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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Renner, Paul: Asymmetrie im Buchdruck und in der modernen Gestaltung überhaupt
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0084

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den anderen Dingen, die man auf den Tisch stel-
len könnte, damit von vornherein den Platz weg-
zunehmen. Es sind ja auch immer ganz be-
stimmte und zumeist etwas komische Leute, die
sich just in die Mitte einer Bank oder in die Mitte
eines Sofas setzen. Mitte und Symmetrie sind
der Ausdruck des betonten Selbstgefühls.

Das Versailler Schloß ist als Ausdruck dieses
gesteigerten Selbstbewußtseins ebenso auf Mit-
telachse gestellt, wie die Allongeperücke des
Sonnenkönigs in der Mitte gescheitelt war. Man
kann sich keine Darstellung eines Gottes vor-
stellen, dessen Haupt seitlich gescheitelt wäre,
und ebenso hat die Madonna das Haar in der
Mitte gescheitelt. Beim Manne wirkt heute diese
Art des Scheitels anspruchsvoll, bonzenhaft. Es
ist die Frisur des vorrevolutionären Leutnants
und Reserveoffiziers und des älteren Korporals,
und wenn die Haare bis zur Schulter wachsen,
die Frisur des Kohlrabi-Apostels. Aber das war
nicht immer so. Hier unterscheidet sich der mo-
derne Mensch vom klassischen. Denn weder bei
Dürer, noch bei den Männern und Frauen der ita-
lienischen Renaissance stört uns diese Haar-
tracht, die wir heute lächerlich finden. Aber wir
sehen nun schon, daß im Grunde Symmetrie für
uns heute doch den gleichen Ausdruckswert hat
wie früher: nur stellt der moderne Mensch sein
Selbstbewußtsein nicht mehr so naiv zur Schau.
Er ist nicht mehr unbefangen genug, sich dieses
Attribut der Vollkommenheit zuzulegen. Der
Mensch im Zeitalter des Humanismus glaubte,
die Vollkommenheit hier im Leben erreichen zu
können. Der moderne Mensch hat diese Selbst-
vergottung aufgegeben; er ist kritischer und
weiß, daß er bestenfalls auf dem richtigen Wege
sein kann.

Doch wir wollen nun keineswegs aus der
Asymmetrie ein neues Dogma machen. Schon im
Leben, aber noch mehr in der Kunst ist alles
Sache des empfindlichsten Taktgefühls. Wenn
wir einen Namen auf ein kleines Türschild schrei-
ben, werden wir ihn wohl immer in die optische
Mitte stellen. Alles andere wäre gesucht. Aber
schon bei der Visitenkarte überlegt man es sich,
ob man den Namen nicht besser oben seitlich
anbringen soll, damit Raum für die kleinen
schriftlichen Mitteilungen bleibt, zu denen man
die Karte bisweilen benutzt.

Wenn eine Netzätzung mit einer erklärenden
Unterschrift auf ein einzelnes Blatt gedruckt
wird, so dient auch hier das Papier lediglich als
Träger des Bildes; und die Papierränder sind
die nichtgemeinte gleichgültige Umgebung, aus
der sich Bild und Schrift abheben. Und doch
setzen wir das Bild heute selten in die Mitte,

wenigstens nicht mehr wie früher in jedem Falle.
Wir fassen das Weiß der Ränder lieber zusam-
men und rücken das Bild in eine Ecke; wir ver-
suchen, Bild, Schrift und weißen Papierraum so
zu bemessen, daß trotzdem der Gesamtzusam-
menhang gewahrt wird. Auch die Maler Chinas
und Japans haben ja niemals einen einzelnen
Zweig in die Mitte des Bildes gestellt, sondern
immer auf die Seite: aber doch in einer fein-
empfundenen Beziehung zur Schrift und zur
weißbleibenden Papierfläche.

Zweifellos ist die Asymmetrie des modernen
Tafelbildes seit Degas und die des modernen
Plakates seit Toulouse-Lautrec ganz unmittelbar
durch die Berührung mit der ostasiatischen
Kunst, insbesondere durch die japanischen Holz-
schnitte beeinflußt worden. In der neuen Bau-
kunst und Typografie handelt es sich aber nicht
um eine unmittelbare Einwirkung, sondern um
eine verwandte seelische Haltung, die sich in
dieser Asymmetrie und in noch manchen ande-
ren Merkmalen des neuen Stiles ausspricht.

Die Japaner nennen ihren Teeraum „Stätte
mangelnder Symmetrie" und Kakuzo Okakura
sagt in seinem vielgelesenen Buch vom Tee,
dies sei der Ausdruck für eine besondere durch
taoistische Ideen bestimmte Phase der japani-
schen Kunst. Konfuzianismus und Buddhismus
fordern Gleichmaß und Symmetrie. Aber der
dynamische Ausdruck des taoistischen Zennis-
mus legt das Hauptgewicht auf den Prozeß, durch
den die Vollkommenheit erreicht werden sollte,
und er vermeidet deshalb die in sich ruhende
symmetrische Form, die also auch dort als Aus-
druck der Vollkommenheit selbst, oder minde-
stens des Anspruchs auf Vollkommenheit gilt.
Der Japaner schreibt: „Das wahrhaft Schöne
läßt sich nur von dem entdecken, der denkend
das Unvollendete vollendet." Deshalb ist der
Teeraum auch „Stätte des Leerseins" und
„Stätte der Fantasie". Er enthält nur einen
immer aufs neue wechselnden Schmuck von
wenigen schönen Gegenständen der Kunst oder
der Natur. Man liebt die Spannung der Gegen-
sätze so, daß man keine größere Furcht kennt,
als sich zu wiederholen. „Wenn eine lebende
Blume da ist, ist das Blumenbild verpönt. Wird
ein runder Kessel gebraucht, muß der Wasser-
krug eckig sein. Hat die Tasse eine schwarze
Glasur, so darf sie nicht zusammengebracht
werden mit einer Teebüchse von schwarzem
Lack. Stellt man eine Vase auf das Weihrauch-
becken des Tokonomas, so muß Sorge getragen
werden, daß man sie nicht gerade in die Mitte
stellt, auf daß sie nicht den Raum in zwei gleiche
Teile teile. Die Säule vom Tokonoma soll von

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