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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0661

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glauben und entsprechenden Kulten keine neue Blüte
der Baukunst sich entfalten könnte, ist ein Irrwahn,
der in den Tatsachen der Baugeschichte durchaus
keine Stütze findet.

Tatsächlich hat — und damit freilich muß ich mich
gegen einen Teil der weiteren Ausführungen Hart-
laubs wenden — niemals im Laufe der Geschichte
die „religiöse Bewußtseinslage" Kunst und künst-
lerische Formensprache geschaffen. Nur eines ha-
ben religiöse Kulte und Riten in jenen Zeiten, als
Kunst und vor allem Baukunst wesentlich im Dienst
dieser Mächte standen, zur Entwicklung der Künste
beigetragen: sie haben der künstlerischen Tätig-
keit die mannigfaltigsten Anregungen gegeben:
und zwar Anregungen, die auch da, wo sie größte
monumentale Ziele stellten und entsprechende
äußerste Anstrengungen forderten, stets auch von
den entsprechenden wirtschaftlichen Bedingungen
getragen waren und darum nicht als bloße Anre-
gungen verpufften, sondern zur Ausführung kamen.
Die religiösen Mächte lieferten der Kunst die Auf-
träge und bestimmten den Zweck der Werke.

Durch den Zweck ist und war hier wie überall,
wo künstlerische Gestaltung einem bestimmten
Zweck zu dienen hat, manches an der Gestaltung
vorausbestimmt. Aber so wenig etwa die Gestal-
tung eines Speisewagens der Eisenbahn durch
ihren Zweck die künstlerische Ausführung schon be-
stimmen und eine künstlerische Formensprache er-
zeugen kann, so wenig konnten jene religiösen
Mächte durch ihre Anregungen die künstlerische Ge-
staltung selbst bestimmen und verwirklichen. Die
religiösen Motive konnten nur den Künstler anregen,
nicht aber seine Tätigkeit bestimmen und eine For-
mensprache schaffen. Wo sich nicht Künstler, son-
dern nur Handwerker gefunden hätten, um die
religiösen Aufträge auszuführen, da würde sicher
keine Kunst durch diese Aufträge ins Leben gerufen
worden sein. So hat es in der Tat in den Anfängen
des römischen Reiches trotz aller sakralen Anre-
gung (an dieser und dem entsprechenden Aberglau-
ben fehlte es wahrlich nicht!) eine sakrale Kunst
niemals gegeben; und auch später ist keine boden-
ständige sakrale Kunst dort entstanden, weil es
dem römischen Volk eben an künstlerischen Fähig-
keiten anscheinend vollständig gebrach. Dafür, daß
der Aberglaube als solcher weder kunstschöpferisch
noch stilbildend ist, kann es ein klareres Zeugnis
als dieses kaum geben.

Mag also die Behauptung, daß „Bauen und Glau-
ben" auf der archaischen Stufe zusammengehören,
innerhalb gewisser Grenzen richtig sein, so gehören
deshalb Glauben und Baukunst noch lange nicht
zusammen. Bloßes Bauen ist eben nicht Kunst. Auch
die größte und schwärmerischste religiöse Begei-
sterung kann aus dem bloßen Bautechniker oder
Bauhandwerker niemals einen Künstler machen.
Sonst müßten die wahrhaft ausgiebig schwärmeri-
schen Katholiken der neugotischen Zeit in Deutsch-
land doch wohl auch künstlerisch etwas zustande
gebracht haben. Daß sie das nicht konnten, zeigt
klar, daß Baukunst nicht durch eine chemische oder
mystische Vereinigung von Bautechnik und religiö-
sem Ethos entsteht. Was zur Bautechnik hinzukom-
men muß, um aus dem handwerksmäßigen Baumei-
ster oder dem Konstruktionsingenieur einen Bau-
künstler zu machen, ist also sicher etwas ande-

res als das religiöse Ethos. Und wir können aus dem
Gesagten sofort den weiteren Schluß ziehen: die-
ses andere, was den Künstler vom bloßen Handwer-
ker und vom Konstrukteur unterscheidet — und was
da, wo es sich bei den letzteren findet, alsbald
Künstler aus ihnen macht! — kann mit all dem nichts
zu tun haben, was man mit Ethos irgendwelcher Art
bezeichnet; und ebensowenig hat es mit „Ausdruck"
(sei es jenes vermeintlichen Ethos, sei es irgend-
welcher sonstigen angeblichen inneren oder äuße-
ren Bedingungen der Kunst) zu schaffen — es sei
denn etwa, daß man unter dem Ethos die Hingabe
verstünde, die alles Vollenden zielbewußter Arbeit
fordert, und mit Ausdruck nichts anderes meint, als
daß im Kunstwerk eben — die künstlerische Fähig-
keit seines Schöpfers zum Ausdruck kommt. Diese
künstlerische Fähigkeit aber kann durch keine An-
regung und durch kein Ethos ersetzt oder erweckt
werden, mag man unter dem letzteren die religiöse
Begeisterung oder die dienstbeflissene Hingabe an
eine fürstliche oder eine soziale Macht verstehen.
Wo die künstlerische Fähigkeit fehlt, da kann keine
Anregung und kein Ethos helfen: Anregung und
Ethos werden dann eben nicht künstlerische, son-
dern immer nur kunstlose technische, oder, was un-
erfreulicher ist, dilettantische Werke zutage för-
dern, wie sie aus der in den Kunstgewerbeschulen
ausgestreuten Drachensaat aufs üppigste aufge-
schossen sind und immer weiter aufschießen.

Freilich mag es, wie unter den Theoretikern, so
auch unter den Bautechnikern gar viele geben, die
diesen Unterschied von Kunst und Technik nicht
kennen, weil sie eben selbst nicht Künstler sind.
Andererseits aber gibt es gewiß auch unter den Bau-
künstlern sehr viele, die den Unterschied nicht er-
kennen, weil eben das begriffliche Erkennen
nicht Sache des Künstlers zu sein pflegt. Dessen
aber sind diese wirklichen Baukünstler sich zweifel-
los bewußt, daß ihre Werke etwas anderes und
mehr sind als die Erzeugnisse der unkünstleri-
schen bloßen Technik; nur daß sie über dieses Mehr
sich nicht klare begriffliche Rechenschaft zu geben
versuchen, weil sie — Besseres zu tun haben.

II.

Aber was ist denn nun dieses merkwürdige Etwas,
das „Künstlerische" in der Baukunst, wodurch diese
sich vom bloßen Handwerk unterscheidet und wo-
durch das letztere, wo es sich damit verbindet, stets
zur Kunst wird? Ich habe bisher nur zu zeigen ge-
sucht, daß es nicht in irgendeinem Ethos zu finden
ist, — daß es vielmehr etwas Besonderes, Neues, von
aller Begeisterung wie von allem rein handwerk-
lichen und konstruktiven Können wesentlich Ver-
schiedenes ist.

Ich möchte für die Antwort auf diese Frage zu-
nächst vor einem naheliegenden Irrtum warnen, dem
schon viele zum Opfer gefallen sind. Das Wort
Kunst verführt leicht dazu, das, was in der einen
Kunst gilt, auch sogleich auf die andere zu über-
tragen. So hat man ein „poetisches" oder ein „musi-
kalisches" Element als das wesentlich Künstlerische
auch für die bildende Kunst, speziell für die Baukunst
gemeint annehmen zu müssen; wie man denn schon
lange die Baukunst als „gefrorene Musik" bezeich-
net hat. Eine solche Übertragung ist sehr billig, aber
sie ist keine Antwort auf die Frage. Sie gibt tat-
sächlich keine Erklärung: in der Tat wird sicher

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