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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0662

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noch kein musikalisch begabter Bautechniker durch
seine Musik zum Baukünstler geworden sein. Die
besagte Übertragung ist aber auch falsch: sie über-
sieht gerade das Wesentliche, nämlich den Unter-
schied der Künste, auf den es ankommt. Was musi-
kalisch gut ist, darüber entscheidet das Ohr: eben
darum ist das Musikalische niemals sichtbar zu ge-
stalten und es hat darum gar keinen Sinn, davon zu
reden, daß in der Baukunst ein musikalisches Ele-
ment stecke, wodurch sie sich vom bloßen Hand-
werk unterscheide.

Was aber die wirkliche Antwort auf die gestellte
Frage angeht, so meine ich, daß sie sehr einfach
ist: so einfach und für den Künstler so selbstver-
ständlich, daß er — wenn er wirklich ein Künstler
und nicht bloß Schüler einer Kunstgewerbeschule ist
— ihrer besonderen Formulierung gar nicht bedarf,
sondern sie immerfort in seinem Schaffen zur An-
wendung bringt.

Ich habe längst — vor mehr als zwanzig Jahren —
auf diese Antwort hingewiesen: von Künstlern da-
mals überall verstanden, von bloßen Theoretikern
freilich um so gründlicher mißverstanden und be-
kämpft, was zwar der Wahrheit als solcher nichts
anhaben, ihrer Ausbreitung und Wirkung aber aller-
dings schweren Schaden tun kann.

Was der bildende Künstler und somit vor allem
auch der Baukünstler überall instinktiv beachtet und
was ihm allein den Maßstab dafür abgibt, ob er seine
Sache gut oder schlecht gemacht hat, das ist das
Bedürfnis seines Auges. Ist diesem Genüge
geschehen, so ist das Werk gut; wo dagegen dieses
Bedürfnis verletzt ist, da ist das Werk noch nicht gut,
da ist die Lösung noch nicht gefunden. Alles, was über
die bloße Zweckgestaltung hinaus an künstleri-
scher Arbeit zu leisten ist, besteht in dieser Be-
friedigung des Augenbedürfnisses. Wo der Hand-
werker demselben zu genügen sucht, da fängt er an,
künstlerische Arbeit zu leisten und er wird genau
so weit Künstler sein oder werden, wie er jenes Be-
dürfnis tatsächlich empfindet und zu erfüllen weiß.
Aber auch der Künstler ist nur soweit Künstler, wie
er seinerseits dieses Bedürfnis empfindet und ihm
in seinen Werken Genüge tut.

Uns ist heute durch das Leben in einer durchaus
unkünstlerischen architektonischen Umgebung die
Empfindlichkeit für die Bedürfnisse des Auges ge-
radezu aberzogen: so daß den weitesten Schichten
der Bevölkerung — und leider auch sehr vie-
len der von Natur künstlerisch Begabten —
jedes Bewußtsein vom Bestehen solchen Bedürf-
nisses abhanden gekommen ist. Der geborene und
nicht durch falsche Schulmethoden verdorbene
Künstler aber arbeitet jederzeit an der Erfüllung der
Bedürfnisse seines Auges. Und so ist auch die neue
Baukunst tatsächlich, wo immer sie mehr ist als die
bloße konstruktive Lösung neuer praktischer Auf-
gaben, ein Versuch oder vielmehr eine große Reihe
von Versuchen, in neuer Weise den Augenbedürfnis-
sen zu genügen; wenngleich diese Tendenz einer,
vielleicht großen Zahl derer, die an ihrer Erfüllung
arbeiten, aus dem früher angeführten Grunde unbe-
wußt zu bleiben pflegt1).

„Schön" — und hier bin ich mit Hartlaub wieder
durchaus einer Meinung — kann diese neue Archi-
tektur daher sehr wohl werden; und zwar im durch-
aus „zeitlosen" Sinn, wenn und soweit es ihr ge-
lingt, den ewig unveränderlichen Bedürfnissen des
Auges zu genügen, nämlich den Forderungen, die
durch die Gesetze der Erkenntnis durch das Auge
für alle Zeiten unabänderlich bestimmt sind. Wie
sich aus diesen Forderungen alle Stilgesetzlichkei-
ten der alten „Baustile" herleiten lassen, — ausge-
nommen nur die rein konstruktiven Bedingungen und
die aus dem Vorstellungsbesitz der Künstler stam-
menden oder als Symbole durch den Auftraggeber
übermittelten gegenständlichen Motive, wie
sie als Füllungen u. a. Verwendung finden — so wer-
den auch die neuen Lösungen stets durch diese For-
derungen bestimmt sein. Und so wird die neue Bau-
kunst mit der alten bei aller Verschiedenheit doch
immer den inneren Zusammenhang wahren, der allem
Ewigen im Menschendasein eben darum nicht ver-
lorengehen kann, weil es ewig ist. Kunst aber ist
ewige Aufgabe des Menschen.

r) Die Gefahr, daß sie auch unerfüllt bleibt, dürfte bei der soeben
erwähnten heutigen Lage und der daraus herfließenden allgemeinen
Einstellung zu den Bedürfnissen des Auges häufig naheliegen.

Verehrter Freund!

Schade, daß wir Ihren Aufsatz, der über ein Jahr
bei uns liegt, jetzt erst abdrucken können (das Ma-
terial für ein „religiöses Heft" kam erst jetzt zu-
sammen!). Nun ist der Anlaß — Pinders Werkbund-
rede in München 1928 und Hartlaubs Bemerkungen
hierzu in der „Form",1929, Heft 11 — den Lesern wohl
nicht mehr ganz gegenwärtig. Aber auch ohne diese
Anknüpfung ist das Problem wohl wert, noch einmal
angerührt zu werden, und ich darf vielleicht auch
hierzu, wie seinerzeit zu Pinders Rede, einige An-
merkungen machen.

Sie schließen sich Hartlaubs und meinen Beden-
ken gegen die Pindersche These von der Notwendig-
keit der religiösen Verankerung jeder großen Bau-
kunst an, bekämpfen aber zugleich Hartlaubs Satz
von der Bedeutung des „Ethos" oder der „sittlichen
Idee" für die Entwicklung der neuen Baukunst:
alle diese Ideen, wie auch die des religiösen Glau-

bens, seien für die Baukunst nur das Material, aus
dem die Anregung für die eigentliche „künstlerische"
Aufgabe erwachse; diese Aufgabe aber sei die „Be-
friedigung des Augenbedürfnisses". Und da aller-
dings, in diesem für alle Ästhetik höchst wichtigen
Punkte, kann ich Ihnen nicht folgen. Daß alle Bau-
kunst „für das Auge" geschaffen ist, ist, wenn man
den Satz weit nimmt, eine Selbstverständlichkeit:
denn sie spricht nun einmal durch das Auge zu uns.
Aber sind wirklich die Bedürfnisse des Auges „ewig
unveränderlich", die Gesetze der Erkenntnis durch
das Auge „für alle Zeiten unabänderlich bestimmt"?
Sicherlich gibt es derartige Gesetze, und es gibt
auch Epochen, in denen die architektonische Form
durch diese Gesetze in hohem Grade mitbestimmt
ist. Vor allem dient in der Renaissance jede Einzel-
form eines Baus jenen Bedürfnissen des Auges",
dem Verlangen nach einer klaren, anschaulichen Er-
kenntnis des Raumes. In anderen Epochen, z. B-

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