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Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Januar bis Juni)

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Nr. 1-25 (2. Januar 1904 - 30. Januar 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14240#0128

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kammer und für die Erbcruurvg eines ueuen Anits- oder Larcd-
gerichtsgebäudes in Karlsrrrhe unter Hinweis auf die unzu-
llanylichen Räumlichkeiten in den alten Gsbäuden. Des ferne-
ren gab er dem Wunsche Ausdruck, daß Lie Anweisung der
HaftMchühren an die Schntzleute durch die Staatsanivaltschast,
nicht durch den VertvaltungLhos erfolgen sollte. Die ftraf-
rechtlicherr Bestimmungen über den Rückfall und die Majestäts-
belerdigung hält Schmi'dt für sehr reformdedürftig. Ter Pa-
razrcqch 244 des R.-Str.-<A.-B. zeitigt Härten, neancntlich,
wo es sich um jugenldliche Kohlendiebe handelt, die von ihren
Eltern zum Stehlen angehalten werden. Den Majestätsbelei-
digungsparagraph nwchte Schmidt nur angewendet wissen,
wenn von einer besonderen Behörde die spezielle Ermächtigung
zur Strafverfolgung gegeben witd. Abg. Lehmann (Soz.j
dagegen verlangte kategorisch die Abschaffung nicht nur dieses,
sortdern auch des Gotteslästerunysparagraphen, weil „Gott
kcinen Schutz durch das Strafgesetz braucht", eine Motivierung,
die nachher ALg. Kopf (Ztr.) mit Recht nicht gelten ließ, weil
bekanntlich der Paragraph 166 nicht aus Rücksicht auf die Ma-
jestät Gottes, sondern lediglich zum Schutz der religiösen Ge-
fühle dem Str.-G.-B. einverleibt worden ist. Als Mittel ge-
gen die Ueberfüllung des Juristenstandes empfahl Abg. Leh -
mann die bessere Bezahlung der Lehrer. Denn 'dann, so
folgert Lehmvnn, würden viele den Gedanken an das juristische
Studium aufgeben und sich dem Lehrerberuf züwenden. Das
ungläubige Lächcln auf allen Seiten des Hauses ließ den Red-
ner nicht im geringsten Zweifel über 'die Aufnahme, die sein
genialer Vorschlag gesuNden hat. Der Zentrumsalhzeordnete
Kopf vertrat die Ansicht, datz der Eid nicht durch eine bloße
Strafandrohung ersetzt w»rden kann. So viel Religion sei
noch im Volke vorhanden, daß die Bedeutung des Eides nicht
unterschätzt wird. Kopf führt weiter darüber Klage, daß die
ZentruMsleute Lei der Bildung der Schösfen- und Geschwore-
nenlisten, wie auch bei Besetzung dcr Kaufmannsgerichte, nicht
die gebührende Rücksicht fiNden, ohne freilich auch nur die Spur
eines Beweises beizubringen. Diese Beschwerde charakterisiert
übrigens wieder trefflich das Zentrum, das selbst die Fähigkeit
zum Richteramt unter dem engherzigen Gesichtswinkel der
Konfession und Partei >beurteilt. Zivecks Hebung der hygieni-
schen Zustände in den Gerichtsgebauden schlug Kops eine jähr-
liche Visitation durch die Bezirksärzte vor. Die zahlreichen
Wünsche und Anregungen sanden bei den Bertretern der Gr.
Regierrrng im allgemeinen eine Wohlwollende Aufnahme. Mi-
nisterialpräsident Frhr. v. Dusch stellte insbesoNdere die Be-
rücksichtigung der vorgebrachten Wünsche betr. Erstellung neuer
Gerichtsgebäude in Karlsruhe, Freiburz, Osfenburg und Et-
tercheim in Aussicht, sobald die Finanzlage dies gestattet, was
allerdings nicht so Lald der Fall sei. Der Errichtung besonde-
rer Gerichtskassen und Gerichtsvollziehereien steht die Justiz-
vevwaltung nicht unsympathisch gegenüber, doch hat hierbei das
Finanzministerium ein kräftig Wörtlein mitzureden und dieses
lcgt votderhand aus die Beibelhalturrg dieses Teils seines Res-
sorts noch großen Wcrt. Grohe Beruhigung in Anwalts-
kreisen werden die Erklärungen des Justizministers und des
Ministerialrats Buch bszüglich des Stellvertretungserlaffes
bringen. Die Anwälte brauchen jetzt nicht mehr zu fürchten,
daß ihnen der Staatsanwalt mit eirrem ehrenzerichtlichen
Verfahren droht, wenn sie ncben ihrem Stellvertretcr die
Praxis ausüben. Rach den Aeußerungen dcs Ministerialrats
Buch scheint die Regierung gesonnen zu sein, den Wünschen
bezüglich der VorLereitung der Anwälte Rechnung zu tragen.
Bezüglich der Abschasfung der Gotteslästerungsparagraphen
gab Ministerialdirektor Hübsch eine ausweicheNde Antwort:
eine Novelle zum Strafgesetzbuch stehe zur Zeit nicht in Aus-
sicht, ergo habe ,die Regierung keine Veranlassung zehabt, sich
näher mit der Frage zu befassen. Hinsichtlich des Majestäts-
beleidigungsparagrapheu könnte allenfalls der Vorschlag in Er-
wägung gezogen werden, die StrasversolMng von der Ermäch-
tigung einer bestimmten Behörde abhängig zu machen. Mii Be-
friedigung tvurde die Erklärung des Justizministers aufgenom-
men, daß die Regierung keinen Grund finden körme, Jemanden
aus politischen oder sonstigen unsachkichen Rücksichten vom Ehren-
crmt des Schösfen oder Geschworcnen auszuschlictzen. Davon, daß
die Kaufmannsgerichte partciiich zusammengcsetzt und gewiffe
ReferenLäre von Vornhevein vom Staatsdienst ausgeschloffen
werden, ist dcr Regierung nichts bekannt. Die Sitzung cndigte
nach dreieinhalbstügdiger Tagcr um 1)4 llhr. Donuerstag
Wird die Beratgnz sortgesetzj,

Äarlsruhe, 19. Jan. Durch die Blätter geht
eine Notiz, wonach das- Zentrum die Absicht haöe, die
Jnterpellation betr. bie Einsührung von M ä n°
nerorden bis nach Beendigung der Bndgetdebatte zu
verschieben. Dazu möchten wir bemerken, daß es selbst-
verständtich nicht im Belieben des Zentrums steht, ob
ein Gegenstand auf die Tagesordnung kommt oder nicht,
Die Festsetzung der Tagesordnung ist vietmchr Sache des
Präsidenten. Nach unseren Jnformationen ist es auch
der nationalliberalen Partei nicht gleichgülttg, ob und
wann diese Jnterpellation beantwortet wird; sie wird so-
gar darauf dringen, daß dies bäld mögtichst geschieht und
es steht dem auch nichts mchr im Wege, nachdem sich dep
Kultusminister zur Beantwortung der Jnterpellation be-
reit erklärt hat.

Aus der Karlsruher Zeitunq.

Karlsrnhe, 19. Jan. Gestern Nachmittag
fuhren dieGroßherzoglichen Herrschaften
nach dem Besuch der Katzenausstellung in das städtische
Krankenhaus, um sich nach dem Besinden des Finanz-
ministers Dr. Buchenberger zu erkundigen. Heute Vor-
mittag empsing der Grotzherzog den Geheimen Kabknetts-
rat von Chetius nnd hörte danach die Vorträge des Ge-
heimerats Freiherrn von Marschall und des Majors von
Woyna. Zur Frühsttickstafel der Hohen Herrschaften er-
schien die Prinzessin Wtlhelm. Nach dem Frühstück unter-
nahmen der Großherzog und die Großherzogin eine Aus-
fahrt. Hierauf besuchte der Großherzog den Staats-
minister Dr. von Brauer. Später hörte Seine König-
liche Hoheit die Vorträge des Geheimerats Dr. Freiherrn
von Babo und des Legationsrats Dr. Seyb. Hente
Abend findet im Grotzherzoglichen Schlosse eine größere
Hostafel statt, wozu zahlreiche Einladnngen ergangen
sind.

Ausland.

Oestcrreich-Ungarn.

— Aus dein ehemaligen Herzogtum Gottschee in
Krain, jener deutschen Sprachinsel inmitten einer voll-
stärrdig flavischen Bevölkerung, wird ein Aufruf zur
Unterstützung der notleidenden deutschen
Kevölkerung erlassen, die insolge einer reakttonären
Tesetzgebung und durch das Verbot des Hausierhandels

dem Ruin preisgegeben ist, Die Gottscheer betreiben seit
ältester Zeit Hauflerhandel mit Südfrüchten in ganz
Oesterreich-Ungarn und namentlich in Wien und auch
einem großen Teile Süddeutschlands. Meser Handel
wnrde jedoch zu Gunsten der ansässigen Geschästsleute ver-
boten und infolge dessen entschlossen sich die Gottscheer
zu massenhafter tzlnswanderung. Nach amtlichen Daten
sind bis jetzt 6l>00 Gottscheer mit ihren Familien von
ihrer Heimat nach Anierika ausgewanbert.

Wien, 19. Jan. Wie die „Zeit" miüeilt, 'beab-
sichttgt Erzherzog Ferdinand Karl, der als Bri-
gadekommandeur in Prag lebt, eine bürgerliche
Dame, die Tochter eines Wiener Hochschulprofessors, zu
heiraten. Ter Erzherzog will, um seine Absicht ver-
wirklichen zu können, auf die Stellung und die Vorrechie
eines Erzherzogs verzichten und den Barontitel an-
nehmen. Erzherzog Ferdinand Karl Ludwig ist
der dritte Sohn des verstorbenen Karl Ludwig, eines
Bruders des Kaisers Franz Josef. Erzherzog Fer-
dinand Karl ist am 27. Dezember 1868 geboren. Seine
Brüder sind der T h r o n f o I g e r Franz Ferdinand und
Erzherzog Otto.

Aus Stadt und Land.

Heidelbcc«, 20. Januar.

st- Bon der Universität. Ein Anschlag des Akademischen
Disziplinaramts crm Schwarzen Brett machr die Skudenlenschcrst
darcrus ausmerksam, datz infolge der tn Letzter Zeit erfolgten
Zunahme der Zerstörungen von zur öffentlichen Belcuchrung
dienenden Larernen üie städtische Behörde künftig tn üer-
artigen Fällen Strafantrag stellen wtrd.

-c- Evangelische Krrchengemeindeversammlung. Vor Eintrttt
in die Tagesordnung der cruf gestcrn Abend anbercrumten
Sitzung begrüßte der Vorsitzende, Dekan v. Hönig, die in-
folge der kürzlich vorgenommenen Wahlen tn das Kollegium
neu berufenen Mitglieder. Ohne Disku,sion wurdcn sodann
die Anträge des Kirchengemeinderats uach kurzer Erläuterung
des Vorsitzenden einstimmig angenommen, wonach für die Ein-
richtung eines Kindcrgottesdieustes in der Christuskirche 200
Mark, für Jnstandsetzung der Oefen in der Providenz- und Pe-
terskirche 30ö Mk. und ein nicht mis Baumitteln bestrittener
Austvaud von 300 Mark für die Bücher und Geräte
der Christuskirche und Äer Pfarrei der Ehristuskirche
bewilligt werden. Dic für die Anforderung nötigen
Bekrägc können aus den Usberschüffen der Kirchenfteuer ent-
nomuwn werden. Ter folgende Antrag bctraf die Bewilligung
eines Honorars von 4000 Mark für den Architetten der Chri-
stuskirche und von je 500 Mk. für die beiden Bauführer. Der
Vorsitzende betonte, daß es sich nichi um eine rechtliche, sondern
um eine moralische Verpfltchtung handle. Auch Staat und
Gemeinde verfahreu in ähnlicher Weife. Der Oberkirchenrat
habe seine Zusttmmung erteilt. Die Summe könne aus den
vorhandenen Ueberschüssen der Baukasse gedeckt werdeu. Jn der
Disttrssion stellte Herr Graff den Antrag, den Betrag auf
5000 Mk. zu erhöhen, zog ihn aber zurück, nachdem sich er-
geben hatte, daß dessen Aussührung möglicherweife Schwierig-
keiten entgegenstehcn könnten. Bürgermeister Dr. Walz sprach
seine Anerkennung über den Bau der Kirche aus, die tn jeder
Hinsicht entspreche; der Vorsitzende möchie die Bewilligung des
Honorars als besonderen Dank der Gcmeinde für die hervor-
ragendc Leistung angesehen wiffen; Geh. Rat Bülow schlotz
sich diesem Danke an. Der Antrag des Kirchengemeinderats
wurde cinsttrnmig angenommen. Prof. Seng richtete noch eine
Anfrage wegen der Errichtung der neuen Pfarrei und der
Distriktscinteilung im westltchen Stadtteile an den Vorsihenden,
woraus dieser erwidertie, daß der bczügliche Erlaß dcs Ober-
kirchenrats, der vor allem weiteren abgewartet wcrden müsse,
noch nicht eingetroffen sei. Bei der hälstigen Ersatzwahl in den
Kirchengemeinderat imrrden teils wieder-, teils neu gewählt:
Geh. Kirchenrat Basfermann, Kaustnann K. Henrici, Priv. I.
W. Krall, Prof. Dr. -Maler, Geh. Hofrat Merx, Kaufmann
Karl Müller (Thomas Nachfolger), Priv. Schäfer, Hostat
Strübc aus 6 Fahre und als Ersatz fur Lcmdgerichtspräsident
Schcmber, der infolge sciner Versetzung ausgeschieden ist, Land-
Zerichtsrat Puchelt ätrf 3 Fahre.

-r- Von dcr Sterttwartc. Auf der Großh. Landes-Stcrnwartc
auf dem Köuigstuhl, welche durch dre sich drängende Fülle
glücklicher Entdeckungen sich in der ttirzcn Zeit ihrcs Bestehens
bereits einen Weltruf crrungen -hat, sind am 10. d. M. schon
wte-der drei neue kleine Planeten entdeckt wor-
den. Dr. Dugan hat sie auf dem Wege der Himmelsphoto-
graphie gefundcn. Jedocb dürste der zwcite voraussichtlich nnt
eincm schon bekanntcn Asteroiden identisch settr. Di-e beiden
anderen, jedenfalls ncucn kleirten Planeten sind 10,5. und 11,2.
Helliakeit.

V Biertes Bachvereins-Konzert. Das sehr stilvollc Prv-
gramm sührte uns gestcrn von Mozart bis heraus zu dem
modernen Dretgestirn Berlioz—-Liszt—Wagner. Beethvvens
C-dur Symphonie, -heitcren Charakters, noch sehr von Haydn
und Mozart cvbhängig, aber doch schon den ureigenen Becthooen
ahnen- laffend, erfuhr etne -zlänzende Wiedergäbe. Sorgfäl-
ttgste Ausarbettung nnd Fctlung ließ vor allem der sehr fchwie-
rige Schlußsatz er-kennen. Liszt's Pyometheus lHerder), let-
der ein nur zu unbeikanntes Werk, weift echte Prometheus-
stimmung aüf: Ausstrebender Trotz, Vcrgebliches Ringen uüd
Ausbäumen gegcn das unerbittliche Schicksal. Die Aufsührung
machte cinen starken Eindruck. Berlioz „Flucht Nach- Egypten"
ist von entzückendster Einfachheit. Mit den kleiüsten Mitteln
wird die poetischste innerlichste Wirkung erzielt. Jm Gegen-
satz hierzu ist der Carnevak romain ein Llendendes Beispiel
der dem modernen Orchester eigenen Farbenpracht. Sic ist die
einheitlich schönste und unmittelbar wirksamste Ouverture von
Berlioz. Nach dem cinleiteüden schwärmerischen Liebesgesang
(aus dcr Oper Benvenuto Cellini) beginnt nnt dem überaus
schwierigen (und glänzend gespielten) Allegro vivace ein toll-
ster Carnevalstrubel sich ouszutoben. Die Sängerin Mary
Münchhofs zeigte sich als' glänzende Koloratursängerin von
leichtestrr Ansprache und- entzückendcm Piano, das sie vor allem
in dem rcizenden Dors mon ensant von Wagner zur Geltung
brachte. Die Arien von Mozart wurden tcchnisch meisterhast
vorgetragcn. Die „Tränme" von Wagner können noch tie-
fer ausgefaßt werdeu. Beisallsstürme entfesselte die „tote
Nachttgaü" von Liszt, dte wiederholt wevden mußte, ein sel-
tencr Fall bei Lisztliädern, (Wir müffen uns auf diese kurze
Würdigung des herrlichen Konzertes beschränken, da es uns
heute an Platz sür eine ansführliche Besprechung mang-elt.
Red.)

d Der Maskenball des Museums findet am 11. Februar in
dem Ballsaale der Städthalle statt und zwar, wie verlautet,
in der Form eines Gesiüdsballes.

X Ständchen. Der „Lilederkranz" brächte gestern nachts
seincm eifrigen Mirgliede Herrn Postasiistenten A. Wettstein
und seiner Gemahlin anlätzlich ihrer kürzlich erfolgten Ver-
mählung ein Ständchen.

** Der ev. Männer- und JLnglingsverein Ziegelhansen

veranstaltete am letzten Sonntag im Gafthaus zum „Hirsch"
eine wohlgelnngene Abendunterhalttmg, wobei der ev. Kirchen-
chor die zahlreuh Erschienenen durch Gesangsvorträge crsteute.
Herr Pfarrer Kraus htelt im Laufe des Äbends' eine Ansprache,

bei ivelcher er den Llittwirkenden Dank und Anerkemnrng aus-
drückte.

** Das Schlittenfahren mit den sog. Rutschschlitten auf den
abschüssigen Stratzen im Stadtgebtete ist verboten. Jn
den letzten Tagen kam eine grohe Anzahl jmcgcr Le>ute, die
auf dem Steigeriveg dtefem Vergnügen huldigte, zur Anzetge.
Lluch im Stadttcil Handschuhsheim wird das Schlittenfahren
bis in üie spätesten Nachtstunden betrieben. Die jungen Leute
feien hiermtt ausdrücklich gewarnt und mögen sich vor Schaden
hüten.

K Polizeibericht. Verhaftet wurdc ein Schlosfer wegen
Uebertretung der Gewerbcordnung, ern Knechr wegen Ruhe-
störung und Unsugs uüd ein Kausmann, ein Schmied und ein
Schloffer wegen Bettelns. Zur Anzetge kamen 6 Persorketi
wegen Ruhestörung und Unfugs und ern Mechanrkcr und ein
Ersendre-Her wegen Körperverletzung.

^ Mannheim, 19. Jan. (S ch w u r g e r i ch t.)

3. Fall. RauLmordversuch. Am 11. Sept. v. I. war das
Porphyrwerk Edelstetn in Schriesheim der Schauplatz eines
brutalen Raubanfalls. Gegen 4 Uhr nachmrttags, als die
Dampspfeife die Vesperstunde anküüdigte, sprach auf dem
Bureau des Werkes !der Steiübrecher Antonio Gervafio Car -
ponetto aus Pädavena (Jtalien) um Arbett vor. Der
allcin aus dem Bureau aüivcsende Buchhalter Hermann Ku-
cheübeißer erwiderte dcm -Mann, der schon in den beiden Bor-
jahren im Porphyrwerk gearbeitet hatte, uüd dcssen Vater noch
dort beschäftigt war, er könne Arbeik haben. Darauf bat Car-
ponetto den Buchhalter, ihm einen Arbeitszettel sür den Bruch-
metster zu schretben. Nach ansänglichem Weigern ging Ku-
chenLeißer an einen Stehpult, um dcn Zettel zn schreiben. Er
hatte kaum begonnen, als ihn 'der 'Jtaliener von rückwärts mtt
einem kleinen- Beile anfiel, 'das er vorborgen unter der Klei-
dnng getragen hatte. Trotz mehrever mtt großer Gewalt ge-
sührten Hiebe auf den Kopf gelang es dem blutüberströmten
Opfer, das Fenster zu erreichen und um Hilfe zu rufen. Nuin
gab dcr Räuber das Spiel verloreu. Er schleuderte bas Betl
nach!dem Ueberfallenen und ergriff!die Flucht. Unterwegs warf
er seine blutbesudelte Joppe uüd seinen Filzhut ab. Er nahm
den Weg in dic Weirrberge, wo er an den Dräihten mehffach
hängen Llieb nn'd zu Fall kam. Von den Verfolgern schließlich
umzingelt, machte er einen Selbstmorbversuch. Er stteß sich
scin Taschcnmesser bis zum Hest in die Kehle. Der Zustaüd
Kuchenbeißers war erbarmungswürdig. Der Schädel zeigte
drei Beilhiebe, welche 3—4 Millimeter in den Knochen gedrum
gen waren. Jm Nacken war eine klaffende Hiebwunde zu
sehen, die bis auf die Wirbelsäule ging. Die linke Hand, lüe
Kuchenbeiher zum Schutze gegen 'den Angreifer ausgestreckt
hatte, war fövmttch zerhackt. Während die Kopfwuüden zicin-
lich -glatt verheilten, bildeten sich an der Hand und am Vorder-
arm Etterherde un-d evtviesen sich mehrere operattve Einschnttte
notwendig, welche bei dem durch den Blutverlust effckffpfter»
Kräftezustan-d des Verwundeten hohe Lebensgesahr hervor-
riefen. Der linke Vovderarm und die ttnke Haüd fiüd jetzt
noch nicht ge-heilt uüd ihre Gebrauchsfähigkeit wird -sich nie
wiädcr einstellen. Dazu ist die linke Gesichtshälfte.ettvas ge-
lähint und das linke Auge tränt. Carponettis Selbftmord-
versuch hatte ebenfalls schwere Folgen. C. hatte sich den
Schildknorpel durchstochen un.d die StimmLänder bloßgelegt.
Dic Luftröhre ist nun vercngt, was Atemnot, Beschüverden bei
der Aufnahme stster Speisen und 'dauernde völlige Heiserkeit
zur Folge hat. Die Absicht des Täters ging auf die Beraubung
des Buchhalters. Carpcmetto wußte, dvß um die kritische Zeit
Kuchenbeißer mit der Vorbereituug des Zahltages beschäfttgt
ivar. Jn der Tat war Kuchenbeißer gerade damit ferttg ge-
worden. Jn kleinen Papi-effäckchen war das Geld zur Aus-
zahlung bcreit gelegt. Es waren rund 35Ä0 MarE.

Carponetto hat sich heute ivegen seines schtocren Verbrechens
zu -vercmtworten. Er tsi 24 Jahre alt und ein hübscher Bur-
sche, in dem niemand einen Naubmörder vermuten würde. Wie
crwähnt, tst er durch seinen Selbstmordvcrsuch stimmlos ge-
worden. Von dem, ivas er dem zugezogenen Dolmetsch, Kon-
sulatssekretär Dr. Gauß, sagt, ist keine Stlbe hörbar. Wie
dcr Dolmetsch übersetzt, bestrcitet der Angeklagte, die Absicht
gchabt zu haben, deu Kuchenbcißer zu töten. Er habe ihn mrr
so zurichten wollen, daß er shm keinen Widerstand mehr leiste.
Mit dem Geld habe er Schulden in Jtalien bezahlen wollen.
Er sei in verzweifelter Stimmung -zciwesen. Er habe eine
außerordentliche Passion ffir seine Famttte, und die Schulden
hätten ihn bcdrücst. Am Tage vor -der Tat, Frettags, habe er
sich iu Bruchsal, wo er bet der Firma Grün und Bilsinger ar-
bettete. bet der Arbeit web getan und desbalb ausgehört. Au-
dern Tags habe er noch nicht arberten können uüd in der Kan-
tine Bier und Schnaps gctrunken, um nach dem- Rate seirrer
Kameraden zu schwitzen. Währcnd er sich darüber seinen Ge-
danken hingogebcn, sei in ihm dcr Plän zu der Tat entstan-
den. Er habe in cincm Ladcn das Bett gekanst, den Stiei
gekürzt, um dasselbe beffer verbergen zu könrien und sci dann
üm 1 Uhr mit der Bahn nach Heidelbevg yösähren, von wo «u-s
er zn Fuß sich nach Schriesheim begeben habe, Als nach dein
ersten Hieb der Buchhalter ihm das blutübefftrömte Gesicht
züwandte, sei ihm das Bewußtsein gekommen, was er getan
habe uüd er sei gcflüchtet. Bezügltch sei-ner Familie gibt der
Ängeklagte an, 'datz sie aus Vater, Mutter, dret Schwestern
uüd seiner Frau bestehe, Kinber habe er nicht. Seine Frarc
hat er im Januar 1903 geheiratet un-d im März ist er nach
Dentschlaüd gerctst. Der Vater -verdiente alleckdings auch noch,
äber nicht so viel, daß «s retche. Er habe sich von seinem Va-
ter getrennt, weil dieser einem Gffchwätz geglaubt habe, cr
werde ihn aus dem Hause weisen. Die Schulden, von denen er
sprach, sind mit einem Huuskaus entstaüden, auf welches 1000-
Franken abgezahlt wurden, die äber auch gelichen waren. Dcr
Rcstkaussch-illing von 800 Franken sollte innerhalb 3 Jahren
abgetragen webden. Fm Stetnbruch vetdiente der Angeklagt«
einen Stundenlohn von 32 Pfcnnig. Seinen Vexdienst hat er
zum größten Teil nach Hause geschickt. Der Angeklachc ist
bisher noch nicht vorbestrast und genoß den Ruf eineö söliden,
fleißigcn Arbeiters.

Als erstcr Zenge wird Buch'halter Kucheübeißer aufgerufen.
Es ist ein junger, schlanker Mann mit sympathtschen Gesichts-
zügen. An der linken Wange nüd der Schläfe verraten starke
Narben dic erhaltenen Verletzungen. Das linke Augx träm.
Die linke Hand ist noch verbunden. Er erzählt den Hergang
dcs Uebeffalls. Er war 7 Wochen 2 Tage im Kranstnhaus.
Jetzt ist er einigcrmaßen wiedcr hergcstellt, aber das Gedächt-
nis hat notgelitten. Persönliche Differenzen hatte er mit dein
Angeklagten in keincr Weise.

Anschließend an die Vernehmung des Zcugen Knchen-
beißer erstatteten die Leidcn mcdizinischen Sachvefftändigen,
Bczirksarzt Medizirialrat Dr. Behrle-Mannheim u. Assistenz-
arzt Dr. Kaposy von der chtrurgischen Kttüik in Heädelberg
ihr Gutachten: Uebeveinstimmend schatzen beide die Einbuße,
die Kucheübeißer an seiner Evwerbsfähigkeit erlitten, aus 40
bis 50 Prozent. Aus Befragen dcs Verteidigers bestätigt Dr.
Kapösy, daß der Angeklagte für scin 'Gffchäst als Steinbrechea
gänzlich unbrauchbar geworden fei. Von den weiteren Zeugen-
aussagen ist nur noch die des alten Vaters des AngÄlagten,
der seit Jahren in Schriesheim arbeitet, von Belanz. Er er-
klärt, ini Gegensatz zu seinem Söhne, er häbe immer gut mit
seinem- Söhn gelebt. Dieser habe sich nnr von ihm getrennt,
well er hoffte, im Tiefbau hoheren- Löhn zu erhalten. Der
Angcklagte sei immer brav uüd fleißig gewffen un-d habe Mut-
ter und Schllvester rffpektiert. Nach etner kurzen Pauje tverdeü
die Fragen verlffen. Auf Antrag der Vertetdigung (Rechts-
aüwalt König) werden weitere Fragen gfftellt auf versuch--
ten Raub, Körpevverletzung und m-ttderüde Umstände.
 
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