crsi-s-«» »Volksgemeinschaft-
/ g. Januar 1936
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Aus dem Leben eiues StoriheMll-en
Addis Me FlugveriuHe
Er zog ein Bein an untz schaute träumerisch
in öie Gegend hinaus. „Na, warte" — bachte
ich — „da kannst du lange stehen, ehe es mir
einfällt, dir Frösche hinaufzubringen." Die
Futterzeit kam. Cohn, Vullrich, Jwan und
Anhang sättigten sich. Addi schrie unö fastete.
Jetzt hielt Knöppke gar noch den Zwiebacks-
beutel Hoch. Das wurde ihm zu öumm. Er
versuchte, das Strohöach hinabzuklettern. Da-
bei glitt er aus, kam ins Rutschen, breitcte
öie Schwingen und segelte so in einem ele-
ganten Bogen in öcn Hof herunter.
„Na endlich" — seufzte ich erleichtert, nahm
ihn nach öer Abendmahlzeit in öie Stube und
tat ein Ringlein an seinen Fuß. Wo Addi
fürderhin auch endigen mochte, seine Heimat
uud seine Zugehörigkeit konnte man von öem
kleinen Patz ablesen. ^
Nun versuchte er, auch vom Duch allein ab-
zuschwirren. Er tat's abcr nur ungern, mei-
stens mußte man ihm einen Schupps geben.
Die fremde Umgebung, in der er zu landen
gezwungen war, ängstigte ihn um so mehr,
als er niemaud hatte, der ihm zur Seite ge-
stauden häkte, wenn etwas Ketndseliges auf
ihn losgegangen wäre. Das war nür zu ver-
ständlich. Auch darum war ihm das Allein-
fliegen nicht ganz geheuer, weil er infolge
seiner Schwere sich glaube sast, die alten
Störche lassen ihre Jungen vor den ersten
Flugversuchen richtig hungern, um sie leichter
zu machen unö ihnen öaun zu ebener Erde
MMrei«« MmssO
Von Dr. Herbert Vuhl
Vitter war das Jahr 1620 hereingsbrochen.
Die Truppen verlangten den Solö und die
Kassen waren leer. Das Land bot öen Söld-
nern nichts mehr, und das Lagerfieber gras-
sierte. Und mit öem Lagerfieber schlich ein
änöeres von Zelt zu Zelt: öer Aufruhr kroch
in dem trägen Blut öer tatenlosen Männer
umher.
Ernst von Mansfelö sitzt in seinem Zelt.
OLwohl er der Feldherr ist, oüwohl er die
Macht hat unö es keinen unerfüllbaren Wunsch
für ihn mehr gibt, umhegt ihn spartanische
Einfachheit. Das Licht, das nur trübe den
Raum erhellt, spiegelt sich in öen Platten
seiner Rüstung, in den Schienen, öie seine
Glieder umhüllen, in dem Eöelstein, öer den
Schwertknauf verziert. Blutig unö tückisch wie
ein satanisches Auge funkelt der Rubin im
mechselwden Licht.
Zornrot ist öer MansfelL. Unö jetzt schlägt
er mit der Faust auf den Tisch, daß öie Eisen-
ringe klirren unö rasseln. „Seiö Jhr von
Sinnen, Herr?" — „Das hätte derThurn ge-
tan? So hätte sich Matthias Graf Thurn oer-
loren? Wo bleibt da die Manneszucht, wenn
öas Kriegsvolk öen Felöherrn nicht mehr ach-
tet?"
Grimmig blickt er den Boten an, der im
leöernen Wams vor ihm steht. Gebieterisch
winkt er ihm, zu reden.
„Es ist alles wahr, Euer Gnaöen", sagt
öer, „öie Regimenter haben gemeutert, öes
Solöes wegen. Der alte Graf stand ihnen
machtlos gegenüber. Da hat er zu den Leuten
gesprochen u. von öen Marketendern Gelö ent-
liehen. Er hat ihnen eine Abschlagszahlung ge-
geben, aber seine Kräfte waren am Ende. Vor
allem Kriegsoolk hat er bitterlich geweint und
die Regierung beschulöigt. War ein trauriger
Tag, öa wir solches ansehen mußten, wie der
gute alte Graf sich also öemütigte."
Wieöer fährt öes Mansfelöers Gaust auf
den Tisch. „Pest und Verdammnis! Jst öer
Thurn ein wegmüder Greis oöer öer Evan-
gelischen Felöherr? Tränen — Schmach unö
Schanöe! Jch hätte anders gehandelt!"
Da stürzt ein Gewappneter herein. „Was
ist, Hauptmann, daß Fhr ungemelöet in mein
Zelt brecht?" Gsfährlich funkeln öes Grasen
Augen. „Euer Gnaöen, das Regiment rebel-
liert. Sie schreien, sie wollen den Sold nicht
länger missen, sie wollen ihr Geld von Euch.
Sie sagen, Graf Thurn hat's Euch gefenöet,'
hört Jhr, sie stürmen schon heran!"
Graf Mansfelö lauscht. „Vei Gott, öie Jrr-
M MWneiMehr M SchsS-lstten
Aui KrokoWang am Amazonas / Vvn Thomas Kerard
öen Aufstieg zu ermöglichen) sich nicht von
selbst wieöer aufschwing'en konnte. Knöppke
zeigte viel Geöuld. An dienstfreien Tagen
übte er stundenlang mit Addi. Jch hörte thn
Kommanöos abgeben, als müsse «r eine ganze
Kompagnie richtiggehenö schleifen. Aööi brauste
los. Knöppke stieg vom Dach unö rannte
hinterher. ALöi landete in einem Erbsenfelö
oder im Haser, reckte den Hals unö stand
regungslos wie eiu Katafalk, bis sein Lehr-
meister herangehastet kam. Dann gab's manch-
mal noch einen Zusammenprall mit öem Herrn
öes Getreiöefelöes, und der zweite Flug
konnte beginnen.
Enölich hatte Aödi es begriffen, öaß er
fliegen konnte. Er nutzte öies auf seine Art
aus. Mochte ich mich auf meinen Maler-
touren noch so weit von Hause fortüegeben,
er stieg auf, fand mich mit seinen scharsen
Augen bald und folgte mir nun, über mir
kreiseud. Entsernte ich mich heimlich, weil ich
in einer fremden Dorfgemarkung oöer an
einem Sex irgendwo malen wollte, öann
dauerte es nie lange, bis er sich langfam zu
mtr herabschraubte. Aus einigen hunöert Me-
tern Höhe hatte er eben einen ganz anöern
Ueberblick als wir armseligtzn Menschenkinöer,
die mühsam an öer Eröe hinkriechen müssen.
Zufrieöen mit sich und der Welt storchte er
ein Weilchen um mich herum, stanö zur Ab-
wechslung mal auf einem Vein still, knörte
wohl dann und wann ein bißchen, benahm sich
aber weiter nicht ausöringlich, sondern war-
tete mit himmlischer Gedulö, bis ich meine
Siebenfachen zusammenpackte unö mich auf
den Heimweg machte. Dann erhob er sich und
zeigte in Spiralen unö Kreisen seine Künste.
sinnigen kommen gelaufen. Toben und fchreien
wiöer alle Zucht unö Orönung." Sein Blick
fällt auf Len Boten. Er lächelt ein furchtbares
Lächeln. „Das sinö keine Solöaten mehr, das
sinö rebellische Knechte. Merkt auf, eöler Herr
von Rohna, wie ich ihnen begegne. Unö be-
richtet öem Grafen Thurn, wie öer Mans-
felö Rebellen öen Solö zahlt."
Vor öem Zelte gellt wüstes Schreien und
Johlen. Der Teufel ist in die Sölöner ge-
fahren. Da fliegt öer Vorhang beiseite. Der
eiserne Mansfelö steht in Ler Oeffnung. Unter
öem Eisenhut blitzt es sie unheimlich an. Der
Graf steht schweigenö. Wartet. Wartet und
blickt öie Sechshunöert an, öie vor ihm bro-
deln wie ein üüerkochendes Meer. Wie ein
Schlag öurchzuckt es sie, als seine Kommanöo-
stimme ihnen um öie Köpfe führt „Was wollt
Jhr?"
Da braust es ihm entgegen, furchtbar, wie
er es bisher nur im Tosen der Schlacht ver-
nommen, öas Gefchrei seines Kriegsvolks.
„Wir wollen öen Sold, wir wollen öen Sold.
Wir foröern, was uns gebührt!"
„Jhr fordert? — Zuchtloses Lumpengesin-
öel! Der ManSfelö wirö Cuch Meuterern
zahlen!" Schneiöenö übertönt seine Stimme
den Lärm. Und ehe sie sichs versehen, saust
seine Kliiige öurch die Luft, stürzen zwei
Sölöner tot zu Boöen. Ehe sie sich's versehen,
schwirrt die Klinge ihnen um öie Ohren, öatz
ihnen Hören unö Sehcn vergeht. Wo sie
niederfällt, beißt ste bis auf öie Knochen.
Er wendet stch um. „Mein Roß!" Er
schwingt sich in öen Sattel unö sprengt, er,
öer einzelne Mann, unter die Sechshunöert.
Seine Pistolen feuert er unter ste äb, nimmt
die Angeschlossenen als Hanöwaffen und läßt
sie gleich Keulen auf öie Köpfe niedersausen.
Unö öann spricht wieöer sein Schwert.
Er sitzt auf dem Gaul unö schreit sie an
wie öer Teufel: „So zahlt dcr Mansfeld
Meuterei!" — Da verläßt sie öer Mut. Sie
flüchten vor ihm, er allein hat sie besiegt. Elf
hat er getötet, sechsundzwanzig schwer ver-
wunöet.
Langfam kehrt er zurück, springt aus öem
Sattel, wirft das Schwert in die Scheiöe.
„Merket euch, eöler Herr von Rohna", sagt
er bedächtig zum Boten öes Thurn, „so zahlet
Graf Mansfelö Meiiterern den Sold unö so
erzieht er — Solöaten!"
Unö klirrend schreitet er, ein eherner
Mann, in sein Zelt.
Dteser lebensvolle Bericht ist dem
tn K. Dhienemanns Verlag, Stutt-
gart, erschienenen Buch „AL ö i" von
Otto Boris mit 61 Zeichnungen
von Professor Walter Klemm ent-
nommen. Preis RM. 4.20.
Das alles war sehr schön unö auch recht
unterhaltsam, aber ich stöhnte oft unter öem
Zeitverlust und erwartete mit Sehnsucht den
Augenblick, wo Addi enölich flügge weröen
mußte. Seine Gefchwister zogen bereits seit
mehreren Tagen mit öen Alten gemeinsam anf
Froschfang aus. Vielleicht waren die Storch-
eltern in ihren Erziehungsmaßregeln rück-
sichtsloser als ich. Es konnte auch sein, daß
sie besser verstanden, mit derartigen Tauge-
nichtsen umzugehen, am wahrscheinlichsten aber
schien mir, Aöbi sei zu schwer, weil er zu
fctt war.
Das Gehöft gehörte zu einem Grundstück,
öas Ernas Vater einst gekauft hatte. Jetzt
benutzte er nur die Scheunen für Getreiöe uud
Futter unö öen Hof samt öen Schuppen zum
Unterstellen der Ackergeräte. Wagen, Eggen,
Pflüge stanöen häufig planlos durcheinander
herum. Unter öiesem Geschirr besaud sich auch
eine Walze, Lie melancholisch ihre Deichsel in
öie Luft streckte.
Auf öiese hatte Aööi es abgesehen. Er ging
fortgesetzt knörend und krächzend um sie her-
um, kalkte zuweilen recht aufgeregt, bis es
Knöppke mal einfiel, ihn hinaufzusetzen. Unö
stehe öa, Aööi begann zu turnen. Unser Stau-
nen mehrte sich erheblich, als er nach öer
Detchfel hinbalancierte, wie ein Seiltänzer
mit öen Flügeln das Gleichgewicht haltend
bis zur Spitze lief unö zuletzt mit einem ele-
ganten Schwung in öie Luft sprang. Flatternö
langte er auf öer Eröe an. Zwar fiel er öa-
bei auf die Nase, aber es machte ihm nichts.
Jmmer wieder kam er im Eiltempo zurück-
gerannt und verlangte heftig, auf di-e Walze
gesetzt zu wevöen. Stundenlang übte er so,
stunöenlang mußte ich öabeisitzen unö ihm
helfen.
Mööi hatte wohl entdeckt, öaß er eigent-
lich ein Vogel fei. Manchmal kam biefe neue
Erkenntnis, wenn er sinnenö aüf einem Bein
in trgendeiner Hofecke stanö, mit großer Ge-
walt über ihn. Wie im Rausch rannte er
flügelschlagend im Hofe herum. Das sah
wunöerlich genug aus. Alles andere Getier
rückte natürltch aus. Mit dem verörehten
Stelzbein mochte niemanb etwas zu tun ha-
Len. Er aber Hielt atemlos inne, legte den
Kopf weit zurück unö klapperte begeistert.
Jmmer Häufiger sah man ihn auf einem
Bein stehen. Knöppke meinte, es sei nun ganz
sicher, öaß er etn wirklicher Storch weröen
würde.
Jn der Zeit seiner Erhebung fraß er we-
niger. Jch öachte, feine Uebungen zu beschleu-
ntgen unh setzte thn auf öie Dachleiter der
Scheune. Dort lietz ich ihn stehen, bis er sich
zu einem Segelflug in öen Hof entschloß. So
erklommen wir Stufe um Stuse öen Dach-
raud. Fhm machte öieser Betrieb riestg Spaß.
Zuletzt setzte er schon zum Flug an, ehe ich
ihn richtig hingestellt Hatte. Allein aber war
er nicht zu bewegen, dte Leiter höher als öret
Sprossen hinaufzuturnen. Da griff ich zu
einem Gewaltmittel. Jch trug ihn auf den
Dachfirst unö schubste ihn in einem geeigneten
Augenblick äb. Es war ein gewagtes Unter-
nehmen unö allerlet öabet zu berücksichtigen,
was die Störche wohl aus alter Praxis ken-
nen. Zunächst öurfte Adöi öen Winö weöer
von hinten, noch von öer Scheunenseite krie-
gen. Auch öurfte keine sogenannte Flaute herr-
schen. Ohne wetteres wäre er abgestürzt. Als
aber öer Luftdruck von halb vorn rechts unter
öte Dreiten Schwingen faßte, hob er ihn noch
über öie Dachhöhe hinaus. Adöi streckte die
langen Beiue, unö fort ging's über öie grüne
Welt öa unten.
Ein paar hundert Meter weiter lanöete
er auf einem Acker und sah sich verdattert in
öer Gegend um. Hilflos blieb er knörenö ste-
hen, bis ich ihn holte. Kaum aber waren wir
auf öem Hofe angelangt, begehrte er wieder
aufs Dach hinauf. Das war ein löblicher
Lerneiser. Wenn ich nur genug Zett gehabt
hätte! Er ließ aber nicht locker. Jch mußte
mit ihm wieöer aufs Dach steigen. Da satz
ich nun an einem Ende öes Firsts und beauf-
sichtigte Aödi, der flügelschlagend öen First
entlang hin unö her rannte, ohne öen Ent-
schluß zu finöen, einen Flug aus eigenerKraft
zu unternehmen. Fedesmal wenn er bet mir
ankam, krächzte er aus Letbeskräften, tanzte
unö drehte sich um mich herum in öer unver-
kennbaren Absicht, mich zum Mitfliegen zu be-
wegen. Jch tat mich aber schön hüten.
Beim nächsten Aufstieg schickte ich Knöppke
aufs Dach. Auch er kam betrübt zurück unö
erklärte, es sei nicht gut, daß er nicht fliegen
zelernt hätte.
Nun beschloß ich, Mööi straffer anzufassen.
Er war sichtlich ein verwöhnter Schlingel,
dem man anöers kommen mußte. Jch packte
lhn. trug ihn aufs Dach unö ließ ihn dort
stehen. Anfangs schrie er und tat ungebäröig.
Dann aber schien's ihm öa oben zu gefallen.
Hinter Teffe beginnen öie Krokoöilsümpfe:
man muß öen Amazonas verlassen, öschungel-
einwärts: öen Papageien unö Brüllaffen nach,
auf wenig ausgetretenen Pfaöen immer tieser
in öas gefürchtete Dickicht öes nordbrasiliani-
schen Urwalöes. Balö steht man vor einer
Wanö, öie Meter um Meter mit öer Axt nw-
dergekämpft weröen will. Schmarotzerwuchs,
fett und faulig, hat öen Walö bis in öie Wip-
sel öer Baumriefen vor der Sonne abgeöichtet.
Singende Schmetterlinge...
Jn öer seit Jahrzehntausenöen gleich ge-
heimnisoollen Dämmeruna bemerkt mau erst
nach einer Wetle die Schlangen unö Skovpione
unter den nägelbefchlagenen Stiefelsohlen. Sa-
phirblaue Schmetterlinge, so groß wie eine
Männerfaust, flattern und singen von öen
Mahagonistämmen. Ueberiröifch öünn wie öie
fernen, seinen Seufzer einer Flöte erklingen
die Töne öiefes schillernöen Jnsekts. Aus öcn
Farnen schießt mit schrillen Lauten öer blut-
rote Karöinal.
Unheimlich schnell unö zäh arbeiten die Jn-
dios. Während ich wie verzaubert öen schweren
Duft- öer Orchidcen trinke, splittert unter den
Beilen öer Rotbäute öas aistias .kwl» öeL Man-
zanillobaums, versacken unö brechen öie Fleisch.
krater öer überreifen Chayote. Balö wirö der
Urwalö lichter. Moospolster tun sich auf, iu
die man bis über öie Knie ruscht. Kleiner ünd
tiefer wuchern die Farne. An öem durchdrin-
genöen Moschusgeruch merken wir, öaß die
Sumpsbezirke öes Mohrenkrokodils erreicht
sinö. Es ist Mittag, Reiher streichen über die
stickigen Gewässer, in denen die Reptile zu
schlafen scheinen. Die Jnöios beginnen zu spei-
seu. Vor breiten Zeltbr.hnen, auf denen wir
lagern, wirö ein Keuer aygezünöet. um di«
Moskito-Schwärme fernzuhalten.
Kaimans antworten anf Schallplatten.
Wir Weißen greifen nach den Konserven
und bereitcn uns auch das Mahl. Wühreud des
Essens singt die Schallplatte ein paar Zigeu-
nerlieöer, es folgen ein paar flotte Märfche.
Die Amazonasleuie stauueii über die Klang-
fiille öes Kofferapparates. Wie öie KinScr ver-
suchen sie den ungewohnten RhythmuS öer
fremöen Tone nachzuzeichnen. J-Hre kupfer-
roten Hände zucken im Takt auf unö ab. Aber
nur für eine kurze Weile, öann packt uns alle
öas Entsetzen. Denn aus öen Sümpfen hallt
das Echo. Das hatten wir nicht gewußt unö
noch niemals ausprobiert: Die Krokoöile ant-
worten! Zuerst ein-zeln, ein paar dumpfe Brül-
ler, öann immer einöringlicher und gewaltiger,
schließlich ein Toben wie zehn tropifche Gewit-
ter auf einmal. Uns will das Blut in öen
Adern gerinnen. Längst ist öie Schallplatte ver-
stummt. Aber öie Kaimans klagen! Sie schie-
ßen aus öen Mangroven mit über öem Wasser
aufgeklappter Kinnlade. Zu Hunöerten, große
unö kleine! Sie schnellen beörohlich an unfere
Uferseite, werfen öen gelb gefleckten Bauch nach
oben, peitschen mit öem Schwanzenöe öie grün-
schillernöe Schlammbrühe.
Langsam verebbt öas höllifche Konzert. Doch
die riesigen Köpse tauchen nicht unter. Jetzt
flattern auch öie Reiher wieöer herbei, sallen
auf öie schwarzen Reptilrücken nieöer unö
schmarotzen. Wir schauen uns an, verwunöert
über 'öas graufige Erlebnis, mit Herzklopfen.
Gern möchten wir lachen, so grotesk scheint
uns das Erlebnis. Wir sinö gekommen, ver-
nünftige Weiße, mit Strychnin für hergerich«
tete Fleischbrocken, mit einem Mafchinenge-
wehr, auf öer Jagö nach öer Haut der Kai-
mans, nach öen kostbaren Moschusdrüsen. Mit
Ntetzen und Schliugen haben wir uns öurch
Len Urwald gehauen: Auf ein solches Zwifchen-
spiel waren wir nicht gefaßt. Wir befchließen,
daraus Nutzen zu ziehen...
Das Maschinengewehr hämmert...
Aufs neue singt öie Schallplatte. Aufs neu«
erhebt stch öas Höllenecho! Jmmer höher reckew
sich öie vorweltlichen Kinnlaöen. Kein Zweifel:
Die Krokoöile brüllen a-uf Kommanöo, ant-
worten auf öie Musik, als sei der Tenfel in
sie gefahren. Beöeutet es Beifall oöer Dro-
hung? Eine seltsame Entöeckung in der nord-
örafiliauifchen Landschaft, kaum vier Kilometer
vom eigentlichen Bett öes Amazonas entfernt.
Was mag öie Reptile bewegen? Zu einem
neuen Tornaöo schwillt ihr Toben, unbegreif-
lich...
Da beginnt öas Maschinengewehr zu tak-
ksn, kalt unö erbarmungslos. Längst hat der
Tchütze sein inneres Gleichgewichi wiederge-
wonnen. Er sieht nur öen Nutzeffekt. Die Ku-
geln spritzen in öie Hälfe, in öie Schädel, in
bie Leibcr. W-er von uns öenkt jetzt noch an
Mufik, an öie Schallplatte, an ein Wunder?
Das Gemehr hämnieit unö mäht. Der Morast
zieht Blafen, öie Kaimans überschlagen sich
unö peitschcn den Schlamm mi: öem Leibe,
scheinen von der Mitte Her auseinanderörechen
zu wollen. Steigen auf und klatschen zurück,
röcheln und brüllen, zucken in Toöeskrämpfen,
werfen sich unaushörlich vom Vauch auf öen
Rücken. tanchen unter ünö prellen vcrwundet
vom Grunö hoch, Keine Laöehemmung... öaS
Maschinengewehr bellt in öen grünschillernden
Sumpf. Die Jnöios machen ihre Schlingen fer-
tig unö öie Netze, gleich weröen sie in Aktion
treten, Lie sterbenöen, sechs bis sieben Meter
langen Ungeheuer ans Lanö ziehen, in dcn
hcißen, fauligen Urwaldmoöer, um sie zu häu-
ten.
Der Brauliliam iagl..Nein-
Zu einem peinlichen Zwischenfall kam eS
an Weihnachten in der Erlöserkirche in Es-
bjerg anläßlich einer Trauung. DieHochzeits-
gesellschaft war vollzählig in öer Kirche ver-
sammelt, öas Brautpaar, ein 36jähriger Zi-
garrenmacher und seine 28 jährige Braut,
kniete bereits am Altar. Der Probst der Ge-
meinöe nahm selbst die feierliche Hanölung
vor unö fragte zunächst den Bräutigam, ob
er die Braut zu seiner Ehefrau machen wolle.
Zum allgemeinen Entsetzen antwortete der
Bräutigam mit einem so kräftigen „Nein",
daß es selbft im alleräußersten Winkel des
Gotteshauses vernehmbar war. Er war auch
trotz eifrigen Zuredens nicht zu bcwegen, sei-
nen Standpunkt zu verlassen, fodaß schließ-
lich Las weinende Mäöchen mit seinen Ange-
hörigen öie Kirche öurch einen Seitenausgang
verließ, worauf auch der Vräutigam mit sei-
nen Eltern den Heimweg antrat Die Ursache
zu öiefem Verhalten bildete ein den Trau-
ungsfeierlichkeiten vorangegangener Streit
zwischen öem Bräutigam unö feinem Schwie-
/ g. Januar 1936
^/?56^/)S/////?A
Aus dem Leben eiues StoriheMll-en
Addis Me FlugveriuHe
Er zog ein Bein an untz schaute träumerisch
in öie Gegend hinaus. „Na, warte" — bachte
ich — „da kannst du lange stehen, ehe es mir
einfällt, dir Frösche hinaufzubringen." Die
Futterzeit kam. Cohn, Vullrich, Jwan und
Anhang sättigten sich. Addi schrie unö fastete.
Jetzt hielt Knöppke gar noch den Zwiebacks-
beutel Hoch. Das wurde ihm zu öumm. Er
versuchte, das Strohöach hinabzuklettern. Da-
bei glitt er aus, kam ins Rutschen, breitcte
öie Schwingen und segelte so in einem ele-
ganten Bogen in öcn Hof herunter.
„Na endlich" — seufzte ich erleichtert, nahm
ihn nach öer Abendmahlzeit in öie Stube und
tat ein Ringlein an seinen Fuß. Wo Addi
fürderhin auch endigen mochte, seine Heimat
uud seine Zugehörigkeit konnte man von öem
kleinen Patz ablesen. ^
Nun versuchte er, auch vom Duch allein ab-
zuschwirren. Er tat's abcr nur ungern, mei-
stens mußte man ihm einen Schupps geben.
Die fremde Umgebung, in der er zu landen
gezwungen war, ängstigte ihn um so mehr,
als er niemaud hatte, der ihm zur Seite ge-
stauden häkte, wenn etwas Ketndseliges auf
ihn losgegangen wäre. Das war nür zu ver-
ständlich. Auch darum war ihm das Allein-
fliegen nicht ganz geheuer, weil er infolge
seiner Schwere sich glaube sast, die alten
Störche lassen ihre Jungen vor den ersten
Flugversuchen richtig hungern, um sie leichter
zu machen unö ihnen öaun zu ebener Erde
MMrei«« MmssO
Von Dr. Herbert Vuhl
Vitter war das Jahr 1620 hereingsbrochen.
Die Truppen verlangten den Solö und die
Kassen waren leer. Das Land bot öen Söld-
nern nichts mehr, und das Lagerfieber gras-
sierte. Und mit öem Lagerfieber schlich ein
änöeres von Zelt zu Zelt: öer Aufruhr kroch
in dem trägen Blut öer tatenlosen Männer
umher.
Ernst von Mansfelö sitzt in seinem Zelt.
OLwohl er der Feldherr ist, oüwohl er die
Macht hat unö es keinen unerfüllbaren Wunsch
für ihn mehr gibt, umhegt ihn spartanische
Einfachheit. Das Licht, das nur trübe den
Raum erhellt, spiegelt sich in öen Platten
seiner Rüstung, in den Schienen, öie seine
Glieder umhüllen, in dem Eöelstein, öer den
Schwertknauf verziert. Blutig unö tückisch wie
ein satanisches Auge funkelt der Rubin im
mechselwden Licht.
Zornrot ist öer MansfelL. Unö jetzt schlägt
er mit der Faust auf den Tisch, daß öie Eisen-
ringe klirren unö rasseln. „Seiö Jhr von
Sinnen, Herr?" — „Das hätte derThurn ge-
tan? So hätte sich Matthias Graf Thurn oer-
loren? Wo bleibt da die Manneszucht, wenn
öas Kriegsvolk öen Felöherrn nicht mehr ach-
tet?"
Grimmig blickt er den Boten an, der im
leöernen Wams vor ihm steht. Gebieterisch
winkt er ihm, zu reden.
„Es ist alles wahr, Euer Gnaöen", sagt
öer, „öie Regimenter haben gemeutert, öes
Solöes wegen. Der alte Graf stand ihnen
machtlos gegenüber. Da hat er zu den Leuten
gesprochen u. von öen Marketendern Gelö ent-
liehen. Er hat ihnen eine Abschlagszahlung ge-
geben, aber seine Kräfte waren am Ende. Vor
allem Kriegsoolk hat er bitterlich geweint und
die Regierung beschulöigt. War ein trauriger
Tag, öa wir solches ansehen mußten, wie der
gute alte Graf sich also öemütigte."
Wieöer fährt öes Mansfelöers Gaust auf
den Tisch. „Pest und Verdammnis! Jst öer
Thurn ein wegmüder Greis oöer öer Evan-
gelischen Felöherr? Tränen — Schmach unö
Schanöe! Jch hätte anders gehandelt!"
Da stürzt ein Gewappneter herein. „Was
ist, Hauptmann, daß Fhr ungemelöet in mein
Zelt brecht?" Gsfährlich funkeln öes Grasen
Augen. „Euer Gnaöen, das Regiment rebel-
liert. Sie schreien, sie wollen den Sold nicht
länger missen, sie wollen ihr Geld von Euch.
Sie sagen, Graf Thurn hat's Euch gefenöet,'
hört Jhr, sie stürmen schon heran!"
Graf Mansfelö lauscht. „Vei Gott, öie Jrr-
M MWneiMehr M SchsS-lstten
Aui KrokoWang am Amazonas / Vvn Thomas Kerard
öen Aufstieg zu ermöglichen) sich nicht von
selbst wieöer aufschwing'en konnte. Knöppke
zeigte viel Geöuld. An dienstfreien Tagen
übte er stundenlang mit Addi. Jch hörte thn
Kommanöos abgeben, als müsse «r eine ganze
Kompagnie richtiggehenö schleifen. Aööi brauste
los. Knöppke stieg vom Dach unö rannte
hinterher. ALöi landete in einem Erbsenfelö
oder im Haser, reckte den Hals unö stand
regungslos wie eiu Katafalk, bis sein Lehr-
meister herangehastet kam. Dann gab's manch-
mal noch einen Zusammenprall mit öem Herrn
öes Getreiöefelöes, und der zweite Flug
konnte beginnen.
Enölich hatte Aödi es begriffen, öaß er
fliegen konnte. Er nutzte öies auf seine Art
aus. Mochte ich mich auf meinen Maler-
touren noch so weit von Hause fortüegeben,
er stieg auf, fand mich mit seinen scharsen
Augen bald und folgte mir nun, über mir
kreiseud. Entsernte ich mich heimlich, weil ich
in einer fremden Dorfgemarkung oöer an
einem Sex irgendwo malen wollte, öann
dauerte es nie lange, bis er sich langfam zu
mtr herabschraubte. Aus einigen hunöert Me-
tern Höhe hatte er eben einen ganz anöern
Ueberblick als wir armseligtzn Menschenkinöer,
die mühsam an öer Eröe hinkriechen müssen.
Zufrieöen mit sich und der Welt storchte er
ein Weilchen um mich herum, stanö zur Ab-
wechslung mal auf einem Vein still, knörte
wohl dann und wann ein bißchen, benahm sich
aber weiter nicht ausöringlich, sondern war-
tete mit himmlischer Gedulö, bis ich meine
Siebenfachen zusammenpackte unö mich auf
den Heimweg machte. Dann erhob er sich und
zeigte in Spiralen unö Kreisen seine Künste.
sinnigen kommen gelaufen. Toben und fchreien
wiöer alle Zucht unö Orönung." Sein Blick
fällt auf Len Boten. Er lächelt ein furchtbares
Lächeln. „Das sinö keine Solöaten mehr, das
sinö rebellische Knechte. Merkt auf, eöler Herr
von Rohna, wie ich ihnen begegne. Unö be-
richtet öem Grafen Thurn, wie öer Mans-
felö Rebellen öen Solö zahlt."
Vor öem Zelte gellt wüstes Schreien und
Johlen. Der Teufel ist in die Sölöner ge-
fahren. Da fliegt öer Vorhang beiseite. Der
eiserne Mansfelö steht in Ler Oeffnung. Unter
öem Eisenhut blitzt es sie unheimlich an. Der
Graf steht schweigenö. Wartet. Wartet und
blickt öie Sechshunöert an, öie vor ihm bro-
deln wie ein üüerkochendes Meer. Wie ein
Schlag öurchzuckt es sie, als seine Kommanöo-
stimme ihnen um öie Köpfe führt „Was wollt
Jhr?"
Da braust es ihm entgegen, furchtbar, wie
er es bisher nur im Tosen der Schlacht ver-
nommen, öas Gefchrei seines Kriegsvolks.
„Wir wollen öen Sold, wir wollen öen Sold.
Wir foröern, was uns gebührt!"
„Jhr fordert? — Zuchtloses Lumpengesin-
öel! Der ManSfelö wirö Cuch Meuterern
zahlen!" Schneiöenö übertönt seine Stimme
den Lärm. Und ehe sie sichs versehen, saust
seine Kliiige öurch die Luft, stürzen zwei
Sölöner tot zu Boöen. Ehe sie sich's versehen,
schwirrt die Klinge ihnen um öie Ohren, öatz
ihnen Hören unö Sehcn vergeht. Wo sie
niederfällt, beißt ste bis auf öie Knochen.
Er wendet stch um. „Mein Roß!" Er
schwingt sich in öen Sattel unö sprengt, er,
öer einzelne Mann, unter die Sechshunöert.
Seine Pistolen feuert er unter ste äb, nimmt
die Angeschlossenen als Hanöwaffen und läßt
sie gleich Keulen auf öie Köpfe niedersausen.
Unö öann spricht wieöer sein Schwert.
Er sitzt auf dem Gaul unö schreit sie an
wie öer Teufel: „So zahlt dcr Mansfeld
Meuterei!" — Da verläßt sie öer Mut. Sie
flüchten vor ihm, er allein hat sie besiegt. Elf
hat er getötet, sechsundzwanzig schwer ver-
wunöet.
Langfam kehrt er zurück, springt aus öem
Sattel, wirft das Schwert in die Scheiöe.
„Merket euch, eöler Herr von Rohna", sagt
er bedächtig zum Boten öes Thurn, „so zahlet
Graf Mansfelö Meiiterern den Sold unö so
erzieht er — Solöaten!"
Unö klirrend schreitet er, ein eherner
Mann, in sein Zelt.
Dteser lebensvolle Bericht ist dem
tn K. Dhienemanns Verlag, Stutt-
gart, erschienenen Buch „AL ö i" von
Otto Boris mit 61 Zeichnungen
von Professor Walter Klemm ent-
nommen. Preis RM. 4.20.
Das alles war sehr schön unö auch recht
unterhaltsam, aber ich stöhnte oft unter öem
Zeitverlust und erwartete mit Sehnsucht den
Augenblick, wo Addi enölich flügge weröen
mußte. Seine Gefchwister zogen bereits seit
mehreren Tagen mit öen Alten gemeinsam anf
Froschfang aus. Vielleicht waren die Storch-
eltern in ihren Erziehungsmaßregeln rück-
sichtsloser als ich. Es konnte auch sein, daß
sie besser verstanden, mit derartigen Tauge-
nichtsen umzugehen, am wahrscheinlichsten aber
schien mir, Aöbi sei zu schwer, weil er zu
fctt war.
Das Gehöft gehörte zu einem Grundstück,
öas Ernas Vater einst gekauft hatte. Jetzt
benutzte er nur die Scheunen für Getreiöe uud
Futter unö öen Hof samt öen Schuppen zum
Unterstellen der Ackergeräte. Wagen, Eggen,
Pflüge stanöen häufig planlos durcheinander
herum. Unter öiesem Geschirr besaud sich auch
eine Walze, Lie melancholisch ihre Deichsel in
öie Luft streckte.
Auf öiese hatte Aööi es abgesehen. Er ging
fortgesetzt knörend und krächzend um sie her-
um, kalkte zuweilen recht aufgeregt, bis es
Knöppke mal einfiel, ihn hinaufzusetzen. Unö
stehe öa, Aööi begann zu turnen. Unser Stau-
nen mehrte sich erheblich, als er nach öer
Detchfel hinbalancierte, wie ein Seiltänzer
mit öen Flügeln das Gleichgewicht haltend
bis zur Spitze lief unö zuletzt mit einem ele-
ganten Schwung in öie Luft sprang. Flatternö
langte er auf öer Eröe an. Zwar fiel er öa-
bei auf die Nase, aber es machte ihm nichts.
Jmmer wieder kam er im Eiltempo zurück-
gerannt und verlangte heftig, auf di-e Walze
gesetzt zu wevöen. Stundenlang übte er so,
stunöenlang mußte ich öabeisitzen unö ihm
helfen.
Mööi hatte wohl entdeckt, öaß er eigent-
lich ein Vogel fei. Manchmal kam biefe neue
Erkenntnis, wenn er sinnenö aüf einem Bein
in trgendeiner Hofecke stanö, mit großer Ge-
walt über ihn. Wie im Rausch rannte er
flügelschlagend im Hofe herum. Das sah
wunöerlich genug aus. Alles andere Getier
rückte natürltch aus. Mit dem verörehten
Stelzbein mochte niemanb etwas zu tun ha-
Len. Er aber Hielt atemlos inne, legte den
Kopf weit zurück unö klapperte begeistert.
Jmmer Häufiger sah man ihn auf einem
Bein stehen. Knöppke meinte, es sei nun ganz
sicher, öaß er etn wirklicher Storch weröen
würde.
Jn der Zeit seiner Erhebung fraß er we-
niger. Jch öachte, feine Uebungen zu beschleu-
ntgen unh setzte thn auf öie Dachleiter der
Scheune. Dort lietz ich ihn stehen, bis er sich
zu einem Segelflug in öen Hof entschloß. So
erklommen wir Stufe um Stuse öen Dach-
raud. Fhm machte öieser Betrieb riestg Spaß.
Zuletzt setzte er schon zum Flug an, ehe ich
ihn richtig hingestellt Hatte. Allein aber war
er nicht zu bewegen, dte Leiter höher als öret
Sprossen hinaufzuturnen. Da griff ich zu
einem Gewaltmittel. Jch trug ihn auf den
Dachfirst unö schubste ihn in einem geeigneten
Augenblick äb. Es war ein gewagtes Unter-
nehmen unö allerlet öabet zu berücksichtigen,
was die Störche wohl aus alter Praxis ken-
nen. Zunächst öurfte Adöi öen Winö weöer
von hinten, noch von öer Scheunenseite krie-
gen. Auch öurfte keine sogenannte Flaute herr-
schen. Ohne wetteres wäre er abgestürzt. Als
aber öer Luftdruck von halb vorn rechts unter
öte Dreiten Schwingen faßte, hob er ihn noch
über öie Dachhöhe hinaus. Adöi streckte die
langen Beiue, unö fort ging's über öie grüne
Welt öa unten.
Ein paar hundert Meter weiter lanöete
er auf einem Acker und sah sich verdattert in
öer Gegend um. Hilflos blieb er knörenö ste-
hen, bis ich ihn holte. Kaum aber waren wir
auf öem Hofe angelangt, begehrte er wieder
aufs Dach hinauf. Das war ein löblicher
Lerneiser. Wenn ich nur genug Zett gehabt
hätte! Er ließ aber nicht locker. Jch mußte
mit ihm wieöer aufs Dach steigen. Da satz
ich nun an einem Ende öes Firsts und beauf-
sichtigte Aödi, der flügelschlagend öen First
entlang hin unö her rannte, ohne öen Ent-
schluß zu finöen, einen Flug aus eigenerKraft
zu unternehmen. Fedesmal wenn er bet mir
ankam, krächzte er aus Letbeskräften, tanzte
unö drehte sich um mich herum in öer unver-
kennbaren Absicht, mich zum Mitfliegen zu be-
wegen. Jch tat mich aber schön hüten.
Beim nächsten Aufstieg schickte ich Knöppke
aufs Dach. Auch er kam betrübt zurück unö
erklärte, es sei nicht gut, daß er nicht fliegen
zelernt hätte.
Nun beschloß ich, Mööi straffer anzufassen.
Er war sichtlich ein verwöhnter Schlingel,
dem man anöers kommen mußte. Jch packte
lhn. trug ihn aufs Dach unö ließ ihn dort
stehen. Anfangs schrie er und tat ungebäröig.
Dann aber schien's ihm öa oben zu gefallen.
Hinter Teffe beginnen öie Krokoöilsümpfe:
man muß öen Amazonas verlassen, öschungel-
einwärts: öen Papageien unö Brüllaffen nach,
auf wenig ausgetretenen Pfaöen immer tieser
in öas gefürchtete Dickicht öes nordbrasiliani-
schen Urwalöes. Balö steht man vor einer
Wanö, öie Meter um Meter mit öer Axt nw-
dergekämpft weröen will. Schmarotzerwuchs,
fett und faulig, hat öen Walö bis in öie Wip-
sel öer Baumriefen vor der Sonne abgeöichtet.
Singende Schmetterlinge...
Jn öer seit Jahrzehntausenöen gleich ge-
heimnisoollen Dämmeruna bemerkt mau erst
nach einer Wetle die Schlangen unö Skovpione
unter den nägelbefchlagenen Stiefelsohlen. Sa-
phirblaue Schmetterlinge, so groß wie eine
Männerfaust, flattern und singen von öen
Mahagonistämmen. Ueberiröifch öünn wie öie
fernen, seinen Seufzer einer Flöte erklingen
die Töne öiefes schillernöen Jnsekts. Aus öcn
Farnen schießt mit schrillen Lauten öer blut-
rote Karöinal.
Unheimlich schnell unö zäh arbeiten die Jn-
dios. Während ich wie verzaubert öen schweren
Duft- öer Orchidcen trinke, splittert unter den
Beilen öer Rotbäute öas aistias .kwl» öeL Man-
zanillobaums, versacken unö brechen öie Fleisch.
krater öer überreifen Chayote. Balö wirö der
Urwalö lichter. Moospolster tun sich auf, iu
die man bis über öie Knie ruscht. Kleiner ünd
tiefer wuchern die Farne. An öem durchdrin-
genöen Moschusgeruch merken wir, öaß die
Sumpsbezirke öes Mohrenkrokodils erreicht
sinö. Es ist Mittag, Reiher streichen über die
stickigen Gewässer, in denen die Reptile zu
schlafen scheinen. Die Jnöios beginnen zu spei-
seu. Vor breiten Zeltbr.hnen, auf denen wir
lagern, wirö ein Keuer aygezünöet. um di«
Moskito-Schwärme fernzuhalten.
Kaimans antworten anf Schallplatten.
Wir Weißen greifen nach den Konserven
und bereitcn uns auch das Mahl. Wühreud des
Essens singt die Schallplatte ein paar Zigeu-
nerlieöer, es folgen ein paar flotte Märfche.
Die Amazonasleuie stauueii über die Klang-
fiille öes Kofferapparates. Wie öie KinScr ver-
suchen sie den ungewohnten RhythmuS öer
fremöen Tone nachzuzeichnen. J-Hre kupfer-
roten Hände zucken im Takt auf unö ab. Aber
nur für eine kurze Weile, öann packt uns alle
öas Entsetzen. Denn aus öen Sümpfen hallt
das Echo. Das hatten wir nicht gewußt unö
noch niemals ausprobiert: Die Krokoöile ant-
worten! Zuerst ein-zeln, ein paar dumpfe Brül-
ler, öann immer einöringlicher und gewaltiger,
schließlich ein Toben wie zehn tropifche Gewit-
ter auf einmal. Uns will das Blut in öen
Adern gerinnen. Längst ist öie Schallplatte ver-
stummt. Aber öie Kaimans klagen! Sie schie-
ßen aus öen Mangroven mit über öem Wasser
aufgeklappter Kinnlade. Zu Hunöerten, große
unö kleine! Sie schnellen beörohlich an unfere
Uferseite, werfen öen gelb gefleckten Bauch nach
oben, peitschen mit öem Schwanzenöe öie grün-
schillernöe Schlammbrühe.
Langsam verebbt öas höllifche Konzert. Doch
die riesigen Köpse tauchen nicht unter. Jetzt
flattern auch öie Reiher wieöer herbei, sallen
auf öie schwarzen Reptilrücken nieöer unö
schmarotzen. Wir schauen uns an, verwunöert
über 'öas graufige Erlebnis, mit Herzklopfen.
Gern möchten wir lachen, so grotesk scheint
uns das Erlebnis. Wir sinö gekommen, ver-
nünftige Weiße, mit Strychnin für hergerich«
tete Fleischbrocken, mit einem Mafchinenge-
wehr, auf öer Jagö nach öer Haut der Kai-
mans, nach öen kostbaren Moschusdrüsen. Mit
Ntetzen und Schliugen haben wir uns öurch
Len Urwald gehauen: Auf ein solches Zwifchen-
spiel waren wir nicht gefaßt. Wir befchließen,
daraus Nutzen zu ziehen...
Das Maschinengewehr hämmert...
Aufs neue singt öie Schallplatte. Aufs neu«
erhebt stch öas Höllenecho! Jmmer höher reckew
sich öie vorweltlichen Kinnlaöen. Kein Zweifel:
Die Krokoöile brüllen a-uf Kommanöo, ant-
worten auf öie Musik, als sei der Tenfel in
sie gefahren. Beöeutet es Beifall oöer Dro-
hung? Eine seltsame Entöeckung in der nord-
örafiliauifchen Landschaft, kaum vier Kilometer
vom eigentlichen Bett öes Amazonas entfernt.
Was mag öie Reptile bewegen? Zu einem
neuen Tornaöo schwillt ihr Toben, unbegreif-
lich...
Da beginnt öas Maschinengewehr zu tak-
ksn, kalt unö erbarmungslos. Längst hat der
Tchütze sein inneres Gleichgewichi wiederge-
wonnen. Er sieht nur öen Nutzeffekt. Die Ku-
geln spritzen in öie Hälfe, in öie Schädel, in
bie Leibcr. W-er von uns öenkt jetzt noch an
Mufik, an öie Schallplatte, an ein Wunder?
Das Gemehr hämnieit unö mäht. Der Morast
zieht Blafen, öie Kaimans überschlagen sich
unö peitschcn den Schlamm mi: öem Leibe,
scheinen von der Mitte Her auseinanderörechen
zu wollen. Steigen auf und klatschen zurück,
röcheln und brüllen, zucken in Toöeskrämpfen,
werfen sich unaushörlich vom Vauch auf öen
Rücken. tanchen unter ünö prellen vcrwundet
vom Grunö hoch, Keine Laöehemmung... öaS
Maschinengewehr bellt in öen grünschillernden
Sumpf. Die Jnöios machen ihre Schlingen fer-
tig unö öie Netze, gleich weröen sie in Aktion
treten, Lie sterbenöen, sechs bis sieben Meter
langen Ungeheuer ans Lanö ziehen, in dcn
hcißen, fauligen Urwaldmoöer, um sie zu häu-
ten.
Der Brauliliam iagl..Nein-
Zu einem peinlichen Zwischenfall kam eS
an Weihnachten in der Erlöserkirche in Es-
bjerg anläßlich einer Trauung. DieHochzeits-
gesellschaft war vollzählig in öer Kirche ver-
sammelt, öas Brautpaar, ein 36jähriger Zi-
garrenmacher und seine 28 jährige Braut,
kniete bereits am Altar. Der Probst der Ge-
meinöe nahm selbst die feierliche Hanölung
vor unö fragte zunächst den Bräutigam, ob
er die Braut zu seiner Ehefrau machen wolle.
Zum allgemeinen Entsetzen antwortete der
Bräutigam mit einem so kräftigen „Nein",
daß es selbft im alleräußersten Winkel des
Gotteshauses vernehmbar war. Er war auch
trotz eifrigen Zuredens nicht zu bcwegen, sei-
nen Standpunkt zu verlassen, fodaß schließ-
lich Las weinende Mäöchen mit seinen Ange-
hörigen öie Kirche öurch einen Seitenausgang
verließ, worauf auch der Vräutigam mit sei-
nen Eltern den Heimweg antrat Die Ursache
zu öiefem Verhalten bildete ein den Trau-
ungsfeierlichkeiten vorangegangener Streit
zwischen öem Bräutigam unö feinem Schwie-