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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Lindner, Werner: Was ist Heimatschutz?
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0699

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lieh auf dem Lande und in den kleineren Städten,
ein vieltausendfältiges Bauschaffen in natürlicher
Weiterentwicklung überlieferter Baugewohnheiten
für die typischen Alltagsaufgaben. Mit nicht gerin-
gerer Berechtigung trachtet auch dieses, in seiner
Weise den heutigen Erfordernissen gerecht zu wer-
den: Siedlungsgesellschaften. Baubeamte und zahl-
lose Vertreter der freien Architektenschaft, unter
ihnen viele Werkbündler, bemühen sich, auch auf
diesem Wege praktisch und ästhetisch gleich Gutes
zu erreichen. Vor allem aber darf eines nicht ver-
gessen werden: das „neue Bauen" ist trotz man-
cher neuartiger Werkstoffe. Arbeitsverfahren, sozia-
ler Auffassungen und dergleichen alles andere als
„voraussetzungslos". Vielmehr trägt es viele dem
gesunden Alten gleiche und verwandte Wesenszüge
und wird sie allmählich noch entwickeln, je mehr es
die Experimentierstadien und die ersten Modefor-
men hinter sich läßt. —

An dieser Stelle der Überlegungen läßt sich das
Daseinsrecht des Heimatschutz- oder, wenn man
es dem Sinn nach richtiger ausdrücken will, des Hei-
matpflegegedankens besonders gut nachprüfen:
Das heutige Bauschaffen bedient sich je nach der
Art der Aufgaben mehr der montagemäßigen Aufbau-
weise der Ingenieurbaukunst, deren Lösungen knapp-
spröde zu wirken pflegen, oder einer den alten
Handwerksweisen näherstehenden Art der Ausfüh-
rung. Letztere ist nicht aus „sentimentalistischen
Ideenassoziationen", sondern ebenfalls aus prakti-
schen Gründen technisch mehr oder minder tradi-
tionsgebunden: ihre Ergebnisse pflegen den Men-
schen im allgemeinen mehr anzusprechen. Jede von
beiden Bauweisen hat bei fließenden Grenzen ihre
mehr oder minder klaren Wirkungsbereiche. Das
der Technik wird dem Handwerk noch weiter Boden
abgewinnen, ohne es ganz zu verdrängen oder zum
vollen Handlangertum herabzuwürdigen. Zu den
Aufgaben des Heimatschutzes, soweit sie hier in
Frage kommen, gehört es nun, die möglichen und
notwendigen Angleichungen dieser beiden, gleich
unentbehrlichen Gestaltungsarten und den gegebe-
nen Bereich der einen und der anderen Art aufzu-
weisen sowie das Gegensätzliche und Verbindende
zwiochen ihnen aus den natürlichen Voraussetzun-
gen zu erklären. So kann er dazu beitragen, daß
lebensfähiges Neues sich allmählich einbürgert und
in seinem Wert erkannt wird, daß gesundes Altes
vernünftige Bestimmung und die ihm zukommende
Achtung behält und alles der Heimat und der wer-
denden Kultur dient. Das ..Tempo der Zeit", die
immer leichter gewordene Uberbrückung der Fernen,
die Umwertung vieler Werte und Gesinnungen sind
dabei nüchtern zu bedenken: ein Zurückschrauben-
wollen der Verhältnisse auf Anno Dazumal, eine
Vogelstraußpolitik wäre nur Alfanzerei.

Die internationalen Beziehungen in Wirtschaft und
Technik werden immer enger, und alte Bodengebun-
denheiten verwischen sich mehr und mehr, unwei-
gerlich. Aber der modernste bayrische Werkbund-
mann empfindet und baut auch darum doch wesent-
lich anders als sein Berliner Kollege, die badische
Landwirtschaft braucht für ihre Wohn- und Wirt-
schaftszwecke nach wie vor etwas anderes als die
ostpreußische: sogar noch heute spricht kaum ein
Dorf den gleichen Dialekt wie das andere. So sehr
wir schon, oberflächlich oder innerlich, Weltbürger

geworden sind, so setzen wir uns als Volk auch
weiterhin aus solchen Menschen zusammen, ;die
überall hausen können und vielen anderen, die
boden- und stammesverwurzelt sind und ihr Bestes
dem Ganzen gerade durch diese engeren und eng-
sten Bindungen geben können. Diese verschieden-
artigen Strömungen und Neigungen werden sich
auch zukünftig in unserem Bauschaffen, vor allem
in den Siedlungen und Wohnbauten darstellen, viel-
fach anders als bisher, aber doch irgendwie, und
naturnotwendig. Die Ausdrucksformen hierfür kön-
nen nicht künstlich gemacht werden, weder heimat-
schützlerisch noch werkbündlerisch. All das wächst
von selbst und kann von denkenden und empfinden-
den Menschen nur bis zu gewissem Grade geklärt
und geleitet werden. Hierfür hilft die zwar vielum-
strittene, aber im Grunde unbezweifelbare Tat-
sache, daß alles neue Baugestalten, soweit es nicht
modisch schillert oder modernistisch erstarrt, trotz
des Triumphzugs der modernen Technik organisch
aus der Bautradition gewachsen ist und ihr trotz
des ruckartigen Vorwärtsspringens wesensverwandt
bleibt. In diesem Zusammenhang stimmt es sicher
nachdenklich, daß Frau Natalja Trotzkaja Leitgedan-
ken, Zweck und Ziele des staatlichen Denkmal- und
Heimatschutzes in Sowjet-Rußland als Leiterin die-
ser Organisation so formuliert hat: „... Nicht darum
ist es notwendig, die Denkmäler des Altertums zu
schützen und zu erforschen, um aus ihnen Gegen-
stände der Verehrung des Vergangenen zu machen,
sondern um beim Bau der neuen Zukunft die Erfah-
rung der Vergangenheit in ihrem vollen Umfange
kennenzulernen und auszunützen .. Zur Anerken-
nung dieses praktischen Nutzens, der den Sowjet-
Machthabern keinen Augenblick verborgen blieb,
kommen für uns ja noch gewisse Gefühlswerte.
Oder wollen wir sowjetistischer als die Sowjets
sein? —

Heimatschutz ist nicht gleichzusetzen mit Bau-
pflege. Bauberatung und dergleichen. Das sind nur
praktische Sonderauswirkungen seines Bemühens,
die wahre Baugesinnung wieder stärken zu helfen.
Das Mitdenken und Mitleitenwollen in den baulichen
Dingen, das zeitweilige In-den-Vordergrund-schieben
dieser Fragenzusammenhänge erklärt sich aber
daraus, daß nichts die Völker und die Zeiten so
kennzeichnet wie eben ihre Baugesinnung. Das
Bauen, hinweggesehen über Modeerscheinungen und
über Augenblickserfolge einzelner Richtungen, ist
Niederschlag der Gesinnung eines Volks, seiner ver-
schiedenen Schichten, und sinnfälliger Ausdruck der
in ihm waltenden Spannungen überhaupt. Für dieses
Bauen ist eine der schwerwiegendsten mitwirkenden
Kräfte, bei aller Würdigung der wirtschaftlichen und
sozialen Belange, die Heimat selbst, das Bild ihrer
Landschaften und der in diesen Landschaften
lebende Mensch. Daß die Heimat nicht zur Kultur-
wüste, daß der Mensch nicht nur noch zum willen-
losen Werkzeug eines Maschinenungeistes werde,
dazu hilft an seinem Teile der rechtverstandene
Heimatschutz mit seinen vielfältigen Bemühungen,
von denen im einzelnen hier zu reden sich erübrigt.
Schweres Unrecht ist es gegenüber der ihm zu-
gefallenen Sendung, wenn man allerlei Altertüme-

Aus „Denkmalpflege und Heimatschutz", herausgegeben Im
Preußischen Finanzministerium, Nr. 8/9, 1929.

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