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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Schwarz, Rudolf: Erneuerung des Kirchenbaus?
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0636

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Kennzeichen Sie aufzählen: Subjektivität, Vor-
liebe für Stimmungen und Gefühle, handwerk-
liche Stoffbehandlung. Vielleicht ließe sich
gegen das alles nicht viel einwenden, wenn es
echt wäre. In dem Buche „Form ohne Orna-
ment" wurde seinerzeit (1924) der Standort
dieser Dinge in vorzüglicher Weise gezeigt,
und man ist noch nicht weit über diese Fest-
stellungen hinausgekommen. Noch immer steht
neben einer strengen und mathematischen Form
eine gütige Form des warmen Lebens, der Un-
mittelbarkeit und Subjektivität. Nicht, daß die
kirchliche Kunst sich für diese entschied, ist ihr
vorzuwerfen, sondern, daß es oft ohne das
rechte Gefühl für das Wahre und das Gewollte,
das Ursprüngliche und das Stilisierte, das Vi-
tale und das Kunstgewerblich-Raffinierte ge-
schah. Diese Form hat ihre großen Meister, wenn
auch meist unter den Malern und Bildhauern.
Denen wird es aber schwer gemacht. Was sich
dagegen in Vereinen und Zeitschriften, auf Ta-
gungen und Ausstellungen breit macht, das ist
talentlos und widerlich, geeignet, ehrliche Seelen
abzustoßen. Vielleicht wäre es übrigens gut, hier
daran zu erinnern, daß wir tatsächlich auch im
Architektonischen einen Dualismus der Formen
haben, wenn auch die Werke der wärmeren Form
der Öffentlichkeit meist verheimlicht werden.

Grundsätzlich wäre diese Übernahme der For-
men technoider Baukunst nicht eine Notwendig-
keit, sondern ein Vorschlag. Aber Sie haben
sicherlich recht: Diese Form ist für den Kirch-
bau noch nicht bereit. Betende Menschen fin-
den sich nicht in ihr wieder, und sie enthält noch
zu viel von der Welt der Lagerhäuser und Bahn-
höfe und zu wenig von der Welt der Frömmig-
keit. Ich glaube, daß Sie die Aufgabe richtig be-
schreiben: Langsame Erfüllung und Anreiche-
rung dieser Form im gottesdienstlichen Ge-
brauch. Ich kann allerdings nicht unterschreiben,
daß die Formen der Technik so gar keinem reli-
giösen Geist entsprungen seien. Im Gegenteil
scheint mir die Traditionslinie vom technischen
zum gotischen Gedanken ungebrochen zu sein.
So ist beispielsweise das Schlankheitsprinzip
der stofflichen Sparsamkeit echtes gotisches
Erbe. Man könnte auch dartun, daß die gegen-
wärtige religiöse Haltung eine Verwandtschaft
zu den geistigen Wurzeln der technischen Form
zeigt, wenn auch durchaus nicht zu dem wider-
lichen Mißbrauch, den die Wirtschaftler mit ihr
treiben. Das wäre sogar das Entscheidende,
denn für die Religion ist es gleichgültig, wie
unsere Bahnhöfe aussehen, wenn Gott anders
aussieht. Schließlich noch: Unsere Baukunst
befindet sich tatsächlich in einem Zustand der

Wandlung, und diese Wandlung läuft ungefähr
in dem von Ihnen gemeinten Sinne der Erfüllung.
Die Architektur hat längst die Manifeste und die
Manifestanten hinter sich gelassen und ihre Miß-
verständnisse verbessert. Leider waren das oft
Mißverständnisse über das Wesen des Mensch-
lichen selbst.

Da aus Hinweisen leicht Programme werden,
muß man hervorheben, daß eine solche Wand-
lung nicht gemacht werden kann, sondern ge-
schehen muß. Der Erbauer einer Kirche muß
glauben und ein guter Baumeister sein, das ist
alles. Mit irgendeinem Programm kann man ihm
nicht helfen. Er muß sich wagen, und auch die
Kirche muß sich an die Welt wagen, wenn sie sie
überwinden will.

Nun möchte ich Sie nur noch einladen, ein-
mal um das ganze Problem herumzugehen und
es von der Rückseite zu besehen, von derjeni-
gen der Kirche nämlich. Von dort sieht manches
anders aus. Wir haben zum Beispiel bisher
immer festgestellt, daß im Kirchbau ein chaoti-
scher Zustand herrsche, der aus der Ver-
mischung verschiedener Strömungen entstanden
sei. Würde man einmal die Kirche fragen, so
würde sie wahrscheinlich diesen Zustand bedau-
ern, aber antworten, sie habe alle diese Strö-
mungen weder erfunden noch bestellt, sondern
sie seien mit sehr bewußten Ansprüchen zu ihr
gekommen, und sie habe jedesmal bis an die
Grenze des Möglichen Freiheit gegeben. Ihre
eigentlichen Bedürfnisse sähen aber tatsächlich
ganz anders aus. Vorab könne sie in ihren Got-
teshäusern durchaus nicht das gebrauchen, was
man Kunst nenne. Ihre ganze Geschichte be-
weise sicher genügend, daß sie die persönlichen
Aussprüche bedeutender Menschen über das
Heilige zu ehren wisse. Aber das sei durchaus
eine Sache für sich und darum noch lange nicht
für den Gottesdienst der Gemeinden geeignet.
Ein Bild könne sehr gut und auch sehr religiös
sein, ohne darum sich als Andachtsbild zu eig-
nen, und mit den Bauten sei es nicht anders. Man
könne zwar nicht sagen, daß der Gottesdienst
nur zweckbestimmte Werke brauche, aber an die
Werke des Gottesdienstes seien ganz und gar
andere, in ihrer Art übrigens sehr tiefe und
schwere Forderungen gestellt als an ein Kunst-
werk. Sie könne aber nicht feststellen, daß die
Künstler Vorbereitungen träfen, ihr ganz einfach
das zu geben, was sie brauche, und so werde
wohl auch für die Zukunft nur die Wahl bleiben
zwischen dem Chaos künstlerischer Privatäuße-
rungen und dem Kitsch der Fabriken, die doch in

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