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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Verkäuferschulung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0711

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Eingabe der Württembergischen
Arbeitsgemeinschaft des Deutschen
Werkbundes an die Ministerialabtei-
lung für die Fachschulen Württem-
bergs in Stuttgart:
„Schulung der Verkaufskräfte
des Einzelhandels.

Die Anstrengungen, die von staatlichen Behör-
den und Anstalten, sowie von kulturellen Organi-
sationen seit Jahren gemacht werden, um die Quali-
tät deutscher Erzeugnisse zu heben, sind bisher in
der Hauptsache von zwei Seiten her erfolgt: ein-
mal durch erzieherische Einwirkung auf den Nach-
wuchs unserer Produktivkräfte in den Kunst- und
Gewerbeschulen des Landes, zum anderen durch
allgemeine öffentliche Propaganda kultureller Ver-
bände in Ausstellungen, Vorträgen und Publikatio-
nen. Ein Erfolg dieser Bestrebungen kann nicht
geleugnet werden, doch könnte dieser Erfolg heute
viel umfassender sein, wenn noch eine Berufsgruppe
in diese Erziehungsarbeit miteinbegriffen würde, die
in hohem Maße die Möglichkeit geschmacklicher
Einwirkung auf die Konsumentenkreise besitzt, näm-
lich die Gruppe der Verkaufskräfte des Ein-
zelhandels. Wir halten deshalb eine systema-
tische Schulung dieser Kräfte in Warenkunde für
unbedingt erforderlich.

Um Mißverständnisse von vornherein auszuschal-
ten, ist es nötig, zu betonen, daß uns nicht daran
liegt, ja daß wir es als vollkommen verfehlt ansehen
müßten, wenn eine solche Schulung im Sinne irgend-
einer künstlerischen Geschmacksrichtung
vorgenommen würde. Über nichts läßt sich bekannt-
lich mehr streiten als über Geschmacksfragen. Da-
gegen erweist eine nur flüchtige Überprüfung der
Gegenstände des täglichen Bedarfs, daß leider
immer noch die Mehrzahl davon in ihrer Gestaltung
usw. ganz offenkundige Fehlleistungen darstellen,
und zwar Fehlleistungen nach der Seite

1. der Materialbehandlung,

2. der Konstruktion und technischen Behandlung,

3. des Gebrauchszweckes und

4. der Bemusterung und Farbgebung.

Auf der Grundlage dieser unzweifelhaft feststell-
baren Fehlleistungen, denen die heute auf allen
Fachgebieten schon vorliegenden einwandfreien
Musterleistungen gegenüberzustellen sind,
hat die Erziehungsarbeit einzusetzen, und zwar zu-
nächst an den Verkaufskräften des Einzelhandels,
da hierfür gruppenweise die nötigen Unterlagen aus-
gearbeitet und die Lehrkräfte kursweise geschult
werden können. Für später läßt sich eine weitere
Verwendung des Lehrmaterials auch an Gewerbe-
und anderen Schulen, sowie im Rahmen der Volks-
hochschule vorsehen.

Wir erlauben uns, nachfolgend in groben Umrissen
einen vorläufigen Plan hierfür aufzustellen, dessen
endgültige Fassung nach weiteren Besprechungen
mit den zuständigen Stellen festgelegt werden kann.

Die vorzusehenden Kurse sollen entsprechend der
Spezialisierung einzelner Verkaufszweige nach Ma-
terialien gruppiert werden. Also z. B.

Glas,

Keramik,

Metall,

Holz,

Textilien, Leder usw.

Allerdings kommen im praktischen Betrieb viel-
fach Überschneidungen vor, wie z. B. in Warenhäu-
sern oder in Verkaufsgeschäften für Haushaltarti-
kel u. a., wo Gegenstände der verschiedensten Ma-
terialien zum Verkauf stehen. Die Verkaufskräfte
solcher Geschäfte werden aber normalerweise
immer nur in der Abteilung verwendet, in der sie
während ihrer Lehrzeit tätig waren und ent-
sprechende, rein praktische Verkaufserfahrungen
sammeln konnten.

Der Lehrgang für jede einzelne der obengenann-
ten Gruppen wird zweckmäßig in nachstehender
Reihenfolge vorgenommen:

1. Materialkunde. Gewinnung des Rohstof-
fes; Erklärung seiner spezifischen Eigenschaften
und Verwendungsmöglichkeiten.

2. Technik. Zweckvolle Verarbeitung des Ma-
terials; die zur Verarbeitung notwendigen Werk-
zeuge und Maschinen.

3. Gestaltung. Dieses Thema ist am schwie-
rigsten zu behandeln, da hier die Frage des persön-
lichen Geschmacks hereinzuspielen beginnt und da-
mit die Gefahr unsachlicher und ganz unfruchtbarer
Auseinandersetzungen. Es empfiehlt sich deshalb,
Vortrag und Anschauungsmaterial zunächst auf die
Darstellung der zweckmäßigen Form zu beschrän-
ken und die Möglichkeiten reicherer Gestaltung nur
an Hand weniger sehr instruktiver und einwand-
freier Modelle zu streifen.

4. Oberflächenbehandlung, Bemuste-
rung. Auch hier beschränkt man sich am besten
auf einfache Beispiele und Muster, die möglichst
rein aus der Technik und dem Gebrauchszweck ent-
wickelt wurden, ohne sich viel auf exzeptionelle
künstlerische Leistungen einzulassen. In diesem Zu-
sammenhang ist auf Wert und Unwert des „Modi-
schen" näher einzugehen.

5. Farbe. Für dieses Gebiet liegen als Grund-
lage die ausgezeichneten Untersuchungen von Pro-
fessor Dr. Holzel vor, die jedoch einer besonderen
Bearbeitung für die vorliegenden Zwecke bedürfen.

Die Kurse haben sich vorwiegend auf sorgfältig
ausgesuchtes Anschauungsmaterial und theoretisch
einwandfreie textliche Unterlagen zu stützen. Ge-
winnung und Verarbeitung des Rohmaterials kann
an Hand von Lehrfilmen demonstriert werden.
Gestaltung und Bemusterung an Hand von Licht-
bildern, farbige Behandlung an Hand von Farb-
tafeln. Unerläßlich ist die möglichst weitgehende
Vorführung der verschiedenen Materialien in
rohem und bearbeitetem Zustand, denn exakte
Kenntnis des Materials und seiner Verarbeitung ist
die unerläßliche Grundlage für jede Warenkunde.

Sobald für eines der obengenannten Fachgebiete
das Anschauungsmaterial gesammelt und die theore-
tischen Grundlagen ausgearbeitet vorliegen, sind
aus dem Lehrkörper der Handelsschulen diejenigen
Kräfte zu einem Instruktionskurs zusammen-
zurufen, die sich auf Grund ihrer Interessen und
Fähigkeiten dafür besonders eignen. Auf diese
We ise lassen sich die Kurse schrittweise einführen
und nach Bedarf weiter ausbauen.

Zur Aufstellung der Lehrpläne und Aus-
arbeitung der theoretischen Grundlagen ist die Mit-
arbeit technischer Fachkräfte so unerläß-
lich wie die Mitarbeit von geschmacklich ge-
schulten Sachverständigen auf dem Ge-

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