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Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Januar bis Juni)

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Nr. 102-125 (2. Mai 1904 - 31. Mai 1904)
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iHr an der Vorlage sehr werng gelegen ist. Abg. Leh-
mann deckte die Karten aus, indem er heute ganz ofsen
erklärte, Lnß die „Genossen" für „Aufklärung" im Lande
forgen werden, falls die fozialdemokratifchen Arckräge ab-
gelehnt würden. Diese Drohung mag der Regierung
eine Warnung sein. Sie kann den sozialdemokratischen
Hetzahosteln, die sich anschicken, das Volk aufzuwiegeln,
einen Strich durch die Rechnung machen, Ivenn sie noch
einen kleinen Schritt weiter gcht und in der Budgetfrage
iwchgiüt. Denn nach den heirtigen Erklärungen der Füh-
rer der bürgerlichen Parteien kann gar kein Zweifel mehr
beftehen, daß in den übrigen Punkten eine Verständigung
erzielt wird. Jn der Nachmittagsfitzung ergriff als
erfter Redner unter allgemeiner Spannung Minifter Dr.
S.cheukel das Wort. Schon bei dm einleiteuden
Satzm machte fich im Saale eine allgemeine Enttäufchung
bemer'kbar. Man ahpte, was kommen, tyürde, als der
Minister in ziemlich fcharfem Tyne. den Wg. Lehmann
ahostroE?tie und, dann ein Schreckbild von lwn Gefahren
an me Wand malte, die Las schrankenlofe direkte Wahl-
recht im Gefolge habe. Zluch nicht ein Jota hat er in
Bezug auf das Budgctreckü der lErsten Kammer zugegeben.
So find die Ausfichten für das Zustandekommen der
Wahlreform augenölicklich herzlich schlecht. Jm-
inerhin dürfte die Dorlage in der Fassung, die ihr die
Zweite Kammer gibt, an die Erfte Kammer gehen, sodaß
die Parlamentarische Verhandlung der Derfassungsreform
noch sortgefetzt wird.

(77. Sitzung der Zweiten Kammer.)

K arlsruhe, 19. Mai. Präsident Dr. Gönner
eröffnet die Sitzung um fhl O llhr. Am Regierungstifch
Minifter Schenkel, Mnisterialrat GIockner. Zur
Beratung fteht der Gefetzentwurf betreffend die Abän -
deru ng der Verfassung, über den Obkircher
(natl.) den Komissionsbericht erstattet.

oibt zunächft eincn geschichtlichen Rück-
blick auf die Enttvicklung der bad. Verfassung. Heute sei alles
darm cimg, datz das nidirckte Wahlverfahren abgeschafft wer-
den ,oll. Wir wollen ihm indessen keinen Stein nachwerfen,
sondern gerne anerkennen, datz es zur Zeit der Einführung be-
rechtigt war und Jahrzehnte hindurch günstig gewirkt hat. Nun-
mehr wollen wir Len alten treuen Diener entlassen und ihm den
wohlberdienten Ruhestand gönnen. Die Verfassungsvorlage
hat im großen Ganzcn eine gute Aufnahme in der Presse gefun-
ben- Die Kommnsion hat eine von ernstem Willen getraqene
„E>eit geichaffen Um zu einem guten Ziele zu kommen, müssen
alle beteiligten Faktoren Entgegenkommen zeigen. Von diesem
Gesichtspunkt aus kat die Kommission manche Vorschläge der
lltegicrung angenommen. obwohl schwere Bedenken vorlagen Sie
gab sich aber auch der Hoffnung hin, datz die Regierung noch
wciter entgegcnkommt. ^

^f^ßbent Dr. Gönner gibt bekannt, datz die sozialdemo-
kratgche Fraktion Abändcrungs-Anträge zu der von
der Kommission beschlossenen Fassung der §§ 33 und 34 einge-
reicht hat,

Abg, Zehnter (Ztr.) will sich über die Wahlrechtsfrage,
dic htnreichcnd erörtert sei, nicht weiter verbreiten. Die übrigcn
Punktc der Vorlage stehen mit dieser Frage in eincm gewiffen
Zusammenhang. Was zunächst die Zusammensetzung der 1.
Kammcr anlangt, so haben wir wesentliche Bedenkcn gehabt ge-
gcn 8 27, Ziffer 6a, wonach Wahlvertreter in die 1. Kammer
kommen sollen. Durch dieses neue Prinzip, das nur den Städten
eine Sondervertretung cinräumt, wird der Gegensatz zwischen
Stadt und Land verschärft und die Politik in die kommunalcn
Körperschaften hineingetragen. Die vorgesehene Stellvertre-
tung der Standesherrcn und geistlichen Würdenträger wissen
wir wohl zu würdigen, datz sie dazu beiträgt, datz die Agnaten
sich mchr um die öffentlichen Angelegcnheiten kümmcrn und die
rcgclmätzige Vertretung der kirchlichen Jnteressen garantieren
würdcn. Bezüglich der Wahlform bestehen Meinungsverschie-
denhciten. Der Entwurf sieht Einer-Bezirkswahlen vor, die
Sozialdemokratie wünscht den Proporz fürs ganze Land und
die Kommiffion will den Proporz nur für die grohen Städte
zulaffen. Gcgen das Proportionalwahlverfahren spricht eine
Reihc erheblichcr Bcdenken. Das Zentrum steht zwar dem
Grundgedanken dieses Verfahrens sympathisch gcgenüber, hat
aber angesichts des Widerstands, den der Proporz b'ei der Re-
gierung gcfunden hat, nur der Bestimmung zugestimmt, datz er
zunächst für die großen Städte eingeführt wird. Die Zahl der
Abgcordneten hätten wir gerne erhöht, im Jnteresse des platten
Landes. Jn anderen Ländern, wie z. B. Württemberg, haben
die sogen. guten Städtc nur einen Vertreter (Frühaüf: Das
ist scheutzlich genug.) Wenn in dieser Hinsicht nicht wenig-
stens dem Verlangen der Kommission nachgegeben wird, können
wir der Vorlage unmöglich zustimmen. Das Ruhcn des Wahl-
rEs ist gerechtfertigt, wcnn ein Wähler in schuldbarer Weise
mit der Entrichtung dcr Steuer im Rückstand ist. An dcm
Budgetrecht der Zweiten Kammer darf nicht gerüttelt werden.
Die Vorlage bringt cine ganz bedeutende Verschicbung zu Gun-
sten dcr Ersren Kammer, der cine entscheidende Stellung zuge-
wiesen würde, wenn dcr Vorschlag der Regierung Annahme
fände. Autzerdem würde der politische Einfluh der Zweiten
Kammer auf die Erste übergehen. Eine solche Entrechtung kann
man der Zweiten Kammer nicht zumuten. Eine derartige Mah-
regel licgt wedcr im Jntereffe des Staates, noch der Ersten
Kammer. Aus diesen Gründen stimmt das Zentrum für die
Kommissionsanträge.

Abg. Dr. Wilckens (natl.) dankt dem Berichterstatter
für seinen gründlichen, klarcn Bericht, der die Anerkennung des
Hauses verdiene. Leidcr sind noch nicht alle Hindernisse für
eine Verständigung aus dem Wege geräumt. Doch braucht
man deswegen noch nicht alle Hoffnung aufzugeben. Für uns
liegt dcr Kardinalpunkt auf budgetärem Gebiet. Die bezüg-
lichen Bestimmungen des Entwurss sind für uns unannehmbar.
Wir wollen, datz die Prärogativen der Zweiten Kammer auf dem
Gebicte des Budgets grundsätzlich erhalten bleiben. Sie er-
scheinen uns als einc politische Errungenschaft, die nicht ange-
tastet werden darf. Wohl erscheint die Einführung des dirckten
Wahlrechts höchst wünfchenslvert; allein es ist dies keine Prin-
zipienfrage, sondern eine Frage der politischen Zweckmätzigkeit,
die nicht um zu hohen Preis verkauft werden darf. Die Be-
stimmungcn über die Anfäßigkeit in Baden halten wir für ganz
zwcckmäßig; ebenso diejenigen über die Steuerpflicht. Gegen
die Reorganisation der Ersten Kammer haben wir grundsätzliche
Einwendungen nicht erhoben. Das andere Haus wird dadurch
an Einfluh und Bedeutung erheblich gewinnen. Von eincr Ver-
stärkung des Budgetrcchts dcr Ersten Kammer kann aber
keine Rede sein. Geringere Bcdeutung beansprucht dic
Frage, wie die Zahl der Mitglieder beider Kammern zu normie-
rcn ist. Ueber die von Iehnter gewünschte Bevorzugung des
platten Landes kann man verschicdener Meinung sein. Die
Gründe, welche s. Zt. zur Privilegierung der Städte führten,
habcn gcwitz nicht ab-, sondern eher zugenommen. Wenn wir
gleichwohl die Hand zum Kompromitz in dieser Frage geboten
haben, so taten wir es, um eine Verständigung zu ermöglichen

und dcn vorhandenen Gegensatz zwischen Stadt und Land nicht
zu verschärfen. Den Proporz aufs ganze Land auszudehnen,
halten wir nicht für zweckmähig. Sollte sich die Proportional-
wahl in den grotzen Städten nicht erreichen laffen, so wären wir
evcnt. auch für die Einzclwahl in den grotzen Städten zu haben.
Durch ihr Entgegenkommen hat die Regierung ihre Position
wesentlich verbessert. Wir werdcn den Kommissionsanträgen
zustimmcn, behalten uns aber unsere Stellung vor, falls die-
selben von der Regierung und der Ersten Kammer nicht akzep-
tiert würden. Wir werden jedenfaps nach Kräften zum Zu-
standckommen der Vorlage beitragen. (Bravol)

Abg. Venedey (Dem.): Er meffe der Wahlrechtsfrage
cine prinzipielle Bedeutung bei. Es handclt sich darum, ob
das badische Volk für mündig erklärt werden soll. Auch für die
fortschrittliche Entwicklung anderer Staaten wäre die Erreichung
des direkten Wahlrechts von eminenter Bcdcutung. Das in-
direkte Wahlrecht hat sich überlebt, das direkte mutz kommen.
Der Preis, den die Regierung vcrlangt, ist zu grotz. Die Wahl-
entrechtung der Steuerrestanten ist schon nicht unbedenklich;
ganz unannehmbar aber ist die Schmälerung des Budgetrechts
der Zweitcn Kammer. Eine Minderheit von 17 Mitgliedern
der Zweiten Kammer könnte, wcnn die Regierungsvorlage Ge-
setz würde, im Verein mit der Ersten Kammcr jeden Beschlutz
der grotzen Mehrhcit der Bolksvertretung niederstimmen. Die
Erste Kammer hätte allen Anlaß, Entgegcnkommen zu zeigen,
da sie durch die Reorganisation tüchtige Arbeitskräfte und ein
beachtenswertes politisches Relief erhält. Sie sollte schon ays
diesem Grunde den Bogen nicht allzu straff spannen. Die Be-
denken Zehnters, daß die grotzen Städte ein zu großes Ueber-
gewicht erhalten, hält Redner nicht für gerechtfertigt. Man
hat viel eher Ursache, darüber zu jammern, datz bei der Reichs-
tagswahl z. B. die Bauern in Zehnters Wahlkreis zehnmal so
viel zu sagen haben, als die Berliner Wähler. (Sehr richtigl)
Wir sind bereit, gewisse Opfer zu bringen und Wünfche zurück-
zustellen, aber in der Budgctfrage können wir nicht nachgeben.

Abg. Lehmann (Soz.) beginnt seine „Begründung" des
Standpunktes der sozialdemokratischen Fraktion damit, daß er
nach einander das Zentrum, die Nationalliberalen und das Mi-
nisterium Schenkel anrempelt, ihncn „Mauserung" vorwirft und
ihren ernstlichen Willen, etwas zustande zu bringen, anzweifelt.
Die Sozialdemokraten können nicht für das Gesetz stimmen,
wenn nicht in 8 34 die Bestimmung aufgenommen wird, datz der
Wähler schuldhaft seine Steuerpflicht versäumt hat. Auch die
Bestimmung übcr die Ansätzigkeit in Baden ist überflüssig. Wir
sollten keine partikularistischen Schranken aufrichten. Redner
verbreitet sich des längeren über das Proportionalwahlverfahren
und betont zum Schlutz, datz die Sozialdemokraten nur dann
für die Vorlage stimmen wcrden, wenn ihren Abänderungsan-
trägen stattgegeben wird. Wenn die Kammer unseren Anträgen
nicht beitritt, dann werden wir dafür sorgen, datz das Land
aufgeklärt wird. Gibt die Regierung nicht nach, dann ist es
am besten, wenn man ihr die Vorlage vor die Fütze wirft.

Präsident Dr. Gönner rügt diesen verletzenden Ausdruck.

Um 1 Uhr wird dic Bcratung abgebrochen. Fortsetzung:
nachmittags 5 Uhr. _

(78. Sitzung Ler Zweiten Kammer.)

Karlsruhe, 19. Mai. Präfident Dr. Gönner
eröffnet die Sitzung um UHr. Eingegangen ift ein
Schreiben Les Ministers des Jnnern, worin fich dieser zur
Bemitwortung der Jnterpellation Obkircher u. Gen.
betr. die Ausnützung der Wasferkräfte des Oberrheins in
einer Sitzung nach Pfingften bereit ecklärt, ferner Einla-
dungen zur Enthüllung des Lameydenkmols in Mann-
heim am 29. Mai und zur Besichfigung 'der neuen Fabrik-
anlagen der Karlsruher Maschinenbaugefellschaft.

An Stelle Rohrhur st's wird Abg. Harsch (ntl.)
zum Mitglied der Steuerkommifsion gewählt. Msdarm
wird die Beratung über die V e r f a s s u u g s v o r -
lage fortgesetzt.

Minister Schenkel: Abg. Lehmann hat uns am Schluffe
seiner Rede angedeutet, datz seine Partei auch nach Annahme
diescr Vorlage wieder mit einer Flut neuer Änträge auf Ab-
schaffung der Ersten Kammer, Einführung des Frauenwahlrechts
aufwarten wird. Nach Auffaffung der Sozialdemokraten wäre
das Ministerium lediglich ein Ausschutz dieser Versammlung.
Es crübrigt fich natürlich, irgcnd ein Wort gegcn Lehmanns
Ausführungcii zu sagcu. Würde die Kammer lediglich auf
Grund des uneirigeschränkten direkten Wahlrechts gewählt, daun
kämcn Zustände, über die sich niemand freuen würde. Man
wützte dann nur von Steuerzahlen und Polizeizwang. Unsere
Verfaffung trägt einen echt freiheitlichen Charakter; sie wurde
crlaffen von eincm Fürsten, der für das Wohl des Landes be-
geistert war. Wie sehr diese Verfassung dem Bedürfnis des
Landes entsprochen hat, kann man schon daraus ersehen, datz
es 80 Jahre gedauert hat, bis sie einer kleincn Aenderung unter-
zogen wurde. Ende der 60er Jahre wurde das Wahlrecht auf
alle Bürger des Laudes ausgedehut. Jetzt handelt es sich darum,
das indirekte Wahlrccht, das mau 1870 in wohlweislicher Ue-
berlcgung hat bcstehen lasscn, aufzuheben. Was jctzt geschieht,
ist viel cinschneidcnder, als die Aenderung von 1870. Venedcy
hat ganz recht, wenn er diescm Schritt eine eminente Bedeutung
beimitzt. Wohl hat das indirektc Wahlrecht einen Teil sciner
ursprünglicken Bedeutung, namentlich in dcn grohen Städten
verloren. Allein auf dem platten Lande (Zuruf von den Sozial-
demokraten: Da ist es genau sol) hat der angesehene Maun noch
einen grotzen Einflutz. Wie käme es denn fonst, datz so häufig
die Wahlen umgestohen werdcn. Jch weitz aber, datz die Tage
des indirekten Wahlrechts gezählt find. (Bravo!) Es sprechen
gute innere Gründe für dic Aufhebung desselben: Das Jnteresse
für öffentliche Angelcgenheiten wird gehoben und den kleinen
Leutcn wird dadurch cine Vertretung gesichert. Aber gcrade
hier beginnt auch das Gefährliche. Es ist nicht zu verkennen,
datz bei dicser Art dcr Agitation eine Reihe von Personen von
der politischen Tätigteit abgestotzen werden und gerade die
fiibrenden und steuerkräftigsten Leute aus der Zweiten Kammer
vcrschwinden. Von dem Vorschlag einer besondcren Jntereffen-
vertretung in der Zweiten Kammer hat dic Regierung abge-
sehen, weil er aussichtslos ist. Unser jetziger Vorschlag ist ganz
felbstverständlich. Wir sind z. B. hinsichtlich der Stenerpflicht
am freisiiinigsten von allen Staaten. Wir haben keine Kau-
telcn vorgesehen, dafür aber cine Verstärkung der Ersten Kam-
mcr vorgeschlagen. Diese soll ein Wiederbild der leitenden,
kräftigsten Volksgruppen, eine Art Senat darstellen. Sie mutz
mit annähernd gleichen Rechten wie die Zweite Kammer aus-
gestattet werden. Jch bedaucre, sehr, datz diese Absichten der
Rcgierung zum Teil mitzverstmiden wurden und datz die Kom-
mission nnd das hohe Haus den Vorschlägen der Regierung nicht
cntgegenznkommen beabsichtigt. Die vorgebrachten Gründe
scheinen mir nicht durchschlagend zu sein. Vor allem bestreite
ich, datz das Durchzählungsverfahren den angedeuteten Erfolg
haben kann. Dre Erste Kammer wird die Zweite nur über-
stimmen, wenn gewichtige Jntereffen dies gebieten; in der Rcgel
wird die Zweite Kammer davon Vorteil haben. Wenn sie
Korpsgeist hat, wird sie immer siegen, namentlich dann, ivenn
das öffentliche Jntereffe auf ihrer Seite steht. Jm übrigen
wird dic Durchzählung kein Hindernis für das Zustandekommen
des Gesetzes sein. Den Hauptwert legt die Regierung
anf die Erweiternng dcs Budgetrechts der
Ersten Kammer. Diese hat zur Zeit nnr das traurige
Recht, das ganze Budget zu verwerfen. Der Ersten Kammer

mutz ein wescntliches, materielles Mitbestimmungsrecht einch-
räumt werden. Sie mutz cin Senat sein, zu dem das Volk wst
Vertrauen aufblicken kann. Jn Bayern und Sachsen haben die
Erftcn Kammern ein Mitbestimmungsrecht in FinanzsacheNi
ähnlich ist das Verhältnis im Ausland. Die Regierung ist
gcneigt, gewisse Zragen noch einmal zu prüfen, sie kann abel
nicht verzichten auf dieEinräumung eines ma-
teriellen Mitbestimmungsrechts an die E r st e
Kammer. Jch hoffe, datz sich mit der Zeit doch noch eine
Einigung finden lätzt. Die übrigcn Bedingnngen sind mindev
wichtig. Die Regiörung hält es nach wie vor sür bedenklich, datz die
Zahl der Abgeordneten-auf über 70 erhöht und in grötzeren
Städten die Pröportionalwahl in Borschlag gebracht worden ist-
Einer Vertretung der Ärbeiter in der Ersten Kammer kanN
die Regierung nicht zustimmen. Ferner'müffen die Beitimmun-
gen über das Stellvertretmigsrecht wieder in den Entwurf ein-
gpstellt wcrden. Die Wahl dcr Städtevertreter kann die Regie-
rung nur zugestehen, wenn das. Budgetrecht det-Ersten Kammer
erweitert wird. Wenn der Sturm sich gelegt hat und man irn
stillen Zimmer Ueberlegungen anstxstt, dayn nqht die Zeit dec
Ernte. Diese Zeit war da,' als der Enttpurf'erschicnfi auch jetzt
ist uoch giiüstige Zeit zur Ernte. Die Sache ckann ßöcki noch
reifen, abcr Man 'iinitz Gedüld habcn. Aü 'ENtsä'ffung hnt die
Regierung bereits Grotzes geleistet; sie hat schwere Bedenken
unterdrückt und ist freigebig und liberal entgegengekommen-
Darum kann sie auch von den anderen Faktoren Entgegenkow-
men verlangen. Wenn alle einträchtig zusammenwirken, dann
habe ich dic Ueberzeugung, dah etwas zustande kommt.

Abg. Fehrenbach (Ztr.) hat aus allen Reden den guten
Willen vcrnommen, ctwas zustande zu bringen; den Schlutz
der Rede Lehmanns betrachte er als eine rednerische Ent-
gleisung. Den Ausführungen des Ministers stehe er mit einec
gewiffen Reserve gegenüber. Der Minister hat schliehlich d.:n
Rang zum Lob des direkten Wahlrechts gefunden; aber die
Träncuväche über den Verlust des indirekten Wahlrechts warea
so reichlich, datz man an die Versicherungen nur schwer glauben
kann. Das Loblied, das der Minister auf den Wackelwahlmaiur
gesungen hat, habe ich nicht gerne gchört. Was der Minister
sonst 'vorgetragen, will ich zwar als gute Worte auffaffen, aber
ich hätte eine beftimmtere Erklärung erwartet. Ohne Einver-
nehmen mit meiner Fraktion kann ich mich nicht über die event-
Kompromitzverhandlungen über das Budgetrecht äuhern. Allein
so viel kann ich sagen, dah es nicht angeht, von einer EntrechtunT
der Ersten Kammer zu sprechen; viel eher könnte man pon einer
Schmälerung der Rechte der Zwciten Kammer reden. Ebenso-
wenig kann von einer Entsagung der Regierung die Rede sein-
Jch erblicke wenigstens in dcr Bewilligung des direkten Wahl-
rcchts keine Entsagung. Redner polemisiert dann gegcn Leh-
mann und präzisiert nochmals den Standpunkt des Zentrums'
im Sinne der Zehnterschen Ausführungen. Es wäre verfrüht,
nach den Ausführungen dcs Ministers die Hoffnung aufzugeben.
So langc es noch orgelt, ist die Kirche noch nicht aus. JM
Staatsministerium ist offenbar das letzte Wort noch nicht ge-
sprochen. Jch habe auch die Hoffnung, dah unser Landesherr
dcm einmütigen Wunsche des Volkes ein gencigtes Ohr leihcn
wird. (Bravol)

Abg. Dr. Wilckcns (natl.) weist die Angriffe Lebmanns'
auf dii' nationalliberale Partei energisch zurück. Die Resolu-
tion des Maunheimer nationalliberalen Vereins betr. deck
Proporz kann sich die nationalliberale Franktion nicht zn eigen
machen. Datz die Sozialdcmokraten jetzt auf einmal so viel
an der Vorlage auszusetzen haben, ist zu vcrwundern, nachdem
sic doch anfangs die Vorlage als fortschrittlich begrützt batten.
Die Harmonie des Fehrenbachschen Orgelspicls will ich nickst
stören. Auch ich sage, es ist noch nicht aller Tage Abend. Alle-n
ich sehc noch keinen Answeg. Besonders bedenklich ick,
datz der Minister der jetzigen Llenderung der Verfassimg eine sö
große prinzipielle Bedeutung beilegt. Das indirekte Wahlrechr
hat doch seine Bedeutung fast gänzlich verloren. Auch auf dern
platten Land. Wenn der Minister diejenigen Wahlmänner, dir
umfallen, als bcsonders aufrechte Leute ansieht (Hciterkeit),
so dürfte er sich in einem Jrrtum befinden. Der Unterschieo
zwischcn direkter und indirekter Wahl darf nicht so tragisch am-
gesatzt werden, wie es vom Minister geschieht. Es ist allerding-
eine unbestreitbare, bedauerliche Tatsache, datz sich die Gebil-
detcn immer mehr von der Politik zurückziehen; allein gerade
dnrch daZ Festhalten an dem indirekten Wahlsystem wird dic
Gefahr, datz diese Elemente immcr mchr an Einfluh vcrliereu,
noch gesteigert. Auf das Durchzählungsvcrfahren sollten tvie
uns nicht cinlaffen; es scheint übrigens, dah die Regierung
darauf wenig Wert legt. Wenn es nicht gelingt, der Zweitc«
Kammer das materiellc Budgetrecht zu wahren, dann ist, wenig-
stcns auf diescm Landtag, an cine Bcrständigung nicht z«
denkcn. Alle Faktoren, insbesondere aber die Regierung, hat
das grötzte Jntercsse daran, datz sobald als möglich etwas zu-
staudc kommt. Mit ihrem Beschlutz betr. die Wahl der Ge-
mcindcvertrcter, wolltc die Kommission selbstverständlick, de«
Rcchtcn des Landesherrn nicht zu nahe trcten. Jch gebe dic
Hoffnung nicht mif, datz cine Einigung crzielt wird. Möge"
sich Regicrung und Erstc Kammer bewnht werden, datz ein
grotzartiges Werk nnr durch gegenscitiges Entgegenkommcu
zustande kommen kann. Es wäre sehr zu bcgrützen, wcnn dies
noch niitcr der segensreichen Rcgierung Grohhcrzogs Friedrick'
geschehen würde. (Bravo!) ,

Abg. Eichhorn (Soz.) kann nicht einsehen, dah das Vo»
für die Verfassung dankbar sein soll. Soll man auch dafstr
danken, dah man dem Volke 30 Jahrc lang das dirckte Wahl-
rccht vorenthalten hat? Aus selbstsüchtigeii Gründen wurde
das indirekte Wahlrecht eingeführt, weil es sich so leichter iw
Triibcn fischen lieh. Es war ein bischen Schauspielerei voi«
Minister, wenn der Ausdruck erlaubt ist, (Präsrdent Dr. G ön -
ner: Neinl er ist nicht erlaubtl Grotze Heiterkeit!), eine«
iimgefalleiien Wahlmann als einen mifrechtcn Mann, als eine«
Edelmann zu bezeichnen. Troh vorgerückter Zeit bespricht Eickl-
horn mit behaglicher Breite cinzelnc Punkte des sozialdemokro-
tischen Programms, wie Abschasfung der Ersten Kammer und
Franenwahlrccht, und begründct dann die sozialdemokratischeck
Anträge, nnter heftigen AiiFfällen gegen die nationalliberale
Partei, wclche dic Schnld daran trage, wenn die Vorlage
schcitcrc. (Obkircher: Wir stimmcn dafür, Sie dagegen!)

Damit schlieht um ?L9 Uhr die allgemcine Beratung.

Morgen 9 Uhr: Spezialberatung.

Aus der Karlsruher Zeitung.

— Scine Königliche Hoheit der Grotzhcrzog habcW
dem Obcrschlotzhauptmann und Kammcrherrn Wilhclm Of -
fcnsandt von Berckholh dic Erlaubnis zur Annahrne
und zum Tragcn dcs ihm von dem Grotzherzog von Oldenburg
verliehenen Ehren-Grotzkreuzes des Haus- und Berdienstordeuö'
des Herzogs Peter Fricdrich Ludwig erteilt.

— Bctriebsassistent Gustav Flaig in Freiburg wurde nackt
Appenweier versetzt.

KarIsruh e, 19. Mai. Der Großherzog empfiuS
heute Wormitag 10 Uhr den Oberhofinarschall Grafim vock
Andtaw zum Vortrag und astbettete sodann bis 11 Ififi
rmt Lem Präsrdenten Dr. Nrcotat. Danach fotgten die
Vorträge des Präsidenten v. Hetbing und des Mtufi
stermidirektors Geheimerats Freiherrn von Marschall. ÄU
der Frühstückstafel nahm die Prinzessin Wilhelm t«il unL
verhfieb noch längere Zeit bei Jhren Königlichen
Hoheiten.
 
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