Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0525
DOI issue:
Heft 13
DOI article:Frieg, Will: Wilhelm Morgner
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0525
Cüilbelm Morgner.
Mann mit Kalb. Kol)le. 1912.
mit vielen Schichtungen, ein mächtiger Baum, unendlich verzweigt und mit riepger
Laubkrone. Klie eine magifcpe Klandeldekoration zieht die Kielt an unfern Äugen
vorüber, wie die Verfe eines gewaltigen Epos erfcheinen uns die [prechenden Bilder.
Geneps und Äpokalyfe, Evangelium und Fjöllenfchrecken. Verinnerlichtes Schauen und
unzüchtige Gebärde. Mann und Kleib; Mutter und Kind; Sonne und Mond; Menfch
und üier. ßimmel und Fjölle. Riefe und 3werg.-Schwarz und Kleiß könnte
man immer die Gegenüberftellungen nennen. Diefer Gegenfatj ift von Morgner tief
metaphypfch erfaßt. Es gibt Selbftbildniffe von ißm, bei denen das Gepicht fcpwarz
ift; um die dunklen Äugenkreife ftrahlt Belle, als ob ein Stern im Äntlitj auf ginge-
Ädam ift bei ihm fcßwarz; Morgner wußte, daß das Paradies in der Crope gelegen
hat, und daß die erften Menfcpen, die in innigftem 3u]ammen\)ang mit der Natur
lebten, dunkle Hautfarbe patten. Nach dem Norden zu pellt fid) die Baut auf, und
die ßöcßfte Glut bricht aus hellblonden Raffen hervor. Es ift vielleicht nur noch Cßeodor
Däubler, der diefen Gedanken im Nordlicht ftark geftaltet ßat. Für beide ift die Nacht
die 3eit der großen Geburten. In der Nacht pnd die meiften 3eid)nungen Morgners
entftanden. Bei Mondfehein kamen ißm die fchwarzweißen Rhythmen. Manchmal
wußte er fie kaum zu bannen, fo ekftatifd) erfaßte es ipn. Deshalb griff er immer
wieder zu Feder und Cufcße, die ihm ein fcßnelles Äufzeicpnen geftatteten. Aus
Mazedonien hat er einige Bücher mitgebracht voll 3ßid)nungen. Ruhe, 3ufriedenl)eit
und Klarheit ftrömt uns aus diefen Blättern entgegen. Es kommt einem vor, als lefe
497