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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 9
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0411

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Ausheilungen

vielen teppichhaften Gemälden in Öl und Aquarell
bei Herbert Cramer auf: So fel)r feine Hrt
in der Einzelleitung durch ihre mannhafte innere
Cektonik auch überzeugt, fo fel)r fctjeint f)ier
doch aud) auf die Dauer die Gefahr eines Ma-
nierismus zu drohen, der in einem mectjanifierten
Kunftgewerbe entartet. — Als gefctjmackvolles
Kunftgewerbe nämlid) mag vieles von dem
gelten, was fjeute Anfprud) auf eigentliche Bild-
mäßigkeit erhebt, z. B. die zarten, in Klaffer-
farben bunt getönten Federzeichnungen des bei
3ing 1 er ausftellendenMünchnersFjansReichel,
der von Paul Klee abhängig erfcheint und deffen
ganze Naivität, die befonders am Gegenftand
intereffierte Kunft der Kinder, die grotesken For-
men der Inder und Polynefier reproduziert. All
diefes möchte man aber lieber als Cextilien nütj-
lid) verwertet fehen, wie als Bild unter Glas
und Rahmen artiftifd) ifoliert.
In Krittlers Graphifchem Kabinett (Inh- Paul
Schilfe) fieht man die Fülle der in ihrer tech-
nifchen Qualität und ihrer effektficheren Kom-
pofition unübertroffenen Radierungen und Litho-
graphien Emil Orliks. Sie bleiben natürlich
ftets in der für jedermann begreifbaren Sphäre
reiner, kühler Anfd)aulid)keit, unterfcheiden fid)
damit elementar von der Graphik Kokofchkas,
der mit den zwei Steindruck-Serien: „Der ge-
feffelte Kolumbus“ und der Bach-Kantate „0
Ewigkeit du Donnerwort“ fu^r zum Vergleich
lockt: In Kokofchkas graphifch ungefügenDar-
ftellungen ift alles vom fichtbar Äußeren auf die
Innerlichkeit übertragen. Nur das Gefühl des
Einzelnen der unendlichen Allmacht gegenüber
foll in diefen mächtigen Blättern zum Ausdruck
kommen, die fo wenig Anmutendes haben und
haben wollen wie Bachs Orgelfuge.
In folchen religiöfen Szenen wie auch in feinen
großartigen Porträtköpfen überzeugt Oskar Ko-
kofd)ka wohl reftlos jedermann, der für das
neue Kunftwollen irgendwie Organ hat. Seine
dramatifchen Dichtungen aber „Mörder, Hoff-
nung der Frauen“ (1907) und „Fjiob“ (1917) fanden,
trotj ihrer vorzüglichen Kliedergabe unter der
Spielleitung Fjeinrid) Georges im Neuen Ehester,
einmütige Ablehnung von feiten unferer Frank-
furter modernen Kunftgemeinde. Denn wenn
man auch durch Riedekind und Strindberg in-
haltlich, durch Fri^ von Unruh u. a. formal auf
eine frauenfeindliche Neurafthenik diefer Art
vorbereitet war, fo übertyrannt dod) folches
Dichtwerk den Tyrannen: die Sprache bedeutet
hier überhaupt kein logifches Inftrument mehr,
fondern nur noch verzerrter Angft- und Brunft-
fchrei, ebenfo wie das Erfcheinen und Ver-
fd)winden der Darfteller aus jeder fzenifd) ge-

bauten Kaufalität geriffen ift. Diefe ganze Hand-
lung foll nur als bedeutungsvoller Eraum, Hal-
luzination, als ein fymbolifcher Alpdruck wirken,
und fold) ein vom „Dichter“ gegebenes Libretto,
wenig mehr als das einer Oper, läßt fid) nun
natürlich recht verfd)ieden in Mufik, d. h- in
<XIirklid)keit umfetjen.
Die Frankfurter Aufführung, die 3inglers Ka-
binett mit lobenswertem Klagemut veranftaltete,
blieb Kokofchka nichts fchuldig: Vor allem hielten
die Bühnenbilder, nach dem Entwurf von Rein-
hold Schön ausgeführt, die expreffioniftifche Stim-
mung der beiden Stücke feft, was um fo eher
gelang, als diefe Dichtungen nur als malerifche
Vifion, nicht aber als Literatur konzipiert find.
Verfehlt freilich waren die ganz unnötigen Nudi-
täten, grobe Gefchmacklofigkeiten, die z. B. die
Berliner Aufführung in den Reinhardtfchen Kam-
merfpielen unterlaffen hatte.
Das Problem an fid) diefer ekftatifchen Dra-
matik fud)te der durch feine Serienvorträge
über den Expreffionismus aud) in Frankfurt
wohlbekannte Heidelberger Privatdozent Dr.
Klilhelm Fraenger in prinzipiellen Einleitungen,
die er, leider wieder in feinem pfalmodieren-
den Eon, jedem Stück vorausfchickte, zu er-
klären: fchlimm genug, wenn ein auf geführtes
Drama überhaupt folcher literarifierender Er-
klärung a priori bedarf. Denn dann muß es
doch wohl fraglich fein, ob fein Inhalt — wie
hier: die neurafthenifd)e Halluzination — über-
haupt der Dramatifierung fähig ift und ob er
nicht feinen ihm gemäßeren Ausdruck in der
Lyrik oder vielmehr noch in der Mufik findet?
Jedenfalls hat Kokofchka in Frankfurt feine Un-
möglichkeit zum Dichter erwiefen, da er es nicht
vermochte, die rohe Natur diefer Brunftfehn-
füchte und Angftzuftände zur prinzipiell gül-
tigen Form, die die dramatifche Kunft ver-
langt, zu fteigern und zu klären — trotj aller
herangezogenen hohen Symbolik, die inmitten
kraffer Erivialitäten ftehengeblieben ift.
Klilhelm Fraenger, dem feierlichen Propheten
diefer Kunft, aber fei zur Klarnung gefagt, daß
ftändigeParallelismen zwifctjen expreffioniftifcher
Malerei und expreffioniftifcher Dichtung auf die
Dauer nur verwirrend wirken können, da fie
durch fremde Klerturteile die autonomen Schaf-
fensgebiete jeder der beiden Künfte untergraben.
Frih Hoeber.
Berliner Ausheilungen
Bei Carl Nicolai ftellt der junge Schweizer
Klilhelm Schmid Gemälde, Aquarelle und
3ei<hnungen aus, mit denen er fid) bei dem
Berliner Publikum einführt. Die 3eid)nungen
und Aquarelle verraten ein ernftes Naturftudium;
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