Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 126-150 (1. Juni 1904 - 30. Juni 1904)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14240#1229

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
46. Zihrgu». — 138.

Tmkcksß, IS. z«,i M.

Vrstes Blatt

Erschetnt täglich. Sonntags auSgenommen. Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zwcigstationen abgeholt <0 Pfg. Dnrch dte AK

bezogen vierteljährlich 1,35 Mk. ausschlieblich Zustellgebühr.

Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Fllr hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen erüiäßigt. — Für die Sufnahme *«l L«ri»«
an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anfchlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstellen. Fernsprecher SL


Der Fall Mirbach.

Berlin, 16. Juni. Jn der heutigen Sitzung des
P o m m e r n b a n k p r o z e s s e s wurde auf seinen
Antrag der O b e r h o s m e i st e r der Kaiserin, Frhr.
b. M irba ch, als Zeuge vernommen. Aus die Frage
drklärt der Zeuge zunächst die Ünterschriften unter zwei
bon ihm ausgestellten Ouittungen für richtig und sagt
dann aus, er habe, ehe er mit der Pommernbank Verbin-
bung hatte, E r k u n d i g u n g e n üb e r i h r e D i r e k-
t oren anste11en I a s s e n. Diese ergaben, daß die
Bank als gut geleitet und gut fundiert empfohlen wurde
llnd die Direktoren als sehr wohlhabende Leute galten,

> sowie daß Schultz und Romeick f ch o n große
Stiftungen für W o h l t ä t i g k e i t s z w e ck e
g e m a ch t h ä t t e n. Da Schultz und Romeick als reiche
Leute galten, sei es nicht überraschend gewesen, daß sie
-große Stistungsn machen wollten, die vom Zeugen, bezw.
seinen Vereinen, mit Dank angenommen wurden. Er,
Zeuge, setzte seit 16 Jahren seine ganze Lebenskraft nicht
Nur für Kirchenbauten, sondern auch für das Wohl der ar-
beitenden Klassen ein. Auf Grund der günstigen Auskunft
bbec Schultz und Romeick habe er diesekben schon 1899
als Berater für finanzielle Angelegsnheiten hevangezo-
gen und von 1901 an ihnen die Gelder seiner Vereine
bnd auch Gelder der Schatulle übergeben,
die diese sehr sorgsam und sicher anlegten und verwährten.

Fvhr. von Mirbach sagt weitev aus, er haVe sich auch
bei Beginn des Prozesses wiederholt bei den Angeklagten
erkundigt, ob die Gelder wirklich aus ihren priv a-
Een MitteIn geflossen seien, was bestimmt § ejaht
ivorden sei. Er habe auch die Rückzahlung der Gelder an-
geregt; es sei ihm aber dringend abgeraten worden, weil
sonst allen möglichen Verdunkelungen und Verdächtigun-
llen Tür und Tor geöffnet wiirde. Wolle man die Gelder
Krrückzahlen, so würde damit bis nach Beendigung des
Prozesses Zeit sein. Wenn hier nachgewiesen wird, daß
bei diesen Geldern irgendwie ein Bedenken vorwaltet,
so ist anzunehmen, daß selbstver st ändIich die
^ e r e i n e die Summen, die s i e e r h i e l t e n,
ZurückzahIen werden. Auf die Frage des Prä-
sidenten, ob die 300 000 Mark, über die von Mirbach
'Ouirtierte, bei der Pommernbank vevblieben oder ihm aus-
Tezählt worden seien, erklärt der Zeuge: Jch wiederhole,
E>aß die Quittungen — die mir, wie ich betone, unbekannt
ivaren, weil ich sie vergessen hatte — nur dazu dienen
stonnten, das Konto aufzulösen. Es ist aber ausgeschlos-
son, daß ich weiter einen Pfennig erhoben habe. Von den
^60 000 Mark flossen meinen Vereinen 25 000 Mk. zu,
1 onstnicht ein Pfennig.

Der Verteidiger Justizrat Dr. Sello erklärt darauf
s>och einer kurzen Besprechung mit dem Angeklagten, er
Oabe keine weiteren Fragen an den Zeugen zu richten.

Geh. Rat Budde erklärt hierauf, für ihn stehe es
M, das v. Mirbach nur das bekommen habe, was er
^er bekundet habe, und nicht 600 000 Mk. mehr, wie man
Bts seinen, Buddes, Angaben hätten folgern können.

Rach diesen Aussägen von Mirbachs bleibt noch un-
Pstgeklärt, was denn eigentlich aus der letzten Spende

von 360 000 Mark geworden ist, die offenbar auf das
Konto M eingetragen sind, über die Frhr. v. Mirbach auch
quittiert hat, von denen er aber tatsächlich nur 25 000
Mark erhoben hat. Weder der Staatsanwalt noch der
Gerichtshos haben es für nowendig gehalten, diese Sache
weiter aufzuklären, und das ist erstaunlich, denn es liegt
doch in der Aufgabe des ganzen Strafversahrens, nach-
zuweisen, daß Und wie Schultz und Romeick Gelder der
Bank unrechtmäßig verwendet haben. Es wird durch den
heutigen Vorgang, der Eindvuck nicht beseitigt, daß in
diesem Strafverfahren Rücksichten genommen zu wer-
den scheinen, die sich mit der Ausgabe, die volle Wahrheit
festzustellen, nicht vertragen.

Der nat.-lib. Zentralvorftand und der
preußische Schulantraq.

Die „Dresdener Zeitung" ist in der Lage, nähere Mit-.
teilungen über die Sitzung des Zentralvorstandes zu
machen. Wir entnehmen diesen folgendes:

An dec Sitzung nahmen etwa hundert Mitglieder
teil. Den' einleitenden Vortrag hielt Dr. F r i e d b e r g,
der besonders nachwies, daß es ein Mißverständnis sei,
die Simultanschule als einen Grundsatz oder ein Jdeal
der nationalliberalen Partei anzUsprecherw Nach Dr.
Friedberg wies der bekannte Berliner Straf- und Kirchen-
rechtslehrer v. Dr. Kahl namentlich daraus hin. daß
die Stellung, welche die Fraktion des preußischen Wge-
ordnetenhauses mit dem Schulkompromißantrag einge-
nomnien hat, tatsächlich die traditionelle Stellung der
'GesamtPartei sei. Er selbst häbe auf dem Eisenacher Par-
teitage über die Volksschule referiert und damals die
einmütige Zustimmung der Delegierten zu seinen Aus-
führungen erfähren, die sich mit den im Kompromiß aus-
gesprochenen Grnndsätzen d-eckten. Hecr Dr. N even
Dn - Mont aus Köln sprach sich dahin aus, der Schul-
anlrag lasse Mißdentungen zu und die letzteren seien erst
durch die erfolgten verschiedenen Erklärungen von seiten
der Fraktionsmitglieder beseitigt worden. Sehr wichtig
erscheint es uns, um zunächst mit Dr. Hackenberg
die Reihe der Hauptredner zu schließen, dessen Erklärung,
er habe seine Begründung des Antrags im Landtage am
13. Mai zwar im Auftrage der Fraktion, äber leider ex
tempore gemacht, und dabei habe er allerdings seiner per-
sönlichen Vorlieöe für die Konfessioiisschule, wie er j-etzt
wohl zugeben müsse, etwas die Zügel schießen lassen, aber
doch nur in der selbstverständlichen stillschweigendeir
Voraussetzung, daß die Gleichberechtigung der Simultan-
schule von keiner Seite bestritten werde. Mit dieser Er-
klärung Hackenbergs bürfte am Ende das schwecwiegendste
Mißverständnis beseitigt sein.

Von den übrigen Rednern sei erwähnt Herr Schul-
üirektor R e e s e - Bielefeld, der, obwohl kein Persönlicher
Freund der Simultanschule, doch den Fortschrltt aner-
kannte, den der Antrag insofern darstellt, als er die Si-
mnltanschule gesetzlich schützen will. Ein andcrer West-
fale, der ehemalige nationalliberale Abgeordnete für
Lüdenscheid-Altona jetzige vortragende Rat im Finanzmi-
nisterium Dr. Nölle hatte ebenfalls nichts übrig für

die Simultanschule und ersuchte besonders die Junglibe-
ralen, in ihrer Kampfesart doch etwas vor-sichtiger zu
sein. Das gleiche tat Abg. Schmieding. Er war
der Meinung, daß die Aufregung um die Simultanschule
nicht recht den tatsächlichen Verhältnissen entspreche, da
Preußen neben rund 35 000 konsessionellen nur etw-a 800
Simultanschulen habe, von denen nur wiederum- ein
kleinster Teil auherhalb Hessen-Nassaiis nnd Westpreußens
falle, wo niemand an die Beseitigung der Simultänschule
denke. Von den Jungliberalen kamen die Herr-en Rechts-
anwalt F i s ch e r - Köln und Dr. Goldschmidt-
München zu Wort.

Von Anträgen lag ein solcher der beiden letztgenannten
jungliberalen Vertreter vor, der j-edoch keine Zustim-
mung fand. Ein weiterer Antrag Dr. Nevens vereintgte
nicht einmal die Stimmen aller Kölner Deputierten auf
sich, und zwar wahrscheinlich deshalb nicht, wert er nur
taktisch abwich, sich aber inhaltlich völlig d-eckte mit der
obigen, gegen fünf Stimmen (nämlich die beiden jung-
liberalen und drei Kölner) angenommenen Resolution.
Diese war von Professor Kahl eingebracht und durch
eine kleine Aenderung so gestaltet worden, daß sich damit
ein Wiesbadener Antrag erledigte, der gesondert die Auf-
rechterhaltung der Simultanschule fordert; er wurde zu-
rückgezogen.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 15. Juni.

Der -Gesetzentwurf betreffend -en Nachtragsetat füc
1904 — gefordert werden drei Millionen Mark als erste
Nate für ein dem Schutzgebiet Togo vom Rei-che zu ge-
'währendes Darlehen zum Bau einer Eisenbahn Lome-
Palima — wird auf Antrag Dr. Spahn in erster und
zweiter Lesung angenommen, ebenso die ihm entsprechen-
den Nachtragsetats sür das Schutzgebiet.

Die Jnterpellation wird daher heute von der Tages-
ordnung abgesetzt.

Es folgt die Beratung des Gesetzentwurfs betresfend
Uebernahm-e einer Garantie des Reiches bezüglich einer
Eisenbahn Dar-es-Salaam-Mrogoro.

Der Reichstag zeigte sich jctzt der Vorlage günstig. Mit
Ausnahmc des Abg. Richter und des Eozialdemokraten Südekuin
sprachen alle Redner dasür.

Die Vorlage wird nach den Kommissionsbeschlüssen mit dem
Kompromißantrag Normann und G-enossen (Bewilligung
einer Zinsgarantie von 21 Millionen Mark) angenommen.

Die Aüstimmung erfolgte auf einen Antrag Müller-
Sagan (fr. Bp.) nam-entlich.

Es sind anwesend 232 Abgeordnete, von denen 149 für
und 83 gegen die Vorlage stimmen.

Es folgt die Beratung des Gesetzentwurss betressend
Servistarif. Die Kommission legte dem -Gesetz
rückwirkende Kraft bis 1. April 1904 bei und setzte die
nächste Revision des Entwnrfs anf 1. April 1906 fest.

Das Gesetz wird in der Kommifsionssassung angenommen,
ebenso der vom Abg. Eickhoff (fr. Vp.) beantragte Zusatz
über die Zahluug dcs Wohnungsgeldzuschusses und die Resolu-
tion der Kommission, die die Vorlegung eines besonderen Woh-
nungsgcldzuschutzgesetzes sordert.

Morgen 1 llhr: Jnterpellation Aucr, dritte Lesung des
afrikanischen Nachtra-gsetats, Servisgeseh, Kaufmannsgerichte.

Em großes Schiffsunglück.

^ Nrwhork, 15. Juni. Abends. Dampfcr „Gcueral
mit eincr Svnntagsschulc an Bord, welche
krnen Ansslng machte, geriet in Brand. 500 Mcnschcn,
Kindcr, sollcn umgckommcn scin.

, Newyork, 15. Iuni. Die Sonistagsschule, Pie
^ri Ausflng unternahm, ist, nach der Meldnng der „Frkf.
", die der deutschen lutherischen S t.
ca r E ^ ^ G g ^ ^ i „ Der Dampfer fuhr kurz na-ch
msttau s endKinde r n und fünshundert
k wachsenen, meistens Frauen, ab, um nach Locust
. rove am Long Jslander Snnde zu fahren. Die Gesell-
-chaft mar in fröhlichster StimiNung als unweit der be-
^nnten Hellgate-Ilntiesen an der Einsährt des Long
vivlander Sundes Plötztich der Ruf Feuer ertönte. Der
^°lle Tampfer stand tatsächlich in Flammen, und es ent-
pann sjch nun eine g r ä ß l i ch e P a n i k, die mit dent
brlust von etwa fünfhundert Menschen endete. Die
E bstten Personen an Bord waren Kinder im zar -
esten Atter, mit denen bei dieser Panik gar nichts
. Zufangen war, aber auch die Erwachsenen verloren
Kopf '
a s s

war,

und stürzten sich blindlings ins
s, - > e r. Knrz nachdem das Feuer ausgebro-chen war,
vi<a ^ 5 - as obere Deck ein nnd begrub
a ^ derjenigen, die nicht versn-cht hatten, sich durch Sprin-
^argeu diö jetzt sind etwa hnndert Leichen ge-

istach Ausbruch des Fsuers ereigneten sich erschütternde

Szenen, aber nur an eincni- Ende des Schiffes, da bis
zum andern 'Ende des großen Dampfers die Kunde vo-m
Brand-e noch nicht gedrungen wnr, so daß dort die Kinder
noch spielten, als si-ch vorne schon alles in V-erzweiflung
befand, Es verging einige Zeit, bevor die erste Hilfe
kam, da Hellgate einer der Teile des Newyorker Hafens
ist, wo weniger Verkehr ist, als anderswo. Dann äber
benahmen sich die Schiffer held'enhast; sie fuhren bis
dicht an den 'brennenden Dampfer heran und begannen
das Rettimgs-Werk. Weniger heldenhaft waren die Män-
ner an Bord des „Slocum", denn diese sollen rücksichtslos
Fr-auen und- Kinder bei Seite gestoßen baben. nm selbst
gerettet zu werden. Auch die Mannschaft des „Slocum"
scheint nicht se'hr um die Passagiere bemüht gewesen zu
sein, denn nur wenige derselben sind umgekommen. Die
Mütter an Bord des Dampfers stürzten sich mit
ihren Kindern i m Arme ins Wasser, andere
warfen ihre Kinder über Bord in der Hoffnung, daß die
heranf-ahrenden Retter sie ausfischen würden. Wieder
andere liefeu wie wahusinnig auf'dem Dampfer umher,
unfähig irgend etwas zu ihrer Rettung oder der ihrer
Kinder zu tun.

Der P-astor George C. F. Haas, der Seelsorger der
Marknsgemeinde wurde gerettet, jedoch sind seine Frau
sowie Tochter Anna unter den Toten. Er sagte folgen-
des: Der Brand kam im vorderen Teile -des Schisses,
in der Kü-che, zum Ausbruch, als wir ans der Höhe der
144. Straße waren. Soviel ich in Erfahnmg gebracht
habe, wurde das Feuer dnrch übeickochendeS Fett vernr-

sacht und das- Küchenpersonal, statt das verhältnisiÄäßig
un'bedeutende Fener zn löschen, rannte davon. Zn dieser
Zeit waren die meisten Frauen uttd Kinder im rückwür-
tigen'Teile des Schiffes, d-a dort die Mstsik spielte. Wa-
rnm bei Ausb-ruch 'des Feuers der Kapitän nicht sofort das
Land aussuchte, isl unverstänidlich) na-mentlich, da ein
frischer Wind dem Schisfe entgegenblies und das Feuer
gerade in den Dampfer hineintrieb. Binnen wenigen
Minuten war dex Brand derart angewachsen, daß er nicht
mehr bewältigt häste werden können. Solche Szenen,
wie sie sich da entwickelten, habe ich noch nie gesohen und
ich glau-'be, daß sie niemals jemand gesehen hät.

Die Polizei verhastete den Kapitän van
Schaick sowie dcn zweiten Lotsen Weaver. Der Kapi-
tän wnrde sehr getadelt, weil er das L-chiff nicht an der
134. Straße oder in der Nachbarschaft derselben an
Land trieb, anstatt auf das eine Viertelmeile entfernte
North Brother Jsland. Der Kapitän sagt, er habe dies'
zuerst tun wollen, indessen seien in jener Gegend viel Oel-
niederlagen und Holzhöfe und einige Leute seiner Mann-
schaft hätten ihn gewarnt, da dort d'ie Währscheinlichkeit
des Menschenverlustes no-ch viel größer würde, als wenn
er das Schiff nach der Jnsel brächte. Der Kapitän erklärt,
die Rettungsboote seien verbrannt, bevor die Mannschaft
Gelegenheit gehäbt hätte, sie ins Wasssr zu lassen. Kurz
vor 1 Uhr sank 'das Wrack des „Slocujn."

Newyork 16. Juni. (Frankf. Ztg.) Bis jetzt
sind 206 Leichen geborgen, davon 30 Frauen,die übrigen
Kinder. Die Gesamtzähl der Ilmgekommenen A'irfte nach
 
Annotationen