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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0099

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Ich möchte natürlich nicht behaupten, daß das
ästhetische Gefühl bei der Formung eines solchen
Schiffes keine Rolle spielt und daß alle Formen tech-
nisch und organisatorisch bis aufs Letzte festzulegen
sind. Es geschieht ja sehr oft, daß aus einer be-
stimmten technischen Erwägung heraus eine Ver-
besserung angebracht wird, und es stellt sich erst
dann heraus, daß diese Verbesserung gleichzeitig
auch eine Weiterführung oder eine bessere Lösung
für eine andere technische Funktion am gleichen
Objekt ist. Ich könnte mir denken, daß das bei den
Rettungsbooten ähnlich gewesen ist. Es muß also
etwas wie ein technischer Instinkt vorhanden sein.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß, wenn der Tech-
niker etwas „schön" machen will, er meist das Ge-
genteil erreicht. Aber optisch-ästhetische Gesichts-
punkte halte ich nicht für beteiligt an der techni-
schen Formung, es sind Folgen der Ergeb-
nisse, denn es ist nicht abzuleugnen, daß unsere
ästhetischen Anschauungen sich erst mit den For-
men der Technik befreunden mußten und dann von
ihnen befruchtet wurden.

Die Funktion ist in der Technik der Ausgangspunkt
für die Gestaltung, natürlich bestimmt sie nicht die
Form bis ins Letzte, und eine gute technische Form
erfordert ein mehr als technisches Einleben in die
Funktion. Der Techniker muß aus lebendigem künst-
lerischen Erleben der Funktion heraus die Form ge-
stalten, so daß sie errechnet und geschaffen ist wie
aus ihrer eigenen Kraft, nicht aber gezeichnet mit
optisch-ästhetischen Erwägungen.

Sie sprechen in Ihren Ausführungen von einem
Spielraum der Gestaltung, den der Techniker über
die technische Gebundenheit hinaus hat. Ich glaube,
daß wir dann das Gleiche meinen, wenn das nicht im
Sinne einer Hinzufügung gemeint ist, sondern im
Sinne einer Durchsetzung der technischen For-
mung mit verschiedenem Charakter der Aktivität der
Gestaltung. Handelte es sich um ein Hinzufügen, so
wäre doch dieses Hinzugefügte mit dem, was Sie als
Ornament kennzeichnen, artverwandt, es wäre eine
über die Erledigung des rein Struktiv-Technischen
hinausgreifende Zutat, also doch so etwas wie
Überfluß.

Und zu dem Thema Uberfluß möchte ich noch eini-
ges sagen.

Bei dem ganz verschiedenartigen und meist noch
ungeklärten Ursprung und bei der ganz verschie-
denen Art des Ornaments, die wir in der Kunstge-
schichte kennen, weiß ich nicht, ob man alles
Ornament so bezeichnen kann, wie Sie das getan
haben. Es gibt sicher Formen, die wir zum Ornament
rechnen, die aber nicht als Ergebnis einer über-
schüssigen Kraft angesehen werden dürfen. So gibt
es Ornamente, die eine Sprache reden und reden
sollen, in der Art, wie Goethes Faust im I.Akt das
Zeichen des Makrokosmos liest. Übrigens — ich
weiß nicht, ob schon jemals darauf hingewiesen
wurde — ist diese Stelle ein Beispiel für die Aus-
deutung des magischen Charakters alter Ornamente,
wie sie eindrucksvoller nicht gegeben werden kann.
Auch die moderne Schrift als Ornament der Straße
kann mit Ihrer Definition nicht erfaßt werden. Auch
gibt es funktionsbetonende Ornamente wie das grie-
chische Kapitell, und es ist eine Frage, ob nicht so-
gar das Barockornament, auf das Ihre Definition am
besten paßt, auch ein die Funktion unterstreichen-

des und steigerndes Element ist. Allerdings ist diese
Funktion selbst — der Räume wie der Baukörper —
eine künstlerisch geborene und erzeugte.

Man kann diese künstlerische Äußerung als not-
wendige Gestaltung eines vollsaftigen Lebensge-
fühls ansehen, als eine überschüssige Kraft. Aber
dann ist nicht erst die Formung, sondern schon die
gestaltende Energie ein Uberfluß.

Und ich möchte fast behaupten, daß die Formung
der Technik heute auch zu einem großen Teil aus
einer zwar etwas sparsamer und disziplinierter ge-
leiteten Kraft heraus geboren wird, die weniger wie
im Barock aus Kraftüberschwang, aber doch aus
einem lebendigen Lebensgefühl entspringt. Wir sind
gewaltig stolz auf die Art, wie wir Errungenschaften
der Technik nutzen, wir „genießen" all ihre Vorteile,
wir steigern die Leistungsfähigkeit von Maschinen
über das reine Bedürfnis hinaus, um ganz neue
Rauschgefühle zu erzeugen. Ein starkes Auto mit
einer wundervollen Maschine, die leicht unserer
Hand gehorcht, ist kein Gebrauchsgegenstand mehr.
Nicht weil die Karosserie elegant und ausgefallen
ist, sondern weil das Hochgefühl, mit einer so guten
Maschine rasch durch die Landschaft fahren zu
können, für uns einen besonderen Reiz hat. Und
bezeichnend ist es, daß hier die sportliche Leiden-
schaft sich der Maschine bemächtigt, daß es Ma-
schinenrekorde gibt, die als technische Belastungs-
proben nicht mehr gelten können, und daß es be-
sonders gebaute Sportmaschinen gibt. So stellen
wir immer stärkere Anforderungen an die Technik
aus einem gesteigerten Lebensgefühl heraus. Ähn-
lich prägt sich in der modernen Architektur, so bei
der Verbindung von Haus und Freiraum, oder im kost-
baren Material des Miesschen Pavillons eine leiden-
schaftliche Lebenskraft aus, die mehr als Bedürf-
nisbefriedigung verlangt.

Ich darf hier auch an das erinnern, was ich in
Heft 8 des vorigen Jahres über das Kunstgewerbe
und dieses ..Mehr" gesagt habe, das der Mensch
von seiner Umgebung verlangt und das, wie ich
glaube, heute nicht mehr so sehr von der geschmück-
ten Form wie von der tadellosen technischen Funk-
tion der Geräte und Dinge in unserer Umgebung be-
friedigt wird.

Vielleicht kann man das alles etwa so ausdrücken:
Diese Kraft, die zu einer Formung von Uberfluß
drängt, geht gleichzeitig einher mit einem Bedürf-
nis nach solchem Uberfluß und wird von ihm wieder
genährt. Kraft und Bedürfnis können sich nicht nur
in der Form des Ornaments ausprägen, sondern —
wie heute — in der Formung und Ausprägung von
Apparaten, die bestimmten Funktionen dienen, für
die aus gesteigertem Lebensgefühl heraus ein Be-
dürfnis entsteht.

Und nun zum Schluß lassen Sie mich in der tech-
nischen Formung noch auf einen Faktor des Uber-
flusses hinweisen, der uns wieder zum Wesen der
technischen Gestaltung hinführt.

Es gibt in der technischen Formung Sicherheits-
prozente, die zur exakten Errechnung hinzugeschla-
gen werden, so beim Gerüstbau, beim Brückenbau
und so fort. Aber diesen Sicherheitsfaktor gibt es
auch in der Gestaltung, und zwar dort nicht wegen
der technischen Sicherung, sondern wegen des
gefühlsmäßigen Vertrauens, das man zur Funktion
durch das Erfühlen der Form gewinnt. Sie wollen

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