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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 8
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Flake, Otto: Über abstrakte Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0357

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ftänden an den menfcßlicßen oder gar nur weiblichen Körper gebunden. Mancher mag
in der Cat fo gefefjelt fein, weil das Senfuelle bei ihm das Primäre ift, aber es läßt
fich natürlich ebenfo beftimmt behaupten, daß nur 3ucßt und deren Vorausfefeung, das
grundfäßlicße Äufwerfen der Frage nötig ift, ob es fcßon das Fjöcßfte fei, der aller-
erften Erregung, dem Gefühl fcßlecßthin, nachzugeben.
der dem Gefühl nachgibt, ift ungeiftig; wer es ausreifen läßt, bis es auf die direkte,
oberfläcßenhafte Entladung verzichtet und eine der Mufik analoge, unreale Sprache
findet, ift geiftig, weil nun noch die feinen, intimen Drüfenfäfte des Philofophifchen,
der denkenden Ordnung hinzutreten. Auch der Plaftiker wird dann abftrakt, ohne Er-
innerung an die finnlichen Formen der Einzelgefchöpfe formen können, wie es z. B.
Janco tut, der nicht mehr erzählende, fondern ßächenmufikalifcße Reliefs bildet, in
denen Sie alle Feinheiten der Proportionierung, alle Myftik, Schatten und Licht direkt,
enthüllt, finden können.
* *
Es ließe ßch noch manches, vieles, unendliches fagen. Es läßt fich unfere Kunft mit
einer kommenden Pßilofopßie größten Stils verbinden, die dem Menfch vielleicht ein
unbefchreiblid) tiefes Gefühl verleihen wird, Gefchöpf des Alls zu fein, ein Gefühl, in
dem eine Liebe und Güte ungeahnter Intenfität, die wirklicher Friede fein kann, mit
einer irdifchen Vergöttlichung der Raumidee die große Einheit eingeßen wird. Davon
wollen wir heute nicht fpreeßen. Ich will nur noch auf einen Einwand eingeßen, den
mir der Bildhauer machen wird: ob icß leugnen wolle, daß vom Apoll von Cenea bis
Michelangelo und Rodin die Darftellung der konkreten Körperformen unfterblicße Lei-
tungen vollbracht habe.
Es verßält fid) damit wie mit dem Bild im Rahmen: wir einigten uns, daß das Bild
immer feinen fekundären üdert beßalten wird: fo war auch die Geftalt des Einzel-
gefeßöpfs ein großes Arbeitsfeld. Aber diefes Feld ift erfeßöpft, es ift tatfäcßlicß nach
Millionen Abwandlungen von Arm, Bein, Corfo, Kopf und nach einer nie unter-
brochenen Kunftübung von Jaßrßunderten nichts Neues, Klefenßaftes meßr der menfeß-
licßen oder tierifeßen Figur irgendwie abzugewinnen, und wie ißr euch auch dreßt,
aus euren Schöpfungen feßeint aller Enden die Vergangenheit heraus, Donatello oder
Michelangelo oder Rodin. Rodin ift ein ausgezeichnetes Beifpiel; er ftand, feine wunder-
baren 3eicßnungen der Kambodfcßafrauen beweifen es, unmittelbar vor dem matße-
matifcßen Über- und Jenfeitsrealen. Es ift wahrfcßeinlicß, daß nach ein, zwei, drei
Jaßrßunderten, die nach meiner Überzeugung den Sieg und Ausbau der abftrakten Kunft
bringen, die Menfcßen wieder ftaunend, erfeßüttert, fehend fieß den Offenbarungen der
konkreten Erfcßeinungen zuwenden werden. Aber heute für uns vollzieht fiel) unaufßalt-
fam der Übergang der anfcßaulicßen Kunft zur geiftigen, die große Kunftwende, denn
die konkrete Kunft ift ausgeleert, kein befferer Beweis als die Maffentragik, von der
die dureß ße betroffenen Künftler nicht reden, die Desorientierung, die 3erfeßun9- das
Schwanken derer, die von der üradition nießt laffen, weil die Betrachtung der Ulelt
ße immer wieder auf das Naturaliftifch-Reale-Illufioniftifcße verweift, und doeß füßlen,
daß ißrem Glauben die 3ufußr aus dem Metapßyßfcßen feßlt. Es ift die üragik der
Religiofität, die Gott und Idee nießt nach dem Geheiß einer neuen 3eit umwandeln kann.

Der Cicerone, XII. Jaljrg., lieft 8

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