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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 2
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Cohen-Portheim, Paul: Asiatischer und europäischer Geist in der Kunst, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0072

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bildet die phyfifche Catfache nach, und weil der Geift — an den er ja nicl)t glaubt
fehlt, bleibt fein (Qerk gefühllos und tot.
* *
*
Vor allem in der buddhiftifchen Kunft Chinas und Japans kann man Intuitionskunft
kennen lernen. — Die fliege des Buddhismus ift Indien, und in der indifchen Meta-
phyfik liegt die (üurzel der Intuitionskunft. üagore fielet mit genialem Scharfblick den
grundlegenden Qnterfdped zwifchen der griechifchen und der indifchen Kultur fchon in
ihrem Qrfprung. Gried)ifcF)e Kultur ift ein Produkt der Stadt, „fie hat eine (Qiege aus
3iegeln und Mörtel“, indifche Kultur ftammt aus den Qrwäldern, in denen die arifchen
Eindringlinge fich niederließen. Sie blieb in fteter Berührung mit der Natur, mit Gier-
und Pflanzenwelt. Fjier trennen fich gleich am Anfang die Entwicklungswege. Griechen-
land verfolgt weiter das Prinzip der ürennung, fördert den Intellekt und den Indivi-
dualismus. Es ifoliert den Menfchen von der nichtmenfchlichen Schöpfung (die er nur
menfchlich befeelt verfteht, daher die Faune, Dryaden, Nymphen ufw.), es fieht in dem
Menfchen das Maß aller Dinge, und die konfequente Entwicklung diefes Geiftes führte
zur (Qiffenfchaft. Diefe fchafft dann das Ideal des Menfchen als Fjerrfdher über eine
befiegte, feindliche Natur.
Indien beginnt im öniverfalismus und bleibt in ihm. Über den Qniverfalismus ift
keine Entwicklung denkbar, nur vertieft fich das Verftändnis des Qniverfums. Aus
einem naiven wird ein durchgeiftigter Pantheismus, der Veda folgen die Qpanishads.
Es ift eine Entwicklung vom primitiven zum entwickelten Gefühl, vom Inftinkt zur In-
tuition. Indien erkennt rein aus dem Gefühl, daß die Sinnenwelt ein triigerifcher
Schein: Maja ift (was die europäifche Metaphyfik Jahrtaufende fpäter durch Kant, und
die europäifche (Qiffenfchaft erft im 20. Jahrhundert auf dem Verftandeswege entdeckt).
GCIeil Indien die Einheit von Menfch und GCIelt fühlt, fieht es das Ideal in der voll-
kommenen Einheit, in der Fjarmonie und erkennt das „Ich“ als das Hindernis zu diefer.
GQeil es aber nicht an die Sinnenwelt, fondern an die Geifteswelt glaubt, fuctjt es eine
innere Harmonie. Indien will den Menfchen nicht zum Fjerrfcher über die feindliche
Natur machen, fondern will die Einzelfeele in der Qniverfalfeele verfchmelzen laffen.
Das ift der Geift Indiens und er zeigt fich am reinften und höchften in der Bud-
dhiftifchen Kunft Chinas und Japans.1 Die Buddhiftifche Kunft Chinas beruht nicht auf
dem fpezififch buddhiftifchen, fondern auf dem allgemein indifchen Ideal: dem der
Fjarmonie mit dem Qniverfalgeift, diefe ift das der Malerei und Skulptur, der
Grundgedanke der d)inefifcF)en Myftik feit Lao-tfe.
Diefe Kunft ift durchans „einfühlend“, aber im höchften Sinne des (Hortes: nicht in
die Materie, in Maja, fondern in den Qniverfalgeift, in Brahma fucht fie die Ein-
fühlung. In dem (Qeltgeift fud)t fie die Fjarmonie, das Cao. Sie fieht im Sinnlichen
nur die Verkörperung des Überfinnlichen, darum wirkt fie ftets myftifch und bleibt
immer fymbolifcF).
Es ift nicht mehr die primitive Symbolik der (Qeltangft, die Fabelwefen erfctjuf, es

1 Der Buddhismus war in Indien felbft nicht fchöpferifch in der Kunft, denn er war eine Ver-
ftandesreaktion gegen den Brahmanismus, etwa der indifche Proteftantismus, aber durch ihn wurden
auch die früheren indifchen Ideen nach China übertragen. Sein Schickfal ift eigentümlich, in Indien
felbft ftarb er bald wieder aus, aber er eroberte Cibet, China und Japan. Bei diefer Eroberung
büßte er jedoch feinen Charakter ein, und was fich durch ihn übertrug, war gerade das, was er
in Indien bekämpft hatte. Es gelang dem proteftantifchen Miffionär, die halbe Menfchheit zum
Katholizismus zu bekehren!

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