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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Rückert, Otto: Raum und Farbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0694

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eine kollektivistische Schätzung einer Augenblicks-
sache ohne stärkeren Nachhall (und trotzdem ein
Teil des Kulturantlitzes einer Epoche), bevorzugt
wechselnd ganz bestimmte Farbtöne und schafft
somit farbige Typen und Normen im relativen Sinne.
Und alle diese modischen Erscheinungen und Dinge
werden von dem Großteil der Menschen kritiklos als
etwas Selbstverständliches hingenommen und als
„modern" eingeschätzt.

Daß einige Baukünstler von überragender Bedeu-
tung helle Farbtöne, die die klare Formung des
neuen Raumes weder verwischten noch in Frage
stellten, gegenüber „schummerigen" Tönen, die das
herbe Gebilde „Raum" auflösten und als ein male-
risches Etwas kennzeichneten, bevorzugten, war für
die Masse sowohl als auch für die Mitläufer unter
den Baumeistern und Künstlern das Signal zum Auf-
bruch aus den dunklen Räumen. Über die tief-
gehenden Ursachen der energischen Aufhellung der
Räume machen sich weder der Großteil der Bestei-
ler noch der Großteil der Ersteller heller Anstriche
und Tapeten irgendwelche Gedanken. Sie folgen
dem Zuge der Zeit und stellen den Nachahmungs-
trieb vor die Erkenntnis. An Stelle der ernsten
Überlegung tritt das Jonglieren mit dem „Ge-
schmack", und so entsteht außer dem positiv Modi-
schen das Geschmäcklerische, das in vielen Hinsich-
ten bedenklich dem skrupellosen Kunstgewerbe des
letzten Jahrhunderts ähnelt.

Daß unter anderem auch die barbarische Unsitte
des Schablonierens stetig im Abnehmen begriffen
ist, kann kaum als ein Wunder bezeichnet werden.
Die Anschauung von Wilh. Lötz, die er gelegentlich
einer Besprechung billiger Tapeten in dem Heft 15
der „Form" niederlegte, wonach die aufdringliche
Musterung, ob sie nun in großen Blumen, in Chinoi-
serien oder in modernen Zick-Zacklinien gehalten
war, dem modernen Räume eine unangenehme Be-
grenzung gibt und die ruhige und klare Wirkung mo-
derner Möbel zerstört, kann ohne weiteres auf die
Schablone oder auf die landläufige Bemusterung der
Wände mit Hilfe einer Bemalung bezogen werden.
Dabei hat der Raummaler die Möglichkeit, mit Hilfe
seiner besonderen Werkzeuge — Modler, Zacken-
pinsel und Durchziehpinsel — der farbigen Wand
einen ähnlichen Charakter zu geben wie eine Auf-
rauhung oder Körnung der Oberfläche (siehe eben-
falls die Abhandlung des Wilh. Lötz). Die Bearbei-
tung der Wand im angedeuteten Sinne geht unmit-
telbar auf das Werkzeug zurück und gibt der Arbeit
einen besonderen Charakter, der stets als etwas
Handwerkliches zu gelten hat. Aber diese hand-
werkliche Arbeit im besten Sinne ist in dem Sumpfe
der Imitation und des stumpfen Schablonierens
ebenso erstickt worden, wie z. B. die lustige Be-
handlung des Putzes mit der Maurerkelle. Obendrein
sind die erwähnten technischen Arbeiten sehr rasch
zu erstellen und verlangen eine geschickte Hand.
Solange aber das Handwerk nicht darauf ausgeht.
Arbeitsverfahren zu propagieren, die nur von dem
wirklich geschulten Handwerker rasch und sicher
erstellt werden können, hat es das Recht auf die
Klage über das Pfuschertum verwirkt.

Und niemand im Werkbund wird sich gegen das
Handwerk wenden, wenn es handwerksgerecht be-
trieben wird.

Daß gewisse Dinge des Gebrauches heute mit
Hilfe der Maschine billig und gut hergestellt wer-
den, ist eine so klare und offensichtliche Gegeben-
heit, daß nur der Unvernünftige daran rütteln kann.
Das Baumalerhandwerk, ein Handwerk, das nach
menschlichem Ermessen niemals restlos mechani-
siert werden kann, muß sich auf seinen deutlich er-
kennbaren Eintritt in den Kreis der menschlichen
Produktion besinnen. Der Urahne dieses Handwerks
war nicht jener Raffael, der die Loggien und Stan-
zen mit Arabesken bemalte, sondern das ehrbare
Handwerk der Tüncher. Daß derartige Erinnerungen
manchen Angehörigen des gegenwärtigen Malei-
handwerks widerwärtig, ja peinlich sind, verdanken
wir den Auswirkungen des „Kunstgewerbes", das
bei der Betrachtung des Handwerks vorerst die
Verzierung des handwerklichen Gegenstandes und
nicht den ursprünglichen Sinn und Wert der Hand-
werksarbeit im Auge hatte.

Allem voran steht gegenwärtig die Ordnung und
Zucht jener Gedanken, die auf das Werk gerichtet
sind. Der Umformungsprozeß, den das Handwerk
heute erleben muß, entspricht, wenn er richtig ver-
standen wird, einer Generalreinigung, einer Besin-
nung auf den letzten Zweck und Sinn der Arbeit.
Letzter Zweck und Sinn des Malerhandwerks sind
der Umgang mit dem Werkstoff Farbe und dessen
Umsetzung in sinnlich wahrnehmbare Farbwerte,
deren Charakter durch die Ausmaße und durch die
Lichtquellen des Raumes, durch dessen örtliche
Lage, durch die Zweckbestimmung und nicht zu-
letzt durch die innere Beschaffenheit jener Men-
schen, denen der Raum als Rahmen der verschie-
densten Lebensvorgänge dient, bestimmt wird. Es
ist ja im Grunde genommen viel einfacher, eine
Summe von Arabesken und Schnörkeln an die Wände
zu malen, als vor Beginn der Arbeit im Räume eine
Analysierung desselben hinsichtlich seiner Eigen-
schaften als Farbträger vorzunehmen.

Eigenartigerweise stecken heute noch die mei-
sten Schulen, die der Erziehung und Förderung des
Nachwuchses des Malerhandwerks dienen, mitten
in der „Kunst" und begeben sich auf Gebiete, die
letztlich mit dem Handwerk als solches gar nichts
zu tun haben. Sie verlegen sich auf die Pflege des
zeitgenössischen Ornaments, dessen Existenzbe-
rechtigung und dessen Wesen allerdings sehr frag-
lich sind oder auf die Ausbeute der verschiedensten
Kunstrichtungen, die augenblicklich die Welt be-
herrschen. Das Bild der Auswirkung auf das leben-
dige Handwerk wird durch diese Gepflogenheiten
äußerst verworren, und unter dieser Tatsache leidet
das Handwerk, das auf die Führung des Werkkünst-
lers angewiesen ist, außerordentlich.

Die letzte Aufgabe des Malerhandwerks ist mit
dem Bestand des Bauwerks auf das innigste ver-
flochten, von ihm untrennbar. Die Farbgebung eines
Raumes ist nichts anderes als die konsequente Fort-
setzung des Gedankenganges des Baukünstlers.
Und aus diesem Grunde muß sich der Maler der Ge-
dankenwelt des Baukünstlers einordnen und vor
allem sein Hauptgewicht auf die meisterliche Durch-
führung der Arbeit selbst legen. Die in Stuttgart
von einer Seite vertretene Meinung, als seien ange-
sichts der Loslösung der Baukunst aus den Banden
des Formalismus und des Kunstgewerbes alle Maler-
schulen irgendwelcher Art überflüssig, ist nach-

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