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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Riezler, Walter: Das Kunstgewerbe heute und morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0308

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notwendigerweise im schärfsten Gegensatz zur
ganzen Welt des Technischen. Denn wenn auch
die Individualität des Künstlers oder Handwer-
kers in der Formgebung nicht in Erscheinung
tritt, so sind die Besonderheiten des Stoffes,
die Einmaligkeit der Struktur und die Zufällig-
keiten der Entstehung um so wichtiger. Und
wenn wir auch keineswegs das Reich der techni-
schen Form außerhalb der Natur stellen wollen
— schließlich sind es doch Naturkräfte, die die
Technik benutzt und aus deren Gesetzen ihre
Formen kommen —, so ist sicher die in der hand-
werklichen Form erscheinende Natur anderen
Grundes: sie ist nicht wie dort bis ins Letzte
organisiert, sondern hat bis zu einem hohen
Grade ihr freies Wachstum beibehalten.

In diesem Verhältnis zur Natur scheint uns die
eigentliche „Rechtfertigung" des Kunstgewerbes
zu liegen, so daß es des Nachweises, daß noch
ein Bedürfnis nach kunstgewerblichen Dingen
besteht, gar nicht bedarf. Dieser Nachweis ist
ja ernsthaft nur sehr schwer zu führen: um ent-
scheiden zu können, ob das Bedürfnis wirklich
etwas Grundsätzliches bedeutet, müßte man wis-
sen, wes Geistes diejenigen sind, bei denen die-
ses Bedürfnis noch besteht. Aber auch wenn

einmal das Bedürfnis stark zurückgehen sollte,
wäre damit noch nicht gesagt, daß der schaf-
fende Mensch kein Verlangen mehr hätte, sich
mit der Natur, ihren Stoffen und Kräften und den
Wundern ihres Wachstums auch auf dem Wege,
den die handwerkliche Tätigkeit eröffnet, aktiv
auseinanderzusetzen. In diesem Sinne vor allem
soll das schöne Wort Hartlaubs vom „ewi-
gen Handwerk" gelten.

Freilich, wir setzen dabei voraus, daß auch die
frei wachsende Natur zu den „ewigen" Dingen
gehört, d. h. daß auch der Mensch des „techni-
schen Zeitalters" in der Natur nicht nur die sei-
nen Zwecken zu unterwerfenden Kräfte beachtet
und anerkennt, sondern der Natur wie alle Zeiten
vor allem ihm als der —■ zu fürchtenden oder zu
verehrenden — Allmutter alles Daseins gegen-
übersteht. Und darüber gibt es doch wohl keine
ernsthafte Diskussion: daß die frei wachsende
Natur, fern von allen Gedanken an die Möglich-
keit zweckhafter Ausnützung, ihren mächtigen
Zauber auch heute noch ausübt und so lange
ausüben wird, wie es noch eine Menschheit gibt,
die diesen Namen verdient. Freilich verändern
sich die Formen, in denen der Mensch in ver-
schiedenen Epochen Natur in sich aufnimmt, und

Gobelin aus Wolle

74x120. S. H. Arp-Taeuber, Meudon-Paris

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