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Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-77 (1. März 1904 - 31. März 1904)
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Grstes Blettt.

ä6. KhkßMß. — 59.

DßUttstrlg, iü. MSrz 1864.

Erscheint täglich, SonntagS auSgenommen. PreiS mit Familienblättcrn monatlich 50 Pfg. in's HauS gebracht, bei der Expcdition und den Zweigstationen abgeholt 40 Pfg. Durch di« Post

bezogen vierteljährlich 1,35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Fgr hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate aus den Pla kattafcln der Heidelberger Zeitnng und dui städtischen Anschlagstellen. Fwnsprechr: 32.

Die Aufhebung des ß 2 des Jesuitengesetzes.

Bcrlin, 9. März. Dcr Bundcsrat
hat in scinvr gcstrigen Sitzung dcm vom Rcichs-
tagc bcschlosscnen Gesctzentwurfe bctreffcnd dic
Aufhcbungdes Z 2 dcs Gesetzcs übcx den
Orden der Gesellschaft Icsu z n g c-
st i m m t.

Das Jesuitengesetz vom 4. Fuli 1872 lautet wie
solgt:

K 1. Der Orden der Gesellschast Jesu und die ihm ver-
ivandtcn Orten nnd ordensähnlichcn Kangregationen sind vom
Gebiet des Deutschen Reiches ausgeschlossen.

Die Einrichtung von Niederlassungen derselben ist unter-
sagt. Die zur Zeit 'bestehcnden Niederlassungen sind binnen
einer vom Bundesrat zu bcstimmcnden Frist, welche sechs Mo-
uate nicht übersteigen darf, aufzuläsen.

K 2. Die Amgehorigen des Ordens der Gesellschaft Jesu
oder der ihm verwandten Orden oder ordensähnlichen Kongre-
gationen können, wenn sie Ausländer sind, aus dem Bundes-
gebiet ausgewiesen werden; wenn sie Jnländer sind, kann
shnen der Aufenthalt in bestinnnten Bezirken oder Orten ver-
sagt oder angewiesen werden.

8 3. Die zur Ausführung und zur Sicherstellung des
lwllzugs dieses Gesctzes erfordcrlichen Anordnungen werden
bom Bundcsrate erlassen.

Erlassen wurtze dieses Gesetz, wie das Datum den-
jenigen zeigt, die jene Zeit nicht miterlebt haben, bald
vach der Gründnng des nsuen Deutschen Reiches, dem die
römische Knrie, voran die Jesuiten, soviel sie nur konn-
sen, Schwierigkeiien in den Weg gelegt haben. Niemand
hat mehr wie sie die preußischen Siege von 1866 und die
deutschen Siege von 1870—71 tzeklagt. Unabläsfig
ivaren sie 'bemüht, das 'neu entstandene Reich im Keim

ersticken; bie ganze vatikanische Politik hat sich Jahr-
äehnte lang. darum gedreht, wie Deutschland wieder klein
Lu machen sei. So erließ das Deutsche Reich notge-
drungeu und zur Wwehr jenes Gesetz gegen einen unver-
löhnlichen Feind, der es innerlich zu untergraben und
oußerlich umzustürzen trachtete.

9tun ist der gute deutsche Mchel in seinem Gleich-
gültigkeits- und Vertrauensdusel glücklich so weit ge-
ronimen, daß er einen Teil der Schutzwehr gegen den
uimmerrqstenden gefährlichen Gegner niederreißt. Das
tzanze Gesetz ist ein Unrecht, sagen die Ultramontanen,
uud die AuWbung des 8 2 nur einer Abs-chlagszahlung
uuf seine gänzliche Beseitigung. Jawohl, sagen die So-
^aldemokraten, es ist em Ausnahmegesetz, fort mit ihm!
Dts Linksliberalen stoßen in das gleiche Horn, und so ist
uuser herrlicher deutscher Reichstag dazu gekommen, die
-lushebnng des 8 2 zu beschlietzen. Leider h-aben auch
E'ue Anzahl Nationalliberale dafür gestimmt.

Man wird sich entsinnjcn, welchs Protestbewegustg
ureser Beschluß in liberalen Kreisen hervorrief: sie machte

auch in Bäden geltend. ALer der Reichskanzler hat
lrotzdem seine Anknndigung vom Febrnar vorigen Jahres
uusgeführt: der Bundesrat ist gestem dem Reichstagsbe-
^llnß beigetretenj und somit haben wir in den nächsten
^agen die Verössentlichnng des Gesetzes, das den 8 2
uushebt, zu erwarten.

Als der Kaiser im vorigen Mai in Rom war, ncchm
a^jetzt verstorbene Graf Waldersee Gelegenheit, dem

Kleine Zeitung.

. Frankfurt, 9. März. Die Verdachtsmomente gegen
^u Möbelträger Bruno G r o ß, der wegen des Raub -
lordZ auf der Zeil in Untersuchungshast sitzt,
Uaben stch verstärkt und vermehrt. Namentlich
uut dies von dem Kanf des Fleckenwassers, den er ener-
°üch bestreitet; er soll bestimmt als der Köuser erkännt
orden sein. Die Polizei fahndet unausgesetzt nach dem
Ugeblichen Wirt, der mit Groß am Montag vor der
stlordtat das Lichtenstein'sche Geschöst besucht haben soll.
^ Klaviertranporteur Groß hatte bekanntlich bei seiner
Iten Vernehmung ausgesagt, er wäre verreist gewesen,
uü hasttz jehg nieitere Frage nach seinem nöheren Auf-
whalt verweigert. Einer der gestern vernommenen Zeu-
- ^u, ein Privatier aus dem Nordend hat nun am Tage
Tat den Groß mittags um halb 12 U'hr auf dem
. omerberg gesehen. Er ist mit ihm bekannt, wurde von
^ui gegrüßt und gvützte wieder. Groß gab jetzt zu, um
o kragljche Zeit hierinderStadt gewesen zu sein.
d/o^/oll auch zugege'ben haben, daß er am Montag vor
n/ ^urdtat mit einem Offenbacher Wirt namens Schu-
a^,"" lusgen eines Klaviers im Lichtensteinschen Geschäft
lZroß bezeichnete aber diesen Mann nicht
aver nnd einen Wirt namens Schumann gibt es in

-Uenbachnicht.

^ie Tragödie dcr Familie Bcsckc in Bcrlin.

^ugödie, die in der mitgeteilten Weise ihren
gosunden hüt, war, dem „Berl. Lokalanz." zu-
ge, das Eude einer schleppenden Kette von Sorgen, ^

Jesuitengeneral seine Uufwärtung zu machen. Mt wel-
chem listigen Lächeln mag der schwarze Papst den Gast zur
Türe geleitet haben! Das deutsche Volk hatte weniger Ur-
sache zu lächeln, und jetzt, da die Reichsregierung offiziell
vor beu Jesuiten kapitutiert, hat es wahrhastig allen
Grund zu bitterer Klage.

Man sagt, der 8 2 habe ja keine praktische Bedeutung.
Er sei seit 30 Jahren nicht, angewendet worden, dazu
bleibe der 8 1. welcher Niederlassungen der Jesuiten im
Reich verbietet, in Kraft. Doch das scheint nur so. So
lange der 8 2 bestand, Hatte man es in der Macht, dem
Treiben der einzelnen Jesuiten jederzeit ein Ziel zu
setzen. Jetzt, nach seiner Aufhebung, können die Herren
ungestört das Reich durchziehen, und nach- dem Muster
ihres Otdensbruders in Würzburg arbeiten, der so aufrei-
zend agitierte, daß die bayerische Regierung sich ins Mttel
legen mußte. Wer mit Blindheit geschlagen ist, der sieht
auch das deutlichste Warnungszeichen nicht.

So wird es immer schwärzer im lieben Deutschen
Reich, das bald wieder ein heiliges römisches Reich sein
wird, wenn es auf diefem Wege noch ein Stück weiter
fortgeht. Aber was können wir uns beklagen! Wenn
die Wählerschaft Abgeordnete in den Reichstag schickt, die
in ihrer Mehrheit für die Kapittilation vor den Jesuiten
stimmen, dann ist sie ja selber an dem kläglichen Rückzug
Deutschlands vor dem Ultramontanismus schuld. Jn
ihrer Blindheit steckt ste dem Zentrnm einen Trumpf nach
dem andern in die Hand, und dieses, nicht faul, spielt
eiuen nach dem andern aus. Heute ste'ht es im Begriff,
seine Partie in Deutschland zu gÄvinnen.

Schon preisen Stimmen aus dem ultramontanen La-
ger jene herrliche Zukunft, da das Gewicht des
deutschen Zentrums durch das österreichische Verstärkt sein
werde: dann erst werde es eine Lust sein, im 'deutschen
Reich zu leben. Das Bild eines ultramontanen Gesamt-
deutschlands mit Berlin als Hauptstadt und als Hort des
Zentrums steigt in leichten und noch undeutlichen Um-
rissen aus deu Redeu von Zentrumsführern hüben wie
drüben empor. Wohin marschieren wir in unserer Ver-
blendung? Sollte das Ringen und Schaffen des deut-
schen Geistes Sklavenarbeit sür Rom gewesen sein?

Der 9. März ist sür das Deutsche Reich ein Trauer-
tag, denn am 9. März vor 16 Jähren schloß der alte
Kaiser Withelm seine Augen zum ewigen Schlummer.
Nicht schnöder hätte dieser Tag wehmutsvoller Erinne-
rung entweiht werden können, als durch die Bekanntgabe,
daß der Bundesrat ein Bollwert gegen den jestütischen
Geist, gegen die jssuitischsir Bestrebungen, gegen 'den in-
timsten Feind deutschen Geistes u. deutscher Art niederriß.

Zur Erbfolge m Oldenburg.

Ein Telegramm aus Petersburg von gestern
meldet:

Die Gesetzsammlung verösfentlicht eine am 11.
August 1903 vom Kaiser von Rußland unter-
zeichnete Urkunde über die E r b s o I g e in dem Grotz -
herzogtnm Oläenburgi. Um Schwierigkeiten

unter denen das Haupt der Familie und die Seinen seit
Jahren gelitten haben. Nach einer flotten Leutnants-
zeit, die er in Rendsburg verlebte, zog Beseke in den
deutsch-französischen Krieg. Aus einer Soldatenfamilie
hervorgegangen — sein Vater starb als Oberleutnant in
Aurich -— war er ein außerordentlich -befä-higter Offizier,
der vor dem Feinde eine solche Bravour entfaltete, daß
er mit dem Eisernen Kreuz geschmückt heimkehrte. Jn
Ktel verlobte er sich mit der Tochter des Gastwirts Krab-
benhöft. Die sozialen Verhältnisse der Eltern waren
ni-cht derartig, daß der strenge Ofsiziersbrauch die Ehe
als zulässig angesehen hätte. Nach einem schweren
Kampfe mit sich selbst entschtoß sich der junge Osfizier,
seinen Beruf zu quittieren. Er führte die Geliebte heim,
mit der er bis an sein Ende in glücklichster Ehe gelebt hat.
Mit der Ehe begannen für ihn alsbald die grotzen Getd-
schwierigkeiten, mit denen er sein Lsbtag zu ringen hatte.
Aus seiner Leuttiantszeit hatte er einen nicht ausgegliche-
nen Posten Schulden in den Zivilstand hinübergenommen.
Neberdies galt es für ihn zuvörderst, da er ohne Hilss-
mittel war, eine neue Existenz zu gründen. Er wurde
Agent, dann Korrektor bei einem großen Hamburger
Blatt, wo er bald zum Chef-Korrektor hinausrückte. Hier
wurde seine journalistische Begabung entdeckt, die sich in
einer ungewöhnlichen Schlagferttgkeit bei der Behandlung
von Tagesfragen önßerte. Kanm war der journalisttsche
Trieb in ihm erwacht, so überncchm Beseke die Leitung
cines mecklenbnrgischen Blattes. Später begründete er
die Nordostsee-Zeitung in Kiet. Woht hötte er mit seinen

in der Thronfolge für den Fall des Erlöschens des Man-
nesstamnies des Großherzogs Peter von Oldenburg aus
dem Wege zu räumen, tritt -der Kaiser für sich, seine Nach-
kommen und das ganze käiserliche Haus alle seine ange-
stammten Erbrechte an das Großherzogtum an den gegen-
wärtigen Reprüsentanten der herzoglichen.Linie Schles-
w i g - H o l st e i n - S o n d e r b u r g - Glücksburg
Herzog Friedrich Ferdinand, oder an die sonstigen Nach--
kommen des 1885 verschiedenen Her'zogs Frie-drich vori
Schleswig ab. Gleichzeitig wird eine Erklärung des
Herzogs Friedri-ch Ferdinand vom 6. Oktober
1903 veröffentttcht, worin dieser für sich und seine Nach-
kommen die zedierten Thronfolgerechte Wernimmt.

Zum Verständnis des Vorstehenden ist zu bemerken,.
daß das Haus HoIstei n, dessen Zweig Holstein-Gottorp
den russischen Kaiserthron einnimmt, dem Hause Olden-
burg entstammt, von dem es sich zu Ende des 15. Jahun-
derts abzweigte. Der in Oldenburg regierende Haupt-
stanim des H-auses Oldenburg zöhlt nur wenige männ-
liche Mitglieder. Der Großherzog August hat nur einen
einzigen 7jährigen Sohn. Sein im 50. Lebensjahre ste-
hender Brnüer ist unverheiratet, sein Onkel hat eine mor-
ganatische Ehe abgeschlossen. Es leben dann noch zwer
weitläufige Vett'ern des Grotzherzogs in Rußland; sie
entstamnien dem Prinzen Georg von Oldenburg, der sicP
im Jahre 1809 mit der Großsürstin Katharina von Ruß-
land vermählte, diö in zweiter Ehe der König von
Württemberg heiratete. Von Wichtigkeit ist es nun, daß.
diese verrußten Oldenburger, die zum russischen Kaiser-
haus gerechnet werden, für die Erbfolge von Oldenburg
nicht in Betracht kommen. Die Möglichkeit, daß dies
geschehe, hat auf die Qldenburger immer sehr stark ge-
drückt und groß war daher der Jubel, als dsm Großher-
zog in zweiter Ehe ein Sohn geboren wurde. Weitere
Söhne hat der Großherzog bis jetzt nicht; die direkte Erb-
folge ruht aljp aus zwei Augen.

Sollte die Linie des Großherzogs Peter — das ist
der jetzige Groß-Herzog und sein unvermöhlt gebliebener
Bruder — aussterben, so wird- also durch den russischen.
Derzicht die Thronfoge in Olden-burg zunächst an den
Herzog Friedrich Ferdinand zu SchIeswig-
H o I st e i n -> S o n d e rb u r g - -G l ü ck s b u r g übeü-
gehen, der mit einer jüngeren Schwester der deutschen
Kaiserin, Herzogin Karoline Mathilde, verheiratet ist und
von dieser sechs Kinder, darunter einen Sohn hat.
Die sonstige Nachkommenschaft -des Herzogs Friedrich
beste'ht aus drei Schwsstern und einem
Bruder des Herzogs Frisdri-ch Ferdinand. Der Brudep
istPrinzAI b e r t, Major beim Stabe des Regiments
der Garde du Corps, 35 Jahre alt und noch unvermählt„

Deutscher Neichstag.

Berlin, 9. -März.

Das Haus setzt die Beratung des Militäetats
fort.

Abg. Br-aun (Soz.) üezcichrict die im Jahr-c 1002 d-cm
Rcichstage zugc-gangcne Dcukschrist über die Arbci-tsvcrhältnisse
in dcn Militärwcrkstättcn und -F-abriken als ungcnügcnd nnd

Einkünsten ein bescheideyes, ruhiges Leben fiihren kön-
nen. Allein er konnte sich niemals dem Kreise der bevor«
zugten Verhälinisse entziehen, in denen er aufgewachsen
war. Er lebte ungebührttch über seinen Vermögensstand
hinaus. Diese Leichtlebigkeit, der eine energische, wirt-
schaftliche Hansfrau wohl hätte ein wirksames Gegen-
gebot entgegensetzen können, war die Quelle Äes Unglücks
sür die ganze Familie. Als Beseke nach Berlin über-
siedelte, widmete er sich als guter Zeichner dem Entwurse
von aktuellen Klischees, die er an die Zeitungen zu ver-
treiben suchte. Das Unternehmen war nicht erfolglosp
aber wiederum war es seine unwirtschaftliche Gebarnng,
wel-che das von ihm in Form einer Genossensch-aft begrün-
dete Jnstitut arg gefährdete. Es scheint, als ob der bös
Verschuldete und dauernd von Gläubigern Bedrängte alles
daran setzte, uni seinen Kredit nach außen zu erhalten.
Er sührte sein Haus iu großem Matzstabe, gab Gesell-
schaften, an denen Offiziere teilnahmeu, veranstaltete Ko-
stümbälle in seiner Häuslichkeit und verhandelte mit
denen, die eine Forderung an ihn hatten, am liebsten
beim Sekt. Auch zu Wohltätigkeitszwecken gab B., der
längst kein Stück Möbel sein eigen nannte und Pfändung
über Pfändung aus Wechselklagen über sich ergehen
lassen mußte, sehr reichlich — dabei nach außen hin im-
mer guter Laune, der liebenswürdigste, eleganteste Gesell-
schafter, cin zärtlicher G-atte und Vater! Diese Welt
des Scheins mußte zum Zusammenbruch kommen, als B.
sür Geschästszwecke einlaufende Gelder dem Hmishalt zu-
führte. Es ist da anscheinend von ihm nicht korrekt gegen-
 
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