der
weiteren Entwicklungsfähigkeit und der Berechti-
gung dieser Idee verhält, sind doch ihre Grundlagen
für das ganze Problem der Farbigkeit ungeheuer
interessant. Rothenberg hat als Kaufmann mit der
Farbenindustrie zu tun und ist auf der anderen Seite
ein Mensch von großem Verständnis für künstle-
rische Werte und spielt in dem Kunstleben Breslaus
eine wichtige Rolle. Er ist einer der Anreger und
Verfechter des Plans einer Schlesischen Kunst- und
Gewerbehalle in Breslau, den wir in unserem Bres-
lauer Sonderheft (Heft 12/1929) veröffentlicht
haben. Aus dieser Doppelstellung ergibt sich auch
sein Plan für eine Normung der Anstrichfarben
nach Landschaften, der sowohl aus kommerziellen
Erwägungen als auch aus künstlerischem Verständ-
nis erwachsen ist. Er hat für Schlesien Farbkarten
herausgebracht und drei große Farbenfabriken ver-
pflichtet, die Töne dieser Karten mit all den Bedin-
gungen herauszubringen, die für einen qualitativ
guten Hausanstrich notwendig sind. Damit ist einmal
erreicht, daß jeder Malermeister und Hausbesitzer
von den Tönen dieser Farbkarte weiß, daß sie be-
sonders für den Außenanstrich geeignet sind. Diese
lichtechten Farben werden mit einem Normungszei-
chen versehen.

Soweit haben wir es also nur mit einem Vorgang
zu tun, der anderen Normungsbestrebungen in der
Industrie vollkommen gleich und dessen Berech-
tigung ohne weiteres klar ist. Das Wesentliche und
Interessante aber ist die Idee, nach der die Farb-
karte angefertigt ist. Rothenberg ist dabei von der
Tatsache ausgegangen, die heute auch von der Wis-
senschaft viel zu wenig erkannt wird, daß jede Land-
schaft ihre eigenen besonderen Farbtöne hat. Diese
Erkenntnis ist von der allergrößten Bedeutung. Es
ist gewiß schon oft darauf hingewiesen worden, daß
einzelne Völker eine ganz bestimmte Skala von Far-
ben haben, und wenn man etwa das schwedische
Rot mit dem Rot vergleicht, dem man in der Ukraine
in Textilien so oft begegnet, und wenn man über-
haupt die bevorzugten roten Töne der verschieden-
sten Völker zusammenstellen würde, so würde man
den merkwürdigsten Variierungen von ganz ähn-
lichen Tönen gegenüberstehen. Nun wird oft ge-
sagt, daß diese landschaftlichen Sonderfarben be-
sonderen in der Landschaft üblichen primitiven Farb-
stoffen ihren Ursprung verdanken. Das scheint mir

aber durch die Arbeit Rothenbergs in Schlesien
widerlegt zu sein, denn er hat durch drei Maler in
jahrelanger Arbeit aus Kunsthandwerk, Heiligenbil-
dern, Textilien und anderen farbigen Erzeugnissen
der Volkskunst und auch aus neueren Anstrichen
und Farbschöpfungen die wichtigsten Farbnuancen
feststellen lassen, und es ergab sich tatsäch-
lich, daß eine ganz beschränkte Farbenskala in
Schlesien bei allen Erzeugnissen wiederkehrt. Die
Farbkarten bedeuten also tatsächlich, daß sie in der
Landschaft Schlesien besonders übliche und be-
vorzugte Farben darstellen. Jeder farbempfindliche
Mensch, der die bevorzugten Farbtöne anderer
Landschaften, etwa Oberbayerns, kennt, wird so-
fort den Unterschied zwischen ihnen und den schle-
sischen Farben gefühlsmäßig erkennen können. Nach
mündlichen Angaben Rothenbergs soll sich nun bei
der farbigen Ausgestaltung der Breslauer Altstadt
und der Beratung der Hausanstriche in Schlesien
überhaupt ergeben haben, daß die Hausbesitzer bei
Vorlage einer ganzen Anzahl von Farbtönen sich un-
willkürlich für diese typisch schlesischen Farben
entschieden haben. Damit wäre wirklich der Be-
weis erbracht, daß diese doch im wesentlichen aus
der alten Volkskunst herausgezogenen Farben für
den schlesischen Menschen heute noch besondere
Lieblingsfarben sind. Mit Recht wird diese Erschei-
nung mit dem Dialekt, der auch bis heute noch nicht
ausgestorben ist, verglichen. Diese Entdeckung des
farbigen Spezifikum. wie Rothenberg es nennt, ist
zum mindesten eine wissenschaftlich hochinteres-
sante Angelegenheit, denn diese Farben bedeuten
für den landschaftlich verwurzelten Menschen mehr
als Ausdruck seines Geschmacks. Sie sind ein
Stück Ausspruch des Wesens dieser Menschen.
Hier liegt also eine wirklich innere Verbindung mit
farbigen Ausdruckswerten vor. Daß damit für di3
farbige Bemalung alter Stadtteile wirklich die Mög-
lichkeit gegeben ist, ihnen mit dem Anstrich nicht
nur ein dekoratives Bild, sondern etwas Wesensver-
wandtes zu geben, liegt klar zutage.

Es ist natürlich das Ziel des Schöpfers dieser
Farbtafeln für Schlesien, für andere Landschaften
eine entsprechende Farbennormung herbeizuführen.
Es wäre gefährlich, wenn man mit diesen Farben
einen diktatorischen Heimatschutz einführen würde.
Überall da, wo ein wirklicher Künstler einem neuen
Bau andere Farben geben will, soll er nicht behindert
sein. Man will lediglich dem einfachen Anstreicher
und dem Hausbesitzer Farben an die Hand geben,
die ihnen erfahrungsgemäß gefallen, die zu der Land-
schaft eine gewisse Beziehung haben und bei denen
sie bei sachgemäßer Ausführung des Anstrichs eine
Gewähr für Lichtechtheit und Haltbarkeit haben-
Eine Diktatur in diesen Farben auszuüben, wäre
ebenso falsch wie eine Ablehnung dieser Bestre-
bungen, solange es noch etwas wie eine landschaft-
liche Sonderart gibt. Rothenberg kennt selbst die
Grenzen dieser Normung:

„Subjektive Auffassung wird sich immer wieder
dagegen sträuben, auf besondere Farbenzusammen-
stellungen zu verzichten und sich allgemeinen Ge-
sichtspunkten unterzuordnen. — Wenn Menschen
mit sicherem Geschmack den farbigen Anstrich von
Häusern bewirken, so mögen sie unbedenklich Far-
ben anwenden, die in unseren Karten nicht vorhan-

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