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Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Januar bis Juni)

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Nr. 78-101 (2. April 1904 - 30. April 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14240#0698

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Straflammer diesen Auszng n-ebst Begleitwort einzurei-
chen, damit er zu deu ^Mten gelegt werde. Dabei drohte
er dem Major, wenn er das- Schriststück nicht herausgebe,
werde man ein gerichtliches Kerfahren gegen
ihn einleiten wegen gesetzwidriger Zurückhaltung von
Staatspapieren. du Paty erbat eine vierundzwanzig--
stündige Frist. Nach deren Ablauf fuchte er uin eine
neue Frift von mehreren Tagen nach und begründete sein
Begehren damit, daß er -verpflichtet sei, die Ansicht des
Generals Mercier, seines früheren Vorgesetzten, zu
hören, da auf desfen Beranlassung jener Auszug ange-
fertigt worden fei. Baudouin forderts aber sofort
die Schriftstücke und bemerkte, er werde, wenn der Major
sich weigere, sie herauszugeben, autzer ihm auch den Ge-
neral Mercier gerichtlich belangen lasfen. du Paty
entschloß sich nunmehr, die erwähnten Papiere dev Straf-
kammer auszuliefern.

Jtalien.

Rom, 2. April. Der Besuch der deutschen Zen -
trumsabgeordneten, darunter Trimborn
und P o r s ch, beim PaPst soll den Zweck haben, die
Beziehungen, welche zwischen dem Zentrum und dem Va-
tikan einzuhalten find, genau klarzulegen. Deswegen
sollen diese Herren beäbsichtigen, den Kardinal-Staats-
sekretär Merry del Val genau über die soziale und Par-
lamentarische Lage des deutschen Katholizismus zu un-
terrichten.

Rom, 1. April. Die „Jtalie" erklärt das Gerücht
von einem anarchistischen KompIott gegen das Leben
des Papstes für durchaus unbegründet.

Taormina, 2. April. Chamberlain wird
morgen hier eintreffen.

Serbieu.

Belgrad, 2. April. Gestern Abend fand zugunsten
des russischen Roten Kreuzes im hiesigen Na-
tionaltheater in Anwesenheit des Konigs, mehrerer
-Minister und auch des russischen Geschäftsträgers ein
Konzert statt. Da der mitwirkende Gesangverein ,,-Oibi-
litfch" kurz zuvor erfahren hatte, daß angeblich der Zar
die Beteiligung serbischer Freiwilliger am russisch-japani-
schen Kriege abgeiviesen habe, gaben Mitglieder des Obi-
litschvereins durch Fernbleiben vom Konzert sowie durch
Zischen und Pfeisen auf der Galerie chr Mßsallen über
diese Entscheidung kund, was 'den russischen Ge-
schäststräger veranlatzte, sofort das Theater zu ver -
lassen. Die Angelegenheit macht einen peinlichen Ein-
druck. Törichterweise wird hier behauptet, Oester-
reich-Ungarn stecke dahinter und wolle Rußland in
-Serbien verdächtigen.

Wen.

«' -— Der Gouverneur von Schantung, Tschoufu, ge-

'denkt einen von Tsinanfu in ungefähr nordöstlicher Rich-
tung, ziemlich Parallel mit dem kaum schisfbaren Ho-
angho zum Gelben Meer gehenden Kanal gründlich
ausbaggern zu lassen. Jn zwei Monaten sollen die
Arbeiten beginnen. Da kann man nur wünschen, daß die
deutsche Eisenbahn ihre ziemlich hohen Tarife herabsetzen
und außerdem den Chinesen etwas mehr Entgegenkom-
men zeigen möge, als es bisher geschehen ist. Denn man
ist, wie es heißt, in mancher Beziehung reichlich genau,
indem z. B. das 'GePäck, das 'die Chinesen pevsönlich mit-
schleppen, gewogen wird. Jn allen derartigen Dingen ist
es aber in China viel besser, recht writherzig und nicht zu
scharf zu sein, wefl man dami^ mtschieden viel weiter
kommt.

Aus Stadt und Land.

Heidelberg, 5 Avril.

^ Die Osterfeiertagc Ivaren vom Wetter nicht sonderlich
Legünstigt. Am Sonntag konnte man aber doch einen Spazier-
gang ins Freie wagen und so waren die Ausflugspunite in der
naheren Umgebung alle gut besucht. Ter gestrige trübe Tag
vereitelte manchen Feiertagsplan. Aber endlich und endltch
muß der Frühling doch kommen!

-p Die Schloßkonzerte des städt. Orchesters am 1. und 2.
Feiertag waren autzerordentlich zahlreich besucht und fanden
lebhaften Beifall. Die Stadthallen-Konzerte hät-
ten befferen Besuch verdient. Der neue Harfenist, Herr Hart-
wiz, spielte in der Stadthalle bas Harfenvorspiel Ave verum
corpus von Mozart mit OrchesterbegleituNg mit schöner Don-
gebung.

— Jn der frcireligiösen Gemeinde fand am Ostermontag
Konfirmation (Jugendweihe) statt. Prediger Schnei-
der aus Mannheim vollzog den Akt, der in seiner schlichten

Einfachheit und von tiefem Ernste beseelten Feierlichkeit eine
mächtige Wirknng auf die im großen Harmoniesaale sehr zahl-
reich Erschienenen ausübte. Orgelspiel und Lieoer eines Dop-
pelquartetts verschönten die erhebende Stunde.

X Unfälle. Dem 20 Jahre alten Sebastian Apfcl aus
Handschuhsheim stieß gestern Vormittag dadurch ein Unfall
zn, daß beim Ausreiten eines Pferdes dieses stürzte und auf
ihn siel, wobei Apfel innerlich schwer verletzt wurde. —- Beim
Ueberschreiten der Bahngleise arn Hauptbahnhof blieb der Post-
bote Sauter an einem derselben hängen, siel zu Boden
und schlug dabei mit dem Kopfe derart auf, daß er bedeutende
Vcrletzungen davontrug und sich im akadcnnschen Krankenhaus
verbinden lassen mußtc.

-w Einbruchsdiebstahlversuch. ' Jm Kaiserhof in Neuenheim
versuchte gestern ein erst vor kurzer Zeit aus dem Zuchthaus
entlaffener Buchdrucker aus Stuttgart einzubrechen, er wurde
aber abgefatzt und der Polizer überliefert. Jn seinem Besitz
Lefanden sich eine Anzahl Dietriche.

— Brände. Fm Hause Hauptstraße 123 entstand am ersten
Feiertag, abends halb 8 Uhr ein Kellerbrand, welcher durch
>die 'BerufSfeuerwehr bald gelöscht wurde. Der Schaden ist un-
bedeutend. — Jm Hause Neugaffe 1 entstand heute Morgen
halb 4 Uhr ein Kaminbrand, welcher einen großen Menschen-
auflauf zur 'Folge hatte.

V Wieblingen, 3. April. (U n g l ü ck s f a l l.) Ein
schweres Unglück tras den bei der Firma Helmreich u. Co. in
Arbeit stehenden, verheirateten Georg Simon von hier. Der-
selbe war am Samstag Vormittag mit noch anderen Arbeitcrn
beim Reinigen Ides Glasdaches, welches sich oberhalb des Ma-
schinenhauses befindet, beschäftigt. Er glitt auf dem stehenden
Diele aus, fiel durch das Glasdach und auf die etwa 10 Meter
tiefer liegende Dampfmaschine. Dabei zog er sich schwere Ver-
letzungen am Bein, Kopf und Schulter zu. Er wurde sogleich
ins akademische Krankenhaus nach Heidelberg verbracht. Der
schwer heimgesuchten Familie bringt man allscits wärmste
Teilnahme entgegen.

Mannheim, 2. April. (Sonntagsruhe.) Der Stadt-
rat Leschloß, die Zusttmmung des Bürgerausschusses zu einem
Ortsstatut zu beantragen, das bie vollständige Sonntagsruhe
für die in lFabrik-, Bank-, Engros-, Versicherungs- und Agen-
turengeschästen tätigen Gehilfen und Lehrlinge mit Ausnahme
jedoch der Prokuristen sotvie unter Berücksichtigung der von den
kaufmännischen Vereinen beantragten Ausnahmebestimmungen
ausspricht.

Karlsruhe, 8. April. (Gabe.) Erzbischof Nörber hat
dem Bischof Dr. Keppler eine Gabe von 3000 Mk. zum Bau
der neuen Kathedrale in Rottenburg zugehen lassen.

Karlsruhe, 4. April. (G e d ä ch t n s fe i e r.) Das
Gedächtnis an die hundertjährige Wiederkehr der Errichtung
oer Stadtpfarrei St. Stefan wurde am Ostermontag in über-
aus festlicher Weise begangen. Festgeläute leitete morgens
den' Jubiläumstag ein. Die kirchliche Feier nahm um halb
10 Uhr ihren Anfang. An derselben nahmen auch die Erb-
großherzoglichen Herrschaften, Prinz Karl, die Gräfin Rhena
und Prinz Max, sowie die Vertreter der Militär- und Zivil-
behörden teil.

Karlsruhe, 3. April. (Die Bismarckfeier auf
demSand) bei Bühl nahm am Ostersonntag bei günsttgem
Wetter einen erhebenden Verlauf. Etwa 200 begeisterte Ver-
ehrer und Vere'hrcrinnen des eisernen Kanzlers fanden sich
gegen 1 Uhr mittags im Hotel Sand zum festlichen Mähle ein.
Nachdem Hofschanspicler Heinzel einen schwungvollen Prolog
vorgetragen hatte, gedachte zunächst Abg. Dr. Binz in herzlichen
Worten des Grotzherzogs. Die Gedächtnisrede auf Msmarck
hielt Abg. Dr. Goldschmit. Stadtrat Glaser-Karlsrnhe wei'hte
sein Glas der Gemütlichkeit und der Vaterlandsliebe nno
Verleger Thiergarten-Karlsrühe stoastete auf die Damen. Hof-
opernsänger Hutt ergötzte die Festgesellschaft durch mehrere
Lieder. Hochbefriedigt von dem schönen Verlauf der Feier
traten die Teilnehmer nach ö Uhr zu Fuh unl> zu Wagen den
Heimweg an.

Aus Baden. Jn Buchen ist Altbürgermeister Kieser ge-
storben. Er war frü'her längere Zeit Landtagsaügeordneter
und gehörte der Zentrumsfraktion an. — Auf Veranlaffüng
des Schwarzwaldvereins, Sektion Freiburg, erhält der
H i r sch s p r u n g fe ls e n im Höllental einen Hirsch aus
Eichenholz geschuitzt mit natürlichem Geweih. Die Kosten
werden aus freiwilligen Beiträgen gedeckt. —> Jn S ä ck i n g e n
grassiert eine Masernepidemie; 200 Wnder sollen dem
„Säck. Tagbl." znfolge erkrankt sein. Äm 28. lagen fünf
gleichzeitig auf der Totenbahre. Die Schule wurde gleichen
Tags geschlossen, nachdem in der 1. Klasse allein 40 Kinder
fehlten; Prüfung und Schkußfeier fallen aus. — Von einer
„tierärztlichen" Operation, die stark an Dottor Eisenbart
erinnert, erzählt der „Oberbad. Grenzbote". Jm Dorfe Alt -
heim (Amt Meßkirch) 'habe der dorttge Schuhmacher einer
seiner vielen Tauben, welche ein die Verdaunng hinderndes
Loch im Kropf hatte, dieses mittels Nadel und Zwirn zugc-
näht und zwar mit grohartigem Erfolg; das Täubchen besitzt
von seiner Verwundnng nichts mehr als eine gut verheilte
Narbe.

Verlosungen.

Serienziehung der Babischcn 100 Talerlose^ von 1867.

Ziehnng vom 2. April 1904. Gezogen wurden Serie Nr.: 5
27 88 164 230 258 280 315 355 376 479 517 520 524 554
692 761 791 807 846 855 863 887 958 971 1034 1095 1098
1169 1182 1207 1208 1239 1270 1306 1348 1354 1382 1474

1481 1515 1551 1573 1596 1627 1649 1744 1805 1813 1861

1933 1934 1943 1949 1958 1965 1969 1990 2079 2104 2120

2122 2156 2159 2162 2202 2242 2294 2320 2330 2344 2388.

Handel und Verkehr.

Börsen-Bericht vom 2. April.
(F r a n k f u r t.)

8°/„ Deutsche Reichsanl. 90.60

B/?/» Deiilsche Reichsanl. 101.75
8°/„ Preuß, Consois 90.50

8Vz°/„ Prenß. Coiisols 101.80

3P°/° abqest. Badm 100.10

4°/, Russische Staatsanl. 94.50
t"/„ Ungar. Staatsrente 98.30
4°/» änßere Lrgent. 1897 79,90
5°/° innere Mcxikaner 42.80

Rvein. Kreditbank-Aktien 138.20
Oberrhein. Bank-Aktien 92.80
Heidetbg. Zement-Aktien 120.50
Allg. Eleklr.-Ges.-Altien 210.70
Oesterr. Kredit-Aklien 204.30

Oestr. Slaatsbahn-Aktien 137.50
Oesterr. Siidbahn-Aktien 1440
4°/„ Heidelberger 10150

4°/, Mannheimer 102.10

(L o n d o n.)

4°/o Japaner
Goerz Shares
Geouto Shares
Great Fingall Shares
Jvanhoe Shares
Baltimoren.OhioShares —
Canada Vacific Shares

87.60

(Berlin.)

4'/-°/o Chinesen .

Diskonto Komin.-Wien 131-
Deutsche Bank-Aktien
Berl. Hand.-Ges.-Aktien
Darmst. Bank-Aktim 136-vv
DreSdener Bank-Aktien '

<exkl. DivcdendA
Nat.-Bank für D.-Aktieu llst^
Schaaffhaus. Bankv.-A!i. 141-k^

(exkl. Dw dend->

Bochumer Guß-Aktien 191-P
Dortmunder Union C.-Att.
Gelsenk. Bergw- - Aktien 2l2.i
Harpener Aklien lAA

Hibernia - Aktien 196-P

Kölner Bergwerk - Aktien 414U
Laura-Aktien 236-2»

Privat-Diskont .L"

Reichsbank-Diskoni ^'°

Geldsortrn.

20 Franks-Stücke
Dollars in Gold
Engl. Sovereigns
Oesterr. Noten
Russische Nolen
Amerikanische Noten
Englische Noten

16.33

4.19

20.40

85.20

2lo>7

4.19

20.44

* Schiffsnachrichten des Norbdeutschen Llohd in BremeN'

Angekommen: „Roon" <rm 2. April in Aden; „Marbnrg"

31. März in Singapore; „Malaya" am 31. März in Penaügi
„Pfalz" am 1. April in Cornna.

Die Reise des Kaisers.

Berlin, 2. April. Der Kaiser gab als ZeichP^
seiner besonderen Zufriedenheit mit den Leistungen des
Lloyddampfers „König Albert" den WohltätigteitsaN-'
stalten für die Angestellten des Lloyd 15 000 Mark.

Messina, 2. April. Der Kaiser verblieb gesterll
Nachmittag an Bord der „Hohenzollern". Heute MorgeU
8)^ Uhr begab sich der Kaiser mst den Herren des ^
folges und der llmgebung an Bord des ,/SIeiPner"
einer Fahrt nach Taormina. Es ist lvarmer Sonneü-
schein.

Rom, 2. April. 'Bevor der Kaiser die „HoheN"
zollern" verließ, um sich nach Daormina zu begeben,
suhr er, daß sich an Bord mehrere Nonnen befanden,
tvelche für eine Armenanstalt Almosen sammelten. Det
Monarch ging ihnen entgegen, erkundigte sich nach ihrerN
Kloster und schenkte ihnen hundert Mark. Die NonneN
verabschiedeten sich tief gerichrt.

Messina, 2. April. Die Fahrt des Kaiserv
nach Taormina lvar von immer schöner nnd lvärj
merer werdendem Wetter begünsttgt. Der „Sleipner
fuhr an der stzilischen Küste entlang nach Taormina-
Der Kaiser wurde hier von dem Bürgermeister und deN
Wrigen Behörden begrüßt. Die Stadt war sestttch sar''
benreich geschmückt. Blumenspenden wurden dargöbrachtl
die Bevölkerung 'drängte stch mit lebhaften, herzlichan
Ovattonen herzu. Der Kaiser und das Gefolge begaben
sich darauf zu Wagen nach dem griechischen Theater, rvel"
ches der Kaiser auf einem Rundgange unter Mihrung des
Professors Salinas, Direktors des Museums in Palerrnv'
eingehend besichtigte. Hierauf wurde aus der Terrasi^
des Hotels Timeo das Frühstück eingenommen. Der Kaistl
genoß hierbei bei ausnahmslveise klarer Luft eine herN»
liche Aussicht über ine ganze Landschaft bis znm Aetnaec
dessen schneebedeckter Gipsel in vollster Deutlichkeit das
Mld abschloß. Me Rückkehr erfolgte auf demselben WeP
unter enthusiastischen Kundgebungen des Volkes. Di^
„Hohenzollern" lvar inzwischen zum Ostersest mit Palmew
blühen'den Orangenzlveigen und' Zweigen von Nadelhoü
zern reich, geschmückt lvorden, insbesondere das Achterdeck,
aber auch die Fallreeps, die Boten und die Mastspitzest'

Messina, 4. April. Gestern am späten Nachrüi^
tag arbeitete derKaiser allein. Nach der Abendtastl
brachte der Ruderklüb in vielen festlich geschmückten unb
illuminierten Boten dem Kaiser eine Serenade dP'
während gleichzeittg am Quai vor dem Munizipium eiuo
Kapelle konzertierte, welche auf stürmisches Verlange^
des Publikums, in dem alle Stände vertreten wareU'
die deutsche Hymne und die Marcia Reale spielen muß10'
wobei eine deutsche Fahne entfaltet wurde. Die „Hohe^"
zollern und der „Friedrich Karl" 'beleuchteten die Stadv

er uns das Leben. Daher oie starke Wirknng dieses Schau-
spiels, daher das lange und lante Nachttingen des Gehörten,
wenn die Worte längst verrauscht sind.

Jn der Technik des Aufbaues ist an dem Schauspiel einiges
zu tadeln. Einerseits wird es dem Zuschaner schwer gemacht,
über manche Punkte völlig mit sich ins Reine zu kommen:
manches wird ihm erst nachträglich und spät klar; andererseits
sträitbt sich sein befferes Wissen gegen das lange Hin und Her
in einzelnen Partien, wo doch der Sachverhalt für ihn schon
feststeht; dies gitt besonders für den letzten Att. Aber im
Großen nnd Ganzen ist es dvch auch ein sehr geschickt ange-
legtes und durchgesührtes Werk. Und vor allem: es packt uns,
es pocht laut an nnser Jnnerstes, es reiht uns mit sich und läßt
nns in jener Erschütterung zurück, die nnr ein vollwerttges,
reifes Produkt der Dichtkunst hervorzurusen vermag.

Wenn das Schauspiel gestcrn zu voller Geltung kam, so ist
das in erster Reihe der vorznglichen Darstellung der Titel-
rolle dnrch Frl. Hartmann zuzuschrei-ben. Ursprünglich
exzellierte die geschätzte Darstellerin in Rollen von zurückhalten-
der Empfindsamkett; nach und nach wurde sie vom Leben er-
griffen, und heute sehen wir mit Frende, wie sie gerade
impulsive Natnren aus den nnteren und untersten Ständen
mit einer Energie und einer Kraft, mit einer ttinstlerischen Ge-
schmeidigkeit und Sicherheit dnrchzuführcn vermag, die alle
Anerkennung verdient. Jhre Rose Bernd, die große Ansor-
derungen an die Tarstellerin stellt, denn sie führt dnrch alle
Höhen und Tiefen der Empfindung, dars als eine ihrer beften
Leistungen bezeichnet werden.

Eine schauspielerische Leistung von hervorragendem Wert
war auch der Streckmann des Herrn Steinmann, der zu
den tüchttgsten Kräften der nun zu Ende gehenden Spielzeit ge-
hört. Eine Kanaille darzustellen, ist eine recht schwierige

Anfgabe. Man verfällt leicht in Uebertreibung oder in Starr-
heit, in polternde, odcr in kalte Bosheit. Herr Steimnann
war der schlechte Kerl mit Bewußtsein, der Mann, der sich
über seine Niederträchtigkeit keiner Täuschung hingibt, der aber
seinen schlechten, niederen TrieLen folgt, weil er ihnen solgen
mnß. So zeichnet ihn der Dichter, und so sch-uf shn Herr Stein-
mann Strich für Strich nach.

Den Buchbinder Keil spielte Herr Eckhof. Er hatte die
Fignr sehr charakteristtsch angelegt, und hielt die Grundlinien
mit Zähigkeit sest, znm Schluß vielleicht etwas zu änzstlich.
Der.Triumph der christlichen Mllde nnd Nachsicht in diesem
ein wenig lächcrlichen Bräuttgam hätte siegreicher zutage tre-
ten dürfen; aber auch so lag in ihm viel Zwingendes und Be-
zwingendes. Jm alten Bernd war Herrn Sigl ein Charak-
tervater geboten, in den er sich mit der ganzen Liebe und Kraft
seiner künstlerischen Jndividualität mit schönem Erfolg ver-
ttefte. Den Christoph Flamm spielte Herr Holstein mit
großer Natürlichkeit und guter Beobacht-ung, so daß er seine
Aufgabe sehr befriedigend löste. Die gelähmte Frau Flamm
wurde von Frl. v. Bukovics darzestellt, eine überaus
schwierige Rolle, die volle künstlerische Reise und die Be-
herrschung der feinsten Nuancen erfordert, wenn alles heraus-
kommen soll, was in ihr liegt. So weit ist nnn Frl. v. Bnko-
vics noch nicht, aber es muß anerkannt werden, datz sie sich alle
Mühe gab, daß sie sich in die Art der Frau Flamm richtig
hineinversetzt hatte, und daß sie schon einige recht hübsche 'Mo-
mente erzielte.

Die sichere Regie des Herrn Direttor Helnrich und die
Tüchttgkeit unserer Künstlerschar hatten dafür gesorgt, daß wir
das neue Hauptmannsche Stnck in einer ihm angemessenen
Weise zu sehen beiamen. Auch die Dekoratton und die äußere
AnKftattung waren ihm entsprechend. F. M.

Heidelberg, 5. Aprll-
„Hasemanns Töchter". Original-Volksstück in
Atten von Adolph L'A rronge. „

Am zlveiten Feiertage ließen sich „Haseinanns TöchlP,
wieder einmal sehen. Jhr Besuch, wenn er sich nicht zu här>! s
wiederholt, ist immer angenehm. Die nachwachsende Gcrntt^
tion, die sie noch nicht kennt, empfängt sie mit Jubel, und aN
die älieren erfrenen sich an ihrer unverwüstlichen Frische.ssi,,
Gesundheit. Freilich, der Blick des Publikums ist inzivi!^^
durch die sogenannten naturalistischen Dramen geschärtt N"?
den. Vieles, was man früher als prächtige Jdee, als
kungsvolle Nuance pries, schmeckt heute sehr nach äußerlrwz^
Mache, indessen, der Kern dieses Lustspiels ist doch auch
noch gesund. Seine Satyre auf Pantoffelheldentnrn, ^
„moderne" Mädchenerziehung, auf Jagd nach einem
Narnen usw. spricht auch heute noch an, wenn sie anch alsstPst
harmlos erscheint. Und kommt Papa Hasemann
Schneider), der theoretische Reisende, mit den
gleisungskiffen auf die Bühne, dann gibt es auch heute
ungehenre Heiterkeit.

Die Darstellung war frisch und lebendsg. Hervorlsi>lP
möchten wir besonders die energische Durchführnng der
der Frau Gevatter Klinkert durch Frl. Werner und ° ^
Schlossers Knorr, der übrigens an Frl. v. Bukovic^se
sehr tüchtige, lebendige Partnerin hatte, durch Herrn St^.
f e n s. Hasemanns Jüngste, die „verflixte Krott", gab
Wagner 'Gelegenheit zu einem kleinen Meisterstückcherr 1°
ständiger darstellender Knnft. „

Jm Uebrigen genügt es wohl zu sagen, datz alle Dars^
und Darstellerinnen auf ihrem Posten waren. F-
 
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