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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 19
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0771

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Ausheilungen

id) die Preife, die zur gleichen 3eit franzöfifcße,
ruffifcße, bolländifcße, belgifcße, ungarifcbe, nor-
wegifcße und finnifcbe Künftler für ihre Arbeiten
auf der Äusftellung der „Section d’or“ in Arn-
hem angaben. Diefe Preife waren in Francs
angefe^t und überftiegen mit Ausnahme eines
Bildes von Gontfcfmrowa nicht die Höbe von
3000 frs.!! Qnd das waren Gemälde von Gleizes
(500 frs.), Larionow, Marcoufßs, Mondrian, Sur-
vage, Donas, Villon, Ardjipenko u. a.
Diefe Äusftellung in Arnhem, veranftaltet von
der Vereinigung „Artibus Sacrum“, überrafd)te
durch) ihre wundervolle Einheitlichkeit. Der Ein-
druck des Ganzen war köftlicbe Frifcbe, ein Feft
für die Sinne. Qnd ein Marfdjieren in Reib und
Glied. Niemand drängte fid) hervor, niemand
fucbte aufzufallen. Selbft im Format ein —
ficberlid) nicht gemachtes! — Gleichmaß. Ich
will verfucben, das Wefentlicbe der Bilder zu
vermitteln.
Diefe Künftler find wirklich auf dem Wege zu
einem neuen Stil, malen Bilder, in denen wir
uns erkennen. Keine Vorhänge, keine Vorträge,
keine Litaneien und Predigten, keine Wünfcbe
und Gebete und Befchwörungen, kein Morgen
und Übermorgen und kein Geftern — fondern das
Heute. Reine Qnmittelbarkeit ohne Sentimenta-
lität. Kein Debattieren, ob Kunft heute möglich
oder nicht, wünfcbenswert oder nicht, fondern
die klare Cat — ohne Größenwahn in aller
Heiterkeit des Geiftes einfach und ohne Prä-
tention geleiftet.
Diefe Bilder find nicht mehr in Kampfftellung.
Der Naturalismus ift kein Scbreckgefpenft mehr.
Man malt nicht mehr anti-naturaliftifd). Man
ift frei. Die Wirklichkeit fcbreckt nicht mehr.
Man ift nicht auf der Flucht. Die Wirklichkeit
wird nicht hiuwegeskamotiert. Sie wird nicht
gefcbunden — fondern voller Entbufiasmus er-
griffen.
Die gleiche Liebe zur wunderbaren Erde ift
in diefen Bildern wie in den Bildern eines Millet,
Rouffeau, Daubigny. Die Mittel find andere.
Qnd man bekommt vor diefen Bildern den Ein-
druck, als hätten ihre Maler endlich das Mittel
gefunden, die Liebe zum Dafein auf diefer Erde
nun völlig auszudrücken. Nicht die Weltanfcbau-
ung hat fici) geändert, fondern die Liebe ift tiefer
und unmittelbarer geworden.
Der Künftler ift glücklich in feiner Liebe, die
von der glühenden Ciefe des Schmerzes ift.
Ausgetilgt ift Nuance, Pinfelftrid) und Senti-
mentalität in jeder Form. 3wifcben Schwarz
und Weiß ftehen Farben, die in ihrer kalten
harten Fremdheit an unfer Kinderfpielzeug er-
innern — aber auch oft Gift bergen. Keine Be-

kenntniffe, keine Erlebniffe — wie unfcbuldig
am Bild ftebt der Maler zu ihm.
Die Formen wie von der Mafchine bergeftellt
— geftanzt, gefcbnitten, gepreßt, gelocht — in
überrafcbenden Konturen, die ftets einfach blei-
ben. Vermeiden des Komplizierten und der
Konflikte, alles irgendwie Cragifcben. Eine neue
Schönheit blüht auf, der Cecbnik, der Mafchine,
der Sachlichkeit — dem Heute verwandt.
Aber man klebt nirgends feft, auch nicht an
dem, was man noch heute benutze. Auf die
Rundfrage, was er von der Kunft der Neger
halte, antwortet Picaffo verwundert: „Neger-
kunft? — Ich kenne keine.“ Nein, man fcbwebt
— ohne jeden Ehrgeiz, die 3eit in beftimmte
Bahnen zu zwingen, die Entwicklung zu be-
ftimmen, Führer zu fein. Schwebende Leichtig-
keit — fegeln — fid) überrafcben laffen — fich
felbft überrafcben. Keinen Widerfprud) fürchten
— Eingeftändnis der Ratlofigkeit, der Hüflofig-
keit. Niemand weiß, wohin die Fahrt geht.
Aber das Fahren ift fd)ön.
Keine Romantik — keine Myftik. Liebe zu
allen Gebeimniffen der Erde — in Klarheit. Er-
faßen des Heute, des Wirklichen. Etwa de son
temps.
Der Abftand zwifchen dort und hier ift febr
groß. Man hüte fid) bei uns vor vorfcbnellen
Qrteilen über den Geift der franzöfifcben Kunft.
Während man bei uns wie bypnotifiert nach
Often blickt und redet, ift man in Frankreich
ftillfcbweigend einen Schritt vorangegangen.
Adolf Bebne.
Berliner Ausheilungen
In der Neuen Kunftbandlung, Cauenbien-
ftraße, ftellt Jakob Steinhardt faft fein ge-
famtes, aus 140Nummern begehendes graphifches
Werk aus, in dem fid) der junge Künftler als
ein befonders beachtenswertes Calent dokumen-
tiert. Seine Darftellungswelt ift das Oftjuden-
tum, das er mit der markigen Schrift einer flam-
menden Seele fcbildert. Er erhebt feine Glau-
bensbrüder durch [eine Geftaltungskraft zu
fymbolifchen Geftalten einer fernen Welt, die
fich uns hier in ungeahnter Weife enthüllt. Die
formale Ausdrucksform der Steinhardtfcben Kunft
fud)t die Brücke zwifchen biftorifd) Geprägtem
und modernem Empfinden zu fchlagen und bietet
fomit intereffante Probleme, die ihr eine befon-
dere Note verleihen. Die frühen Radierungen
von 1907 bis 1909 zeigen noch manche Qnficber-
beiten. Dann gibt es eine mehrjährige Paufe,
der zunäcbft eine etwas ekftatifcbe Qnrube (1912
bis 1914) folgt, um fid) in den lebten vier Jahren
immer großzügiger und gefeftigter auszuleben.
Mehrere große 3yklen, die der Verlag Frib Gurlitt

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