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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 23
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0910

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Ausheilungen

Anfäge, doch fehlt es diefer Begabung an Selbft-
zud)t und baumeifterlid)er Gefinnung. Hlles zer-
fließt im Geftaltlofen. Rofa Scßapire.
Köln
Der neue Kunftfalon von KJ. Bornheim zeigt
gegenwärtig eine Sonderausftellung von etwa
600 Blatt des Augsburger Kupferftecbers
Ridinger, deffen Spezialität vor allem die Dar-
ftellung der Gierwelt und der Jagden gewefen
ift. Es darf darauf ßingewiefen werden, daß
man feiten Gelegenheit hat, das öüerk Ridingers
in folcher Reichhaltigkeit und Qualität zu fehen.
Leipzig
Die JÖGrbftaiisftellung der „Lia“ (Leipziger
Jahresausftellung) ift diesmal ganz der FJand-
zeichnung gewidmet. Der Fall ift typifd): Klir
haben heute eine wefentlich pofitivere Einteilung
zur Kunft der Linie als die vorige Generation.
Damit ift freilich auch eine Gefahr verbunden,
die heute fchon nicht immer umgangen erfcheint:
die Gefahr einer einfeitigen IJintanfegung ma-
lerifcher Probleme. Klir dürfen das Erbteil an
malerifcher Kultur, das uns gerade das vorige
Jahrhundert überliefert hat, nicht verkümmern
laffen. Es gilt vielmehr, diefes jegt fo gern
ignorierte Element dem neuen Äusdruckswillen
ein- und damit unterzuordnen.
Der Bogen der diesjährigen „Lia“ ift weit
gefpannt: er reicht von Menzel bis zu Felix-
müller. Im ganzen wird ein anftändiges Niveau
gehalten. Von ein paar wundervollen Rodin-
3eichnungen abgefehen nichts Überragendes.
Die heute fchon faft klaffifch anmutenden Vor-
kämpfer des Expreffionismus: Schmidt-Rottluff,
Fjeckel, Kirchner, Moll, Pechftein find jeder mit
ein paar Blättern vertreten. Köftlich wieder
Klee; urgewaltig Barlach. Von Dresdnern: Neben
Felixmüller vor allem Eugen Fjoffmann; fegr
fchwach Böckftiegel und Otto Lange. Bleibt das
junge Leipzig: Bemerkenswert nur Max Schwim-
mer, freilich) vcm Kokofcgka noch ftark ab-
hängig. — Gute Plaftiken zeigen Kolbe und
Älbiker.
Erfreulich bei den Jüngften: der öüille zur
Sachlichkeit. Kein Schwelgen mehr in „kosmi-
fchen Vifionen“ und „myftifchen Verzückungen“.
Und vor allem nicht mehr die an Verfolgungs-
wahn grenzende Ängft vor dem „Gegenftänd-
lichen“, die ja nur eine innerlich noch tiefere
Abhängigkeit vom Objekt verrät als das Kleben
daran. —
Gleichzeitig im Kunftverein eine liebevoll
zufammengeftellte Klinger - Gedächtnisausftel-
lung zu Ehren des kürzlich Verdorbenen. Von
hiftorifchem Intereffe infofern, als fie nicht nur

den gefamten Nachlaß, fondern auch eine große
Anzahl von merken aus Privatbefig bringt. So
gibt die Schau bei Ergänzung durch die Skulp-
turen und Radierungen des Mufeums ein gutes
Bild von der Entwicklung Klingers. öü. P.
Mannheim
Die pofitiven Seiten der nazarenifchen Be-
wegung, die von vielen als das Schickfal der
neuen Kunft vorausgefagt wird, kann man in
ihren Auswirkungen aus dem Anfang des 19. Jahr-
hunderts in der gegenwärtigen Ausftellung der
Kunfthalle in einer Auswahl vorzüglicher 3eich-
nungen zum Geil unbekannter Künftler eingehend
ftudieren. Es find die Neuerwerbungen des gra-
phifchen Kabinetts, die noch während der Amts-
zeit Dr. Storcks zu lächerlich billigen Preifen
gemacht wurden. Neben den bekannten er-
fcheinen weniger bekannte Namen (Fjorny, Sette-
gaft u. a.), die an Qualität den Großen jener 3eit
um nichts nachftehen. 3ugleid) wird der Über-
gang zur Kunft des fpäteren 19. Jahrhunderts
dargeftellt durch einige 3eicF>nungen des älteren
Kanoldt. Mit Notwendigkeit ergibt fid) vor
diefen Blättern in reiner Formenfprache die Re-
vifion des Urteils über die übliche Kunft des
19. Jahrhunderts wie überhaupt durch den hifto-
rifchen Abftand die eigentlichen pofitiven ttlerte
diefer Kunft allmählich klar werden; bei aller Fufto-
rifchen Cüürdigung darf jedoch die kritifche Ein-
teilung in bezug auf die elementare Lebenskraft
diefer Kunft nicht verloren gehen; auf der Suche
nach ihren aktuellen tüerten darf man nicht ver-
geffen, daß es eine fcßmalbrüftige, kurzlebige,
fprunghafte Kunft gewefen ift, die ohne Stetig-
keit und ohne Verwurzelung in allgemeinen
Symbolen nach rund 100 Jahren wieder nad)
ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt.
In diefer Richtung ift es intereffant, auf der
Folie diefer Kunft eine gleichzeitig in der Kunft-
halle untergebrachte Ausftellung von ttlerken
Karl FJofers zu fehen, deffen legte Entwicklung
fid) mit nazarenifchen Cendenzen berührt. Die
Berührungspunkte liegen einerfeits im literarifchen
EinfcFjlag, durch deffen Vorherrfchen die formalen
Löfungen eine Einbuße erfahren, andererfeits
aber auch im Gecfmifchen, wobei man in der
Führung des Striches in der Verteilung der
Schatten-Akzente und der Art der kubifchen
Vereinfachung erftaunliche Parallelen zu der
üleife der Nazarener bemerkt. Offenfidjtlid)
gelangt Fjofer nicht aus der Kenntnis der naza-
renifchen Kunft heraus zu diefer Geftaltungs-
weife, fondern infolge geheimer Criebkräfte, die
als Erbgut des 19. Jahrhunderts die Seitentwick-
lung in ähnlicher öüeife beeinfluffen.

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