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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Renner, Paul: Asymmetrie im Buchdruck und in der modernen Gestaltung überhaupt
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0085

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anderer Holzart sein als die übrigen Pfeiler, da-
mit kein Gefühl von Monotonie in dem Raum auf-
kommt."

Das ist nicht nur japanisch, sondern aus der
Seele des modernen Europäers gesprochen, der
sich von der Klassik losgesagt hat. Schon bei
Nietzsche heißt es: „Wir fühlen die Brechung
der allzustrengen Symmetrie als gewollt und als
Reiz." Wer unsere Abneigung gegen die Symme-
trie zu erklären sucht durch die materialistische
Zeitströmung, die auf künstlerische Forderungen
überhaupt zu verzichten vorgibt und nur das Pro-
dukt aus Gebrauchszweck, Rohstoff und Tech-
nik als reine technische Form möchte, zeigt nur
die Motive, die den Künstlern selbst bewußt ge-
worden sind. Unsere Vorliebe für die Asymme-
trie ist in Wirklichkeit tiefer begründet, als den
meisten bisher klar geworden ist. Hier ist wirk-
lich ein neues Kunstwollen, das aus einer neuen
Gesinnung, ich möchte fast sagen aus einer
neuen Religiosität (einer durchaus diesseitig ge-
richteten Religiosität), stammt, die den modernen
Europäer aufnahmebereit macht für die älteste
Weisheit Ostasiens. Man wird heute bei den
besten Köpfen Europas immer wieder durch das
Bekenntnis zu Laotse überrascht. Doch wir wür-
den zu weit vom Thema abschweifen, wenn wir
dies noch deutlicher machen wollten.

Ich will unsere Abneigung gegen die Symme-
trie noch an einem konkreten Beispiel unter-
suchen. Der ältere Briefkopf bemühte sich, aus
dem gegebenen Text eine geschlossene, auf Mit-
telachse gestellte Gruppe zu bilden von klar er-
kennbarem Umriß; und genügte damit künstle-
rischen Grundsätzen, die kaum anfechtbar sind.
Doch vergaß man dabei nur zu oft den Briefkör-
per, für den der Briefkopf bestimmt war. Je
schöner diese Briefköpfe gesetzt waren, um so
mehr störte dann der doch nicht ganz unwesent-
liche, mit der Schreibmaschine geschriebene
Rest. Die neue Typografie geht nicht von irgend-
einer Form aus, sondern denkt zunächst einmal

an die Funktion, an die Verwendung des Briefes
und Briefkopfes. Man braucht dieses Problem
heute gar nicht mehr selbst durchzudenken, da
uns das Ergebnis einer sehr gründlichen Denk-
arbeit darüber im DINblatt 676 vorliegt. Hier ist
in der Tat alles bedacht: daß die Anschrift auch
für den Fensterumschlag verwendbar ist, und daß
man im Fenster auch den Absender lesen kann;
daß Datum, Fernrufnummer, Drahtwort, Post-
scheck und Bankverbindung ebenso wie Zeichen
und Datum des Absenders an einem ganz be-
stimmten Platz untergebracht sind, wo jeder
Adressat, der heute von allen Seiten genormte
Briefe bekommt, sie zuerst sucht und findet.
Und zugleich ist jede Rücksicht genommen auf
die bequeme Bedienung der Schreibmaschine.

Wir haben hier in einem anschaulichen Bei-
spiel das Produkt aus Gebrauchszweck, Roh-
stoff und Technik, die reine technische Form,
nicht als das Ziel, als das Endergebnis, sondern
vielmehr als den Ausgangspunkt für jede künst-
lerische Erwägung des modernen Gestalters.
Der künstlerische Erfolg einer solchen Gestal-
tung ist bescheidener, aber er führt zu der gege-
benen Einheit des geschriebenen Briefes mit
dem gesetzten Briefkopf.

Außer dem Briefkopf sind noch zahlreiche
andere typografische Aufgaben heute schon ge-
normt, und vielen kunstgewerblichen Spielereien
ist damit ein Ende gemacht worden. So die Post-
karte, die Rechnung, und es wird noch manches
andere folgen. Die größere Klarheit und auch
rein formal die bessere Eurhythmie ist in allen
Fällen dort, wo man nicht zuerst an die Form,
sondern zuerst an die Funktion, an den Gebrauch
der Drucksache gedacht hat. Und wo man des-
halb auf das alte Schema der Mittelachse von
vornherein verzichtete. Die Gesinnung, die aus
einem solchen Briefkopf spricht, ist die auch in
Amerika gepflegte Besinnung des modernen
Kaufmannes, der seinen Vorteil darin sieht, daß
seine Kundschaft wirklich gut bedient wird.

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