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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Schwab, Alexander: Typen der Theorie des Städtebaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0608

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zehnt dieses Jahrhunderts auf ihre Höhe kam und
u. a. den Anstoß zur Werkbundbewegung gab. Es
ist ein merkwürdiges Schicksal, daß gerade auf dem
Arbeitsgebiet, das am meisten einer Betonung, ja
eines Ubergewichtes des sozialen Elements
bedurft hätte, daß im Städtebau das ästhe-
tische EPement innerhalb der Bewegung die
Vorhand behielt. Und man braucht nur an die
Arbeiten von Männern wie Schultze - Naumburg,
— mehr Materialsammler als Theoretiker — oder
Theodor Fischer und seiner Schule zu denken,
um zu sehen, daß die soziale und kulturpoliti-
sche Komponente in dieser Gruppe wesentlich
charakterisiert war durch konservierende, roman-
tisierende, ja kleinbürgerliche und reaktionäre
Wesenszüge. So verlor sich bei den meisten Ver-
tretern dieses Typs allmählich auch das Gefühl für
die künstlerische Qualität, durch das Camillo Sitte
selbst noch in hohem Maße ausgezeichnet war, die
Bewegung versandete in einem neuen Formalismus
der krummen Straßen und geschlossenen Plätze,
der Winkel, Durchsichten und Achsen, der Verunstal-
tungspsychose und des Heimatschutzes. Kein Wun-
der, daß sie schließlich von dem robusten Realis-
mus der wilhelminischen Ära überrannt wurde und
die natürliche Ordnung sich wieder herstellte, in der
die künstlerische Form ein Ausdruck der gesell-
schaftlichen Verhältnisse ist und nicht umgekehrt.

Die erbitterten Kämpfe zwischen den einzelnen
Geschmacksgruppen innerhalb des ästhetischen
Städtebaues — erinnert sei beispielshalber an die
Auseinandersetzungen anläßlich des Wettbewerbes
um den Ulmer Münsterplatz 1925 — interessieren
hier nur wenig, da wir notgedrungen alle überwie-
gend ästhetisch gerichteten Anschauungen in einen
Grundtyp zusammenfassen müssen.

Hierbei kann auch eine Erscheinung wie Le Cor-
busier nicht ausgenommen werden. Wenn seine Arbei-
ten, allen heimatschützlerischen Gedankengängen
diametral entgegengesetzt, auf eine Erneuerung des
geometrischen Städtebaus ausgehen und eine deut-
liche Verwandtschaft mit den städtebaulichen Lei-
stungen der Landesfürsten des 18. Jahrhunderts
aufweisen, so sind doch auch sie, trotz aller Aus-
schmückung mit wirtschaftlichen und technischen
Gedankengängen, letzten Endes bestimmt von einem
formal-ästhetischen Prinzip und erscheinen, so be-
trachtet, nur als eine Nebenform des ästhetischen
Grundtyps.

Für die Beurteilung des ästhetischen Grund-
typs an dieser Stelle sind auch die — im übrigen
beträchtlichen — Verschiedenheiten in den Formen
der Auswirkung im einzelnen weniger erheblicn.
Man mag an die nützlichen Seiten des Verunstal-
tungsgesetzes mit seinem Kampf gegen die Brutali-
täten der Industriereklame denken oder an den
Wettbewerb um die Bebauung der Berliner Straße
„Unter den Linden", an die Scheußlichkeiten des
sogenannten Bayrischen Viertels in Berlin, oder
etwa an die — schon stark von anderen Gedanken-
gängen beeinflußte — Gartenstadt Hellerau bei
Dresden; sicher kann jede dieser Erscheinungen
nur für sich bewertet werden, aber ebenso sicher
ist, daß sie alle unseren heutigen Bedürfnissen
nicht mehr entsprechen, mindestens nicht mehr
genügen.

Den historischen Ausgangspunkt des Typus, der
hier als der analytisch-synthetische be-
griffen werden soll, kann man kaum fixieren.

Es läge nahe, ihn im Jahre 1890 zu suchen,
als des damaligen Kölner Stadtbaurates Joseph
Stübben großes Handbuch „Der Städtebau"' in
erster Auflage erschien, mithin fast gleichzeitig mit
dem Eingreifen von Sitte. Doch wäre dies in ver-
schiedenen Beziehungen unrichtig, ja fast unge-
recht, am meisten gegen Stübben selbst, dessen
Wirkung ja ebenfalls mit seinem Buch nicht aufge-
hört, vielmehr, wie die Neuauflage von 1924 beweist,
lebendigen Fortgang genommen hat.

Versuchen wir also zunächst den Begriff „ana-
lytisch-synthetisch" in der Sache zu umreißen. Er
soll, angewandt auf die Typenlehre des städtebau-
lichen Denkens, die Grundanschauung bezeichnen,
daß — wenn eine paradoxe Ausdrucksweise ge-
stattet ist — eine Stadt aus Häusern bestehe.

In der Regel verwendet man ja das Begriffspaar
„analytisch" und „synthetisch" im Sinne eines Ge-
gensatzes, und gerade heute wieder ist der Ruf
nach der Synthese — als Rettung vor einer zu weit
getriebenen Analyse — sehr in Mode. Man mag es
mit diesen Worten halten wie man will, hier soll
jedenfalls in diesem Zusammenhang mit ihrer Ver-
kopplung eine Denkform angedeutet werden, die den
Akt der Synthese als eine Wiederherstellung eines
in seine Teile auseinander-analysierten Ganzen auf-
faßt. Angewandt auf das Ganze, von dem hier die
Rede ist, also auf das Gebilde „Stadt", umfaßt
mithin der analytisch-synthetische Typ alle jene
Leistungen der Theorie und Praxis, bei denen die
Stadt gedanklich zunächst in ihre Teile zerlegt wird,
um dann aus ihnen wieder aufgebaut zu werden. Es
verschlägt nichts, ob die Analyse sich mit Häusern
oder Blocks, mit Straßen oder Installationen, mit
Vierteln oder Verkehrszügen oder Grünflächen be-
schäftigt.

Eine derartige Betrachtungsweise entspricht an
sich den Traditionen — wenn auch nicht durchweg
dem neuesten Stand — der europäischen Wissen-
schaft und ihrer Methoden. Sie entspricht auch in
hohem Maße den besonderen Bedürfnissen des Lehr-
betriebes an den Technischen Hochschulen, an de-
nen sie denn auch heute die beherrschende Stel-
lung innehat. Kein Wort gegen die Wissenschaft!
Aber auch innerhalb wissenschaftlicher Grundsätze
bleiben immer wieder von neuem Schranken zu
durchbrechen, der Entwicklungsstand der einzelnen
Disziplinen läßt immer wieder Niveau-Unterschiede
entdecken, und fachliche Isolierung ist eine Gefahr,
vor der keine Einzeldisziplin dauernd geschützt ist.
Die Idee der Einheit aller Wissenschaft lebt als ewig
unerfüllte Forderung über allem vermeintlich ge-
sicherten Lehrgut — und sogar über allen Lehr-
stühlen.

Hierher zielt wohl eben, wenn die Anzeichen rich-
tig gedeutet werden, jenes eingangs erwähnte Ge-
fühl, es sei der Vorstellungs- und Gedankenschatz
einer herrschenden Richtung jetzt ausgeschöpft.
Was ist erreicht? Der Schüler der offiziellen akade-
mischen Städtebaulehre hat heute gewiß nichts zu
lachen. Er muß viel lernen und Lücken werden ihm
nicht leicht nachgesehen. Er muß — schon abge-
sehen von dem kunstgeschichtlichen Teil seiner
Ausbildung — etwa und beispielsweise vielerlei ler-

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