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Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Januar bis Juni)

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Nr. 126-150 (1. Juni 1904 - 30. Juni 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14240#1299

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an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstellen. Fernsprecher M.

Erstes Blatt.

46.

HU146.

L»Wtlg, 25. z«j lSlil.

Badischer Landtag.

(111. Sitzung d e r Z w ei t e n K a m ni e r.)

KarI s r u h e, 24. Juni. Präsident Tr. Gönner
bröffnet die Sitzung um 9Z4 Wr. Eingegangen ist ein
Ällerhöchstes Kommissorium, die W a h l k r e i s e i n t e i-
^ U n g Letr. Aus dieser Vorlage betr. die Wahlkreis-
Änteilung ist zu schlietzen, datz die Regierung die Hoffnung
^us Zustandekommen der Wählreform noch nicht aufge-
lleben hat. Die Beratung über das Kultusbudget
llnd die O r d e ns n i e d e r I a s s u n g e n wird sort-
Sch'etzr.

Abg. Muser ldem.) wendet sich gegcn die Ausführungen
„Heidetberger Zeitung" und des „N. M. Volksbl.". Jm
fAegensatz zum Heidelberger Blatt, das den Demokraten die
^chuld an der Zulassung der Klöster zuweist, nenne ihn das
'Nannheimer Volksblatt einen Kulturkämpfer. Wenn das Kul-
sUrkampf sei, was er verfechte, dann nenne er sich gerne Kul-
sUrkämpfer. Für Erpektorationen der Presse können selbstver-
Uäridlich die Parteien nicht verantwortlich gemacht werden. Et-
uurs anderes aber ist es, wenn von offizieller Seite die Zivilehe
uss Konkubinat bezeichnet wird. Das Zentrum wird wöhl selbst
sse plumpen Wahlmanöver der klerikalen Presse, insbesondere
bekannte Auslassung des Monikakalendcrs verurteilen. Red-
"er polcmisiert dann gegen Hennig und stellt auf GruNd zahl-
^eicher Zitate fest, daß der Moralunterricht einem Religions-
Unterricht vorzuziehen ist, der sich auf jesuitischer Moral auf-
Uaut. Gegennber Zehnter, der die Bezeichnung dcr Ehe als
^onkubinat nur in theologischem Sinn auffassen möchte, ist zu
^tonen, datz nicht nur Heiner, sondcrn sogar der Papst die
owilehe ein Konkubinat genannt hat. (Zehnter unterbricht
rfu Redner heftig und vcrlätzt dann entrüstet den Saal.) Das
Ut nicht blotz eine Verwirrung der Gedankcn, sondern auch der
^tttlichkeitsbegriffe. (Sehr richtigl) Welches Unheil wird da-
,Urch m der Kinderwelt angerichtet. Die Einrichtungen der
mtholischen Kirche sind geschützt, die des Staates aber dürfen
(sugestraft heruntergerissen werden. Entweder muß der § 166
^-St.-G.-B. abgeschafft oder entsprechend ergänzt werden. Das
^utrum hat auch gar keinen Grund, sich über die Forderung
»uch Trennung von Staat und Kirche zu entrüsten. Denn schon
smndthorst, Lender, Baumstark und andere hervorragende Ka-
doliken haben sich schon dafür ausgesproclMN. Ja, im Jahre
hat sogar ein WahlprograMm des Badischen Zentrums
vollständige Trennung von Staat und Kirche gefordert.
?Hort, hört!)

Äbg. Rohrhurst (natl.): Wie sehr sich die konfessionellen
^egensätze gesteigert haben, geht am hesten daraus hervor, datz
n weiten Kreisen der Gedanke ernstlich erwogsn wird, eine
iiswgelische Partei zu gründen, was ich sehr bedauern würde.
- 7 wird hüben und drüben gefehlt. Unsere evangelischen Be-
A>rden .....

«nd

vermeiden äber verletzcnde Aeutzerungen, was auf der
'eren Seite nicht der Fall ist. Viel mehr als Preßäutzerun-

^n stört den konfessionellen Frieden der Kleinkrieg, der in
g?rUätischen Gemeinden bei Geburten, Hochzeiten und am
rabe geführt wird.' Sollten wir den Frieden erreichen, dann
unsere Geistlichen wieder etwas von altem Geiste des
Pgenseitigen Verstehens sich aneignen. Dann hört der konses-
^Nelle Hader von selbst auf. Soweit ich die Stimmung in mei-
eT Partei kenne, bestcht auf keiner Seite die Neigung, den
Kv"Urkampf wieder auszunehmen. Wir wollen der katholischen
,'rche keine Rechte und Einrichtungen nehmen. Unsere Stel-
^^8 zur Ordensfrage stützt sich auf wohlerwogenc Gründe.
H0s Bild, das wir vom Jesuitenorden haben, ist ein ganz an-
als es Hennig vorgezeichnet hät. Vortisch scheint von dem
ausgegangen zu sein: „Die Kirche hat einen gnten Magen,
auch unrecht staatlich Gut vertragen." Die evangelische
^che würde in die grötzte Verlegenheit kommen, wenn ihr die
Beihilfe entzogen würde. Gegenüber den Muser'schen

Aussührungen ist darauf hinzuweisen, datz erst kürzlich ein her-
vorragender Pädagoge in der „Bad. Schulztg." die Errichtnng
konfessionsloser Schulen cincr Katastrophe im Schulwesen gleich-
gestellt hat.

Abg. Hergt (Ztr.) hält den Landtag ntcht für Len ricki-
tigen Platz für Religionsgespräche und den Abg. Mnser nicht
für den richtigcn Religionslehrer. Es ist einfach nicht lvahr,
datz die Katholiken bei der Eheschlietzung zu heucheln genötigt
wcrden. Jch protestiere gegcn dicse Behauptung im Namen der
Katholiken Offenburgs, dcnen es nun nicht mehr möglich ist,
Muser in den Landtag zu wählen. (Bravol im Zentrum.)

Nach weitercn Aussührungen des Abg. Hennig (Ztr.)
wcist Vortisch (freis.) die Angriffe Fehrenbachs schneidig
zurück. Der hochmütige Ton, den Fehrenbach angeschlagen,
sollte den kleinen Parteicn zeigen, was ihnen bevorstcht, wenn
das Zentrum auch nur die relative Mehrheii im Hanfe bekom-
men würde. (Sehr richtigl bei den Nationalliberalen). Damit
schlietzt die allgemeine Beratung.

Jn seinem Schlutzwort führt Abg. Fehrenbach (Ztr.)
ans, datz nunmehr die Klosterfrage zur Entschcidung reif ist.
Hoffentlich lätzt sich die Regierung durch die Drohung (!)
(der „Bad. Ldsztg."), datz cin neuer Sturm losbrechen werde,
nicht bcirren. Jedenfalls würde dann das katholische Volk die
Antwort nicht schuldig blcibcn. (Bravol im Zentrum.)

Berichtcrstatter Obkirchcr (natl.) betont, datz von der
nationalliberalen Partei mit keinem Wort eine derarti-ge An-
deutung gemacht wurde. (Rufe: „Landeszeitung"). Das ist
die Mcinung des betr. Artikelschreibers. Die lange Debatte
hat Lie wünschenswerte Klärung gebracht. Das Volk weitz jetzt,
woran es mit den Parteien und der Regierung ist.

Nach persönlichen Bemcrkungen des Abg. Dr. Wilckens
(natl.), (der nochmals konstatiert, datz zwischen ihm und Ob-
kircher in der Klosterfrage keine Meinnngsberschiedenheit be-
stehe und dah dte Nachgicbigkeit der Regierung in dicser Frage
-auf i'hre Bezie'hungen zu der nationalliberalen Partei nicht
ohne Einflutz bleiben werde), des Abg. Muser (dem.), (der
gcgen die Jnsinuationen Hergt's protestiert), der Abgg. Vor-
tisch (freis.) nnd Hergt (Ztr.) tritt das Hans in die Sp e -
zialberatung ein.

Abg. Heimburger (dem.) erklärt, datz die demokratische
Partei, wie früher, gegen allc Anforderungen stimmen werde,
die nicht anf ciner Rechtspflicht des Staates beruhen.

Abg- Eichhorn (Soz.): Die soz. Fraktion wird gegen
jede einzelne Position nnd gegen das ganze Kultusbudget stim-
mcn.

Abg. Mampel (Ant.): Jch Iverde gegen die Ayforderung
für den israelitischen Kultus stimmen und konstatiere gleichzei-
tig, daß ich nicht allein stehe, da voraussichtlich auch ein jü-
disches Mitglied dieses Haüses, Abg. Sützkind, dagegen
stimmen wird. (Grohe Heiterkeit.)

Die einzelnen Positionen werden darauf mit großer Majori-
tät angenommen.

Gegen die Anfordcrungen für die Erzbisch. Fonds stimmen
autzer den Sozialdemokraten, Freisinnigen und Demokraten
auch die nationalliberalcn AbgeordGeten Binz, Dreher, Dr.
Schneider-Lahr und Obkircher.

Abg. Hergt (Ztr.) berichtet sodann über den Budget-
Nachtrag betr. die Rheinbrücke Rheinheim-Zurzach und emp-
fiehlt namens der KoMmission Genehmigung der Anforderung,
die nach längeren Ausführungen der ALgg. Kriechle (natl.) und
Blümel (Ztr.) einstimmig erfolgt.

Um A.1 Uhr wird die Beratung abgebrochen.

Fortsetzung: Nachmittags 5 Uhr, Tagesordnung: Eisenbahn-
schuldentilgungskasse und Steuererhöhung.

112. sitziing der Zweiten K a m m e r.

Karlsru 'he, 24. Juni. Präsident Dr. Gönner
eröffnet die Sitznng um ö llhr. Zur Beratung steht das
Budget der E i s e n b a h n s ch u l d en t i I g u n g s -
kasse und der Gesetzentwurs !betr. die Erhöhung

der Ka p i ta lr e n t e n - u. E i n k o m m e n st e u e r
fnr die Jahre 1904 und 1906.

Berichterstattcr Gietzler (Ztr.), aus dcssen gedrucktem
Bericht wir bereits das Wesentliche mitgeteilt haben, stellt na-
mcns der Budgetkömmission den Antrag, die Vorlage unverän-
dert anzunehmen.

Abg. Dr. Wilckens (natl.): Der Gcdanke einer Steuer-
erhöhung ist selbsiverständlich nicht populär und jede Volksver-
tretung wird nur nngern an ihn herantreten. Wir haben nns
indessen von der Notwendigkeit der Steuererhöhung überzeugt.
Wir dürfen in der gegenwärtigen Zeit nicht alle Reserve auf-
brauchen.^da sonst dic Aufstellung des nächsten Budgets mit den
größten Schwierigkeiten verknüpst und den Beamten damit ein
schlcchter Dienst geleistet wäre. Einer Sistierung des Zuschus-
ses an die Eisenbahnschuldentilgungskaffe stehen ernste Bedenken
gegenüber. Die Eisenbahnschuld ist ständig im Wachsen begrif-
fcn und dürfte in wenigen Jahren eincn Stand von 600 Mill.
erreichcn. Unter solchen Umständen halien wir die Einstellung
des Zuschusses nicht fiir ratsam. Von der Ausnahme eines
Anlehens könnte nur in ganz Lringenden Fällen und auf kurze
Zeit die Rede sein. Jch kann somit namens meiner politischen
Freunde nur erklären, daß wir der Steucrerhöhung unfere Zu-
stimmung erteilen werden.

Abg. Eichhorn (Soz.) erklärt sich namens der sozialde--
mokratischen Fraktion gegen die Steuererhöhung. So schlimin
stehen unsere Finanzen nicht, daß eine solche Matzregel aibsolut
notwendig ist. Die Gefahr ist bei einer Schuldenaufncchme
durchaus nicht grötz, wenn nur die richtige Mitte eingehalten
wird. Wenn für Kulturzjvecke z. B. für das Schulwesen eine
vorübergchcnde Anleihe aufgenommen würde, so könnte man
noch nicht von der Jnaugurierung einer Schuldenwirtschast re-
den. Auch üie Jrrenanstalt in Wiesloch und das Kollegienge-
bäudc in Freiburg hätten mit Anlehensmittcln erstellt werden
können. Äuf -der anderen Seite lietzen sich die Einnahmen
steigern durch eine Tarifreform und bessere Ausnützung unserer
Domänen. Vor einer Steuererhöhung an sich schrecken wir nicht
zurück, wenn nur die Staatsgelder richtig verwendet würden.

Wg. Frühauf (freis.): Man sollte zum mindesten die
Crgebnisse der neuen Stenereinschätzung äbwarten und nötigen-
falls die Amortisationskasse herauzie-hen, ehe man zur Steuer-
erhöhung schreitet.. Unser Defizit rührt daher, datz ungehenre
Sitmmen aus laufenden Mitteln für Bauzwecke aufgewendet
wurden. Wir haben in den letzten 10 Jahren ausgegeben: für
Gefängniffe 514 Mill. Mark, für Hochschulbauten 7,8 Mill., für
Bezirksamtsgebäüde 3,8 -Mill., für Jrrenanstalten 3,2 Mikl.,
für das Crbgrotzh. Palais 1 700 000 Mk., sür Bezirksforstge-
bäude 1 Mill., für das Heidclberger Schlotz über 1 Million Mk.
usw. Derartige Bauten gehören nicht zn den regelmätzigen.
Unsere Väter hätten jedcnfalls die Zumutung — in 10 Jcrhren
65 Millionen — energisch zurückgewiesen. Rechnerisch besteht
das Defizit, de facto aber steckt es in diesen Bauten. Jm glei-
chen Zeitraum hat sich unsere Eisenbahnschnld nur von 329 auf
410 Millionen vermehrt. Selbst wenn diese auf 500 Mill.
anwächst, kann unsere Finanzlage zur Besorgnis kcinen Anlatz
geben; denn unser Bahnnetz ist über 800 Millionen Mark wert
und wirft direkt und indirekt eine zulängliche Rente ab. Jn 10
Jahren aus einem kleinen Volk 65 Millioncn Mark herauszu-
ziehen und sie in Steinhäufen festlegen, ist nicht die richtige Fi-
nanzpolitik, Wenn der Voranschlag nicht richtig anfgestellt und
ein wirkliches Defizit eingetreten wäre, dann lietze sich nichts ge-
gen die Steuererhöhung einwenden. Es haben aber im Jahre
1903 die Eisenbahnen 4 Millionen Mark mehr eingebracht und
das laufendc Jahr verspricht noch gnnstiger zn werden. Nnter
solchen Umstän-dcn mutz der Vorschlag, der nichts anderes ist„
als ein Vorschutz aus die Steuerresorm, einen kläglichen Eir^-
druck machen, zumal er nicht einmal sämtliche Steuerzahler
trifft und dazu noch einen agrarischen Beigeschmack hat. So
lange die Regiernng uns nicht sagt, zu was die Mittel vcrwen-
det werden sollen, können wir nichts bewilligen. Jns Blaue hin-
cin erhöhen wir die Steuer nicht.

Finanzminister Becker gibt seiner Befriedigung darnber
Ausdruck, datz die beiden grotzen Parteien dcr Steuererhöhung

Münchener Ausstellungen.

(Nachdruck verboten.)
II.

JÄhrcs-Ausstellung im Glaspalast.

München, 15. Juni.

de/ ^ vicht im entferntesten möglich, die hervorragenden Werke
r, ^ eigener Jury ausstellenden -Gruppen: d!e Münche-
^adi ^nristlervereinigung „Scholle", -er Verein für Original-
München. der Bund zeichnender Künstler 'in
ejn ^chen, der Münchener Aquarellistenverein, der Ver-
i>ie s srliner Künstler, die vereinigten Klubs Berlin,
Vereinignng der Graphiker zu Berlin, dic freie

f e /^8ung Düsseldorfer Mnstler, die Düsseldor
r N z^B'tlerverrinigung 1899, die Kunstgenossenschaft K a r l s-
' Stuttgarter Kunstgenossenschaft, die freie
Württembergi''

. e ,

< ^inignng Württembergischer Künstler, die

chig - Holsteinische Knnstgenossenschaft, die

gojy^liigmg St. LucaK" in Amsterdam, die Glas-
Nntz .7 Group, die „Society of Scottish Artists, Edinburg"
Gruppe Jtalienischer Künstler (mit den im vorigen
.^^3 besprochenen Korporationen Münchener Künstler-
^NIs "iEaft und Luitpoldgruppe, insgesamt 20 Vereinigun-
hinq^??.ch nur aufzuzählen. Es kann also nur auf Einzelnes
estt^^0en werden, was dem flüchtigen Beschauer vielleicht
t>e>, nnd der Gesamteindruck wiederzugeben versucht wer-

diünchener „Scholle" wird wohl keinem Besucher des
M is ^asteZ „entgehen". Sie drängt sich vielmehr aus. durch

Bilder, dnrch dic Kühnheit der
, ^br Mache. Man darf wohl annehmen, datz der
Pistst „^Btler zwischen Staunen und Kopfschütteln abwechselt,
diesen Sachen steht. Diese Wucht, Derbheit, Ma-
^Biiiiri^^ nnd tabekhafte Geschicklichkeit, dieses Wagen nnd
sinden wir in ganz Dentfchland nur bei der
- es ist das kraftvolle lle-berschänmen der Jugendl

Während wir sonst cinen sehr achtungswerten Durchschnitt, ein
talentvolles, abgeklärtes Können, ein Wandeln in mehr oder
weniger selbstverständlichen Bahnen feststellen und anerkennen
müffen, ist hier alles anders: andere Probleme, vielleicht gar
keine, andere Lösnngen — vielleicht auch keine. Es ist alles
durcheinander gewarfen, Regeln und Ausnahmen, triviale Rea-
listik und unwirkliche Vergangenheitsschwärmerei; die unmög-
lichsten Dinge verschaffcn sich nebeneinander Geltung, und es ist
kaum abzusehen, was daraus noch werden soll. Man denkt
an Nietzsche's Wort: „Jch sage Euch, man muh noch Chaos in
sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können," Die
Beschäftigung mit der Jllustration, die Erfahrungcn, welche aus
dcn Forderungen des Farbendrucks hervorgehen, haben bei den
Künstlern der „Scholle" jene Eigenart gezeitigt, ivelche mehr
auf Vereinfachung und Vergrötzerung, als auf Details nnd
Vertiefung hinaus läuft, Hier heiht es aber, vorsichtig mit
dcm Urteil sein; denn in den meisten dieser Bilder steckt soviel
Talent und Kraft, dasz cine Generation davon zehren kann.
Fritz Erler's „Sonnenwende" mit den waghalsigsten Hell-,
Dunkel- und Bewegungsproblcmen, mehr dekorativ als inner-
lich, ebenso wie sein „Karnevalsbildnis", -as in entzückendem
Grau und Getb Blumen und Akt zusammenstellt; Erler-
Samaden's bunte, halb humorvollen, halb träumerischen
Darstellungen aus der Biedcrmeierzeit; Reinhold Eichler's
merkwnrdige Herbststimmung, betitelt „Melancholie des Herb-
stes", cine Symphonie in rauschendem Gelb, Gold und Pur-
pur; Wilh. Voigts „Malerin", in Zeichnung u, Farbe, Vertei-
lung u. Bcwegung eines der elegantesten u. ausgeglichensten Bild-
niffe der ganzen Ansstellung; Gust. Bechlers Hochgebirgsbilder
mit der grotzartigen kalten Luft, die in ihrer Klarheit alle
tlebergänge auslöscht; Walter Püttner mit seinen pikanten
Maskenscherzen, in denen die unglaublichsten mälerischen Preis-
fragen gleichsam aus dem Stegreif gelöst sind; Leo Putz' Pick-
nick, Walter Georgi's Leonhardifahrt, die schon durch ihr
Format ein erstaunlichcs Mah von Energie nnd Fleitz be-
tundet, allcrdings in einer Distanz von etwa drei Sälen be-
trachtet werden mutz, dann aber geradezn verblüffend wirkt;

ganz besonders aber Adolf Münzer ' s Karnevals-Dienstag»
vielleicht das geschmack- und talentvollste Werk der „Scholle";
nnd dann von jedem dieser Einzelnen eine Reihe intereffanter
Zeichnungen, Studicn, Lithographien —: ist das nicht eine
Fahresernte, welche Bewunderung abnötigt? Hier, in dieser Jn-
gend liegt Münchens Zukunft als KunMadt, hier auch die Ge-
währ, datz es mit seinem „Nie-dergang" noch gute Weile hat.

Nach diesem unvergleichlichen Eindruck wirken die ganz in
,der Nähe untergebrachten Berliner sehr ruhig und ausgeglichen.
Man ist nicht einmal sehr erstaunt Lber das grotze Bild von
Julius Wentscher „Samländische Ostseeküite", wo die her-
vorstechende grotcske Silhouette die feinc Tönung des Wasiers
etwas zu sehr in den Hintergrund drängt. Fn den drei Sä-
len, welche von den drei Berliner Gruppen belegt sind, ist eine
verhältnismätzig grotze Anzahl von hervorragenden, tüchtigen
Arbeiten untergebracht. Feine Jnterieurs, eines toniger und
malerischcr, als das andere, jedes anf cinen bestimmten Farb-
klang abgestimmt, mit erfreulicher Flottheit und Sicherheit
heruntergemalt, bringt August von Brandis. Das entzückendste
davon ist „Grohmuttcr's Heim", eine Lithographie in Silber-
graugrün und Mahagonirot, die aber nicht in Saal 51, wo die
Oelbilder von Brandis, sondern in Saal 55 in der Vereinignng
Berliner Graphiker ausgestellt ist, Unter einigen sehr reiz-
vollen Seestücken wirkt „Eine Welle" von Theodor Elfert
besonders groh; das „Kornfeld" von Konrad Fehr, die „Li-
lien" von Klara Gumpertz, die wundervollen „Marinen"
von Willy Hammacher, dcr immer gröhcr und ruhiger
wird, die grau-gelbe „Abcndstimmung" von Hans Herr-
mann, Kayser - Eichbergs abgetöntes Bild „Nach
dem Regcn", die drei gleich guten Landschaften von Hans
Klohtz, die grotz aufgefatzten heroischen Eifcllanidschaften
oon Konrad Lessing, wie anch das den Heidelbergern be-
kanntc holländische Fnterienr von Heinr, Lessing , dcr pracht-
voll gcmalte Akt von Müllcr - schoeneseld, sie alle
beweiscn ein ebenso -hohes Matz an Können, wie sic dem Ge-
schm-ack des kaufenden Publikums entgcgenkommen, ohne den
! künstlerischen Grundsätzen untrcn zn wcrden. Die Bildnisse

Die hemige Nummer umfaßt drei Blütter, zusammerr 12 Seite«.
 
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