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Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Januar bis Juni)

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Nr. 126-150 (1. Juni 1904 - 30. Juni 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14240#1309

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Roit»,, 27. Zmi 1V1._Erstes Blatt. 46. z-hrz»,. — ^ 147.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. PreiS mit Familienblättern monatltch 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expeditio« und den Zweigstationen abgeholt 40 Pfg. D«kch dt» GM

bezogen vierteljährlich 1,35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

BnzeigenpreiS: 2V Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder dcren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Gcschästs. und Privatanzeige» ermäßigt. — Ftk di« Aufmchm« »M NWchW» ^
an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Pla kattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen AnschlagsteLen. Ferusprecher W.

Die Kieler Woche.

Der König von England ist am Samstag in
i eingetroffen, wo chm der K a i s e r W i I h e I m einen
'?Iennen Empfang 'bereitete. Es sind inzwischen auch
^chon Tischreden zwischen den Monarchen gewechselt wor-
aus denen hervorgeht, daß König Eduard unter den
^Ngländern der beste Deutsche ist, wie König^ Wilhelm
^Nter -den Teutschen als der beste Engländer gilt. Eine
EuEa politische Bedeutung mißt man der Monarchen-
^l'ammenkunft nicht bei und auch die „Nordd. Allg.
Mitung" hat ihn ofsiziell als Familienbesuch gefeiert.
. Ueber die^ Ankunft des Königs inrd deit bisherigen
^erlauf der Kteler Woche liegen folgende Mtteilungen
"vr:

. Holtenau, 25. Juni. Um 2 Uhr nahm aus dem
°tdlichen User der Holtenauer Schleuse eine Ehrenkom-
^gnie der 1. Matrosenartillerieabteilung, auf dem süd-
Aen Ufer die Leibkompagnie des 1. Garde-Regts. z. F.
pUfstellung, letztere in ihren historischen Blechmützen mit
^fihne und Mustk, wobei die direkten Vorgesetzten bis
^Uanf zum Generalleutnant von Loewenfeld sich befanden.
7-or Kaiser traf auf der „Hulda" an der Schleuse ein
«nd besichtigte zuerst die Matrosenkompagnie, sodann die
^umpagnie des 1. Garde-Regiments z. F. Bei der letz-
^Usn waren inzwischen eingetreten die Prinzen Eitel
^Uedrich, August Wilhelm, Oskar und Joachim, Ler aus
^^oen eingetrosfen war. Der Kaiser trug englische Admi-
^lsuniform mit dem Bande des Bathordens. Zum
?-uipfang des Königs von England fanden sich ferner ein
Kronprinz, Prinz Heinrich von Preußen, die Herren
^ Hauptquartiers, der Ehes des Marinekabinets, der
fsUegsminister, der Polizeipräsident und die Admiralität.
^eich hinter dem Äreuzer „Juno" ging die englische
^onigsjacht „Viktoria and Albert" in die
s^fchleuse, während auf Leiden Seiten die Reitereskadrons,
Mche die Jacht den Kanal entlang begleitet hatten,
?ult machten. Die Musik spielte die englische National-
chuiue. König E d u a r d in der Uniform eines deutschen
-/pkuirals mit dem Bande des Schwarzen Adlerordens,
großem Gesolge, unter ivelchem sich der englische
^lschafter in Berlin befand, salutierte. Sobald die
rücke gelegt war, ging der Kaiser auf die Zacht und
^nißte den König. Der König stellte das englische
^folge vor. Der König begrüßte den Kronprinzen und
Prinzen Heinrich ebenfalls auf das herzlichste und
^hln Lie Vorstellung des kaiserlichen Gefolges entgegen.

bE Wschreiten der E hr e n k o m p a g n i e des
^ .Garderegiments, wobei -der König den eingetretenen
. ^Ulzen die Hand reichte, kchrten die Monarchen auf die
^lische Königsjacht zurück. Die Jacht lief, nachdem sie
,^geschleust war, in den Hafen ein. Der Jacht folgten
^ sechs englischen Torpedobootzerstörer. Alle im Hafen
^genden Schifse, Jachten u. Vergnügungsdampfer hatten
die Toppen gesIaggt. Die Strandbatterieen
dix Kriegsschiffe feuerten den Königssalut.
/sohrend des ganzen Vorgangs ging ein strömender Regen

Ueber Willensfreiheit.

lvir Willensfreihcit? Das ist eine Frage, über welche
iie >r^l>schen teidenschaflliche Debatten fü'hren. Der Cine bejaht
h^,^en so entschieden, wie der Andere sie cnergisch verneint,
oeide bedenken nicht, datz sie gar nicht einfach mit Ja oder
Su, beantworten ist, datz in ihr ein ganzes Netz von Pro-
steckt, eine ganze Reihe von Fragen, dcrcn jedc ihre be-
,Lfe Beantwortung erheischt.

d ^ trf! ist gros^s Verdienst von Herrn Ge'heimrat Win -

hicr oand , dah er in 12 Boriesungen, die er in Straßburg und
P^.llchalten hat, es unternahm, den Knäul von Fragen und
kx^oiemen, die da mitcinander verschlungen sind, säuberlich in
l>lok bster Gedankenarbcit zu entwirren, jede» cinzelnen Faden
I^o^llgen und aufzuzcigen und damit Klarheit in eine Ange-
zu üringen, die mit dcn höchften Fragen der Mcnschheit
rgn-.0erknüpft ist und darum von jeher die Denker wic die Mo-
jE>> aufs tiefste ergriffen und aufs lcbhafteste beschäftigt hat.
Vorlesungen sind jetzt in Buchform erschiencn*). Jndem
Leser mit allem Nachdruck auf das Werk hinwcisen, wol-
ski-i-" h'br mit cinigen kurzen Worten den Jnhalt deS Bnches
oa>crcn.

^ iiZie billig geht Windclband von der Desinition der Begriffe
hej^sheit und Willen aus. Was heiht Freiheit? Was
^v ^sille? Welchen Sinn hat der Satz: der Wille ist frci?

V, !^ei ist ein negatwer Begriff. Er bedentct cin Fehlen sz.
ei^Euerfrei, fehlcrfrei, fioberfrei), das Nichworhandensein
>»„,. .-lkchinderung, cines Zwanges. Jn pofitiver Fafsüng kann
^Wgen: frei ift, ivas lediglich fich felbst beftimmt.
stch ^^ann ist Freiheit cin relativer Begrifs, das heitzt er bezicht
fowt.^p ein Anderes, deffen Vorhandenscin verncint wird. Ab-
"le grciheit gibt cs nicht.

^ilbos ^EberWillensfreihcit, 12 Vorlcsungen von
^^u> Windclband. Tübingen und Leipzig. Verlag
lleb Mvhr (Paul Siebeck). Preis broschiert 3,60 Mk.,

' *-->0 Mark.

Nachdem die Königsjacht „Viktoria and Albert" sest-
gemacht hatte, begaben sich König Eduard rmd Kaiser
Wilhelin an -Bord der „H ohenzo11er n", wv Kömg
Eduard von der Kaiserin empsangen wurde und die
Vorstellnngen des weiteren Gefolges und der Ilmgebungen
des Kaiserpaares entgegennahm. Hieran sch'Ioß stch eine
Desilierkonr aller aktiven Ofsiziere, Komman-
danten, Komnmndeure der Marineteile an Land un-d der
direkten Vorgesetzten der Ehrenko'Mpagme vor dem König.

Kie1, 25. Juni. Bei der heutigen Tafel hielt der
Kaiser folgenden Trinkspruch:

„Es gcreicht mir zur hohen Befriediqung, Eurer könig-
lichen und kaiserlichen Majestät zum erstenmal an Bord eines
deutschen Kriegsschiffes den Willkommcngrutz zu entbieten. Den
Seeweg wählend, sind Eure Majestät zum deutschen Gestäde
gekommen als der Herrscher eines grohcn, durch die See welt-
ümspannenden Reiches und wollen auch gütigst an den Veran-
staltungen des deutschen Segclsportes Änteil nehmen. Begrüht
sind Eure Majestät worden durch den Donner der Geschütze der
deutschen Flotte, welche erfrent ist, ihren Ehrenadmiral zu
sehen. Sie ist dic jüngste Schöpfung unter den Flotten der
Welt und ein Ausdruck der wiedcr erstarkenden Seegeltung des
durch den vcrewigten grotzen Kaiser neu geschaffenen Deutschen
Reiches. Bestimmt zum Schutzc seines Handels und seincs Ge-
bietes, dient sie ebenso wie das dcutsche Heer der Anfrcch t -
erhaltung 'des Friedens, den das Deutsche Reich seit
über dreitzig Jahrcn gehälten und Europa miterhalten hat.
Einem jeden ist bekannt durch Eurer Majestät Wortc und Wir-
ken, datz Eurer Majcstät ganzes Streben auf eben dieses Ziel
gerichtct ist: die Erhaltung des Fricdens. Da auch dicscs Ziel
zi> erreichen ich stets mcine gcsanrte K'raft eingesetzt habe, fo möge
Gott nnsern Bestrebungen Gelingen verleihen. Jn unauslöfch-
lichcr Erinnernng an die i» Osborne gemeinsam verlebten un-
vergctzlichen Stunden mn Sterbebette der grotzen Beherrscherin
dcs jctzt von Eurer Majestät regicrtc» Weltreiches, leere ich
mein Glas auf das Wohl Eurer Majestät. Jch trinke auf das
Wohl Sr. Majestät des Königs von Grotzbritannien und Jr-
land, Kaiscr von Jndien."

König Eduard erwiderto den Trinkspruch
mit folgenden Worten:

„Jndem ich Eurer kaiserlichcn und königlicherl Majcstät mei-
ncn aufrichtigsten Dank sage auf die überaus freun'dlichen Worte,
in welchen Eure Majestät auf mein Wohl getrunkcn haben,
schähe ich mich glücklich, datz sich schon jctzt dic Gelegenheit bietct,
mcincm Gefühl dcr höchsten Anerkennung Ausdruck geben zu
können fiir dcn glänzeüden Empfang, den 'Eure Majestät mir
hier bercitct haben. Es freut mich ganz besonders, Lah es mir
möczlich war, Eurer Majestät z» einer Zeit dcs Jahres einen
Bcplch machc» zu können, in wclcher ich gewöhnlich i» der Hei-
mat am meisten in Anspruch genommen war. Jedoch der Anteil,
den ich seit langen Jahren am Segelsport genommen habe, übte
zn grotze Anzichungskraft auf mich aus, nm nicht den Anlatz zu
bcnuhen, mich zu überzengen, wic es Eurcr Majestät gelungen
ist, für diesen Sport auch in Deutschlan'd Anhänger zu finde».
Dazu gesellt sich der Wunsch, die innigen verwandtschaftlichen
Bcziehungen, welche unfere Häuser feit fo langer Zeit verbunden
haben, durch erneutc» persönlichen Verkehr womöglich noch enger
zu verknüpfen. Eurer Majestät anerkennende Erwähnung mei-
nes nnablässigen Strcbens nach Erhaltung des Friedens hat
mich tief gerührt und ich bin beglückt in der Gewitzheit, datz
Enre Majestät das gleiche Ziel im Auge habcn. Möchten unserc
beidcn Flaggcn bis in die fernsten Zeiten cbenso wie heute
ncbeneinandcr wehen znr Aufrechterhaltung des Friedens und
dcr Wohlfahrt nicht allein unserer Lnnder, sondern auch anderer
Nntionen! Jch üin stolz darauf, Eurer Majefiät Flotte als
Ehrenadmiral anzugehören, ebcnfo wie meine Flotte cs als hohe
Ehrc schäht, dah 'Eure Majestät die britifche Sceuniform trägt,
wclche Eurcr Majestät von meiner unvergctzlichen Mutter ver-
lichen tvurde, dercn Andenken uns bcidcn heilig ist. Jch erhebc

Dcr menschliche Wille ist dcr Gesamtname für alles einzclne
Wollen dcs Menschen, das cntwcder pojitiv odcr ncgativ (Ab-
schen) ist.

Eine llnterfuchnng lehrt nns nun, datz im Mlauf dcs Wil-
lenslcbcns drei dcntlich von cinandcr gesonderte Phafen zu un-
tcrschcidcn sind. Die erste cnthält die Entstehung dcs b e -
sonderen Wollens, dcr cinzelnen Begchrungcn, von de-
nen jede, wcnn sie für sich allein b-liebe, unmittelbar in Handeln
übcrgehen würdc. Die zweitc bedeutet dic gegcnscitige
Hemmung und Ausgleichung der Begierden und
führt durch dic Wahl zur Entschcidung zwischcn ihnc».
Die dritte ist durch den bcfonderen Willensimpuls
bezeichnet, mit dem dic ungehcmmtc oder durch Wahlentscheidung
bestimmtc Bcgierde fich in die cntsprcchende leibliche Hand -
l n n g uinfetzt. Wir haben alfo die drei Phase» des Wollen s,
des Wählens und des Ha » delns.

Die Frciheit des Handelns bcfitzen wir, wcnn auch keinc ab-
solute. Wir können nicht alles tun, was wir wollen; man denke
an cineu Gelähmten, der cine Tafse ergrcifen will. Und ebenso
ist nicht jede unserer tatsächlichen Handlungen frei; man denke
an dic nnwillkürlichcn Bcwcgimgcn. Aber innerhalb dcr nor-
malcn Grcnzen kann dcr Mensch, was cr will.

Jnterefsanter ist die Frage, ob der Mensch auch in 'der Wahl-
cntscheidung frei ist, die nachher zum Handeln führt. Auch hier
fassen wir nnr normale Verhältnisse ins Ange. Diesc vorausge-
setzt, mutz man sagcn, datz dcr Mensch die Freiheit der Wahlent-
scheidnng besitzt. Nur darf man das Nicht so auffassen, als sei
dcr Wille nnabhängig von allen Motiven. Das wäre eine schnur-
rige SelLsttäuschung. Bei der Wahl siegt notwendig bas stärkste
Motw. Weläjes Motiv aber zum stärfften wird, das richtet stch
nach dcr Pcrsönlichkcit dcs betreffendcn Mcnschen. Darnach ist
also Freiheit 'dcr Wahlcntscheidung die Bestimmung einer Hand-
lung durch den C'haraktcr. (Kausalität dcr Pcrsönlichkeit.)

Haltl rnfen hicr die Jndcterministen. Die wahre Willens-
frechcit besteht naäi unsercr Auffassung gerade darin, datz der
Wille, ohnc dürch Motive genötigt zn werden, entscheidet, und

mein Glas, um auf das Wohl Eurer Majestät zu trinken. Se.
Majestät der dcutsche Kaiser, König von Preutzen, und Jhre
Majestät die Kaiserin und Königin leben Hochl Hochl Hochl"

Bei dem an >der Galakafel an Bord öer „Hohenzollern"
anf den König Eduard ausgebrachten Trinkspruch feuer-
ten die Schifse im Hafen Salut und die Musik spielte die
englische Nationalhymne. Bei dem Trinksprnch Zes Königs
spielte die Mnsik die deutsche Nationalhymne.

Kie1, 25. Juni. Der Hasen war abends präch-
tig i 11 u m i n i e r t. Sämtliche hier vor Anker liegenden
Schiffe der dentschen Flotte waren in ihren Konturen
elektrisch beleuchtet. Am Ufer beobachteten Tausende trotz
des anhaltenden Regens das herrtiche Bild.

Deutsches Reich.

— Die kaiserliche Marine feierte am 24. Juni einen wich-
tigen Gedenktag. Vor 50 Jahren traten die ersten
Kadett-Aspiranten in die Marine ein. Es waren zehn an
der Zahl, von denen vier heute noch leben: es sind Ad-
miral v. Knorr, die Kontreadmirale a. d. Kühne und Zir-
zow und der Kapitän zur See a. D. Jung. Der Kaiser
hat, um diese Vetcranen zu ehren, alle vier nach Kiel zur
Regatta eingeladen.

Bade«.

St. Blasien, 25. Juni. Der Grotzherzog beab-
sichtigt am 15. Juli von hier uach Karlsruhe zu fahren,
um am folgenden Tage den Landtag zu schließen.

Karlsruhe, 25. Jrmi. Dcr Großherzog hat den
Professor der^ ev. Theologie Bassermann - Heidelberg, deir
Kirchenrat Höchstetter-Lörrach, den Pfarrcr Mayer-Dinglingerp
den Kommerzienrat Dürr-Karlsruhe, den Fabrikanteu Kauf-
mann-Lahr, den Universitätsprofessor Schröder-Heidelberg
und den Landgerichtsdirektor Waag-Konstanz in die evan-
gelische Generalsynode bernfen. Die Herren Schrö-
der und Mayer wurden zu der Mittelpartei gerechnet,
die bei den Wahlen der Generalsynode schlecht abgeschnitten
und keinen Vertreter ihrer Richtung durchgebracht hat.

KarI s r nhe, 26. Juni. Ter Vorstand des I u n g-
I i b e r a t e n V e r e i n s Karlsruhe sieht sich wegen un-
richtiger Mitteilungen in der Presse veranlaßt, öffent-
lich zu erklären, daß der IungIiberale Verein den
Vorgängen in der letzten Generalversammlung des Karls-
ruher natronalliberalen Vererns g ä n z I r ch f e r n st e h t.
Die Generalversammlung setzte srch aus Mitgliedern des
nationalliberalen Vereins zusammen, sllr deren Tun und
Lassen der J-ungliberale Verein jede Verantwortung ab-
lehnt.

— Der „Schwäb. Merkrrr" erhält von Herrn Dr.
A. K n i t t e l, Mitinhaber der Braun'schen Hofbuch-
druckerei in Karlsruhe, folgende Znschrift: Jn 9kr. 288
Thres Blattes bringen Sie die Mitteilung, daß in der
Generalversammlung des nationalliberalen Vereins
Karlsrnhe der Hauptredner der Tnngliberalen ein Na-
tionalsozialer gewesen sei. Jch bitte Sie, davon Notiz
zu nehmen, daß ich erstens natronalliberal war und bin,
daß ich zweitens mit den Nationalsozialen noch n i e etwas
zu tun hatte und daß ich drittens nicht als Jnngliberaler,
sondern als Mitglied des nationalliberalen Vererns sprach.

wir wollen Euch an cinem sehr einfachen Beispiel zeigen, datz
dieses gcschicht. Nehmct an, Jhr kauft ein Lotterielos; der Käu--
fer hält Euch einc Hand voll Lose hin nnd Fhr greift ein belie-
biges davon heraus. Habt Jhr da nach einem Motiv gelvählt?

Das klingt sehr bestechend, aber in Wirklichkeit spricht das
Beispiel gegen diejenigcn, die cs anffihren. Liegt dcnn in dem
obcn angeführtcn Falle überhanpt eine Wahlenffcheidung vor?
Wir wollen ein Los kaufcn, wir wollcn cines aus den uns vor-
gehaltcncn herausziehen, das hat der Wille enffchiedcn; aber
das Iveitere Detail des Herausgreifens übcrlätzt er dem Mecha-
nismns der zugrciscndcn Hand. Er entschcidct sich nicht, cüen
weil ihn kcin Motiv zur Wahlcntscheidung zwingt.

Wenn wir nun festhalten, datz die Freihcit des Wähleirs
die Entscheidung nach dcm Charakter ist nnd Ivcnn Ivir festhalten,
datz der Mensch diese Freiheit besitzt, so brauchcn wir wohl kaum
zu sagen, datz auch diese Freiheit keine nbsolute, sondcrn eine
vielfach eingeschränkte ist. Man vergegenwärtige stch, datz der
Mensch kaum jemals alle Möglichkeiten Lbcrblicken kann, die in
einer Sache liegcn, datz cr eine gewissc Zeit zur Ueberlegung
braucht, wsthrcnd der Entschlutz manchesmal sofort gefatzt wer-
den mutz; man dcnkc an pathologische Anlagen, an Gefühlsanf-
wallungcn — üccinträchtigt dies alles ihn nicht in der Entschei-
dung nach seinem Charakter? Dann habcn wir das Heer der Lei-
denschaften. Auch einen von Letdenschaft beherrschten Menschen
nennen wir unfrci. Jnsofern Leidenschnft ein dancrndcs, starkes
Wollen ist, tun wir dies mit Unrecht, denn die bestimmte und
dauernde Willcnsrichtung macht ja geradc den Charakter des
Menschen aus. Wir meinen dieje Unsreiheit tatsächlich auch in
einem ganz anderen Sinne, nämlich im sittlichen. Da nun die
Befrcinng von Leidenschaften nur möglich ist durch die Vernunft»
durch die Erstarkung dcs vernünfttgen Denkens und derjenigen
Motive, die cs mit sich führt, so ergibt sich in sittlicher Beziehung
der Satz: Frci sein, heitzt der Vernunft gchorchen.

Vcrnunst und Tricb werden sich ost genug widcrsprechen,
nnd dcmgemätz wird sich oft genug zeigcn, datz cin Mensäi wohl
wahlsrei gehandelt hat, aber sittlich unfrei wär, oder umgckchrt»
 
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