Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

DOI Heft:
Heft 15
DOI Artikel:
Cohn-Wiener, Ernst: Willy Jaeckel
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0596

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
und lernbar. Daß fo der Cßeologe auf die Kanzel des Äpoftels tritt und fie in einen
Leßrftußl verwandelt, von dem aus er dogmatifcße Begriffe predigt, ift eine Entwick-
lung, die für den Künftler noch gefährlicher ift. Kunft manifeftiert ihre Gefühle in
bildhaften Vorftellungen. Sobald diefe nicht mehr ausfd)ließlid) vom Gefühl abhängen,
fondern es befchreiben wollen, kann leicht aus dem abftrakt gemeinten Begriff das
fchematifche Diagramm, die Illuftration zu einer Selbftanalyfe des Gefühls werden, an-
ftatt deffen Produkt. Es ift felbftverftändlich — es war davon fd)on die Rede — daß
der Künftler in fic±> das Ulalten fd)öpferifd)er Mächte erfährt, feine Vifionen als das
Spiegelbild ihrer Vollkommenheit empfindet. Die Gefahr liegt dort, wo diefes Unfaß-
bare reale Geftalt gewinnt und, ftatt fid) im Kunftwerk zu manifeftieren, felbft, unbe-
greifbar, wie es ift, im Kunftwerk dargeftellt wird.
Offenbar fteßt Jaeckel \)eute an einem kritifcßen Punkt. Den wird der Künftler um
fo häufiger auf feinem Ulege treffen, je intenfiver er zu empßnden gewohnt ift und je
gewiffenhafter er fid) mit den Fragen auseinander fetjt, die die Seit und die Vielfäl-
tigkeit ihrer Erfcheinungen ihm ftellen. Gerade der denkende Künftler wird fid) am
meiften von den Problemen, die ihn umgeben, bedrängt fühlen, und es am fd)werften
haben, feinen eigenen Stil gegen fie durchzufe^en oder fie ihm zu unterwerfen. Ulenn
der Vergleich geftattet ift: wieviele folcher kritifchen Punkte, folcher Kreuzwege gibt es
auf der Straße, die Albrecßt Dürer geht, und wie fd)wer wird es ihm, fiel) gegen die
italienifchen O)eorien und Schönheitsideale, deren Ulert ihn tief erfd)üttert, aud) nur
zu behaupten. So fd)ließt die Biographie Jaeckels, wie die jedes Lebenden, mit einem
Fragezeichen. Es ift unmöglich, aus der bisherigen Entwicklung Schlüffe auf die 3u-
kunft zu ziehen, zumal bei einem Künftler, der fo grüblerifd) Probleme auffpürt, um
ße zu löfen. Eben erft in die volle Reife getreten, könnte das drangvolle Suchen aller
feiner monumentalen Bilder fid) fd)ließlid) als jünglinghaft herausftellen, als bloße Vor-
bereitung zu der männlichen Konzentration, die feine jüngften Ulerke anzeigen. Nur
daß fein Uleg felbftgetreu und gewiffenhaft bis zur letzten Ehrlichkeit fein wird, ift nach
der klaren Durchsichtigkeit, mit der wir ihn bis hierher verfolgen konnten, ohne Frage.
Schon um der Eigenart des Verh)ältniffes willen, in dem er zu den Erfcheinungen
der modernen Malerei ringsum fteht. Er gehört zu keiner Richtung, und kein Schlag-
wort unferer üblichen Kunftterminologie paßt auf ißn. Er ift kein Expreffionift,
troßdem ißn das Intereffe am geiftigen Gehalt des Bildes den Beften unter ihnen nähert.
Denn für den Expreffioniften ift die Ekftafe des Schaffens charakteriftifd), die explo-
fionshafte Energie der Criebkräfte. Die kann fid) wie bei Meidner und Kokofd)ka im
Cempo äußern, in dem Ulirbel kurzer fcßneller Striche, die haftig aufeinander folgen,
wie die Explofionen im Motor, oder in knappen konzentrierten fjammerhieben, wie
bei Kirchner oder Schmidt-Rottluff — beiden Stilformen ift Jaeckels Intenßtät genau
entgegengefetß. Nichts kann ihm ferner liegen, als diefe Gier, das Kunftwerk haftig
zu erraffen. Jaeckel will arbeitfam Erworbenes ßd)er befißen, ein Kunftwerk aus langer
Konzentration als Quinteffenz entftehen laßen. Crofedem ift er kein Cektoniker, fo
viel Bauftil aud) in feinen Monumentalwerken wirkfam ift. Denn es geht ihm nie um
den bloßen Schmuck einer Uland, oder um das bloße Gefüge der Form. Daß es immer
Mittel für einen Inhalt ift, gibt feinen Ulerken den Reichtum. Das ift bezeichnend
für Jaeckel: daß es bei ißm nie eine Erzählung gibt, für die nid)t die Form intenßv
durchgearbeitet wurde, nie eine Form, die um ihrer felbft willen, d. h* als bloße De-
koration gefeßaßen wurde. Jaeckel hat zu keiner modernen Bewegung bindende Be-
ziehungen: er ift ein klaßifcher Menfd).

568
 
Annotationen