Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

DOI Artikel:
Riezler, Walter: Die Tragödie der Berliner Museen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0696

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
was entstanden ist, und was man nur mit sehr radi-
kalen Änderungen der ursprünglichen Pläne hätte
im Sinne unserer heutigen Anschauung ausführen
können.

2.

Was nun das Innere anlangt, so soll hier haupt-
sächlich vom Pergamon-Museum und den daran an-
schließenden Räumen für Vorderasiatische Baukunst
die Rede sein. Hier liegt die am meisten beachtete,
mit dem Anspruch völliger Neuheit und Einzigkeit
auftretende Leistung. Allerdings ist der Eindruck
— erstaunlicher und für uns tröstlicher Weise —
doch nicht so eindeutig, wie man wohl erwartete:
Die Presse hat mit wenigen Ausnahmen versteckt
oder offen kritisiert, und man kann auch bei den
Besuchern viel Kopfschütteln und Ablehnung beob-
achten. Der Aufwand an Gips und Kunststein wirkt
offenbar fast allgemein verstimmend, die Tatsache,
daß sowohl die Architektur des Pergamenischen
Altars wie auch fast die ganzen Säulen in dem gro-
ßen Saale der römischen Baukunst neu sind, ist
eine große Enttäuschung auch für den naiven und
nicht weiter vorgebildeten Beschauer. Wenn man
dann aber diese Ergänzungen, vor allem die Säulen-
halle des Altars, genauer betrachtet, ist man über
die Lieblosigkeit und den Mangel an Feingefühl, mit
dem diese Kunststeinsäulen ausgeführt sind, wahr-
haft entsetzt, — nicht minder über den wunderlichen
Einfall, das prächtige Orginalfragment eines römi-
schen Eckakroters in zwölf Meter Höhe auf ergänz-
ter Säule und ergänztem Gebälk so anzubringen,
daß man so gut wie nichts davon sieht. Offenbar
glaubte man dadurch der richtigen „Wirkung" mög-
lichst nahe zu kommen, — wie man ja auch den Gi-
gantenfries dadurch erst recht zur Wirkung bringen
zu können glaubte, daß man die ganze Architektur
wiederherstellte, was man aber aus Raummangel
doch wieder nicht konnte, so daß man jetzt vor der
Fassade des Altars steht und im Rücken an der
Wand des Saales die Reliefs hat, die eigentlich um
den Altarbau herumlaufen sollten.

Noch schlimmer steht es um das Ischtartor und
die übrigen Stücke der vorderasiatischen Architek-
tur. Ganz abgesehen davon, daß hier die Ergänzun-
gen wahrhaft abscheulich sind (diese glasierten
Kacheln sehen aus, als stammten sie aus Badezim-
mern für Siedlungshäuser!) und daß ganz bestimmt
keine Sicherheit über die Richtigkeit dieser Ergän-
zung besteht: was ist das für ein Einfall, wohl das
Tor und die darauf zu führende Prozessionsstraße
mit den Löwen zu rekonstruieren, dabei aber auf die
allein sinnvolle axiale Beziehung zwischen beiden
zu verzichten — wahrscheinlich war sie bei der An-
lage des Baus nicht möglich — und in dem zwischen
beiden Bauteilen liegenden Querhof rasch noch die
Gipsrekonstruktion einer parthischen Fassade (die
gar nicht hierhergehört) anzubringen! Und lohnt der
künstlerische Wert dieser Architekturen wirklich
den ungeheuren Aufwand, den diese Rekonstruk-
tionen erforderten?

3.

Man muß einmal selbst Archäologe gewesen sein,
um sich die Gedankengänge vergegenwärtigen zu
können, aus denen derartige Pläne entstehen konn-
ten. Der Archäologe hat es nicht wie der Historiker
der neueren Kunst in erster Linie mit vollständig

erhaltenen Originalen zu tun, sondern in der Haupt-
sache mit jämmerlichen Fragmenten oder mit hand-
werklichen Kopien, die noch dazu in den mei-
sten Fällen Bronzestatuen in Marmor wiedergeben.
So erklärt es sich, daß sich beim Archäologen der
eigentlich künstlerische Sinn für das, was unmittel-
bar gegeben ist, also für die sinnliche Realität des
Kunstwerks, unmöglich frei entwickeln kann, daß
er vielmehr diesen Sinn eher unterdrücken muß, um
aus dem, was ihm gegeben ist, also aus dem Frag-
ment oder der Kopie, das verlorene Kunstwerk auf
dem Wege „wissenschaftlicher" Gedankenarbeit zu
rekonstruieren. Daß das unmöglich ist, wird vielen
Archäologen gar nicht klar. Ja es gibt in der
Archäologie sogar Versuche der Rekonstruktion von
Kunstwerken, die wir nicht einmal aus Kopien, son-
dern nur aus Beschreibungen kennen, wie z. B. der
Wandgemälde des Polygnot, — wobei dann Vasen-
bilder, die vielleicht unter dem Eindruck jener Ge-
mälde entstanden sind, aber sicherlich ganz anders
aussehen, in sehr naiver Weise benutzt werden. Im
Kreise Goethes, in dessen klassizistischer Epoche,
mag eine derartige Bemühung einigermaßen sinn-
voll gewesen sein, weil sie im Dienste einer allge-
meinen Geisteshaltung stand, der großen „klassi-
schen Idee", die wenigstens auf den Nachbargebie-
ten künstlerischen Lebens zu großen Verwirklichun-
gen führte, — für uns heute ist an der Kunst längst
etwas anderes als das eigentlich Lebendige und
Schöpferische erkannt worden. Deshalb kann heute
von einer Bemühung dieser Art eine wahrhaft leben-
dige künstlerische Anregung nicht mehr ausgehen, —
auch wenn man noch so sehr von der anbetungs-
würdigen Größe und Reinheit der echten griechi-
schen Kunst überzeugt ist. Für uns ist eben damit,
daß man eine antike Säule, ein Profil in den Maßen
möglichst genau nachmacht und in der Oberfläche
zum Verwechseln imitiert, nichts Wesentliches
getan. Dieser Kopie fehlt immer das, was uns allein
angeht, das unmittelbare Leben.

4.

Was man unter dem „Leben" oder der „Wirklich-
keit" eines Kunstwerks versteht, das ist aber, wie
ich glaube, noch in viel weiterem Sinne entschei-
dend für alle Museumsarbeit. Wenn man in Berlin
den Altar von Pergamon als Ganzes wieder so auf-
gebaut hat, wie es jetzt geschehen ist, so glaubte
man offenbar der lebendigen Wirkung der erhalte-
nen Teile, also der gewaltigen Reliefs, am besten
damit zu dienen, daß man die Reliefs wieder in ihre
ursprüngliche „Wirklichkeit" zurückversetzte, d. h.
in den Zusammenhang des ganzen Bauwerks ein-
fügte. Nun ist aber damit die ursprüngliche „Wirk-
lichkeit" keineswegs erreicht. Denn zu dieser Wirk-
lichkeit gehörte — nicht nur im Sinne der „Wirkung",
sondern ebenso im Sinne des „Daseins" — alles
das, was die Burg von Pergamon an Bauten sonst
noch enthielt, die Landschaft und das Licht des
südlichen Himmels, gehörte vor allem außerdem alles
das, was dieses Bauwerk an außerkünstlerischer
Bedeutung sonst noch enthielt, also seine Realität
als Denkmal religiöser Gesinnung und staatlicher
Macht. Von all dieser umfassenderen Wirklichkeit
kann auch der vollkommenste Wiederaufbau in
einem Museum nicht das Mindeste mitteilen: er
ersetzt die architektonische und landschaftliche

600
 
Annotationen