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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Frank, Josef: Was ist modern?: Vortrag von Professor Josef Frank, gehalten am 25. Juni 1930 auf der Öffentlichen Kundgebung der Tagung des Deutschen Werkbundes in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0474

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Art, und es wäre gefährlich, hier zu prophezeien.
Ein derartiges Vereinigen entgegengesetzter Prin-
zipien ist durchaus nichts Neues, besonders,
wenn beide im großen Ganzen gleiche Tendenzen
haben. Ich will hierfür ein historisches Beispiel an-
führen. In der römischen Kaiserzeit gab es in der
Welt zwei ganz verschiedene moderne Prinzipien.
Das eine war das römische Imperium und das zweite
das neue Christentum. Also zwei Ideen, die ein-
ander vollständig entgegengesetzt waren. Ein da-
maliger Mensch, der sich über das moderne Gesicht
seiner Zeit hätte äußern wollen, wäre vor die Not-
wendigkeit gestellt gewesen, sich für das eine oder
das andere Prinzip zu entscheiden. Im Laufe der
Geschichte haben wir gesehen, daß beide Gedan-
ken vollständig miteinander gehen konnten, daß sie
vereinigt weiterexistieren und noch so lange modern
bleiben, bis sie von neuen Grundsätzen und neuen
Prinzipien abgelöst werden. Was aus einzelnen
Grundideen werden kann, können wir nicht voraus-
sagen. Es ist auch unnötig, viel zu prophezeien,
noch dazu auf lange Sicht. Man beschränke sich lie-
ber darauf, das gegenwärtige Leben so angenehm
wie möglich zu gestalten.

Wenn wir das Wort „modern" in unserem Sprach-
gebrauch betrachten, so hören wir oft sagen: „Die-
ser Mensch ist radikal-modern." Und müssen uns
fragen, was das wohl bedeuten mag. Ein jeder
Mensch wird wohl von sich sagen, daß er vollständig
modern sei, denn seine Grundsätze seien die richti-
gen der neuen Zeit, die allein existieren sollten, die
aber durch die übrigen, eben unmodernen Menschen
aufgehalten würden. Wir dürfen aber die Begriffe
„modern" und „ideal" nicht verwechseln. Moderne
Gedanken sind wohl unserer Ansicht nach ideale,
werden aber durch andere andersgerichtete Mächte
in bestimmte Bahnen gelenkt.

Wenn wir nun möglichst objektiv unsere Zeit be-
trachten wollen und mit ihr den Mann, den man uns
als radikal-modern bezeichnet hat, so meint man in
der Regel denjenigen, der eine vollständige Mecha-
nisierung der Welt nicht nur anstrebt, sondern so-
gar annimmt. Ein radikaler Modernismus kann nur
dann angenommen werden, wenn er nach einer be-
stimmten Richtung, nach einer abstrakten Idee und
nach einem eindeutigen Ziel gerichtet ist, eine Idee,
wie es zum Beispiel auch die Religion ist. Das ist
ein abstraktes Ziel, das immer aufrecht stand und
nach dem sich die Menschen immer orientieren konn-
ten. Ein Mensch, der heute radikal-modern ist, muß
auch irgendein solches Ziel haben, das mit dem vari-
ierenden täglichen Leben und seinen Bedürfnissen
in keinem Zusammenhang steht, also ein Ziel, auf
das er immer gerade losgehen kann. Mechanisierung
und Rationalisierung sind sicher Ziele der nächsten
Zukunft. Weil viele Leute mit Recht glauben, daß
diese Prinzipien zu Macht kommen werden, streben
sie danach, nun alles in dieses System hineinzu-
zwängen, indem sie zum Beispiel an Stelle der Mal-
staffelei die Zeichenmaschine setzen, obwohl dies
zwei Dinge sind, die miteinander gar nichts zu tun
haben, die nichts vereinigen kann, weil jedes von
diesen beiden einen vollständig anderen Zweck hat,
vorausgesetzt, daß es eine Zeichenmaschine gibt.
Rationalisierung der Kunst ist ein Unsinn.

Das abstrakte Ziel, das sich die Jetztzeitbeken-
ner setzen, läßt sie sich nicht darum kümmern, ob

das, was sie tun, für die Menschen gut oder schlecht
ist. Sie haben sich den Menschen im Sinn der alten
Zeit vorgestellt als etwas, das einem höheren Zweck
dient, sie sind nicht darauf bedacht, es ihm mög-
lichst bequem zu machen, sondern sie stellen ideale
Forderungen. Sie verfolgen eine Idee, die sie für
modern halten. Der Radikal-Moderne hat die Idee
vom Menschen als Hersteller von Massenartikeln und
von dessen Ende als Kanonenfutter für seine Idee,
denn die Massenartikel werden so lange erzeugt bis
der Markt überfüllt ist, worauf zu andern Mitteln
gegriffen werden muß. Das ist die abstrakte Idee
der heutigen Wirtschaft, der die Leute aufgeopfert
werden sollen. Es ist nun klar, daß derartige Be-
stimmung ein bestimmtes Milieu eindeutiger Art
schaffen muß; es ist radikal, aber modern ist es
nicht, denn es beruht auf irrationalen Voraus-
setzungen.

Das amerikanische Leben wird in vieler Hinsicht
als unser Vorbild und unsere nächste Zukunft an-
gesehen. Und das mit vielem Recht, denn wir haben
seinen ungeheuren Einfluß bis in die letzten Klei-
nigkeiten unseres Lebens zu spüren bekommen. Was
uns hierbei noch befremdet, ist die vollständige
Trennung des Betriebes von den metaphysischen
Bedürfnissen. Beides ist in jedem Menschen ver-
einigt wie die beiden Ideen des Römischen Reiches.
Rußland versucht eine Vereinigung beider Begriffe.

Das amerikanische Leben ist, soweit es tunlich
ist, mechanisiert, die Betriebe, soweit dies praktisch
ist, rationalisiert, aber ohne daß Rationalisierung
zur Religion geworden ist. Außerdem haben die
Leute ihre Unterhaltung, in vielem Sinn auch typi-
siert, aber nach anderen Grundsätzen. Diese ist uns
heute noch in ihrer dick aufgetragenen Sentimentali-
tät nicht ganz heimisch, aber wir gewöhnen uns
daran. Sie haben eine Religion, die keine ist, auch
keine sein soll, aber das Geschäft fördert. Die
Unterhaltung ist Ersatz für alles. Sie muß in kon-
zentrierter Form das Ubermaß an Rationalisierung
und realem Denken kompensieren können. Es ist
dies ein begreiflicher Zustand. Alles Ubertreiben
auf der einen Seite muß durch ein Ubertreiben auf
der anderen Seite ausgeglichen werden.

Bei uns soll dies aber, wenn wir die Pläne der
Radikal-Modernen betrachten, anders sein. Wer bei
uns heute das Leben nach abstrakten Theorien ge-
stalten will, geht weiter. Er sieht, wie die Fabrik
eingerichtet ist, wie sie organisiert wird, er kann in
seiner kunstgewerblichen Denkungsweise, die dem
Amerikaner fehlt, nicht mehr zwei Systeme zulas-
sen, er will die Unterhaltung im selben Sinn rationa-
lisieren und genau so mechanisieren wie den Er-
werbsbetrieb. Er sagt sich: Die Fabrik ist aus prak-
tischen Gründen gut eingerichtet, ich werde deshalb
meine Wohnung und Mußezeit genau so behandeln,
denn der Mensch des 20. Jahrhunderts ist ein Inge-
nieur. Er vergißt wohl, daß der Ingenieur auch außer-
halb seiner Arbeitszeit lebt. Der Durchschnitts-
mensch, Bürger und Arbeiter, hat damit nichts zu
tun; er will das Gegenteil. Eine Fabrik ist ein Ort,
an dem man nicht eine Minute länger bleibt als es
unbedingt sein muß, dann geht man hinaus, begibt
sich nach Hause in eine Stimmung umgekehrter Art.
Jede Erinnerung an das andere erhöht die Unlust.
Der gewöhnliche Mensch, der nicht nach Theorien
lebt, sondern das tut, was ihm angenehm ist, kann

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