Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 126-150 (1. Juni 1904 - 30. Juni 1904)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14240#1137

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
46. Allhißkkß. — -N 128.

LmsLkß, 1. Iillli IßN.

(§rftes Blütr.

ttßkch G««MB «M»«»««». P«A »V -amrNenblSttern monatlich vv Pfg. in's HauS gebracht, bei d« Expeditio» u»d d«l Zwiigstationen abgtholt 40 Pf,. Dmch dt«

bqogrn virrteljährlich 1,SS Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

» M. Be d<« 1^»ktt«, PettchM« »b« bom» «aum. R«klamezeile 40 Pfg. Für hiestge Geschästs. und Privatau^ige« ermätzigt. - Für dte «ufmchme W» »M«M,
»trb tet« Ve»»tMoitltchkeU übouomm««. — Anschlag der Jnserate auf den Plalattafeln der Heidelberger Zestung und dm städtischm Anschlagstellm. Aemsprecher M,


Vadischer Landtag.

89. Litzung öer Zweiten Kammer.

Kar ! srn h e, 3. Iuni. Am Regierungstische neh-
rnen Staatsminister v. Brauer, der beim Betrelen
des Saates von den ALgeordneten lebhaft begrüßl und
zur Wiedergenesung beglückwünscht wird, ferner Minister
Becker, Ministerialdirektor Freiherr v. Marschall
und Ministerialrar Nicolai Platz.

Präsident Gönner eröffnet nm ',410 Uhr die Sitznng
rnit folgender Ansprache: Zum erften Male seit dem Beginn der
gegentvärtigen Tagung der Landstände ist Herr Staatsminister
v. Brauer heute im Haufe erschienen, um seincn Platz am Regie-
rungstische einzunehmen. Bis jetzt war derselbe durch eine schwcre
und langwierige Störnng seincr Gesundhcit verhindert, seines
hohen und verantwortungsvollen Amtes in der Kammer zu sval-
ten, u. er war auch, um die Wiederherstellung seiner Gesundheit
zu erlangen, gcnötigt, sich einer gebieterischen ärztlichen Anord-
nuug zu fügeu und dieser entsprcchend cinen mehrmonatlichen
Aufenthalt im südliKen Klima zu nehmen. Bei dem peinlichen
Leiden des Herrn Staatsministers haben wir stets aufrichtige
Teilnahme empsunden und den Nachrichten Lber den erfolgreichen
Fortgang des Genesungsprozesses sind wir jeweils mit gespann-
ter Aufmerksamkeit gefolgt. Wir freuen uns deshalb herzlich,
den Herrn Staatsminister nach wiedererlangter Gesundheit
hier begrühen zn könncn und wir tnn dies mit dem Ausdruck
des Wunsches und der zuversichtlichen Hoffnung, datz ihm unge-
störte Gefundheit fortan befchieden sein möge. (Lebhafter Bei-

, Staatsminister v. Brauer: Gcstatten Sie mir, datz ich
nur mit wenig Worten Jhrem hochvcrehrten Präsidcnten dankc
für die freundlichen Worte, mit denen er mich begrützt hat, und
nicht minder Jhncn allen für die freundliche Aufnahme, die Sie
jenen Worten geschentt haben. Sie können sich denken, meine
Herren, wie es für mich antzerordentlich peinlich gewesen ist,
datz ich diesen ganzen Winter über nicht in der Lage gewesen bin,
Sie hier zu begrützen nnd meines Amtes .zu walten. Jch würde
nicht gezögert haben, aus dieser meiner langandauernden Ar-
beitsunfähigkeit die natürlichste Konscquenz zu zichcn und höch-
stcn Orts nm meine Enthebung vom Dienste nachznsuchen, wenn
mir dies nicht mitten in der Tagung des Landtags nnd nmnent-
tich angesichts der so sehr wichtigen Verfassungsvor-
1 age, die mir selber am Herzen liegt, und für die ich mich in
erster Linie verantwortlich fühle, gleichsam wie Fahnenflucht er-
fchienen wäre. So glaube ich, meine persönlichen Neigungcn und
die Rücksicht auf die Gesundheit zurückstellen und vorerst im Amte
ansharren zu sollen. Und wenn ich auch noch etwas schwach von
Kräften bin, ich werde Sie im Laufe der Verhandlungen viel-
leicht ersuchen müssen, mir zu gestatten, sitzend Jhnen zu ant-
ivorten, so hoffe ich doch, datz ich von jetzt bis zum Schlutz der
Laison Jhnen stets zur Vcrfügung stehen kann. Jch danke
^hnen nochmals für Jhre freundlichen Kundgebungen. (Bravo.)

Zur Beratung steht das Budget des Staatsministerinms
und des Grohh. Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten
über das

Abg. Breitner (Ztr.) den Kommissionsbericht erstattet.
Er becmtragt Genehmigung sämtlicher Anfordernngen.

Wg. Dr. Wilckens (natl.) gibt der Hoffnung Ausdrnck,
datz der Staatsminister seinen Einfluh auf eine glückliche
j-ösung der V e r f a s s u n g s r e f o r m geltend machen
wird. Weiter gedenkt er mit Anerkennung der hervorragenden
Verdienste, die sich der seitherige Bad. Gesandte am Berliner
Hof, Herr v. Jagemann,um das Land erworben hat. Damit
lvolle er aber nicht auch die w i s s e n s ch a f t l i ch e Theo -
rie gnthcitzen, die v. Jagemann in Bezug auf die Auflösung
des deutschen Reiches anfgestellt hat. Wir halten diesen Gedan-
'en für politisch undiskntabel und lehnenihnstrikte
u b. Redncr bedauert sodann das schlechte finanzielle Verhält-
jus der Einzelstaatcn zum Reich und tveist schliehlich auf die
lwlechtc Ventilation und die ungenügenden .Räumlichkeiten im
Hause hin. Wenn in einem so ungemütlichen und unbehaglichen

Raum mitunter Beschlüsse gefatzt werden, die autzerhalb des
Hauses Befremden erregcn, so brauche man sich nicht zu wun-
dern. (Heiterkeit.) Einen Neubau wolle er nicht anregen;
doch sollte zum mindesten das anstotzende Haus in der Ritter-
strahe für die Zwccke des Landtags eingerichtet werden. Die
offiziellen Landtagsberichte lassen jetzt an Gründlichkeit und Ob-
jektivität nichts zu wünschen übrig; dieses Lob kann man im all-
gcmeinen auch auf dic nicht offizielle Berichtcrstattung erstrecken.
Wir können nur dankbar sein, datz die Zeitungsberichterstatter
im grohen Ganzen ihrer Aufgabe gewachsen sind. Auch der Ar-
chivar der Zweiten Kammer verdient für die gewissenhafte Be-
sorgung seines Amtes Anerkennung.

Finanzminister Becker will die baulichen Zustände des
Ständehanses einer näheren Prüsung unterziehen. Jm Hause
selbst wird schwerlich abzuhelfen sein. Das Bezirksbauamt in
der Ritterstratze wird in seinem jetzigen Zustand wohl kcrum zu
verwenden sein.

Abg. Dr. Heimbnrger (Dem.) cmerkermt ebenfalls die
Vortrefflichkcit der offiziellen Berichterstattung und beklagt die
mitzlichen Vevhältnisse des Ständehauses. Wenn anders nicht
abgeholfen werden kann, so mutz man an einen Neubau schreiten.
Redner weist sodcmn cmf die schlechten Befövderungsverhältnisse
der in Baden geborenen höheren Postbeamten hin, die daraus
zurückzuführen seien, datz die Bestimmnngen des Staatsvertrags
vom Jahre 1871 nicht eingehalten werden. Wenn man 1870
gewutzt hätte, wic es kommen wird, wäre man jedenfalls ekwas
vorsichtiger gewesen. Jn den 30 Jahren war noch nie ein
Bädener in Prentzen in leitender Stcllung. Aehnlich liegen die
Verhältnisse bei den mittleren Postbeamten, die nur schwer
wieder in Baden Verwendung finden, werm sie einmal nach
Norddeutschlcmd vcrsetzt sind. Auch in sachlicher Hinsicht scheinen
die Jnteressen Badens nicht gebührende Berücksichtigung zu sin-
den. Die Zahl der Postämter entspricht bei weitem nicht dem
vorhandenen Bedürfnis. Mit diesen Beschwerden wollen wir
nicht partikularistische Neigungen hervorkehren, sonidern nur
dcn berechtigten Wünschen unserer Postbeamten Gehör ver-
schaffen.

Abg. Schmidt (Ztr.) besürwortet namens seiner Freunde
die Aendernng der baulichen Zustände des Ständehanses und
tritt bezüglich der badischen Postbeämten vollständig den Aus-
führungen Heimbnrgers bei.

Wg. Venedey (Dem.) beklagt ebenfalls dic Zurücksetznng
der badischen Postbeamten. Unter 700 höheren Postbeamten fin-
den sich nur 8 Badener in Baden und zwei autzerhalb Badens.
Auch hinsichtlich der Dienstzulagen sind die Badener schlechter ge-
stellt als ihre Kollegen in Preutzen. Die Grotzh. Regierung sollte
etwas energischer als bisher die Jnteressen der Larideskmder
wahren.

Abg. S ch n e i d e r - Lahr (natl.) schließt sich bezüglich der
Postverhältnisse vollständig den Ausführungen der Vorredner an.

Abg. Dusfner (Ztr.) meint, man könne der tropischen
Hitze am besten. cntgchen, wenn man den Landtag früher einruft
und früher schlietzt. (Lachen, Rufe: Fa, ja!)

Llbg. Eichhorn (Soz.) anerkennt die offizielle Berichter-
stattung. Trotzdem sollte man versuchen, die stenographische
Berichterstattung einzuführen. Wünschenswert wäre weiter ein
Redner- und JnhaltSverzeichnis an der Spitze des gedruckten
Berichts. Redner nnterstützt weiter die Anregungen betr. die
Umgestaltung des Ständehauses. Ein Neubau sei nicht gerade
notwendig, man könnte die Erste Kammer verlegen. Den Ab-
geordneten sollte für die Dauer der Session freie Fahrt auf allen
badischen Bahnen gewährt werden. Die Tagegelder sollten auch
den in Karlsruhe wohnenden Abgeordneten ausbezahlt werden.
Eine Reichsfincmzreform halte er nur für möglich im Rahmen
der Einsührung ciner allgemeinen Einkommens- und Vermögens-
stener.

Wg. Wittum (natl.) ersucht die Regierung, die Errichtung
eines Telegraphenamtes in Pforzheim bei der Berliner Zentral-
behörde zn befürworten und weiter für die Errichtung ciner
Reichsbankstelle in Pforzheim Sorge zu tragen.

Staatsminister p. Brauer glaubt, datz dem Bedürfnis
nach Freikarten dadurch äbgeholfen werden kann, daß die Frei-

fahrt anch nach dem Wahlkreis ausgedehnt wird. Der Rücktritt
des Herrn v. Jagemann war ausschliehlich durch gesnndheitliche
Rücksichten bedingt. Dah er in völliger Emtracht von den
Berliner Behörden geschieden ist, davon gibt die Anszeichnnng
mit einem hohen Orden uäd ein huldvolles Schrekbcü des
Reichskanzlers beredtes Zeugnis. Schon Frhr. v. Marschall habe
wegen Ueberhäufung mit Arbeiten eine weitere Arbeitskraft ver-
langt. Andere Staaten tun in dieser Beziehnng mehr als wir.
Das Postabkommen halten wir gewissenhaft ein.

Ministerialdirektor Frhr. v. Marschall erklärt, daß die
Regierung stets die Anschauung vertreten hat, dah unter „Bade-
ner" im Sinne des Staatsvertrags vom Jahre 1871 nnr ge-
bürtige Badener zu verstehen sind. Die Regierung ist aber weit
Lavon entfernt, diese Bestimmung engherzig ansznlegen. Wenn
es sich nm Beamte handelt, die schon lange im Lande wirken
und die badische Staatsangehörigkeit erworben haben, müssen
Ausnähmen gestattet sein. Von den 26 höheren Postbeamten-
stellen sind ällerdings nur 6 mit Badenern besetzt. Darunter
sind aber 10 Postinspektorenstellen, die grundsätzlich nur mit
Beamten aus anderen Bezirken — Karlsruhe nnd Konstanz
werden als ein Bezirk betrachtet — bcsetzt werden dürfen. Wir
kömien das Anciennitsprinzip nicht zu Gunsten der Badener
durchbrechen. (Warum nicht?) Die Pforzheimer Wünsche
werden in wohlwollende Erwägung gezogen, wie überhaupt alle
Wünsche der badischen Lcmdeskinder gebührende Berücksichtigung
sinden.

Mg. Dr. Heimburger (Dem.) kann nicht Legreifem
wie es kommt, datz, wenn die Regierung die Anffassnng des
Hanses teilt, die Verteilung der Beamtenstellen so nngleichartig
ist. Auch sei nicht einzusehen, warum Konstanz und Kcrrlsrnhe
als ein Bezirk angesehen wird. Auffallend ist anch, datz nnr
Hilssstellen mit Bcrdenern besetzt werden. Widerlegt wnvde
nichts, wenn es auch sehr erfreulich, dah die Regierung mit
grotzer Energie die Wünsche der badischen Landeskinder ver-
treten will. Es bleibt nnr zu wünschen, datz dieser Wille auch
von Erfolg begleitet ist.

Abg. Dr. Wilckens (natl.) karm aus eigener Erfahrnng
bestätigen, datz Hcrr v. Jagcmcmn in Heidelberg scine volle
Gesundheit wieder erlangt hat. Einen Neubau des Stände-
haüses hälte er nicht für notwendig. Der früheren Einberuftmg
des Landtages stche er sehr skeptisch gegenüber, da es nicht sest-
stehe, datz er auch srüher geschlossen wird. Die Regierung sollte
sich mit aller Energie den Jnteressen der Postbecunten an-
nehmen.

Staatsminister v. Brauer betont, dah jahrzehntelang
sich fast gar keine badischen Posteleven meldeten. Jn absehbarer
Zeit werdc man aber sämtliche Stellen mit Badenern besetzen
können. Jn der Zwischenzeit herrschte ein Mangel an geeigneten
Kräften (?). Er bitte nm Mitteilung von Spezialfällen.
Häufig sind auher der Anciennität auch persönliche Gründe sür
die Nichtbeförderung mahgebend. Die Jnteressen der badischen
Postbeamten sind bei nns gut gewahrt.

Damit schlieht die allgemeine Beratung.

Jn der Spezialberatung sührt Sühkind (Soz.) aus, datz
der neue Gesandte anscheinend mehr zur Repräsentation als
zur Geschäftsführung nach Berlin gesandt würde. Man hätte
die Stelle einem tüchtigen Fachmcmn übertragen sollen, nicht
eincm solchen rcaktionären Mann. Wir becmtragen, die Posi-
tion für den neuen Gesandten abzulehnen.

Staatsminister v. Brauer betont, dah die Ernermnng der
Gesandtcn Sachc des Landesherrn ist. Graf v. Berckheim ist
allerdings kein zünftiger Jurist. Aber gerade das pflegen doch
die Sozialdemokraten sonst auch nicht zu tadeln. (Heiterkeit.)
Der neue Gesandte ist eme tüchtige Arbeitskraft, der sich bereits
ein hohes Ansehen im Bundesrat erworben hat. Sühkind möge
vorerst seine Leistungen abwarten. Aber anch wenn man das
Gescmdtengehalt streichen würde, so mühte man das Gehalt für
den ersten Bevollmächtigten bewilligen.

Die Position sür die Gesandtschaft in Berlin wird hierauf
mit allen gegen S (Soz.) Stimmen genchmigt. Die übrigen
Anforderungen werden debattelos genehmigt.

Heidelberger Kunftverein.

Kritik der Kritik.

, Der Kritik geht es im allgemeinen wie dem Wetter: sie
es nicmaüdcm recht machen. Vor allem Kunstkritik ist ein
wdankbares Geschäst, solange sie sich darauf beschränkt, Urteile
^sügeben. Tatz sie dabei anstohen mutz, licgt aus der Hand;
tzerin sclbst im günstigsten Falle — wenn sie unbedingt loben
rann — werdcn die Nichtgelobten der Vergangenheit nnd Zu-
runft einen Ring bilden nnd das Lob, das gespendete und das
nicht gespendete, als einen Ausfluh persönlichen Geschmackes hm-
sustellen wisscn: und so zerfällt die Kritik in Atome. Denn so-
vald wir von Geschmack reden, wissen wir ja: „de gustibus"
"äv. nsw.

-. Es gUt also, die Kritik von vornherein auf cinen Jsolier-
Ichemel zu stellen, welcher von weitem als solcher sichtbar — auf
üien Fsolierschemel, welcher die Möglichkeit persönlicher Vorein-
örnommenheit möglichst ansschlieht.

.. "finpersönliche" Urteile freilich gibt es nicht; das vielbe-
uchtigte „objektive" Urteil ist mehr oder weniger eine Selbst-
auschung. Die Kritik wird'also weniger in der Abgabe eines
als in Feststellung von Tatsachen bestehen. Natürlich
-lchl jener, ivelche dem Beschauer des Kunstwerkes ohnedies be-
unnt sind; wenigstens hiehe das, gelinde gesagt, Zeitverschwen-
n betreffenden Umstände kommen hier selbstredend

j V'O^iracht; die Besprechung von Knnstwerken, welche am Orte
j vermcmn zugänglich sind, wird anders zu Werke gehcn als die-
deren Objekte in fernen Galerien und Ausstellungen zn
I, Ünd. So muh bei jonrnalistischen Kritiken die Beschrei-
ung der Bilder sich auf das Mindestmah znrückziehen; und hier
Uii Ivir schon in Konslikt mit der landläufigen Meinung
er me Grenzen nnd Pslichten der Kritik.

Fnhalt beschreiben" — so lautet ja wohl hänfig die
^""8 des Publikums an die Besprechung; selbst manche
, nuier möchten^ am liebsten schon hierbei den Kritiker fest-

bei jenen, deren Bilder mehr Jn-

neonei

»egen — übrigens begreiflich

Halt als Malerei aufweisen sollen. Toorop z. B. wird zu
jedem Bilde eincn Reklamebcmd herausgeben lassen müssen —
wenn er wünscht, verstanden zu werden.

Um die Darlegung des geistigen Jnhalts eines Bildes ist es
aber eine eigene Sache. Nicht jeder liebt es, an einem geistigen
Gängelbcmde von Bild zn Bild geführt zn werden, und ein sol-
ches und nichts anderes ist doch das subjektive Hineindcuten einer
Besprechung in die Jnnerlichkeit eines Kunstwerkes. Wir müssen
hicr daran denken: „der Ort, da du stehest, ist ein heiliger Ort"
— natürlich immer wahre, ehrliche Kunst vorausgesetzt! — es
ist das Walten des höchften Triebes der Menschheit, das im
Kunstwerk zu Tagc tritt. Und dieser Geist will Brücken schla-
gen vom Bilde zum Beschaner, und jede Brücke soll anders seinl
Jst der Geist lebendig im Bilde, und ist der Beschauer von jener
geistigen Verfassung, 'die dazu adäquat, so wird jede Aus-
deutung als unzarte Einmischung empfunden. Es ist, als weizzi
wir ein Gedicht — mit danebenstehender Jnhaltsangäbe vor-
gesetzt bekommen. So hat selbst diese Art des Näherbringens
des Bildes an den Kunsffreund — was wir doch als einen
Hanptzweck der Kritik ansehen müssen — für subtilere Gemüter
grohe Nachteile, so vcrlockend zuweilen der geistige Gehalt eines
Kunstwerkes zn solcher „Malerei in Worten" oder schwungvollen
Nachdichtungen einladet. Solange der Besprecher nicht direkt
das Organ des Künstlers ist — und davor wolle uns der gute
Geist der Knnst behüten! — so lcmge ist auch die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, dah seine Nachdichtung Wege geht, die dem Künst-
ler sern lagen.

Es wird also cinc vorsichtige und feinsinnige Kritik aus alles
verzichten, was die persönliche Beziehung zwischen Künstler und
Beschauer allzusehr beeinsluht. Dies Gebiet ist des modernen
Menschen ureigenc Domäne — in seinem Empfinden sür den
Jnhalt des Kunstwerks ist er autonom und wir tun besscr, ihn
hier allein zu lasscn.

Was bleibt a'lso der Liriffk auch dem gebildeten Publikum
gegcnüber noch zu tun übrig?

Sie soll nicht sagen: „das ist schön und jenes hätzlich".

Sie soll nicht sagen: „das gefällt mir" oder „jencs erregt
nteinen Abschen".

Sie soll nicht beschreiben nnd erzählcn, nicht nachdichten
odcr die „Malerei in der Poesie" von Hallers und Lessings
Zeiten seligen Angedenkens wieder cmfertvecken.

Ties alles soll sic n i ch t. Was soll sie denn?

Sie soll dem Publikum das vermitteln, was dieses aus sich
heraus weder wissen noch empfinden karm: die rein künst -
lerische Anschauungl

Das Formale in der Kunst, die Freude am Estethischen
— mit einem Wort, die esthetische Wissenschaft, wie sie im vor-
liegenden Fall >zu Tage tritt: das ist das Herrschcrreich der
Kritik. Datz cs sich hier nicht nm die nbelbelenmundeten, bei
der Stndierlampe ausgehcckten toten Formcln der^ älteren
„Aestethik" Handeln kann, dürfte ohne weiteres klar sein. Es
gibt so unendlich viel lebendiges, aus dem engsten Zusammcnhang
mit der Natur herausgeschöpftes Wissensmaterial und die Be-
ziehungen dessclpen zum Kunstwerke erlauben so reiche Ausge-
staltungen — so reich uüd mannigfaltig wie die Gebilde der
Kunst selbstl — dah man nur erstaunt sein kann, dieses Feld
nicht mehr gcpslügt zu sehen. ,

Anders, reicher, tiefer, gebeimnisvollpr wird die unsichtbare
Qnclle der Empsindung bei sotcher dnrch dic bewußte Kritik ge-
steigerten Anschaunng flietzenl

B. F e i st e l - R o h m e d e r.

Kleine Zeitung.

— Wien, 2. Iuni. Der Dichter M a r t i n Greif
ist an Niereiientzündung erkrankt iiud gleichzeitig von
seinein alten Augenübel heimgesucht worden.

Noch schlimmcr. „ . . . Also war cs nur ein lceres Ge-
rücht, datz Du mit Deiner Frau aus der Hochzeitsreise nach
Tirol abgestürzt seist?" — „Allerdingsl Abcr — im Vertrauen
gesagt — „'reingesallcn" bin ich doch mit ihr!"

DieZheirtigeWummer umsaßt vier Blätter, zusammen löMeiten.
 
Annotationen