Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0598
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Heft 15
DOI Artikel:Wedderkop, Hermann von: Ausstellungen im westlichen Kulturgebiet
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ßeckel und Kirchner find alle Klaffiker. Auf fie faß man eine 3eitlang als abgetan
herab, jet^t geekelt und kireßnert es von allen Wänden. Wenn man bei Kirchner oft
etwas zu deutlich) Cezannefcße und Lautrecfcße Einflüffe fpürt, fo ift doch) ein drittes
Neues mit einer deutfeßen Note daraus geworden. Aber eine nochmalige Verbreiterung,
wie fie hier kurzer Fjand vorgenommen wird, wird nichts meßr ßerauspreffen. Auch
Nolde ift bereits zu verwertungsfäßiger Dichte gediehen. Es gibt Maler, die fiel) nicht
entfeßeiden können und zwifeßen Schmidt-Rottluff, Nolde, Heckei und Kirchner hin und
her geiftern und alles zufammen an die Wand hängen. Selbft ein fo individualiftifcß
gefärbtes Calent wie das Paul Klees wird ohne Bedenken ausgefcßlacßtet.
Inhaltlich wird religiöfem, ethifeßem, kosmifeßem Sport eifrig zugefproeßen, Fangball
gefpielt mit auffeßreiender Ekftafe, kopfgefenkter Demut und 3ynismus, immer hart
auf hart, damit das Bild „ftark“ wird. Man hat gelernt und ift infolgedeffen der
Anficht, daß Expreffionismus Beßerrfcßen der Form ift, einer felbftgültigen Form, eine
Überlegenheit des geiftigen Ausdruckes und fießt an den Wänden ein fcßlaffes, fub-
alternes Sicß-beugen und 3urammenfallen, eine Verwäfferung ehemals kühn gefaßter
Ideen. Die Gefpreiztßeit pompöfer Geften, unzweideutig nießtsfagend ift ebenfowenig
Expreffionismus wie wenn ftatt des Nabels ein Auge fißt, aus dem die abnorme
Kreatur zum Bauch ßerausfeßaut. Aber nicht immer feßt fich) die Heiligkeit eines Irren
in Komik auf der Leinwand um. Meift bleibt an Empfindungsgehalt nicht einmal
das übrig, fondern nur ein vaeuum.
Eine Kirchner-Kollektion bildet die piece de resistance, vermutlich als eine wenn
auch weit entrückte Bafis heutiger Kunft gedacht. Es ift zwar angenehm diefe Dinge
zu feßen, aber fie bedeuten nicht in dem Maße eine Bafis und einen Halt, daß man
auf fie ein neues Programm aufbauen könnte. Auch haben fie mit dem Rheinland
nießts zu tun und find daßer ein lebendiger Proteft gegen dies ungeordnete und un-
orientierte Konglomerat, das der neue Exponent „weftlicßer Kultur“ in Wirklichkeit
bedeutet. Pecßftein ift fcßwerfälliger, weniger geiftreieß, hängt angeneßmerweife an
alten Einteilungen, was z. B. Perfpektive anbelangt, wirkt daßer oft frifeßer und un-
mittelbarer. Sein Gelb-Rot-Grün-Akkord ermüdet allerdings auf die Dauer.
Warum Klee hier zu hängen hat, ift ebenfo unerfindlich, aber er ift faft der einzige
ganz reine Klang.
Gut wirkt Campendonk. Man fießt Beftimmtßeit, zarte Kraft und vor allem Form,
oßne die Krücken ekftatifcßen Willens. Seßr viel Eleganz und Elaftizität in den Linien
feiner Holzfcßnitte.
Nauen ßat die Bilder für den Gurlittfcßen Mufikfalon ausgeftellt. Außerdem einen
kleinen Cellofpieler, den fein Cello übertönt, mit einer etwas bedenklich ftimmenden Gefcßick-
licßkeit gemalt, farbig auch nicht von der Qualität der Gurlittfcßen feßr bewegten Kom-
pofitionen. Nauen ift übrigens das einzige Mitglied des „Jungen Rßeinlandes“, deffen
Veranlagung diefem Sammelbegriff entfprießt. Er ßat Üppigkeit und Wohllaut, etwas
ausgefproeßen Materielles, das feinen ftarken Intellekt modifiziert und ißn vor Einfeitig-
keiten bewahrt.
Meidner feßiekt ein wirklich hartes, feßr ehrliches Porträt in äußerlich beinahe natura-
liftifcßer Aufmachung, feßr komprimiert, feßr knapp, feßr zugefpitjt in der Cßarakteriftik
und gemalt mit dem Blick auf das Modell, mit dem erften, nicht dem zweiten Geficßt.
Kokofcßka fteßt weit hinter diefem, entfernter von den Dingen. Er löft fiel) nicht
unvermittelt ab vom Impreffionismus und fällt deshalb nicht ins Leere. Aber es gibt
keine Frage, wer der ftärkfte Porträtift diefer 3eit war. Was wirkungslos bei ißm ift,
liegt nicht in ißm, fondern in der Seit begründet.
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herab, jet^t geekelt und kireßnert es von allen Wänden. Wenn man bei Kirchner oft
etwas zu deutlich) Cezannefcße und Lautrecfcße Einflüffe fpürt, fo ift doch) ein drittes
Neues mit einer deutfeßen Note daraus geworden. Aber eine nochmalige Verbreiterung,
wie fie hier kurzer Fjand vorgenommen wird, wird nichts meßr ßerauspreffen. Auch
Nolde ift bereits zu verwertungsfäßiger Dichte gediehen. Es gibt Maler, die fiel) nicht
entfeßeiden können und zwifeßen Schmidt-Rottluff, Nolde, Heckei und Kirchner hin und
her geiftern und alles zufammen an die Wand hängen. Selbft ein fo individualiftifcß
gefärbtes Calent wie das Paul Klees wird ohne Bedenken ausgefcßlacßtet.
Inhaltlich wird religiöfem, ethifeßem, kosmifeßem Sport eifrig zugefproeßen, Fangball
gefpielt mit auffeßreiender Ekftafe, kopfgefenkter Demut und 3ynismus, immer hart
auf hart, damit das Bild „ftark“ wird. Man hat gelernt und ift infolgedeffen der
Anficht, daß Expreffionismus Beßerrfcßen der Form ift, einer felbftgültigen Form, eine
Überlegenheit des geiftigen Ausdruckes und fießt an den Wänden ein fcßlaffes, fub-
alternes Sicß-beugen und 3urammenfallen, eine Verwäfferung ehemals kühn gefaßter
Ideen. Die Gefpreiztßeit pompöfer Geften, unzweideutig nießtsfagend ift ebenfowenig
Expreffionismus wie wenn ftatt des Nabels ein Auge fißt, aus dem die abnorme
Kreatur zum Bauch ßerausfeßaut. Aber nicht immer feßt fich) die Heiligkeit eines Irren
in Komik auf der Leinwand um. Meift bleibt an Empfindungsgehalt nicht einmal
das übrig, fondern nur ein vaeuum.
Eine Kirchner-Kollektion bildet die piece de resistance, vermutlich als eine wenn
auch weit entrückte Bafis heutiger Kunft gedacht. Es ift zwar angenehm diefe Dinge
zu feßen, aber fie bedeuten nicht in dem Maße eine Bafis und einen Halt, daß man
auf fie ein neues Programm aufbauen könnte. Auch haben fie mit dem Rheinland
nießts zu tun und find daßer ein lebendiger Proteft gegen dies ungeordnete und un-
orientierte Konglomerat, das der neue Exponent „weftlicßer Kultur“ in Wirklichkeit
bedeutet. Pecßftein ift fcßwerfälliger, weniger geiftreieß, hängt angeneßmerweife an
alten Einteilungen, was z. B. Perfpektive anbelangt, wirkt daßer oft frifeßer und un-
mittelbarer. Sein Gelb-Rot-Grün-Akkord ermüdet allerdings auf die Dauer.
Warum Klee hier zu hängen hat, ift ebenfo unerfindlich, aber er ift faft der einzige
ganz reine Klang.
Gut wirkt Campendonk. Man fießt Beftimmtßeit, zarte Kraft und vor allem Form,
oßne die Krücken ekftatifcßen Willens. Seßr viel Eleganz und Elaftizität in den Linien
feiner Holzfcßnitte.
Nauen ßat die Bilder für den Gurlittfcßen Mufikfalon ausgeftellt. Außerdem einen
kleinen Cellofpieler, den fein Cello übertönt, mit einer etwas bedenklich ftimmenden Gefcßick-
licßkeit gemalt, farbig auch nicht von der Qualität der Gurlittfcßen feßr bewegten Kom-
pofitionen. Nauen ift übrigens das einzige Mitglied des „Jungen Rßeinlandes“, deffen
Veranlagung diefem Sammelbegriff entfprießt. Er ßat Üppigkeit und Wohllaut, etwas
ausgefproeßen Materielles, das feinen ftarken Intellekt modifiziert und ißn vor Einfeitig-
keiten bewahrt.
Meidner feßiekt ein wirklich hartes, feßr ehrliches Porträt in äußerlich beinahe natura-
liftifcßer Aufmachung, feßr komprimiert, feßr knapp, feßr zugefpitjt in der Cßarakteriftik
und gemalt mit dem Blick auf das Modell, mit dem erften, nicht dem zweiten Geficßt.
Kokofcßka fteßt weit hinter diefem, entfernter von den Dingen. Er löft fiel) nicht
unvermittelt ab vom Impreffionismus und fällt deshalb nicht ins Leere. Aber es gibt
keine Frage, wer der ftärkfte Porträtift diefer 3eit war. Was wirkungslos bei ißm ift,
liegt nicht in ißm, fondern in der Seit begründet.
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