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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Fries, Heinrich de: Problematik des Städtebaues
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0233

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wurden gleichzeitig ihre Bewohner vom Lärm und
Staub des Sportplatzes getrennt, andererseits
wurde es vermieden am Sportplatz entlang eine
Wand zu errichten, die so ziemlich immer im Schat-
ten gelegen wäre und auch den Wert dieses gro-
ßen Erholungsplatzes ganz wesentlich beeinträch-
tigt haben würde.

Auch diese erwähnte Hauptstraße der Siedlung
Gerresheim ist fast genau 330 m lang, also ebenso
ausgedehnt wie die größte Länge der Dammerstock-
Zeilen. Aber sie ist nicht mit dem Lineal gezogen
sondern der Geländebewegung entsprechend mit
der Hand entworfen. Sie verläuft ferner nicht in
einer geraden Linie, sondern in einer sanften Kurve,
wie sie eben natürlich aus Gelände und Hand zu-
gleich sich entwickelt. Die Tatsache dieser stei-
genden und fallenden Kurve hat den weiteren Vor-
zug, daß besonders im Sommer des Morgens und
Abends auch in diese Schattenseiten noch Sonne
hereinkommt, also Licht, dessen wechselnde Er-
scheinung die Straße lebendig macht und ihr zu-
gleich eine erhöhte Wohnfreudigkeit verleiht.

Und das dürfte wohl die Hauptsache sein: Die
Wohnfreudigkeit! Nicht nur, daß man eben
ein Typenhaus bekommt, gewissermaßen von der
Stange, weil die materiellen Möglichkeiten für indi-
viduelle Maßschneiderei nicht zulangen. Aber das
Ganze hat so etwas Exerzierplatzmäßiges, für das
eigentlich seit 1918 die Zeit vorbei sein sollte. Es
hat die Geste des Zwanges und der Numerierung,
es hat den gesteigerten Ausdruck einer sehr fatalen
und ebenso diskutablen Mechanisierung des Men-
schen unserer Zeit, die so weit wie irgend möglich
vermieden werden sollte. Der Arbeiter, der Hand-
werker, der kleine Beamte usw., sie dürfen nicht ein-
fach Objekt der Siedlungsgestaltung sein. Denn
sie sind ja nicht nur durch die Mittel, die sie auf-
bringen, sondern durch ihren Anspruch an persön-
liches Glück, wenn auch im engsten Rahmen, die
eigentlichen Bauherren, und es ist nur selbstver-
ständliches Recht, wenn man die Lebensform, die
Besonderheiten des Daseins und auch die Wünsche
des Bauherrn nach Möglichkeit berücksichtigt. Was
wir brauchen, ist Menschentum, nichts
aber, was irgendwie an Kaserne erin-
nert!

Zweifellos brauchen wir aus wirtschaftlichen und
technischen Gründen eine gute und gesundere Ty-
penbildung, um überhaupt zu erträglichen Baukosten
Wohnungen und Häuser erstellen zu können. Es wird
in diesem Zusammenhange interessieren, daß die
Baukosten etwa für den Typ B rd. 11 000 M. betra-
gen (4 Wohnräume), für den sechsräumigen Typ C
etwa 1500 M. mehr. Alles in allem wird der Typ B mit
Keller, Abstellraum, Garten, Grundstück und Straßen-
baukosten zu insges. ca. 14 000 M. bei günstiger
Verzinsung (ca. 5,5 v. H.) abgegeben, und ich hoffe.
In diesem Baujahr trotz gesteigerten Bauindexes zu
einer noch günstigeren Lösung zu kommen. Ein kur-
zes Wort noch über die zum Südhang gelegenen
Gärten. An der Wohnfront der Häuser selbst ist bei
Typ A und B nur ein kleiner Garten, gewissermaßen
ein Blumengarten angeordnet worden, während der
Nutzgarten in einer annähernd quadratischen Form
durch einen schmalen Weg getrennt und besonders
zugängig gemacht ist. Man sollte nach Möglichkeit
Handtuchgärten von 6 m Breite und 30 m bis 35 m

Tiefe vermeiden. Denn einen Obstbaum kann man
dort nicht pflanzen, weil in späteren Jahren doch
der Apfel zum Nachbar fällt und weil auch sonst
diese schmalen Gärten eine Quelle ewigen Unfrie-
dens in der Siedlung darstellen. Auch sind sie er-
tragstechnisch alles andere als günstig. Und die
Reichsheimstätten werden nur mit Gärten abgege-
ben, damit kinderreiche und raumbedürftige Fami-
lien eben die Möglichkeit haben, zu günstigen Bedin-
gungen gleich am Hause einen Garten zu haben.
Aber es muß auch wirklich ein Garten sein seinem
inneren Sinn und Wert nach. Es darf nicht einfach
ein schlecht geformtes Stück Freiland hinzugegeben
werden!

Was die Typenbildung betrifft, so war Voraus-
setzung hierfür das seitens der Stadt Düsseldorf
festgelegte Raumprogramm, das gegenwärtig noch
zumeist im Rheinland und Westfalen die Wohnküche
vorsieht. In allen an der Hauptstraße unmittelbar
gelegenen Bauten geschehen die Koch- und Spül-
arbeiten in einer besonderen, nach Norden entwik-
kelten. für sich selbst lüftbaren und belichteten
Kochnische und auch in dem sechsräumigen Typ ist
der Kochvorgang immer noch klar vom Wohnteil des
Raumes getrennt. Wenn man längere Zeit Gelegen-
heit gehabt hat, die Wohnsitten dieser großen Armee
von kleinen Leuten zu beobachten und, mehr wie
das, sie ihrem Sinn und Wert nach zu verstehen und
zu achten, dann erscheint die Einrichtung der Wohn-
küche weit weniger verabscheuungswürdig, als es
nach den Programmen der Siedlungs-Apostel aus-
sehen sollte. Denn dort, wo die Wohnstube von der
Küche getrennt ist, wie etwa in Hamburg, konnte ich
beobachten, daß selbst in einer ganz kleinen, sehr
geschickt und raffiniert ausgenutzten Küche die
ganze Familie nach Feierabend sich in diesem fast
winzigen Raum aufhielt. Daß der Mann auf einer
Ecke des Küchentisches saß, weil er gern in der
Nähe des warmen Herdes, in der Nähe von Frau und
Kind nach getaner Arbeit seinen Kaffee trinken
wollte. Die Frau aber kann die Küche nicht gut ver-
lassen, wenn sie nach Feierabend für die Familie
kochen soll. Und da sie gleichzeitig die Kinder be-
aufsichtigen muß. so können auch diese Kinder nicht
in einem anderen Räume untergebracht werden. Ein
Durchsichtsfenster ist durchaus ungenügend, weil es
immer nur einen kleinen Ausschnitt des Nachbar-
zimmers wiedergibt, auch ist im kritischen Moment
der Weg für die Mutter fast schon zu weit, sie er-
reicht den Säugling erst, wenn er aus dem Kinder-
wagen gefallen ist. Und so stellt sie ihn lieber, wie
ich es auch in Hamburg sah, in einem Waschkorb in
die kleine Küche hinein. Dabei hatte die erwähnte
Wohnung eine besondere Wohnstube, sie hatte zwei
Schlafkammern dazu, ferner Bad und Abort. Und
dieses Beispiel steht als Erlebnis keineswegs allein.
Es beweist nur, daß selbst sehr begabte Architekten
viel zu wenig wissen vom Leben und den Lebens-
bedürfnissen der Menschen, für die sie doch bauen
und von denen sie doch dabei Verständnis und Ver-
trauen verlangen. Aber Herablassung und
Verständnis, das ist nicht dasselbe!
Wir haben davon genug gehabt und es wäre wirk-
lich an der Zeit, mit dieser Einstellung aufzuhören.
Sie trennt die Menschen, statt sie zu einigen, und sie
entfernt sie voneinander eben dort, wo alles getan
werden müßte, um sie einander näherzubringen.

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