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Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Januar bis Juni)

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Nr. 26-50 (1. Februar 1904 - 29. Februar 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14240#0229

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Srschet»t täglich, SonntagS aurgknommrn. Prei» mit FamilirnblSttam monatlich 50 Pfg. in'S Hau» grbracht, bei der Expedition und den Zweigstattonen abgeholt 40 Pfg. Durch dte Post

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an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate aus den Plackattafeln der Heidelberger Zeitung und den städttschen Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

Mitiwch, 3. Febrmr 1V4.

Eestes BLatt.

46. AshrzrlLg. — ^ 28.

fiir februar-Märr

sind die Bestellungen auf die „Heidelberger Zei-
t u n g" jetzt sofort beim Briefträger, beim Postamt oder
bei unseren Boten und Ageuten zu machen.

Die Post nimmt auch für den Monat Februar allein
Beftellungen an.

Die roteKrawatte des fächsischen Oberleyrcrs.

Plauen , 29. Januar. Vor dem Schöffeuge -
richt kam eine Privatklage des Religionslehrers
am hiesigen königlichen Realgymnasium, Oberlehrer Dr.
Weidauer gegen den Redakteur des hier erscheinenden
konservativen „Voigtl. Anzeigers" Leisner zur Verhand-
lung. Dem Prozest lag folgende Vorgeschichte zu Grunde:
Am letzten Sedantage, der im Köuigreich Sachfen
als Schulfeiertag festlich begangcn wird, erschien der fich
zur national-sozialen Partei rechnen>de Ober-
lehrer Dr. Weidauer mit einer blutroteu Kra -
watte angetan zu der Schulfeier, die in einem Garteu-
Etablissement unter Teilnahme des gesamtcn Lehrer-
kollegiums, der Schüler und deren Elteru und Anver-
wandten abgchalten wurde. Das Tragen des roten
Schlipses wurde als Demonstration aufgefaßt. Dr. Wei-
dauer war nicht zu bewegen, die Krawatte oder fich selbst
zu entfernen, er soll vielmehr kaltlächelnd sämtliche Gym-
na'siasten an fich haben vorüberdefilieren lasscn, wodurch
er den anwesenden Redakteur Leisner zu einer sehr ab-
sälligen Kritik seiues Verhaltens im „Voigtländifchen
Anzeiger" veranlaßte. In dcm Artikel wurde u. a. auf
die vielfachen Beziehungen der national-sozialen Partei
zur Sozialdemokratie verwiesen, wie sie in dem Uebertritt
berschiedener national-sozialer Mihrer zum Ausdruck ge-
kommen seien, und der Vermutung Ausdruck gegeben, daß
nun auch die Theologen an königlichen Bildungsanstalten
die Fortentwicklung vom Nationalsozialismus zur äußer-
sten Linken mitzumachen gedächten. Das Verhalten Wei-
dauers wurde als unwürdig und herausfordernd be-
zeichnet. Die Folge dieses Artikels war die Beleidigungs-
klage, welche Dr. Weidauer auf Veranlassung seincr vor-
gesetzten Behörde gegen den Redakteur Leisner erhoben
hatte. Nachdem durch die Zeugenvernehmung verschiede-
ver Plauener Bürger festgestellt worden war, daß man
on dem roten Schlips Anstoß genommen habe und daß die
Schüler dadurch zu abfälligen Bemerkungen herausge-
fordert worden seien, sprach das Gericht den an-
geklagten Redakteur frei, und zwar mit der B e -
g r ü n d u n g, daß der Privatkläger ein Aergernis ge-
gÄen hatte, das öffentlich zu kritisieren der beklagte Re-
dakteur durchaus ein Recht gehabt habe. Weidauer hätte
sich sagen müssen, daß das Tragen eines roten Schlipses
an einem nationalen Feiertage unpassend nnd nngehörig
sei und daß seine Zugehörigkeit zu einer erwiesenerinaßen
wit der Sozialdemokratie kokettierenden Partei der Mei-
nung Vorschnb leisten mußte, daß er eine Demonstration
bamit beabsichtige. Der Privatkläger sei ferner königlicher

Weamter und als solcher doppelt verpslichtet, in Bezug
aus seine Partetansichteu vvrsichtig und zurückhattend zn
sein, umsomehr, ats sa durch den Uebertritt zahlreicher
srüherer Parteigenossen dargetan erscheine, daß die n a -
t i o n a l s o z i a l e Partet eine Vorsrucht der
,Sozialdemokratie sei. 'Sein Nerhalten müsse
daher als unwürdig bezeichnet werdeu, und da der beklagte
Redakteur nichts weiter getan 'habe, als dies festzustellen,
so habe er freigesprochen werden müsseu. — Nach der
„Post" kam in der Begründuug des Urteils u. a. auch mit
zur Sprache, daß der Evang. Arbeitervereiu in Ptauen,
dem Oberlehrer Weidauer ebenfalls nahe stehe, bet der
Reichstagswahl die Unterstützung des Kartellkandidaten
sowohl, als auch des freisiunigen Kandidaten abgelehnt
und damit den Sozialdemokraten unterstützt habe. Wenn
die Mitglieder des genannten Vereins wirklich national
sein wollten, dann hätten sie unter allen Umständen einen
nationalen Kandidaten unterstützen müssen, denn hier habe
es den Kampf gegcn die Sozialdemokratie gegolten. (Wir
wollen das Urteil des'Plauener Gerichts nicht kritisieren;
es mag der Aufsassung, die man iu Sachsen von dem
Tragen einer roten Krawatte hat, entsprechen. Ju Baden
ist man glücklicherweise über solche Kleinigkeiten hinaus.
Die Sachsen sollten doch allmählich ebensoweit kommeu.
Uud für Preußen ist das gleiche zu wüuschen; auch dort
macht man aus der roten Fabbe umiötig ein Anfhebens.
Wenn z. B. eine Hcidelbergcr Schloßbeleuchtung in den
benachbarten Städtcn angekündigt wird, so dürfen die
für Franksurt bestimmten Plakate nicht auf rotem Papier
gcdruckt sein, denn sonst werden sie zurückgewiesen. An-
dere Orte nehmen solche roteu Plakate ruhig an und haben
unseres Wissens darob noch keinen Schaden gelitten.)

DeutsHes Neich.

— Me d e n t s ch - ö st e r r e i ch i s ch e n Handelsl-
vertragsverhandlungen dürften frühestens im März be-
ginnen.

— Bei der Stichwahl in Osnäbrück lag die Entschei-
dung in den Händen der etwa 5000 sozialdcmokratischen
Wähler; von ihnen scheinen über 3000 sür Wamhosf ge-
stimmt zu haben. Bei den früheren Stichwahlen haben
'sich die sozialdemokratischen Stimmen etwa zu gleichen
Teilen zwischen dem welfischen imd 5em nationalliberalen
Kandidaten geteilt; diesmal scheincn 'sie in überwiegender
Anzahl dem Nationalliberalen zngefallen zn sein; der
'Welfe v. Bar scheint der Mehrzahl 'der Genossen
doch allzu agrarisch gewesen zu sein. Die Zahl der na-
tionalliberalen Reichstagsabgeordneten ist durch die Wahl
Wamhosfs anf 51 gestiegen.

Badcn.

Karlsruhe, 2. Febr. Das heute ausgegebene
Bulletin über das Befinden 'des Finanzministers B u -
chenberger lautet: Temperatur 37, Allgemeinbefinden
leidlich.

— Seit 'Jnkrafttreten des R.e i ch s w e i n g e s e tz e s
vom 24. Mai 1901 sind im Großherzogtnm 'Baden in
verschivdenen Landesgegenden und Orten mchrsach K o n-

trolIen vorgenommen worden, deren Ergebnis - mit
wcnigen Ausnahmen — zu wesentlichen Beanstandnngen
keinen Anlaß bot. Die Kontrollen werden sortgesetzt.

— Die in Radolfzell erscheineude „Freie Stimme",
der inan Beziehungen zu badischen Zeutrumsabgeordneten
nachsagt, bringt die überraschende Nachricht, man munkle
auf Politischen Hmtertreppen, daß Minister v. Brauer
uicht mebr konime und daß Zolldircktor Seubert das
Finauzmiuisterium überuehmen werde.

Ladenb u r g, 2. Febr. Eine Konferenz der s o -
z i a l d e m o k r a t i s ch e n Delegierten des 11. 'badischen
Reichstagswahlkreises nahni gestern auf Antrag des De-
legierten Bosch-Mannheim folgende Resotulion an: „Die
heutige Koufereuz des 11. bad. ReichstagSwahikreises be -
dauert die Vorgänge im Schwetzinger-Läümburgcr
Landtagswahlkreise bei der am 11. November stallgesun-
denen Abgeordnetenwähl. Die Konferenz häit es als
Pfticht unserer Wahlmämier in diesem Kreise, bei der
deninächst stattfindenden Ersatzwahl sür die kafsierle Wahl
des Abgeordneten Clauß bei der endgiltigen Entscheidung
dem lctztjährigen Beschluß des badischeu Parteitages ge-
mäß geschlossen für deu von der d e ni o k r a t i s ch e n
Partei ansgestellten Kandidaten zu stimmen." Die An-
nahme erfolgte, wie >wir der „Volksstimme" entnehnien,
erst nach einer ziemlich erregten 'D e b a t t e. Le'b-
hafte Vorwürse wnrden den Schwetzinger Genossen auch
deshalb gemacht, weil sie bei 'der Reichstagswahl über-
mäßig viel Geld ausgegeben hätten, ohne cinen Ersolg
erzielt zu häben.

Daycrn.

— Der jungliberale Verein in Würz-
burg ersuchte die nationalliberale Fraktion, für das
neue Landtagswahlgesetz einzutreten, salls die Forderung
der relativen Stimmenmehrheit bei der Hauptwahl sallen
gelassen wird. Er begründere diesen Beschluß mit dem
Hinweis darauf, daß, wenn auch der ueue Entwurf ver-
schiedene Mängel aufweise, z. B. in Bezug auf die Wahl-
'kreiseinteilung, die Benachteiligung der städtischen im
Vergleich zu der ländlichen Bevölkerung, diesen noch be-
stehenden Difserenzpnnkten nicht die Bedentung beige-
messen werdeu könne, um das Gesetz um ihretivilleu zn
Fall zu bringeri. Der geschäftssührcnde Ausschuß der
Partei ist jedoch der Ansicht, daß der Wahlgesetzentlviirf
sür jeden libcraleii Wähler unannehmLar ist, weun nicht
außer der Beseitiguug der relativen Mehrheit bei der
Hauptwahl auch die Aenderung der Wa h'l k r e i s-
einteiIung erreicht werden kann.

Preußen.

— Interessante statistische Erhebuugcu siud dieser
Tage iu sämtlichen höheren Lehranstalten Berlins ange-
stellt wordeu. Auf Grund einer Ministerialverfügung
soll, um Feststellungen über die Fähigkeiten der Schüler
iu höheren Lchranstalteu zu gewinuen, ermittelt werden,
wteviel Kinder N a ch h i I f e st u n d e n erhalten. Bei
der Feststellung soll auch gleichzeitig Material darüber ge-
woniien werden, inwieweit augestellte Lehrer Nachhilfe-
stunden ertcilen. Die Fragestelluug geht auch dahin, ob
die Kinder wegen schlechter Fassungsgabe, wegen vorher-

Das Patyologische in der Kunst.

(Vortrag im Hebbelvcrcin.)

Heidclberg, 3. Febr.

Das Thema des Vortrages, wclchen Herr Dr. Hellpach
"vr einer zahlreichen, dankbaren Zuhörerschast hielt, lautete:
^>ie Berechtigung des Pathologischen in der
^ un st". Ein Typus eines modernen Künstlers ist Hebbel.
sagt eimnal: Jm Winter sieht man seinen eigcnen Odem.
stcht der neue Künstler aufs schärfste jede Regung seiner
selbst dic leiseste, ins Auge, er übcrsteht sclbst dic kranl-
^often nicht. Es scheint, als ivenn wir, seit 1850 in einer in-
"vndualistischen Epoche lebend, das Pathologische sür die Kunst
^Üdeckt hütten, in Wahrheit ist das Krankhaftc seit jeher zum
t^sienstand der Darstcllung gemacht worden. Goethe hat dem
^kunstler das Recht zugesprochen, das Kranke darzustcllen, wenn
^r es nur zu adeln wisse. Teszlcichen hat Virchow ausge-
wrochen, daß das Pathologische unbedingtcs Recht in der
s'Unst hahx. Der Redncr gibt nun eine Zusammenstollung
pathologischen Momenten in den Künften, beginnend mit
rin Vorkommen von Krankheitsschilderungen in der Litera-
'jr- Exakt pathologische Schilderungen ge'hören der Natur-
^ülenschaft. nicht der Kunst an. Das Krankc wird in dcr
^unst lediglich geschildert, damit es dem Gesunden zur Folie
"scne. Oder Krante werden eingeführt, damit die Gesunden
Tugenden an ihnen entsalten. Oder man slicht eine
^rankheitsschilderung^ zu cinem spezifisch künstlcrischcn Zwecke
'si- um eine großc stimmung zu geben. Der Redner kommt
xsit Nordaus Buch „Entvrtung" und aus Möbius zu sprechen.
W der nrodcrnen Landschaft sind ost intcnsive Tepressionszu-
in^^ ausgedrückl. Als Beispiel sür das spezifisch Moderne
dns pathologischen Malerei wird Fidus ausgezeichnet. Um
s Pathologische der modernen Lyrik in einem Typus auszu-
"^gen, wte ein aus Antholozien bekanntes Gedicht von Dör-

mann und ein Stimmungsbil'd von Ernst Schur zitiert. Die
bis zum Krankhaften gesteigerte Selbstzerfaserung der eigenen
Psyche ist der Jnhalt der modernen Lhrik. Hier nermt merk-
würdiger Weise der Vortragende Stephan George und Arno
Holz. Bei der Besprechung dcS Pathologischen im Drama be-
gnügt sich der Nedner nnt der Behandlung des Oswald Alving
und des Fuhrmannes Henschel. Nachdcm er geäußert, Goethe
habe der Sinu für die soziale Determination gefehlt, stellt der
Redner Race, Sphaere und Zeitpunkt als determinierende Mo-
mente des Menschen auf und kommt auf die neue Schicksals-
idce zu sprechen. Am Schluß äußert er sich sreimütig über den
Gegcnsatz, der in der Gegenivart besteht zwischen der akademi-
schen, protegierten, amtlich ancrkanriten Kunst und der freien,
kämpscnden, um Anerkcnnuug ringenden Persönlichkeitskunst.
Die komplizierten Darlegunzen des Redners fandeu reichen
Beifall.

Kleine Zeitung.

— Darmstadt, 2. Febr. ('Frankf. Ztg.) Der Ver-
giftungsfall in der Kochschule des Alicefranenver-
eins 'hat heute das zehnteOPfer gefordert. Jn den
Morgenstunden ist der 35jährige Sohn der Rechtsanwalts-
witwe Heumann, der hier ohne Beruf ansässig war, ge-
storben. Das in Privatpflege bcfindliche Fräulein Schleu-
ning und zwei der im Elisa-bethenstift untergebrachten
Gemeindeschwestern sind noch nicht anßer Lebensgefahr.
Das Befinden der dritten Schwester gibt Hoffnung auf
Besserung. Frau Bernius ist aus dem Krankenhause ent-
lassen worden.

— Snttglirß 2. Febr. Geheimrat Dr. Eduarb Z e l-
l e r hat ein D a n k s ch r c i b e n ausgegeben an alle, die

i'hn an der 90. Wiederkehr seines Geburtstages mit so vie-
len Beweisen freundlicher Teilnahme crfrent haben 'Dr.
Zeller sührt in dem Dankschreiben u. a. aus: „Je länger
ein Menschenleben dauxrt, nmso dichter drängt sich beim
Rückblick auf dasselbe dic Schar der äbgeschiedenen Frennde
an uns mit der Frage heran, warum wir immer noch
zögern, uns ihnen zuzugesellen. Umso wohltuender ^be-
rührt uns aber auch alles, was uns zu dem Glauben be-
rechtigt, daß ein Dasein, dessen bester nnd größter Teil
der Vergangenheit angehört, doch anch für den jetzt Le-
benden und viclleicht auch noch für spätere Geschlechter
nicht ohne Wert sei. Diescn G'laichen konnte nichts in
erfreulicherer Weise in mir bestärken, als die Einmütigkeit,
mit der so viele Stimmen sich vcreinigten, nni durch bie
Aeußerung des Wohlwolleiis nnd der Teilnahme den
Tag zu verschönern, dem es neben den frohen auch nicht
nn tief schnierzlichen Erinnernngcn und ernsten Augen-
blicken fehlt."

— Bcyerlcin's Erfolge. Ueber den buchhändlerischen
und theatralischen -Erfolg der Werke Franz Adam Beyer-
lein's wird gcschrieben: Der Roman „Jena oder Sedan"
hatte einen Erfolg ohnegleichen. Von der ersten, teueren
Ausgabe wurden 16 000, von der billigen Volksausgabe
bisher 128 000 Exemplare abgesetzt. Der dafür einge-
nommene Betrag beläuft sich auf etwa 450 000 Mk.,
wovon auf ben Verfasser etwa 70 000 Mk. entfallen. An
Tantiemen für ben „Zapfenstreich" dürsten Beyerlein etwa
50 000 Mk. zufließen. Beyerlein ist von Haus aus wvhl-
habeud, lebt aber in Leipzig bescheiden wie bisher weiter.

Die heutige Nummer umsaht drei Blätter, zusammeu 12 Seiten.
 
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