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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 10
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Hofmann, Egon: Zum Stilproblem im Expressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0428

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Kunft, wenn and) zum großen Teil nießt ganz bewußt, diefes Beftreben reflektiert.
Denn troß allem Geiftigen, das im Expreffionismus liegt, zum Geil ßineingeßeimnist
wird, erfcßeint mir als das wicßtigfte von dem, was er uns bringt und was Dauer ßaben
wird, auch) wenn er in diefer Form verfcßwinden würde, daß diefe Bewegung wieder
3eitkunft fein will, der Ausdruck der Gefinnung einer Epocße. Das Genie ift woßl zeitlos.
Aber ganz Große gebiert jedes Jaßrzeßnt nießt fo viel wie die Finger an der Fjand. Für
das Talent des Mittelmäßigen ift es beffer, er ordnet fiel) unter, bleibt in gewiffen Grenzen,
innerhalb deren er Tücßtiges leiften kann, während zu freiem Flügelfcßlag von der Erde
in den Ätßer ßinauf die Kraft feiner Schwingen nießt reießt. Beffer ein Rad an der
Mafcßine, wie ein Baum, der keine Frücßte trägt.
Und wenn aueß das Staffeleibild noeß immer dominiert, fo ift es nur, weil fie aus
der Not eine Tugend maeßen. Denn was fie ausdrücken, ift nießt das liefen des
Tafelbildes. Unbewußt feßwebt wieder eine 3w^ckkunft vor Augen, der Geftaltungs-
wille wird dadureß in das Faßrwaffer der Stilbildung gedrängt. Die Seßnfucßt naeß
der Uland zittert aus maneßer Leinwand. Der Scßrei naeß der großen Fläcße fprengt
mitunter die Raßmen. Nießt das Geiftige erfeßeint mir das rießtigfte; Geift läßt fieß
vom Menfcßlicßen nießt trennen. Und felbft große Talente — zum Unterfcßied vom
Genie — find oft arm in diefer Bezießung, fo paradox es klingen mag. Voll innerem
Erlebnis ift keiner fo zum berften, daß ißm fortwäßrend Linien und Farben entquellen.
Die 3aßl der Mitläufer wäcßft zu Fjeerfcßaren. Das wird oft als Gegenargument an-
gefüßrt; vom Standpunkt des Stilwillens betraeßtet feßrumpft der Einwand in nießts
zufammen. Denn diefen kann nießt einer bringen, der wäcßft nießt auf dem Boden
einer Perfönlicßkeit; diefe ift vielleicßt Baßnbrecßer, aber die Durcßfüßrung liegt in den
Armen der Vielen. Das Bedürfnis naeß einem alles umfaffenden Stil ift da. Der Ex-
preffionismus umfaßt nießt nur ein Gebiet der Kunft, vereinzelte 3weige> Tondern das
Ganze. Noeß ift die Klärung nießt eingetreten, aber fie ift im Anmarfcß.
Es ift kein 3ufaH, daß uns gerade jeßt das Verftändnis für die alte Bauernkunft wieder
aufzugeßen beginnt. Eine jede Epocße, deren Ausdruck unferem derzeitigen Empfinden
ßomogen ift, wird uns am meiften anfpreeßen. Der UIeg zum Verftändnis füßrt dabei
oft nießt vom Alten ins Neue, fondern auf die umgekeßrte Uleife. Aueß das foziale
Moment fpielt eine Rolle. Kein Ausfcßluß meßr, fondern Durcßdringen der Maffen;
es feßeint aueß, als ob das Bedürfnis naeß Kunft nie fo groß gewefen wie in der
jetzigen 30t. Das ßat nießt allein feinen wirtfcßaftlicßen Grund, fondern die Bedeutung,
daß die TOicßtigkeit einer künftlerifcßen Kultur aueß den breiten Scßicßten langfam auf-
dämmert. Daß in der expreffioniftifeßen Kunft fo viel Kunftgewerblicßes entßalten ift,
fo viel Ornamentales, fo viel Dekoratives, ift nur ein Argument pro. Denn vorerft
muß die 3erfplitterung der angewandten Kunft aufßören, foll aueß die fogenannte ßoße
auf einen einßeitlicßen Stil ßin orientiert fein.
Dem Aufblüßen der Grapßik feßeint ebenfalls der Stilwille zugrunde zu liegen; der
Umftand, daß insbefondere wieder der Fjolzfcßnitt fo befonders gepflegt wird, läßt allein
feßon feßwer eine andere Deutung zu. Denn diefes fpröde, nießt liebenswürdige Ma-
terial, treibt am meiften zur Vereinfacßung, fcßaltet von vornßerein malerifcße Wirkungen,
im engeren Sinne genommen, aus, und die Abftraktion von der Farbe fteigert den
CUillen zur Form. Und nur aus diefer entfteßt der Stil. Die Farbe ift für die neue
Ricßtung in erfter Linie mufikalifeßes Moment als Träger einer Stimmung. Sie feßwingt,
vibriert, die Form rußt in monumentaler Starre. Daßer die Abkeßr von der Oberfläcße
der rein finnlicßen^Erfcßeinung zur Struktur, zum Organismus, nießt die üliedergabe
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