DOI Artikel:
Kállai, Ernő: Der Bildhauer Gerhart Marcks
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0124
Zeichnungen
Gerhart Mareks
nur zwei, allerdings herrliche Ausnahmen be-
kannt: die „Schreitende (Seite 95) und ein
männlicher Akt ähnlicher Haltung. Diese Gestal-
ten schreiten mit ungebeugtem Stolz in ihrer Ein-
samkeit dahin. Doch alle anderen Figuren von
Mareks sind gezeichnet durch ein aktionsloses,
unentschiedenes Verharren, durch ein zusam-
menschauerndes, in sich gekehrtes Erdulden. Es
ist, als sehe man führerlose Blinde und Taub-
stumme, ängstlich auf ein Zeichen lauschend,
das sie von ihrer letzten Vereinsamung erlösen
könnte. Oft treibt die Flucht vor dieser Verein-
samung, die Angst vor dem Blick in die Leere
ringsumher die Menschen zueinander. Sie stehen
dann zu zweit, in scheuer Umarmung. Was sie
verbindet, ist kein Fest der Sinne, sondern eine
Schicksalsgemeinschaft aus Mitleid und sorgen-
voller Kameradschaft.
„Seit Kant ist alles Glatte in Deutschland ver-
dächtig." . . . hat Mareks mir einmal in einem
Briefe geschrieben. Der psychologische Rück-
schluß von diesem Satz auf die formale Eigen-
art der Marcksschen Plastik liegt klar auf der
Hand. Alles Glatte, Vollkommene, Reibungslose
widerspräche dem Gefühl dieses Bildhauers, der
nicht von Schönheit berauscht, sondern von
tiefster Hinneigung zur vielgeprüften Kreatur
Mensch ergriffen an die Gestaltung geht. Das
Erlebnis, aus dem er gestaltet, ist plastisch
schwer greifbar, weil von diffuser, nachspüren-
der, sich hingebender, in Betrachtungen ergehen-
der Psychologie. Es gibt Zeichnungen von
Mareks, in denen der Nerv dieser Psychologie
bloßgelegt ist wie ein Präparat. Sie lassen die
Feinheit erkennen, mit der das Formgefühl des
Künstlers auf jede Unebenheit, auf jede Brüchig-
keit und Zuckung antwortet, die vom Leben ge-
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Gerhart Mareks
nur zwei, allerdings herrliche Ausnahmen be-
kannt: die „Schreitende (Seite 95) und ein
männlicher Akt ähnlicher Haltung. Diese Gestal-
ten schreiten mit ungebeugtem Stolz in ihrer Ein-
samkeit dahin. Doch alle anderen Figuren von
Mareks sind gezeichnet durch ein aktionsloses,
unentschiedenes Verharren, durch ein zusam-
menschauerndes, in sich gekehrtes Erdulden. Es
ist, als sehe man führerlose Blinde und Taub-
stumme, ängstlich auf ein Zeichen lauschend,
das sie von ihrer letzten Vereinsamung erlösen
könnte. Oft treibt die Flucht vor dieser Verein-
samung, die Angst vor dem Blick in die Leere
ringsumher die Menschen zueinander. Sie stehen
dann zu zweit, in scheuer Umarmung. Was sie
verbindet, ist kein Fest der Sinne, sondern eine
Schicksalsgemeinschaft aus Mitleid und sorgen-
voller Kameradschaft.
„Seit Kant ist alles Glatte in Deutschland ver-
dächtig." . . . hat Mareks mir einmal in einem
Briefe geschrieben. Der psychologische Rück-
schluß von diesem Satz auf die formale Eigen-
art der Marcksschen Plastik liegt klar auf der
Hand. Alles Glatte, Vollkommene, Reibungslose
widerspräche dem Gefühl dieses Bildhauers, der
nicht von Schönheit berauscht, sondern von
tiefster Hinneigung zur vielgeprüften Kreatur
Mensch ergriffen an die Gestaltung geht. Das
Erlebnis, aus dem er gestaltet, ist plastisch
schwer greifbar, weil von diffuser, nachspüren-
der, sich hingebender, in Betrachtungen ergehen-
der Psychologie. Es gibt Zeichnungen von
Mareks, in denen der Nerv dieser Psychologie
bloßgelegt ist wie ein Präparat. Sie lassen die
Feinheit erkennen, mit der das Formgefühl des
Künstlers auf jede Unebenheit, auf jede Brüchig-
keit und Zuckung antwortet, die vom Leben ge-
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