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Heidelberger Zeitung (47) — 1905 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177-203 (1. August 1905 - 31. August 1905)
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47. Zahrgang. — Nr. 190.

Mittwoch, 16. August 1905.

Erstes Blatt,

j

8rschei«t tägltch, Bonmag» eu»gcnommen. Preir mtt Familtenblättern monstlich 50 Pfg. tn'S HauS gebracht, bei der Expeditton und den Zweigftationen abgeholt 4V Pfg. Durch die Post

dezogen vterteljährlich 1,35 Mk. auSfchlteblich Zustellgebühr.

As>eige«-reiS: N> Pfg. für die Ifpalttge Petttzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßiat. — Fnr die Anfnahme von Anzeigen
ss Lestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernomme«. — Anschlag der Jnserat« auf den Mackattafsln der yeidelberger Zeitung nnd den srädtWen Anschlagstellen. Fernsprcchcr 82.

Das Kost- und Logiswesen im modernen
Arbeitsvertrag.

S. R. Die Beseitigung des Kost- und Logiswesens
^eim Arbeitgeber ist in den letzten Bahren schon vielfach zu
^stem heiß umstritteneit Punkt bei der Gestaltung der Ar-
^eitsverhältnisse geworden, und die Ausstellung dieser
8orderung wird künftig in vielen Berufszweigen bei Neu-
^egelung der Arbeitsbedingungen eine noch grötzere Nolle
stüelen. Die Gewährung von Kost Und Logis im Hause
"es Arbeitgebers als teilweise Entlohnung sür geleistete
-krbeit ist eine Einrichtung, die aus der festgefiigten Haus-
'öerneinschaft stammt, wie sie in srüheren Jahrzehnten u.
^ährend der ganzen Blüte des Handwerks allgemein be-
acind und wie sie in abgelegenen Distrikten noch heme a''-
^utresfen ist. Der gcringe soziale llnterschied zwischen
^eistern und Gesellen, die gewöhnlich denselben Kreiseu
^ugehörtcn, die geringe Differenz im gesamten Bildiings-
6ang und im materiellen Besitz, ebenso die Wahrscheinlich-
>eit, datz später auch die Gehilfen und Lehrlinge zu Mei-
^ern und Arbeitgebern werden, gaben dieser Hausgemein-
'chast ein festes Gepräge. Untcr diesen Verhältnissen war
die Einrichtung der Kost- und Logisgewährung nicht nur
llützlich, sondern auch notwendig, denn weder würden die
^ügestcllten Arbeits- und Hausgenossen des Handwerks-
^leisters anderwärts stets eine Wohnstelle gefunden haben,
"och hätten sie sich außerhalb der Hausgemeinschaft gut
^nd rationell verpflegeu können. Jn den Grotzbetrieben
^nd auch in vielen Branchen des klcineren und mittleren
Handwerks ist der Kost- und Logiszwang schon sehr einge-
Wränkt worden, in zahlreichen Berufszweigen, aber na-
^entlich in kleineren Städten, zu einem Teil aber auch
Noch in Großstädtcn, bcsteht er auch jetzt noch. Jn beson-
dkrs großem Umfange ist das Wohnen und Beköstigtwer-
en der Arbeiter und Lehrlinge noch anzutreffen bei den
^äckern, Barbieren, Fleischern, Gastwirtsgehilfen und in
er Haudelsgärtnerei. Jnfolge des größeren Gegensatzes
^nischen Arbeitgebern und Arbeitern und wegen der ganz
Nnderen Gestaltung der gesamten Lebensbedingungen, des
^ehlens eines landwirtschaftlichen Nebenbetriebes als Er-
^uger vieler^ßrodnkte des täglichen Hausbcdarss und in°
^ge U.nänderung der Wohnungsverhältnisse, hat die
^Mrichtung der Kost- und Logisgewährung nicht mehr die
^ühere Bedeutung. Sie wird von den Arbeitern mit
fikcht nicht mehr als in den heutigen Arbeitsvertrag pas-
^ud angesehen, und sowohl in den einzelnen Arbeiteror-
^anisationen als auch von einer vor wenigen Jahren von

Verbänden eingesetzten Kommission zur Beseitigung
"os Kost- und Logiswesens lebhaft bekämpft. So haben
^Ue Ausstände der letzten Monate im Bäckergewerbe ichren
ilstsgangspunkt in der geforderten Abschaffung diescr
^wrichtung gehabt, und in verschiedenen Gewerben sind
enn auch schon die Meldungen häufiger geworden, datz
er Kost- und Logiszwang abgeschafft wird. Auch unter
^en Arbeitgebern kommt schon vielfach die Ueberzcugung
^sNn Durchbruch, daß die Beköstigung der Arbeiter im
'vause des Arbcitgebers unter den gegebenen Verhältnis-

Kleine Zeituna.

7- Herrcnalb, 15. Aug. (Il n g l ü ck s f a l l b e i Herren -
b.) Die Herkomerwagcn, fast 100 an der Zahl, kamen gc-
nern Abend hier durch. Der erste traf 5 Uhr 45 Msn. em, der
^tzte 7 Uhr 30 Min. Leidcr sallte das Passieren unseres Ortes
Pcht ohne Unfall bcrlaufen. Die Wagen kamen die Gernsbacher
^^raße herunter uvd fuhren rechts von der-Post in scharfer
surve über die Albbrücke. Wagen Nr. 67 (Osterrieder-Mün-
stlen) nerlor bci dcr Bicgung die Steuerung und schoß in
dicht gedrängt stehende Publikum hinein.
AUm Gistck mar cr nicht auf vollc Gcschwindigkeit gestcllt, sonst

h-rtte

unabsehbarcs Unglück cntstehcn können. Leider sind zwei

^dfer zu bcklagen. Zwei Mädchen im Alter von 9 und 18

ren, Töchter einer zur Kur in Herrcnalb weilenden Pa-

^renfaiailie, sind schwcr verletzt. Dem jüngeren Mnde fuhr
Kraftwagen über die Brust, sodah es schwere innere
serletzungen davon trug; auch wurde ihm ein Ohr abge-
s?m'en. Das Schwesterchen ist leichter verwundet. Ein
^nter dcm Pnblikum stehcndcr, cinem Handclsmann gehören-
Wagen mit zwci Pferden wurde umgeraimt und ganz de-
Nvliert. Auch das Automobil erlitt starke Defekte.

. , — Hagciia» (Elsaß), 8. Aug. (Das Ständchen
^ tder Willen) — nämlich wider dcn Willen des so
^ehrten — ist unter Umständeu eine boshafte und, wie
's'e Verhandlung vor dem hiesigen Schöffengerichtc er-
auch strafbare Beleidigung. Ein hiesiger Bürgcr
^te nach der „Lothr. Ztg." seinen Nachbar, nnt dem er
nicht vertrageu konnte, ausgemietet. Als sein Gegncr
onie Sachen packte, ließ er ihm durch einige Dragoner
^schiedsweisen spielen. Darauf klagte der Ausgemietete
hatte auch die Genugtuung, daß sein Gegner 10 Mk.
trafe erhielt. Er hatte aber selbst bei dem Auftritt sei-

sen zu Unzuträglichkeiten führt, die das Arbeitsverhält-
nis ungünstig beeinslussen. Von den Arbeitern fvird be-
sonders geklagt, daß die Beköstigung vielfach unzureichend
ist, daß infolge des Einwohnens beim Arbeitgeber die Pau-
sen eingeschränkt werden und die Arbeitszeit ungewöhn-
lich lang ist. Eindringlich wurde dies dargelegt in den
letzten Statistiken über die Arbeitsverhältnisse der Gärtner
und der Schuhmacher. Jn einem kurzen Zeitranm wird
sich die alteingebürgerte Einrichtung der Kost- und Logis-
gewährung zweifellos nicht beseitigen lassen, aber die Ten-
denz geht doch dahin, diese Einrichtung aus dem ryodernen
Arbeitsvertcag auszuscheiden. Nur bezüglich der Lehr-
linge dürfte sich im Handwerk das Kost- und Logiswesen
auch fernerhin behaupten können, und in diesem Falle
wird es sogar notwendig sein, sofern die Lehrlinge nicht
bei den Eltern oder Anverwandten wohnen und beköstigt
werden bezw. in einem gutgeleiteten Lehrlingsheim unter-
gebracht werden können.

Deutsches Reich.

'— Aüs Berlin meldet di-e „Frankfurter Zeitung":
Der seit einigen Wochen auf UrlauL befiüdliche Leiter
des Auswärtigen Amtes, Staatssekretär Frhr. v. R i ch t-
'hofen, ist bisher vom Unterftaatssekretär Dr. von
Mühlberg vertreten worden. Da auch dieser sich
jetzt aus Urlaub begibt, und- zwar zunächst nach Wilhelms-
höhie zur Deilnahme an dem anlätzlich des Geburtstags
des Kaisers von Oesterreich am 18. August stattfindendeu
'FestmahI, ist ber Gefandte in München, Graf Pour -
t a l >e s, Zur VeKretung des Staatsfekretärs für dis
nächsten Wochen hierher berufen worden; wie das auch
um dieselbe Zeit des vorigen Jahres geschehen ist. Es
bestehen also im Nuswärtigen Amt zur Zeit sommer-
I i ch e Fe r i e n z n st ä nd c; und> so wenig gewiise inter-
nationale Berstimmungen zu verkennen find, so ergibt sich
doch schon aus diesen andauernden Beurlaubungen, datz
Sorgen nnd Ar'beiten befonderer Art anf dem Gebiete
der auswärtigen Politik zur Zeit nicht vorlisg-en.

— Die „Norddeutfche Allgemeine Zeitung" fchreibt:
lim sich von nenem in der Rolle eines Wächters des Völ-
kerfriedens zu Produzieren, hiat stch der „Wor-wärtS" die
längst ahgetane li n w a h r h e i t herangeholt, daß
D >eutsch> Iand im> vorigen Jühre im Bsgriffe gewesen
sei, England den Krieg zu erklären, und datz da-
mals die iFlotte mobil gemacht worden fei. Der „Vor-
wärts" will erfähren haben, daß die Ursache jenes an-
geblich drohenden Zusammenstoßes in einem schweren
Konflikt zwischen Kaiser Wilhelm und König Eduard ge-
legen war. Da aber diese n >e u >e L ü g e dem „Vorwärts"
selbst zu albern, erfcheinen mußte und die Sozialdemokra-
tie deu Wkassen als einziger Hort des Friedens empfohlen
werden sollte, fo suchte fich das Blatt mit der Behauptung
zu behelfen: daß solche wahnfiuuigeu Erfindungen auch
nur möglich seien, zeigt schou Zu welchem Mgrund all-
mählich das byziantinisch verskrupelte Gewisscu Deutsch-
lands schreite. Ju d-er Wahrheit bewies der „Worwärts"

nem empörten Hcrzen durch einige drastische Zurufe Luft
gemacht, sür die er, da der Ständchenbriuger ebeusalls
klagte, 20 Mk. zu zahleu hatte.

— Lnngcoog, 14. Aug. Heute ertrank beim Baden
der Pastor Neumann auS Essen, wahrscheinlich infolge
eines Schlagflusses.

— Ein Student als Einbrechcr. Ein nach allen Re-
geln der Einbrechertechnik ausgeführter Einbruchdiebstahl
wurde in der Nacht zum Samstag von dem Studiosus der
Math-ematik, Paul Seda, in Göttingen am Brauweg be-
gangen. Er hatte sich in die an der geuannten Straße
(Nr. 11) belegene Wohuung des Privatlehcers Dr. Mar-
tius — der sich z. Zt. in der Sommerfrische befindct —
dadurch Eingang verschafft, daß er mittelst eincs scharfen
Jnstrumentes ein Loch in die Scheibe schnitt und so das
Fenster öffnete. Durch das Klirren der in die Stube fal-
lenden Glasscherben wurde der im oberen Stockwcrk woh-
ueude Hausbesiher auf den Einbrecher aufmerksam. Er
schlug Alarm, und bald war das Haus von dem patrouil-
lierenden Nachtwächter und einigen Nachbaru, die zur
Hilfe herbeigeeilt waren, umstellt. Bei dem Versuche,
durch ein Fenster zu entweicheu, wurde der Einbrecher
dingfest gemacht und der Polizei übergeben. Beim Betre-
ten der Wohnung fand sich, datz der Schreibtisch bereits er-
brochen war. Seida, der früher Mitglied der christlichen
Burschenschaft „Germania" war und aus Hauuover ge-
bürtig ist, wurde dem Landgerichtsgefängnis zugeführt.

— Stiidcntenche. Vou einer Ehe unter Studierenden
der Berliner Universität gibt das Berliner Standesamts-

damit nur, >daß er ohne Nücksicht auf vaterländische Jn-
teressen mit auswärtigen Angeleg-enheiten des Reiches
großen Schwindel trieb.

— Ueber Bismarcks letzteWorte teilt
Reiuhärd Mumm im „Reich>" mit, daß der jüngst ver--
storb-ene lGießener Historiker Oncken behauptet habe, Bis--
marcks letztes Wort sei .gewesen: „Jch glaube, lieber
Herr hilf meinem Unglauben und mich aus in Dein himm-
lisches Reich." Fürst Herb-ert Bismarck habe daraufhiu
ihm> (Mumm) mitgeteilt, daß die Anuahme falsch sei.
Wohl hat der erste Rei-chskanAler in den letzten Stundeu
vor dem Tode Bibelworte gebraucht, doch- dieses Wort
sei uicht darunter'gewesen.

— Das „20. Jahrhundert", das Blatt der süddeut-
schenResormkatholiken, widmet den Marien-
reliquien eine wissenschaftliche Untersuchung, die z»
dem Schluß komnit, daß es echte Marieureliquien nirgeud-
wo gibt. Ein Absatz behandelt auch die Aachener Reli-
quien, die bei der sog. Heiligtumssahrt ausgestellt wer-
den, und der Verfasser weist nach, daß sie — der Gürtel
uud das Kleid Mariä — wie alle andereu uuecht siud.

— Der König von Spanien sagte auf wiederholte
Einladuug des Kaisers seine Teilnahme an den Herbst»
übungen des 18. und 8. Armeekorps zu.

Prenßen.

—> Zum Oberpräsidenten für die Rheiuprovinz ist
Frhr. Klemens v. Schorlemer, ein Svhn des be-
kannten 1895 verstorbenen Bauernsührers, ausersehen.

Berlin, 15. Aug. 'Jm Reichsamt des Jnuern trat
heute uuter dem Vorsitz d>es Geheimrats Dr. Lewald die
internationale Konferenz sür Erdbebenfor-
schuu g zusammen, zu der von der deutschen Regierung
alle Staaten, die eiuen organisierteu Erdbebendienst be-
sitzeu eingeladeu -waren. Die einzeluen Staateu ent-
saüdten als Delegierte teils ihre hiefigen diplomatischen
Wertreter, teils Hervorragende Seismologen. Die Dauer
der Konserenz ist anf zwei Tage berechnet.

Aus der Karlsruher Zeituug«

— Seine Königliche Ho'heit der Grotzherzog haberr
den ordentlichen Profeffor Dr. von Below an der Univer-
sität Tübingen unter Verleihung des Titels Geh. Hosrat zum
ordentlichen Professor der Geschichte an der Univcrsität Freiburg
ernannt.

K> arIsruh e, 15. Mug. Der >Grotzh>erzog und die
Giroßhlerzogin fuhren heute gegen Mittag mit Ertraboot
von Schloß Mainau nach Friedrichshafen zum Besuch
des Königs und der Königin von WürtteMbcrg. Ihrck
IMäjestäten >empfin>gen die Gkoßherzoglichen Herrschaften
am Hafen und geleiteten dieselben zum Schloß, wo Mit-
tagstafel stattfand'. Nachmittags fuhren IJHre Kömg-
lichen Hoheiten wieder mit dem Tampfboot nach !L>chlotz>
Mainau znrück.

register der laufenden Woche Kunde. Das Standesamt 1l
bringt ein Aufgebot zum Aushang, nach dem der Student
der Rechte Alexander Rappaport und die Studentin der
Medizin Sonja Wita Jachnin, beide aus Witebsk in Rutz-
land und zur Zeit Hörer der Berliner Universität, die Ehe
mit einander eingehcn wollen. Derartige Studentenehen
sind in Rnßland nichts Autzergewöhnliches, während sie in
Deutschland bisher noch selten vorgekommen sein dürften.

— Die verhageltc Gegend am Haardtgcbirge bildete —
wie der „L. G." schreibt — am Sonntag vielsach das Ziel
der Tonristen. Jm allgemeinen wurde daber die Tatsache
bestätigt, daß dsr durch das Unwetter hcrvorgerufenL
Schaden viel grötzer ist, als man nach den Zeitungsberich-
tcn annehmen konnte. Schon bei Schifferstadt bieten die
Felder einen trostlosen Anblick. Die mit Dickrüben be-
bauten Felder sehen aus, als wären die Rüben ohne Blät-
ter gewachsen, der Tabak in der Jggelheimer und Haß-
locher Geniarkung ist gänzlich verhagelt, an den Stengelrr
hängen nnr noch die zu Fetzen verhauenen Blätter herun-
ter. Das Einernten ist bei diesem Handelsgewächs voll-
ständig überflüssig. Geradezu trostlos sieht es in den Ge-
markungen Maikammer, St. Martin, Edenkobcn nnd Die-
desfeld ans. Schon beim Betreten des Bahnbofes in
Maikammer gewahrte man die Folgen des Unwetters.
Sämtliche Scheiben des Bahnhofes nach der Wetterseite
sind zerschlagen; in der Nachbarschaft sind sogar leichtere
Vorhänge, wie man deutlich wahrnehmen kann, von dem
Hagel durchlöchert worden. Die Verwüstungen der Wein-
berge bieten einen traurigen Anblick; dicselben sind um so
 
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