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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0075

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schiedenen Individualitäten und Temperamente und
den Grad des formalen „Talents" der Ingenieure,
denen die äußere Form wichtiger technischer Ge-
bilde verdankt wird, unterscheiden kann. Sicher ist
z. B. die Reihung der Rettungsboote auf der „Bre-
men" eine ganz besonders hochstehende formale
Leistung, die um so höher einzuschätzen ist, als ihr
selbstverständlich zugunsten der Schönheit auch
nicht die geringste Forderung der Zweckmäßigkeit
hintangesetzt werden darf. Und das gilt im Grunde
von jeder Einzelheit, auch von der Art, wie die Niet-
köpfe sitzen. Daß es möglich ist, trotz dieser stren-
gen Bindung aus diesem Motiv der Nietköpfe eine
sozusagen „ornamentale" Wirkung herauszuholen,
beweist neben der „Bremen" jede moderne Brücke,
auf deren Gestaltung die rechte Sorgfalt verwendet
wurde.

Aber in dem Augenblick, da wir das Wort „Orna-
ment" aussprechen, wird das Problem in seiner gan-
zen Schwierigkeit klar: denn sicher hat diese Ord-
nung der Nietköpfe mit dem, was man sonst „Orna-
ment" nennt, irgend etwas zu tun. So sicher alles
Ornament an Bau und Gerät Zeichen des Überflusses
ist, d. h. einer formenden Kraft, die sich nicht genug
tut mit dem rein Struktiv-Tektonischen, die darüber
hinaus noch schmücken, mit diesem Schmuck das
Gebilde entweder als Erscheinung klären oder see-
lisch bereichern will, — so wenig gibt es im Reiche
der Technik das, was man „Uberfluß" nennen darf.
Ich glaube nicht, daß es ein Techniker verantworten
würde, mehr Niete anzubringen, als aus Gründen
der Festigkeit notwendig ist, oder sie anders anzu-
ordnen, wie es die Zweckmäßigkeit verlangt. Daher
die ganz andere ästhetische Wirkung eines solchen
technischen Ornaments: wir finden es „schön" oder

„formvoll", aber worauf beruht diese „Schönheit",
die der unter den verschiedenen Möglichkeiten aus-
wählende Ingenieur geschaffen hat? Welches sind
die ästhetischen Kategorien der technischen Form?
Ich kenne sie nicht, und weiß auch aus der Literatur
von keiner Lösung dieses Problems. (Auch Koll-
manns ..Schönheit der Technik" kommt, wie seine
Bemerkungen in Heft 23, über die Feststellung der
Schönheit nicht wesentlich hinaus.) Da ist noch viel
Nachdenken von nöten!

Ihr kühner Satz von der Herkunft der Form der
..Bremen" von Cezanne — da wird es viel Wider-
spruch und Kopfschütteln geben! — ist sicher ein
wichtiger Hinweis. Daß ein Zusammenhang besteht,
erscheint auch mir zweifellos. Aber ist nicht
beides Ausdruck einer ganz bestimmten Geistes-
haltung, daher keines auf das andere kausal zurück-
zuführen? Es leuchtet durchaus ein: die These
Cezannes. daß jede Naturform auf abstrakte stereo-
metrische Gebilde zurückzuführen sei, ist wohl nur
möglich in einer Zeit, für die auch sonst die ab-
strakte Form in ganz neuem Sinne bedeutsam ist.
Einen Primat der Technik möchte auch ich nicht an-
erkennen, — auch nicht bei der Nachfolge Cezannes,
bei allen diesen kubistischen und konstruktivisti-
schen Strömungen in Malerei und Plastik, die oft so
nahe an den Bezirk der Technik zu grenzen schei-
nen —, aber vielleicht reicht doch auch die Technik
in tiefere Schichten hinab, in jene Schichten, in
denen es keine Zwecke gibt, aus denen aber die
Gebilde der reinen Kunst emporwachsen? Uber
diese grundsätzliche Frage ersten Ranges sich zu
unterhalten, wäre wohl der Mühe wert!

Mit herzlichen G&üßen stets Ihr

Riezler

DIE SCHÖNE TASSE

Die Staatliche Porzellan-Manufaktur Berlin hat
im Zusammenhang mit der Sonderausstellung ..Die
schöne Tasse" eine Wahl der schönsten Tasse
durch die Besucher vornehmen lassen, die der Manu-
faktur zur Nachbildung empfohlen werden soll. An
erster Stelle gewählt wurde die abgebildete Tee-
tasse, an zweiter Stelle eine schlichte Empiretasse,
an dritter Stelle wieder eine einfache Wegely-Tasse.

Das Ergebnis der Abstimmung ist ein überraschen-
der Beweis für die jetzt offenbar schon allgemeine
Besserung des Geschmacks. Dies festgestellt zu
haben, ist ein unzweifelhaftes Verdienst der Porzel-
lanmanufaktur, — wie überhaupt die ganze Ausstel-
lung sehr hübsch und lehrreich war. Um Mißver-
ständnissen vorzubeugen, möchten wir betonen, daß
selbstverständlich die Porzellanmanufaktur es nicht
als ihre Hauptaufgabe betrachten wird, alte Tassen
„nachzubilden", daß sie vielmehr eine andere Auf-
gabe viel wichtiger nehmen wird: nun endlich auch
das Porzellan in den Kreis der neuen Formwerdung
einzubeziehen und vor allem das längst erhoffte,
dringend notwendige, moderne Gebrauchsporzellan
zu schaffen. Die Persönlichkeit des neuen Leiters
der Manufaktur bürgt uns dafür.

Die Schriftleitung

Tasse

aus der Fabrik von Wilhelm Caspar Wegely. Purpurblumen.
1751—1757

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