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Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Januar bis Juni)

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Nr. 102-125 (2. Mai 1904 - 31. Mai 1904)
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Freitllg, 20. Mi 1004.

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46» MrgMH. — -N 117.

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A»ch«»»», 1»

PrM «8 FamilienblLttern monatlich öv Pfg. in's Haus gebracht, bei ber Expebition nnd de« Zweigstationen abgeholt 40 Pfg. Dmech dte Wcht

bqogen viertrljährlich 1,W Mk. auSschließlich Zustellgebühr.

Sl> Wg. M die IftmWße Hrttcheil« »d« d««l Raum. Rrklamezeile 40 Pfg. Für htestge GeschäftS- und Privatanzeige« ermäßigt. — Fik die Aufmchme «««
wtrd leine Berantwortlichkeit übeniomme«. — Anschlag der Jnserate auf den Plackattafcln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstellen. Fernsprecher 8>.

Jst ein Kanzlerwechsel in Sicht?

Jm Herrenhause haben die Konscrvativen üen Reichs-
tanzler Grasen BüIo w kalt angehaucht, und man spricht
4eute mehr oder minder bestimmt davon, daß die S t e l -
^ u n g des 5lanzlers erschiittert sei. So schreibt
Organ des Bunües üei' Lanüwirtc, die ,/Deutscl)e
"Vageszeitung":

Die konservative Partei erachte üen Zeitpunkt der
'.lvirtschaftlickM Opposition" gegen die jetzige Regierung
lür gekommen. Die preußischen Konservativen hätten
^enr Grafen Bülow in unMeideutiger Weise ihre Unter-
iüitzuug versagt und ihm üie 'Iehde angekündigt. „Mit
^er berühmten mittleren Linie d-es Grafen Bülow" —
ichreibt sie wörtlich — „ist es nichts mehr, er muß Farbe
Elekennen .... Denn wenu Graf Milow etwa aus üer
chdirte, in der er sich zu befinden glaubt, nach links rücken
chürüe, so würde er kein Preußischer Staatsmann mehr
lÄn können, da die Linke ihm keinen 'Halt bieten kann
kud auch das Zentrimi . . . ihu in der hinzügernden Be-
^ondkung der Handelsverträge völlig im Stich lassen
würde."

Ausführlicher schildert eiu Parlamentarier im „Fräu-
Eischen Konrier" die kritische Sitnation. Zunächst wivd
^on ihm hervorge'hoben, daß es dem Kanzler bisher nicht
Nelungen ist, eine Vertagung des Reichstages zu erwirken:

„Jnnerhalb des Reichstages besteht über die Rot-
ivendigkeit der Pertagung keinerlei Meinungsverschie-

- denheit, und ebenso wie Graf Ballestrem teilt auch

- Gras Bulow diese Ausicht. Aber au eutscheidender
Stelle ist Graf Biilow mit einein dessallsigen Nuti'ag

' nicht durchgedrungen. 'Ob es ihm nach der Rückkehr
' des Kaisers gelingen wird, durch mündliche Borstellun-
Sen eine andere Eutscheidung herbeizusühren, steht sehr
dahin. Terart ist sür den Reichstag kein bestimmter
Geschäftsplan möglich, was aus die Präsenz der diä-
tenlosen Körperschaft im Juni noch besonders nachteilig
wirken mutz. Tiäten vder Anweseuheitsgelder will
allerdiugs der Äanzler auch einführeu, aber es ist ihm
^ bisher uicht möglich gewesen, seine Ansicht zur Geltung
Zu bringen."

Des weiteren beschästigt sich dcr Artikelschreiber nnt
Augriffen, die aus dem Herrenhause gegen den
MNzler gerichtet wurden. Es komme dabei nicht in Be-
^acht, was die Grasen Mirhach oder Kanitz vovbringen,
"stto mehr vber, daß der Hausniinister v. WedelI sich
an den Erörterungen im Herrenhaüse beteiligt, unD
daß ver Frerherr v. Manteuffel bei Hofe persona
äratisstma, im Herreuhause die Spitze genommen hat in
Angriffen auf den Kanzler. Freiherr von Manteuf-
ist sonst gerade dcr Vermittler zwischen der Regierung
üitd- der konservativen Partei. Jndem diese Herren die
ZNzusrieüenheit in ländlichen Kveisen schilderten, wollten
be 5^ anderwärts bestehenden Unzufriedenheit nüt den
^uständcn, wie sie sich nnter dem Kanzler herausgebildet
vaben, einen desto stärkeren Widerhall geben. Zu diesen
^ustigen Zuständen wird üas gewaltige Anwachsen der
^ozialdemokratie sowie üie zollpolitische Ilnstcherheit ge-
^chnet. Dann heißt es weiter:

Kleine Zeitung.

^ . — Hochschulnachrichtcn. Der Oberlehrer am Königin Ka-
la-Ghmnasmm in Leipzig, Dr. Lipps, habilitierte
der dortigen Universität als Privatdozent für Philosophie.
Zpbs wirkte bis Ostcrn 1602 an der Oberrealschule zu Stratz-
— Der Privatdozent an der städtischen Handelshoch-
in Köln , Eugen Schmalenbach , ist zum Dozenten
Zs Handelstechnik, insbcsondere für kaufmännisches Rechnen
iw?st ernannt wordcn. — Der Profcssor an der Hebcnnmen-
^ /Ule in Würzburg, Privatdozent Dr. Wilhelm Nieber -
> su g , ist auf sein Ansnchen in dcn danernden Ruhestand ver-
wordcn.

^ Koburg, 19. Pkai. Die G r o tz h -e r Z o g i n v o n
? Esse ,i verzichtete auf die bisher vou Darmstaüt
Zlpanage vou 80 OOO Mnrk jährlich.

^ — Fünskirchcii, 19. Mai. Jn Siklos und Baranya
Z^Zar ging ein verheerender Hagelschlag
^ieder, üurch l>en üie Saateu in vier Gemeinden voll-
vernichtet wurüeu. Der Schaücn wird auf eine
- "llion Kroneu geschätzt.

Der deutschc Kuiscr auf dcr Paradc. Ein Mit-
^ibestbr des Pariser „Fourual" schildert die Eiirdrücke,
w ex Zuschauer von der Käiserparade in Straßburg
Diw ^ai erhielt. 'Der fast synrpathisch gehaltene Be-
Zwt stst besonders diirch- die auf dte Haltung imü üas
s ^?lchen des Kaisers bezüglichcn Stelleu iuteressant. Es
üer Käiser im .Kreise seiuer Offiziere üic
>löte, konnte ich üen leiüensckstistlichen Hang Wil-
rc H' die Armee seststellen. Was sägte er, wäh-
'ch rhn von weiteni beobachtete, zn all diesen Män-
die in respektvoller Haltimg vor ihm standen? Ohne

„Jn -den höheren Regionen muß üie Unzufrieden-
heit noch anüere Onellen habeu. Dem Känzler wirü
ossenbar auch üic Enrwicklung der Dinge in Südwest-
afrikä zum Vorwurf gemacht, obwohl er bei der „paket-
weisen" Senüung vou Truppenabteilungen dorthin
nur den jedesmaligen Anträgen ües Generälstabes ge-
willfahrt hat. Besonüers auffallend war die Vertei'di-
gung der auswärtigcn Politik seitens ües Kanzlers im
Herrenhause, obwohl parlamentarisch üieselbe üort vor-
her garnicht Gegenstand der Kritik war. Nur um Zei-
tungsartikel im Siimc der „Allüeutschen" zu widerle-
gen, lohnke es sich üoch iiicht, daraüf einzugehen. Wer
üie Abkommen zwischen Frankreich und England iDer
Marokko und Aegypten haben osfenbar an cmderer
Stelle verdrossen, obwohl nicht einzusehen ist, inwiefern
daburch deutsche Jnteressen berührt sind."

Nachdem üann noch darauf hingewiesen worden ist,
daß der Känzler in seiner Amworr dem Herrenhause die
Möglichkeit seines Rücktritts deutlich vor Augen geführt
habe, heißt es zum Schluß:

„Das Ergebnis von alledem bleibt, üaß die Stel-
luug ües Kanzlers wackelig gelvorüen ist. Seine besten
Frennde sind gegenwärtig noch üie Herren in der Zen-
trumspartei. So erklärt sich auch- der besondere Eiser,
mit dem in den letzten Wochen Üer Abgeordnete Spahn
bemüht gewesen ist, im Reichstage alle Steine aus dem
Woge zu räumen, die bei der Etatsberatung und sonst
nach oben Änstotz hätten geben können, auch weun die
Zentrumspartei vorher, wie bei der Streichung von
OffizierHjstellen der ostasratischen Birigade, selhst Üve
'Steine in den Weg gelegt hatte. Die Konservativen
aber rechnen nicht mehr mit dem Grafen Bülow, son-
dern mit irgend einem „koimnenden Mann", der sich
weniger anf das Diplomatisieren verstcht, iventger
schmiegsam unÜ biegsam nach allen 'Seiten ist und da-
sür als „starker Mann" stch zu bewähren unternimmt."-
Die oben angeführten Stimmen sind nicht die ein-
zigen, die von eiuer Känzlerkrisis fprechen; in der „Frks.
Ztg." ii. auch in ausländischen Blättern wird bezw. wurüe
davon geredet. Man gewinnt aus diesen übereinstim-
mendcn Andeutungen den Einüruck, daß Etwas an der
Sache sein müsse. Für uuersetzlich wirü nun gewiß Gras
Bülow nirgends angesehen, indessen auch hier gilt das
Sprichkiort: „Es kommt selten etwas Besseres nach."
Für einen „starken Mann" ist hente die Situation un-
günstiger als jemals. Wir hatten ja einen solchen und
dazu eineu von unermetzlicheu Verdiensten, üen Fürsten
Bismarck. Er wurde entlassen. Nach oben zu sind heute für
einen starken Mann die Verhälstiisse noch die gleichen wie
danials. Dem Parlanient gegenüber sind sie sogar schwic-
riger geworden; Bismarck mit sejner großen Antorität
konnte dem Parlamcnt gegenüber als starker Mann aiif-
treten. Hente lebt kein Staatsmann, der das mit Erfolg
vermöchte. Es hat keiner Üas Ansehen, das er in den
Reichstag mitbrachte, und in einer Staatskrise, die einen
starken Mcmn ersorderte, befindet stch Deutschkand nicht.
So wird' jeder andere Reichskanzler in absehbarer Zeit
ein Mann des Lavierens, der Schnnegsamkeit, des

einen Augeuhlick eine Pause eintreten zu lassen, spricht er
und seine Rechte im weißen Handschuh sckMingt einen
Marschallstab wie eine Reitpeist'che. Manchtnal steckt der
Kaiser üiesen unier üen linken Arm unü er begleitet dann
mit seiner freien Hand seine Worte oüer fährt sich über
üie fcinc Lippe, manchmal auch übcr den Kopf weg. Ich
ucchm meinen Feldstecher zur Hand und sah ihu ausmerk-
sam an, indem ich jede seiuer Bewegungen eifrig ver-
folgte. Welch leiüenschastlicher Schwuug, welch inten-
sives Lcbeu, welch fieberhafte Betvegung in diesem Manne,
üessen gedunkelte >Haut uiiü gedrungene Statur üeu Eiu-
druck der Krast hervorruft. Seiue Augeu? Man kann
sic nicht fortwährend dentlich fohen, da sie vom Helm halb
bedeckt sind'. Aber hier unü da leuchtet üer Blick hervor,
eiu traumhafter melancholischer Blick. Der Rest des Ge-
sichies mit seinen ausgeprägten massiven Zügen bekunüet
dagegen deu unerschütterlichen Willen und üie Energie;
der aufgewirbelte Schmirrbart, der in üen photographi-
schen Wiedergaben überstüeben wird, verursacht das etwas
rauhe Aussehen, LaS inüessen üer sanste Blick und üas
Lächcln, das zeitweise seine sehr weitzen Zähnc zwischen
deu Lipsieu erscheiuen läßt, demeutieren. Als die Kritik
beendigt war, lösten stch Üie -Obersteu von der Gruppe
'der Offiziere los, ebeuso General von Trotha, aber der
Kaiser ging balb aus ste zu unü unterhieli sich mst jeüem
eiiizelnen einen Augenblick, wobei er den lebhaften Wunsch
zeigte, sreundschastlich uiid vertrmilich zu sein. Die
Obersten zogeu sich sehr befriedigt zurück und der Käiscr
blieb allein mit 'Geueral Trotha. Die Unterhaltung dau-
erte fehr lange. Der Kaiser schien uoch lebhaster zu sein,

Diplomatisierens sein müssen. >Was wäre akso gewonnen,
wenn Bülow ginge und ein Anderer käme?

llebrigens erklärt soeben ein schlesisck-es Maü, die
Angrisfe -der Konservafiven auf Bülvw seien üurchaus
nicht 'böse gemeint. _

Deutsches Reich.

— Die k aiscrliche Familie wivd auch in die-
sem Sommer längere Zeit auf Schloß Wilhelms-
h ö h e bei Kassel residiereu; sie wird üort laut „Allg.
Ztg." zum 11. Juli erwartet.

Sachsen.

Dresdeu, 19. Mai. Der Laudtag wurde
heute Nachmsttag ini Thronsaale des Königss-chlosses mit
einer Throureüe geschlossen. Der König begrüßt mit Ge-
nugstrimg, daß der Lauütag üie Bemühungen der Re-
gierung, Sparsamkeit zu üben, tatkrästig sörüerte. Eine
ernste Sorge bereite ihm üie stestg zunehmende Verschlech-
terung der sinanziellen Beziehungen des
Reiches zu den Bu nüesstaaten. Die zur Deckung
des ordentlichen Bedarss des Reiches sür 1904 erfovdvr--
lichen Miüel wüvden in einem sokchen Umfange dstrch
ungedeckte Matviknlarbeiträ-ge aufzubringen> sein, üaß,
wenn nicht besvnders günsstge Nmstände eintreten, dte
Erhalstlng des G l e ich ge w i cht s im S ta a t s h a u s-
haIte für die laufende Periode schon jetzt in Frage
gestellt ersckieine. Hier müsse baldige 'Whikfe ge-
schasfen werden. Die Regierung werde keinen Schrist
unterlasseu, der geeignet erscheint, aus die Beseitigung
der in dieser Hinsicht besteheudeu Mßstände hinzüweisen.
Die Rede kündigt schließlich an, daß die Regierung sich
vorbehaste, die Nicht zur Entscheiüung gelangte Krage
bezüglich der Aenderung des Wa hlrechts zur zwesten
Kamnier weiter zu verfolgen- und künsstg inst nei«r
Worschlägen an üen Landtag heranzutreten.

Badischer Landtag.

Tie Bcrfassungsvorlage in dcr Zweitrn Kammcr.

Karlsruhe, 19. Mai. Nach längerer Zeit hatte
heute die Zweite Zammer wieder einmal „großeu Tag."
Die Parlamentssstrdenten, die stch! fir stattlicher Zahl auf
der Galerie eingefunden hatten, mochten zwar die üb-
lickien Begleiterscheinungen einer „interessanten" Sitzung:
hitzige Wortgefechte, tosende Beisallskundgebungen, pi-
kante Zwischensälle, Ordnungsruse uud dergleichen ver-
missen, die ernsten Polistker aber, welche die Mplomateu-
lo-gen dicht besetzt hielten, versolgten inst größter Span-
nnng dic beüeutsamen Erklärungen der Parreifiihrer
zur Versassüngsvorlage. Mit lebhaster Genugtuimg
können wir konstasteren, daß unter deu bürgerlicheu Par-
teien eine seltene Eiiimütigkest zutage tcitt, uur die sozial-
demokrastsche Frakston niachie eine -Ausnahme. Jn ganz
unmostvierter Weise bracht-e sie Mänüerungsanträge zu
üen Kommissionsbeschlüssen eiu und machte von deren
Annahme ihre Stellungnahme zu üer Dorlage äbhängig.
Dmnit hat sie unzweideustg den Beweis gelief-ert, daß

als Zuvor, während der Geneml uuheweglich vor ihm
stand nnd nur bei einigen Worteu seines Herrschers mit
üer Hand grüßte. Es war das zweifellos bei den Ver-
traiienskündgebungen seines K'önigs, der chn erwählt
haste, unü bei den Bezeugungen üer festen Erwartung
auf deu Erfolg der deutschen Wafsen."

— Dcr Entschnldignngszettcl. Eine Leserin schreibr
der „Deutschen Ztg.": „Meine Nichte, städstsche Lehrerin-
in Hamburg, empfing unläugst einen Entschuldigungs-
zettöl solgenden Jnhalts: „Bitte zu entschuldigen, daß
meine Tochter sehlte. Wir hatten eine besreundete
Leiche und das Vergnügen wollte ich sie doch gern
machen."

— Maricnwrrdcr, 19. Mai. Zu üer Kouitzer
Mordsache schreiben die „Neucu Westpreußischen Mit-
teilungen": Wie wir von ganz zriverlässiger Quelle hören,
enthalten die von vielen Zeistmgen neuerdings gebrachten
Mitteilungen über die Konitzer MorÜsache neben einzel-
nen ztstrefsenüen Zlusführungen sehr viel Unrichstges unü
llnwesentlickies. Pon üer zustänüigeu Behörüe wurde die
Veröffentlichuug üieser Misteilimgeu imfJnteresse der
Erforschuug ües Sachverhalts ties beklagt. -Ob öie neuer-
üiugs eingeleitest'u Ermittelungeu irgeird welches Licht
in üie bisher dnickle Sache bringen, läßt sich noch gvr
nicht übersehen.

Zwei Dinge sind schädstch ftir jeden,

Der die Stnfen des Glückes will ersteigen:

'Schweigen; wenn Zest stt zu irüen.

Nnd reden. wenn Zeit stt zu schweigen. ^ f
 
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