Kleiderboden im Waisenhaus Fürth Treumann
graue Anstrich; im Eßsaal „schmücken" Fahnen und
Monarchenbilder die Wände — im übrigen ist auf
jede ablenkende Unterbrechung des ewigen Grau
verzichtet. Sauberkeit, Übersichtlichkeit, Ordnung,
Billigkeit, das sind die Werte, die solche Bauten
geprägt haben. Der steinerne Fußboden des Eß-
saals, die hölzernen Bänke der Wohnräume, die Kahl-
heit der Wände, im Gegensatz zu der heiteren Wen-
deltreppe des Frontgebäudes, bezeichnen den Geist
der Zeit: verfeinerte Bedürfnisse bei der Herstellung
von Repräsentationsgebäuden und Räumen, streng-
ster Kasernenstil für die Kinder, deren individueller
Wille weniger aus theologischen Gründen wie bei
Francke als aus militärisch-politischen unterdrückt
oder gebrochen werden mußte. Demselben Zweck
dient die Tracht: Von klein auf werden die Jungen
in militärische Uniform gesteckt, militärisch sind die
Kommandos, die Einteilung der Massen in „Kompa-
nien", die Umgangsformen, das Strafreglement,
Jedes Kind hat vier völlige Garnituren, die tadellos instand
gehalten sind der Speisezettel, die Tageseinteilung usw. Auch in
den Franckeschen Stiftungen tragen die Kinder wie
in allen Waisenhäusern eine Tracht. Aber der Akzent
ist ein anderer, und darin unterscheidet sich Pots-
dam von allem Bisherigen, man kann sagen, darin
bereitet sich dort ein moderner Zug vor: Die Tracht
ist nicht mehr das Zeichen des Gottespfandes wie
im Mittelalter und auch nicht mehr eine Art Zucht-
rute zur Demütigung wie bei Francke, sondern hier
ist sie des Königs Rock. Der unscheinbarste Rekrut
hebt sich aus der Menge heraus. Er steht in Reih
und Glied mit dem Offizier. Auch der König ist
Soldat wie er, wie jeder Waisenknabe einmal sein
wird. So unkindlich und lebensfremd daher die Sol-
datenröcke bei kleinen Jungens wirken mögen, —
sie verleihen eine neue Art Stolz. Noch heute tra-
gen die Jungen in Potsdam die feldgrauen Unifor-
men mit häßlichen langen Hosen und kurze Socken
anstatt der Strümpfe; noch heute sind ihre Köpfe
Waschraum eines mittelgroßen Heims Foto Treumann glatt geschoren wie Billardkugeln. Aber auch hier
Größte Einfachheit, Sparsamkeit, Sauberkeit setzt sich unter der Decke der Tradition eine völlig
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graue Anstrich; im Eßsaal „schmücken" Fahnen und
Monarchenbilder die Wände — im übrigen ist auf
jede ablenkende Unterbrechung des ewigen Grau
verzichtet. Sauberkeit, Übersichtlichkeit, Ordnung,
Billigkeit, das sind die Werte, die solche Bauten
geprägt haben. Der steinerne Fußboden des Eß-
saals, die hölzernen Bänke der Wohnräume, die Kahl-
heit der Wände, im Gegensatz zu der heiteren Wen-
deltreppe des Frontgebäudes, bezeichnen den Geist
der Zeit: verfeinerte Bedürfnisse bei der Herstellung
von Repräsentationsgebäuden und Räumen, streng-
ster Kasernenstil für die Kinder, deren individueller
Wille weniger aus theologischen Gründen wie bei
Francke als aus militärisch-politischen unterdrückt
oder gebrochen werden mußte. Demselben Zweck
dient die Tracht: Von klein auf werden die Jungen
in militärische Uniform gesteckt, militärisch sind die
Kommandos, die Einteilung der Massen in „Kompa-
nien", die Umgangsformen, das Strafreglement,
Jedes Kind hat vier völlige Garnituren, die tadellos instand
gehalten sind der Speisezettel, die Tageseinteilung usw. Auch in
den Franckeschen Stiftungen tragen die Kinder wie
in allen Waisenhäusern eine Tracht. Aber der Akzent
ist ein anderer, und darin unterscheidet sich Pots-
dam von allem Bisherigen, man kann sagen, darin
bereitet sich dort ein moderner Zug vor: Die Tracht
ist nicht mehr das Zeichen des Gottespfandes wie
im Mittelalter und auch nicht mehr eine Art Zucht-
rute zur Demütigung wie bei Francke, sondern hier
ist sie des Königs Rock. Der unscheinbarste Rekrut
hebt sich aus der Menge heraus. Er steht in Reih
und Glied mit dem Offizier. Auch der König ist
Soldat wie er, wie jeder Waisenknabe einmal sein
wird. So unkindlich und lebensfremd daher die Sol-
datenröcke bei kleinen Jungens wirken mögen, —
sie verleihen eine neue Art Stolz. Noch heute tra-
gen die Jungen in Potsdam die feldgrauen Unifor-
men mit häßlichen langen Hosen und kurze Socken
anstatt der Strümpfe; noch heute sind ihre Köpfe
Waschraum eines mittelgroßen Heims Foto Treumann glatt geschoren wie Billardkugeln. Aber auch hier
Größte Einfachheit, Sparsamkeit, Sauberkeit setzt sich unter der Decke der Tradition eine völlig
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