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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Frank, Josef: Was ist modern?: Vortrag von Professor Josef Frank, gehalten am 25. Juni 1930 auf der Öffentlichen Kundgebung der Tagung des Deutschen Werkbundes in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0475

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mit solcher Rationalisierung des Heims nichts zu
tun haben. Es interessiert ihn nicht. Die Maschinen-
verehrung ist in unserer Zeit nicht populär. Wir dür-
fen nicht immer glauben, daß sich das Hauptinter-
esse des Publikums auf die Herstellungsart von Mas-
senartikeln konzentriert. Wesentlich sind die Resul-
tate, gleichgültig, auf welche Weise sie entstanden
sind; Mittel zum Zweck intressieren die Menschen
nicht. Sie veralten schnell und sind keine Ideale.
Mechanische Arbeit ist kein Vergnügen, da sie nicht
imstande ist, während der Arbeitszeit auch nur die
geringste Freude an der Arbeit zu gewähren. Das
menschliche Leben beginnt nachher und ist das
Gegenteil.

Ich möchte noch auf eine an und für sich sehr
unbedeutende Erscheinung aufmerksam machen, die
mir schon oft aufgefallen ist. Viele unserer Radi-
kal-Modernen suchen, wenn sie eine Ansichtskarte
einem Gleichgesinnten senden wollen, regelmäßig
die kitschigste aus, die sie nur finden können. So
unbedeutend diese Tatsache auch ist, so zeigt sie
doch, daß in dem Falle, wo das Gemüt mitsprechen
muß, wie dies beim Absenden einer Ansichtskarte
der Fall ist, all das, was sie vertreten, zurückge-
drängt werden muß, um einen angenehmen Eindruck
auf den Empfänger zu machen. Daß dies mit be-
tonter Selbstironie geschieht, ist ein Zeichen star-
ken Minderwertigkeitsgefühls. Solche kleinen Züge
zeigen am besten, wie der Gesinnungskomplex tat-
sächlich beschaffen ist.

Unsere Ansichten über alles sind durch den Krieg
erschüttert und zum Teil zerstört worden. Wir haben
gesehen, daß nichts so sein muß wie es ist. daß alles
auch anders sein kann, daß heilige Begriffe von
früher auf einmal verschwunden sind, daß sie im
Grunde nichts Heiliges bedeuten und daß die mei-
sten Regeln anfechtbar sind. Wir sind regellos aus
dem Krieg herausgekommen. Und was geschieht
jetzt? Suchen die Menschen jetzt, frei von den be-
engenden Regeln weiterzuarbeiten? Sind sie glück-
lich damit, daß sie nicht mehr an bestimmte alte
Regeln gebunden sind, die doch immerhin eine Ent-
wicklung hinter sich hatten? Daß sie nun frei schaf-
fen können? Nein, sie suchen neue, nach abstrak-
ten Idealen aufgestellte neue Regeln, und zwar
Regeln in einem Maß und einer Masse, wie wir sie
früher niemals gekannt haben. Es zeigt sich die
ganze Unsicherheit und das Minderwertigkeitsgefühl
derer, die sich daran halten. Wer sich minderwertig
fühlt, der hat nicht den Mut, frei aus sich heraus-
zutreten, sondern er fühlt sich gesichert, wenn er
sich irgendwo anlehnen kann. Er hat eine Stütze, die
er sich selbst gebaut hat, seine Regeln und Doktri-
nen, die nun dazu dienen, so schaffen zu können,
daß das Resultat, gleichgültig, welche Qualität es
hat, von einem bestimmten Standpunkt aus vertei-
digt werden kann, mag es auch von anderen aus
noch so angreifbar sein. Das interessiert den
Schöpfer nicht, er hat seine Regeln und sein ge-
schlossenes System: was links und rechts vorgeht,
das sieht er nicht und will er nicht sehen.

Solche Regeln gibt es heute nicht nur in einer
Richtung. Ein jeder stellt sich irgendein System auf,
das er nun als seine Persönlichkeit ängstlich hütet,
ein System, nach dem er nun arbeitet, ein System,
das auf kunstgewerblicher Basis die Welteinheit her-
stellen soll. Wir haben den ..radikalen Modernismus"

nur als ein Beispiel hervorgehoben, als eines, das
den Rationalismus dekorativ verwertet wie anders
eingestellte historische oder moderne Stile, For-
men und Farbensysteme, die ebenso außerhalb jeder
Wirklichkeit stehen, ja meist noch viel weiter davon,
weil oft nicht einmal e i n moderner Gedanke zu
ihnen angeregt hat. Je schwächer der Schaffende
ist, desto stärker, desto starrer, unnachsichtiger
wird das System sein, das er braucht. Denn er stellt
hier ein Ideal auf, ein pathetisches Ideal, das nach
logischen Gesetzen irgendeiner Richtung entwickelt
ist, denn nur dann kann es immer vertreten werden.
Wenn jemand sich auf ein Ideal eingestellt hat, das
nicht mehr überboten werden kann, so daß nicht je-
mand sagen kann: „Ich mache das und jenes noch
viel mehr nach irgendeiner Richtung hin", so hat er
das Beste getan, was er tun konnte, wenn er nicht
berücksichtigt, daß es Dinge gibt, die ihm in die
Quere kommen können, die auch zu beachten wären,
die er aber nicht sehen will. Nach seiner Ansicht
ist es also ein vollkommenes Werk.

Derartige Ideale führen zu großem Pathos in allen
Dingen. Denn ein nicht pathetisches Ding kann
immer weiter gesteigert werden, während das pathe-
tische in Plakatform zu den Menschen spricht: es
ist größer als anderes, verachtet alle kleinen Details,
die die Sache menschlich machen würden und geht
direkt auf das große abstrakte Ziel los. Ich habe
schon erwähnt, daß unsere moderne Architektur
weitaus pathetischer ist als jede frühere. Früher
war Pathos durch Säulen, Bogen, Symbole der
Macht gekennzeichnet. Unser Pathos aber ist sozu-
sagen ein Urpathos, zu dem viele wieder kommen
wollen, neben dem die klassischen Kunstformen
immer bloß zeitlich bedingt erscheinen. Unser
schrankenloser Individualismus duldet keine Äuße-
rung einer fremden Persönlichkeit neben uns.

Wir suchen deshalb wieder zu einer Primivität
zurückzukommen: jeder sucht dorthin zu gelangen,
wo man in Urzeiten einmal angefangen hat, um sich
auch von fremder Entwicklung zu isolieren. Sie wis-
sen alle, welche Folgen das gehabt hat und daß
ein jeder, je nach seiner Einstellung, irgend etwas
willkürlich für ursprünglich halten kann: der eine
Negerkunst, der andere Bäuerlichkeit, der dritte
Eisenkonstruktion, der vierte Lichtwerte und ande-
res mehr. Das nimmt man nun als ursprünglich an
und richtet sich weiter danach. „Denn," sagt sich
der moderne Mensch, „die moderne Kunst ist nicht
dazu da, einem Individuum zu dienen, sondern sie
ist für die Allgemeinheit da." Das ist zweifellos ein
moderner Gedanke. Aber in eigenartiger Logik bie-
tet er nun der Allgemeinheit nicht einen allgemeinen
Rahmen, innerhalb dessen sich ein jeder individuell
ausleben kann, um dann seine gesamte Kraft auf das
zu konzentrieren, was für die Allgemeinheit tatsäch-
lich von Wert ist. Denn der Kunstgewerbler will sein
einheitliches Weltbild haben, das auf militärische
Grundsätze gestützt ist.

Und die Allgemeinheit weiß mit diesen Schöpfun-
gen nichts anzufangen und lehnt sie ab. Emporkom-
menden Menschen sind Formprobleme Machtpro-
bleme, aber sie haben so viel von der Tradition der
Jahrhunderte aufgenommen, daß Abstraktion der Ur-
zeit ihnen nichts bieten kann. Jenen, die sich be-
mühen, aufzusteigen, besagt die moderne Kunst
nichts. Denn was sie heute darbietet, ist das

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