Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

DOI Artikel:
Hilberseimer, Ludwig: Reichstagerweiterung und Platz der Republik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0403

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Er stellt fest, daß Reichs- und Staatsbüros in der
Leipziger Straße, am Potsdamer Platz, in der
Potsdamer Straße, Unter den Linden usw. auf
Geländen errichtet sind, deren Bodenwert zwi-
schen 1000 und 5000 Mark für den qm schwankt.
Kein Parlament würde seiner Regierung den Kauf
von Baugrund zu einem solchen Preis gestatten,
hier wird aber erlaubt, daß die Regierung die
mögliche Rente aus diesen Vermögenswerten
einfach negiert. Daraus soll nicht die Schlußfolge-
rung gezogen werden, daß die Behörden aus der
City nach billigerem Vorortgelände auswandern
sollen. Die Regierungsgebäude müssen konzen-
triert und im Kern der Stadt bleiben, wo noch
heute auf desolatem Bauboden der qm zu 200 M.,
ja auf dem Platz der Republik kostenloser Bau-
grund für eine ganze Anzahl Regierungsgebäude
zu haben ist. Ein qm Bürohaus mit fünf Stock-
werken in bester Ausstattung ist für den Preis
von 1000 M. zu erbauen. Nimmt man für das alte
Bauland einen Durchschnittspreis von 2000 M.
pro qm an, könnte man mit der durch Verkauf
desselben erzielten Summe nicht nur ein, son-
dern zwei neue Regierungsgebäude errichten, die
im Gegensatz zu den völlig überalteten jetzigen
Gebäuden bürotechnisch vollkommen sein
werden.

Bei genauerer Untersuchung der Verhältnisse
erweist es sich also, daß diese scheinbar uto-
pischen Vorschläge durchaus realisierbar sind.
Voraussetzung dazu ist aber, daß man über das
Tagesbedürfnis hinaus zielbewußt zukünftige
Entwicklungsnotwendigkeiten in die Planung ein-
bezieht.

Nachträglich und außerhalb des Wettbewerbs
hat Bruno Taut in Nr. 5/1930 des „Zentralblatt
det Bau verwaltung" einen Vorschlag gemacht, der
es ermöglichen soll, der ganzen heute noch sehr
ungeklärten Frage der Platzgestaltung vorläufig
aus dem Wege zu gehen. Taut will von dem tat-
sächlichen Bedürfnis ausgehen. Er hält es nicht
für gut, wenn Räume, die der täglichen Arbeit
der Abgeordneten dienen, in einem separaten
Gebäude an einer Seite des großen alten Baues
untergebracht werden, wo sie nur durch Über-
brückung oder schmale Flügel zu erreichen sind.

Er schlägt daher vor, um das heutige Gebäude
parallel zu seinen Konturen eine Erweiterung
herumzubauen, die nach Art sonstiger Verwal-
tungsgebäude sich um Höfe mit beliebig vielen
Querflügeln gruppiert. Die Frage der Platzge-
staltung und der Konzentration der Reichsmini-
sterien läßt er absichtlich außer acht, da er der
Meinung ist, daß für diese letzteren noch kein
festes Bauprogramm aufgestellt werden kann,
und selbst wenn ein solches vorhanden wäre,
weder die Macht- noch die Geldmittel zu seiner
Verwirklichung vorhanden wären. Ja, er schätzt
die Zeit bis zur Verwirklichung so umfassender
Planungen auf 50 und mehr Jahre.

Man war bisher bemüht, das Reichstagsge-
bäude möglichst unangetastet zu lassen. Daher
bringt der Umbauungsvorschlag Bruno Tauts
einen völlig neuen Gedanken in das Erweite-
rungsproblem, der allerdings das Platzproblem
nicht weniger aktuell macht; denn man wird nicht
umhin können, alle kommenden Bauten, die im
Zusammenhang mit dem Reichstag errichtet
werden sollen, einem einheitlichen Plan ein-
zugliedern.

Im übrigen ist eine solche Umbauung durchaus
möglich und vielleicht sehr zweckmäßig. Frühere
Zeiten waren bei solchen Bauangelegenheiten
viel unbedenklicher als wir. Es sei nur an das
Barock erinnert, das vollkommen skrupellos alles
der Vergangenheit Angehörige seinen Zwecken
unterzuordnen versuchte, beispielsweise bei der
Peterskirche in Rom. Auf Bramante geht der
Plan des gleicharmigen griechischen Kreuzes mit
der dominierenden Kuppel über der Vierung zu-
rück. Michelangelo griff diesen Gedanken, als
er den Bau übernahm, wieder auf. St. Peter
war nach seinem Plan fast vollendet, als unter
Paul V. beschlossen wurde, statt des griechi-
schen das lateinische Kreuz dem Grundriß zu-
grunde zulegen. Man ließ durch Carlo Maderna
in Anlehnung an die Gesu-Kirche in Rom dem
Zentralbau ein Langhaus vorlegen. Hierbei
waren allerdings nicht, wie bei dem Reichstag,
Bedürfnisfragen, sondern reine Stilfragen ent-
scheidend, die den Baugedanken Michelangelos
allerdings völlig zerstörten.

Mit den folgenden Aufsätzen dieses Heftes setzen wir die Reihe unserer Veröffentlichungen über die
moderne Architektur des Auslandes fort. (Hefte 3/1930 und 9/1930). Wir werden diese Übersicht in
den nächsten Heften noch ergänzen durch Aufsätze und Bildfolgen über ungarische, schwedische,
tschechisch-slowakische und polnische Architektur.

341
 
Annotationen