Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

DOI Heft:
Heft 17
DOI Artikel:
David, Harry: Der neue Rembrandt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0693

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
CQenn er hier aus verftändlichen Gründen aud) kein Selbftporträt geben wollte, fo hat
es doch [eine befondere Bedeutung, wenn er den ißm [o ähnlichen Bruder, wenn er
hier Blut von [einem Blute gemalt hat. Die[er Kopf i[t, ganz abgefeßen von jeder
Ähnlichkeit, wundervoll individuell durchgearbeitet. Die durchfurchten 3üge find die
Niederfcßrift eines arbeitsreichen und [chwergeprüften Lebens; Selbftzud)t und ent-
[chloffene Lebensbejahung fprecßen aus der Führung der Brauen und dem energifcßen
Nafenfattel zwifcßen den Äugen. Aber ift es ein „lachender“ Philofoph? Man denkt
unwillkürlich an Rembrandts grinfendes Selbftporträt aus [einen lebten Lebensjahren
(Sammlung Carftanjen in Berlin). In diefem Gefleht hier lacht nichts, aber auf der
rechten Geficßtsßälfte zuckt um Nafenßügel und Mundwinkel ein ganz leifes, maliziöfes
Lächeln: das Lächeln des Philofophen! Man mache den Verfucß, eine der beiden Ge-
fichtshälften auf der Abbildung zu bedecken und man wird über den fmfteren Ernft
der linken und die Heiterkeit der rechten erftaunen — ein intereffanter Einblick in die
künftlerifche Cektonik des menfchlichen Gefichtsausdruckes. Diefer Demokrit ift eben
kein lachender, griechifeßer Philofoph, fondern der Rembrandt, der fein junges, feßönes
tQeib verloren, den feine Gläubiger von Haus und Hof vertrieben, der feine ftolze
Lebensarbeit verkannt fah — und der dennoch den Mut gefunden hatte, weiter zu
arbeiten, nicht wie es die Menfcßen wollten, fondern fo wie es ihm feine künftlerifche
Überzeugung vorfchrieb. Diefe Lebensmaxime trägt jener Rembrandt-Demokrit etwas
refigniert in heiterer, ruhiger Abgeklärtheit dem fchluchzenden Heraklit vor, deffen grau-
bärtiger Patriarchenkopf zu typifch ift, um befonderes Intereffe zu erwecken. Sein
Peffimismus hält ficher nicht ftand vor der optimiftifchen öüeltanfcßauung Demokrits,
deffen fcharf geprägte und zeitgenöffifd) modern empfundene Perfönlichkeit unbedingt
die geiftig überragende ift. An diefem Übergewicht kann auch der herrliche goldgelbe,
mit orangebraunem Kragen befeßte Mantel nichts ändern, der in großzügigem Falten-
wurf die würdige Greifengeftalt Heraklits umwallt. Diefes matte Goldgelb überftrahlt
das ganze Bild und findet feinen Gegenklang in dem Silberton des violettgrauen Pelz-
mantels Demokrits, der mit roftbraunen Schatten abgetönt ift. Der braune Pelzbefatj
feines Ärmels läßt als Manfcßette noch ein Stüde des gelben, in rot verlaufenden Qnter-
gewandes hervorblicken. Das feidige Grüngrau des Globus vermittelt den Übergang.
Das ßöcßfte Ließt fpielt zwifcßen der goldgelben Schulter und der pergamentfarbigen
Stirn Heraklits und bedingt, über deffen Arm und den Globus zu Demokrit hinüber-
laufend, die Gefamtkompofition des Bildes in Form eines fphärifchen Dreiecks.
Das Vorwiegen des Gelb, welches häufig zu orange und rot gefteigert ift, erinnert
an den „Homer“ im Haag, während die Karnation und die körnige Konfiftenz der Farbe
in die Näße der „Staalmeefters“ weift. Qm jene 3eit, um 1660, ift nun Äart de Gelder
bei Rembrandt in die Lehre getreten, und man könnte geneigt fein, einen Augenblick
an diefen Meifter zu denken. Das Gelborange ift cßarakteriftifcß für ißn, feine fpäter
fo bezeichnende dünnftricßelnde Pinfelfüßrung ift in feiner Jugend zuweilen feßr rem-
brandtifcß gewefen; Rembrandts Bruder ßat er einmal in dem Münchner Porträt dar-
geftellt und fcßließlicß werden in de Gelders Nacßlaß-Inventar einmal ein „Heraklit“
und ein andermal „3wei Philofophen“ erwähnt. Man könnte noch viel mehr Momente
für de Gelder aufzählen, aber fie würden doch nicht genügen, an der Äutorfchaft feines
Meifters zu zweifeln. Ein Olurf wie diefe beiden Philofophen ift Äart de Gelder nie-
mals gelungen.

649
 
Annotationen