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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 1
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Cohen-Portheim, Paul: Asiatischer und europäischer Geist in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0032

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So glaubte man wenig-
[tens, in (Haßrheit aber
würdigte man nur die
europäifcße Kunft, ver-
band unter Kun[t über-
haupt nur diefe.
Man hielt [ich für un-
parteiifd), aber man
glaubte an die unbe-
dingte Überlegenheit
Europas und alle Kunft-
betracßtung ging von
diefem Standpunkt aus.
Als der Höhepunkt der
europäifchen Kunft galt
[tets — und mitRecht —
die Äntike; was vor ihr
lag, betrachtete man
als primitive, archaifche
Kunft, als die Vorbe-
reitung zur Äntike, was
auf die Äntike folgte,
mehr oder weniger als Dekadenz. Obgleich man auch die gotifche Kunft liebte, konnte
man ihr gegenüber keinen kritifchen Standpunkt finden; da man aber dennoch ißt"
von der Äntike fo grundverfcßiedenes (Hefen fühlte, fo erklärte man dasfelbe einfach
als raffeneigentümlich, als „germanifch“. Das Barock galt als Dekadenzkunft, und die
außereuropäifche Kunft als primitiv oder exotifch, eigentlich überhaupt nicht als Kunft,
wenn man auch den Reiz des afiatifchen Kunftgewerbes anerkannte.
Es lag dies zum großen Heil daran, daß die afiatifcße Kunft noch wenig bekannt
war; erft die Ausgrabungen und Forfcßungen in Babylon, Äffyrien, Ägypten und (in
neuefter 3eit) Kreta lehrten die große alte Architektur und Skulptur des Oftens (und
die Abhängigkeit der griechifchen Kunft) kennen. Noch fpäter entdeckte man die ja-
panifche Kunft (zuerft den Farbenholzfcßnitt, der den Impreffionismus fo ftark beein-
ßußte) und eigentlich erft in den allerleßten Jahren, die indoperßfche und die cßineflfcße
Kunft, die größte von allen.
hierdurch ift die europäifcße Kunftanfcßauung fo ftark beeinflußt worden, daß man
woßl, ohne zu übertreiben, von einer Umwertung aller (Herte fprecßen kann. In den
lebten Jahren fing denn auch die Äflhetik an, eine neue Bafis zu fließen, um einen
Standpunkt zu finden, von dem aus europäifcße Kunft (klaffifcße, fowie gotifche) und
orientalifche Kunft überblickt und gewürdigt werden könnten.
Bei den meiften Schriftftellern ßerrfcßte die Empfindung, daß die afiatifcße Kunft der
Gotik verwandt und beide der Äntike entgegengefeßt feien, darüber hinaus aber —
wenn fie das (Hefen diefer Verwandtfchaft und diefes Gegenfaßes fucßten, gelangten
fie zu verfcßiedenen Folgerungen und zu keiner überzeugenden Erklärung.
(Horringer z. B. fließt den Gegenfaß zu erklären, als den der „Abftraktion“, die aus
Furcht vor der Außenwelt und der „Einfühlung“, die auf Liebe zur Außenwelt berußt.
Da ißm aber die Abftraktion doch nicht ausreichend erfcßeint, um eine fo verfcßiedenartige
Kunft, wie die der Primitiven, der Orientalen und des Mittelalters zu erklären, fo fpricßt er


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