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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Lindner, Werner: Was ist Heimatschutz?
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0698

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die Nachbarbauten sucht, ist ein ganzes Arsenal
historisierender Motivchen angehängt, und die sind
noch dazu ungeschickt durcheinandergemanscht.
Ein Gebilde ist entstanden, das weder Fisch noch
Fleisch ist, vollständig im Gegensatz zu jener cha-
raktervollen Nürnberger Mauthalle, zu der es in Ver-
gleich gestellt wird. Sie, selbstbewußtes Kind ihrer
Zeit, spricht uns noch heute lebendig an, wir mögen
zu überlieferter Baukunst stehen, wie wir wollen.

Den Gegenentwurf des Schülers kann man ohne
genaue Kenntnis des Bauprogramms und der Grund-
risse nicht recht beurteilen. Eine überzeugende
Lösung stellt er nicht dar. Das nur nebenbei, Herr
Klopfer. Daß ein kubischer, also flachabgedeckter
Baukörper bei einem derartigen Eckbau in gutes
Wirkungsverhältnis zu beiderseits anschließenden
steildächigen Häusern treten kann, steht außer
jedem Zweifel. Nur verlangt die Aufgabe einen
Könner. Ein solcher würde natürlich auch mit einem
geneigten Dach wirtschaftlich und ästhetisch zum
Ziele kommen. ,

Doch worauf hat man es zurückzuführen, daß die
Staatsbankmißgeburt „unter der Flagge des künst-
lerischen Heimatschutzes" segelt? Wie soll man
es verstehen, daß sie angeblich „einen künstlichen'
Heimatschutz" propagiert? Zunächst erklärt es sich
sehr natürlich dadurch, daß sich mit der Heimat-
schutzbewegung, einer volkstümlichen Angelegen-
heit, allerlei eingeschriebene und nichteingeschrie-
bene Mitläufer einig fühlen, die den eigentlichen Sinn
der Sache nicht begriffen haben. Der unglückselige
Schöpfer jenes Bankentwurfs hat sicher sein
Bestes „im Heimatsinne" hergegeben, wie er ihn ver-
steht. Aber er hat gar nicht gemerkt, wie weit er
sich mit seinen dekorativen Effekten von sachlichem
Gestalten und von heimatlichem Geiste entfernt hat.
Weiter ist zu bedenken, daß derartiges unvermeid-
bares Mitläufertum solchen Leuten, die nicht genau
hinschauen und nicht gerade mit Feingefühl und
Urteilskraft begnadet sind, nicht weiter unangenehm
auffällt, also oft unbeanstandet passiert. Böswilli-
gen aber bietet es immer neue willkommene Gele-
genheit, dieser ihnen oft lästigen Heimatschutz-
sache und ihren Führern eins auszuwischen und ihr,
oft wider besseres Wissen, solche Dinge in die
Schuhe zu schieben. Das ist ein gar zu billiges Ge-
baren. Es ist geradeso, als ob man sagte: Werk-
bund ist, wenn man gestern „schwingende Ecken"
baute, wenn man die „Außenräume in den Bau ein-
bezieht", wenn man Fassaden auf Biegen und
Brechen straff horizontal gliedert und ja nicht an
geeigneter oder ungeeigneter Stelle den Vertikal-
akzent vergißt! In Wirklichkeit ist doch Werkbund-
idee auch etwas anderes. —

Da habe ich nun bei dem fraglichen Aufsatz in
der Deutschen Bauzeitung den gar nicht unbekann-
ten Ausdruck „anpassen" gebraucht, so recht als
Fundgrube für Paul Klopfer, dessen Name übrigens
kürzlich noch im Ehrenausschuß einer großen Hei-
matschutzveranstaltung zu lesen war. Ich gebe zu,
man sollte mit dem Wort anpassen vorsichtiger um-
gehen, wenn es anscheinend mit nachäffen, etwas
Äußerliches und Nebensächliches sklavisch und un-
verstanden nachahmen, verwechselt wird. Durchaus
anderes war gemeint. Es „paßt sich an": der gutge-
löste, alte oder neue Haustyp als bestimmende
Untereinheit der mit ihm arbeitenden, gutgelösten

alten oder neuen Siedlung und die Siedlung wieder-
um diesem Haustyp. Es ..paßt sich an": der in der
Barockzeit geschaffene, in allem Übrigen höchst
eigenwillige Turmhe'm der ganz andersartigen Struk-
tur der gotischen Kirche, die ein neues Turmdach
brauchte, ebenso die Rokokokanzel dem hochge-
wölbten mittelalterlichen Kirchenraum und die viel-
leicht mit Sperrholzplatten gebildete moderne
Emporenbrüstung, vorausgesetzt, daß jede
dieser späteren Zutaten nicht brutaler Selbstzweck
ist, sondern vom Künstler körperlich, räumlich, maß-
stäblich, farblich der Gesamtheit organisch einge-
fügt wurde. Es „paßt sich an": seiner tannenbestan-
denen Gebirgsumwelt der in Blockbauweise typisch
und gleichsam zeitlos gebildete alpine Heustadel
und nicht minder der Landschaft und den Ortsbil-
dern die jeden Einzelschmucks bare schlanke, mo-
derne Stahlbrücke über den Neckar bei Wimpffen.
Sie bringt einen vollständig neuartigen ..Akzent" in
das Bild der Heimat und wirkt doch nicht störend.
Das würde sie aber tun, wenn die die Form der Bau-
schöpfungen wesentlich mitbeeinflussenden Vor-
aussetzungen dieser eigentümlichen Landschaft
vom Gestalter des Werks nicht beobachtet und
nicht erfaßt worden wären.

„Anpassen" im hier ohne weiteres gegebenen und
auch in Heimatschutzkreisen gebräuchlichen Sinns
heißt also nicht, irgendwelche Stilmotive, die bis-
lang an historischen Architekturen in den alten Ort-
schaften mehr oder minder stark hervortreten, über-
nehmen, auch nicht überlebte Haus- oder sonstige
Gebrauchsformen, wenn sie auch noch so charakter-
voll sind. Darum wäre es der denkbar größte Fehler,
etwa im alten Celle mit seinen wunderschönen, aber
von uns für heutige Bedürfnisse als unsachlich und
unpraktisch empfundenen Giebelhäusern neue Wohn-
bauten wiederum als Giebelhäuser zwischen die
alten zu setzen oder auch nur dem schönen Schein
zuliebe neuen Schöpfungen mit Firsten parallel zur
Straße große Giebelaufbauten zu geben. Aber an-
passen heißt taktvoll vorgehen, Wesentliches einer
gegebenen wertvollen Gesamtstimmung erkennen
und achten und die vorhandene Harmonie aufrecht-
zuerhalten oder weiterzuspinnen trachten. Demnach
wird man innerhalb eines Gebildes wie des Langen
Marktes in Danzig, einer charaktervoll eindeutigen
Einheit, im Fall notwendiger Einzelveränderungen
weder romantisierendes Theater machen noch rück-
sichtslos Lösungen anstreben, die etwa bei der Um-
formung des Berliner Alexanderplatzes gegeben er-
scheinen.

Hätte der Weltkrieg die deutschen Ortschaften
dem Erdboden gleichgemacht, ständen wir überall
vor Aufgaben ohne traditionsmäßige Bindungen,
wäre das Handwerk ein für allemal tot und wir pro-
duzierten nur noch am laufenden Band, so läge der
Fall anders als in Wirklichkeit. Aber wir mögen
unsere heutigen Siedlungen und Einzelbauten noch
so eigenwillig neuartig gestalten: wir durchsetzen
mit ihnen einen außerordentlich großen Bestand an
überkommener Baukultur — von den mißratenen Er-
zeugnissen eines reichlichen Halbjahrhunderts
sehen wir hier ab. Dieses überlieferte Gut ist zu
recht erheblichem Teil noch nützlicher, unentbehr-
licher Lebensraum für uns und, mehr als das, auch
wertvolles, lebendig gebliebenes Heimatgut. Und
weiter geht parallel mit jenem Modernsten, nament-

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