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Heidelberger Zeitung (47) — 1905 (Juli bis Dezember)

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Nr. 151-176 (1. Juli 1905 - 31. Juli 1905)
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Mittwoch, 5. Iuli 1905.

Erstes Blatt.

47. Jahrgang. — Nr. 154.

Erscheint tägltch, Sonntag« aurgenommen. Prei» mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in'S HauS gebracht, bei der Expedition nnd dcn Zweigstatlonen abgebolt 40 Pfg. Durch dic Post

bezogen vierteljiihrlich 1,35 Mk. anSschlicßlich Zustellgebühr.

«nzeigenpreiS: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige GeschäftS- nnd Privatanzeigen ermäkigt. - Für die Aufnahme von Anzeigen
a« bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnlerate anf den Plackattafeln der Heidelbcrqer Zeitmig nnd den städtischen Anschlaastellen. Fernsprecher 32.

Die Wanderung der Arbeiterbevölkerung.

S.R. Jn den lbei. dcjn Jnvalidenvörsicherungsan-
^alken ausbcivaihrten Jnvaliden-Qiiittungskarten steckt
^in unschätzbares statistisches Materiat, welches über ver-
Ichiedene Fragen Ausknnst zu geben geeignet ist, bisher
^ber eine gründliche Bearbeitung nicht gefunden hat.
chnsbesondere sind diese Quittungskarten geeignet, Aus-
Eunft zu geben über die Wanderung unserer Arbeiterbe-
dölkerung, die sog. moderne Vokkerwande-
^u n g. Kann man doch — und das wird in späteren
ü>ahren, Ivenn die Tnvalidenvensicherung erst einmal ein
^ienschenalter in Kraft gewesen ist, noch> weit mehr der
8all sein — aus den Karten der einzelnen Bersicherten
^rsehen, wo sie im Laufe ihres Lebcns gearbeitet, welche
^ierufe sie ausgeübt haben, cin wie großer Prozentsatz der
uvbeitenden Bevölkerung überhaupt seßhaft gewefen ist,

usw.

Einen Versuch, die Aufschrift der Quittungskarten
lur statisüsche Zwecke zu verwerten, hat, wie wir in dem
Frankfurter Reformblatt für Arbeiteroersicherung lesen,
^eelmann-Königsberg i. Pr. gemacht. Jhm war es bei
^er Bearbeitung der Jnvalidenrenten- und Beitragser-
uattungsanträge im Stadtkreis Königsberg i. Pr. aufge-
wllen, daß auf den Quittungskarten der Antragsteüer
we Stadt Königsberg i. Pr. nur verhältnismätzig selten
uls Geburtsort angegeben war. Zur genaueren Mststellung
^ieser Beobachtung hat er sich vom 1. Jan. 1900 bis Ende
^arz 1905 aus jedem Renten- und Beitragserstattungs-
untrage den Geburtsort der Antragsteller notiert. Aus
bem also gewonnenen Zahlenmateriuil ergibt stch, datz nur
fdva 20 Prozent der erwachsenen Königsberger Arbeiter
^n der Stadt Königsberg i. Pr. selbst geboren ist, während
dtwa 76 Prozent aus der Provinz Ojstpreußen und etwa
. Prozent aus Orten, die außerhalb Ostpreußens liegen,
^wgswandert sind.

Datz die Erkenntnis der Tatsache, woher die Arbeiter-
ovölkerung einer grötzeren Stadt stammt, für diese eine
^schtige Sache ist, insbesondere für das Gebiet der Hy-
?.stüe, der Schul- und Fortbildung, der Organisations-
i^higkeit der Arbeiter usw., liegt a>uf der Hand, und es
Mre jedensalls von grotzem JntevLsse, zu erfahren, aus
^lchen Gegenden die -erwachsene Aicheiterb-evölkerung der
^ndustriestädte des Westens stammt. Die Quittungs-
arten der Jnvalidenversicherung bieten das böst-e Ma-
sbial für eine solche Statistik, da »lle wirklich erwerbs-
^atigen Arb-eiter von dieser Statistik ^erfa-tzt w-erden. Viel-
.^cht kommt noch einmal die Zeit, wo das ganze ungc-
^ure bei den Versich-erungsanstalten liegende Material
undlich und fachmännisch verarbeitet wird.

Deutsches Reich

1? „Vorwärts" wird die Einladung zu dem vom

- bis 25. September in Iena ftattfindenden s o z i a I-
^ukratischen Parteitag veröffentlicht und
h^^ugesordnung wie folgt festgestellt: 1. Geschäftsbericht
Vorstand-es, Berichterstatter H. Molkenbühr und A.

Gerisch; 2. Bericht der Kontrollkommission, Berichterstat-
ter H. Meister; 3. Bericht über die parlamentarische Tä-
ti-gkeit, Berichterstatter H. Förster; -1. die Parteiorgani-
sation, Berichterstatter G. v. Vollmar; 5. die Maifeier,
Berichterstatter R. Fischer; 6. der politische Massenstreik
und die Sozialdem-okratie, Berichterstatter A. Bebel;
7. Sonsstges; 8. Wahlen.

Baden.

— D-er Minister des Jnnern Dr. Schenkel, der
mit dem Referenten für Landwirtschast, Ministerialrat
Nebe, stch vom 29. Juni an in München zum Besuch
der Wanderausstellung der Deutfch-en Landwirtschaftsge-
sellschaft aufgehalten hatte, ist am Montag Abend wi-eder
nach Karlsruhe zurückgekehrt.

Aus dem 2. badischen R e i ch s t a g s wa h l-
k r e i s, 4. Jnli. Folgende Wahlepisode ans Nie-
derwasser bei Triberg wird laut „Volksfreund" viel be-
sprochen: Schon lange bemühen sich die Einwohner des
gut katholischen kleinen Ortes, ihren mißliebig gewor-
denen Ortspfarrer zu entfernen. Alle Berichte und Unter-
suchungen führten nicht zum Ziele. Aber das Ausbleiben
des angesehencn Vertrauensmannes des Zentrums bei
eiuer Zentrums-Versammlung, das Teilnehnien des-
selben an der nationalliberalen Versammlung in Horn-
berg, sowie die Erk-lärung der Niederwasserer Zentrums-
lente, nationalliberal oder gar sozialdemokratisch zu wäh-
len, hatte rasch den gewünschten Ersolg. Der Geistliche
verläßt heute — 3 Tage vor der Wahl — das friedliche
Dörfchen. !

— 'Das Zcntrum stellte im Wahlkreis Adelsheim-
Bopberg den Lagerhausverwalter Hopf in Boxberg
und im Bezirk Eppingen den Bürgermeister Ries in
Rohrbach als Kandidaten aüf.

Eppingen, 3. Iuli. Als n a t i o n a I l i b e r a-
ler Kandidat sür die Landtagswahl ist in einer
gestern hier stattgehabten Versammlung wieder Herr Bür-
germeister Burkhardt von Stebbach aufgestellt wor-
den.

— Datz die Aufstellung der Kandidatur Dieterle
in Eberbach-Buchen ein Fehler des Zentrums war, ist un-
bestreitbar. Aber die Zentrumspresse will das nicht ein-
sehen, sie sucht vielmehr nach den llrhebern der Gegen-
kandidatur Köhler und findet, daß sie nirgends anders
sitzen als in deni Lager der bösen N-ationalliberalen. Mit
diesem billig-en Tröst sucht sie über die Datsache hinweg-
zukommen, datz 600 Zentrumswähler aus Orten, in denen
das Zentrum die übergrotze Mehrheit hat, die Kandidatur
Dieterle bekämpfen und für eine Kandidatur Köhler ein-
treten. Wir Wünschten sehr, datz d-er Einflutz der Na-
tionallib-eralen auf die Wählerschaft des Zentrums so
groß wäre, wie es da angenommen wird, aber es ist doch
recht kindlich, das Vorhan-densein eines solch-en Einflusses
bch-aupten zu wollen. Die Dertrauensmänner des Zen-
trums h-aben -einen Mißgriff gemacht, einen für den Bezirk
gänzlich ungeeigneten Kändidaten aüfgestellt und damit
die Revolution im Zentrumslager hervorgerufen. Das
ist die schr einfache und natürliche Erklärung des Vor-
k-ommnisses. Daß der zurückgewiesene Kandidat ein Geist-

licher ist, macht die Sache ja recht pikant. Es scheint,
datz die Zentrumswähler von den geistlichen Kandidaturen,
die dem „Beobachter" zufolge ein Bedürfnis wären, durch-
aus nicht entzückt sind. Recht interessant w-äre es zu er-
fahren, wer den Vertrauensmännern die Kandidatur Die-
terle vorgeschlagen hat, denn selbst sind diese Männer
stcher nicht auf den Pfarrer von der Schweizer Grenzs
-verfallen. ,..

Preutzen. - i ^

B e r l i n, 4. Iuli. Die H i b e r n i a - A f f a r e
geht ihrer Beilegung -entgegen. Bekanntlich hatte sich
eine eigene Gesellsch-aft mit beschränkter Haftun-g gebildet,
um die Aktion der Bergwerks-GesellschaV Hibernia fest
zu halten, ohne die die Regierung nur über eine Minder-
heit in d-er Verwaltung des Bergwerks verfügt. Es regt
sich nun in den Kreisen des Shndikats die Neigung, Frie-
den nstt der Regierung in der Hibernia-Frage zu schlie-
ßen und ihr die übrigen Hibernia-Aktien zu überlass-en.
Das Syndikat will dies davon -abhängig machen, datz die
Regierung dem' Syndikat beitritt. Dagegen hatte sich
die Regierung eine Zeit lang gesträubt. Wie nun verlau-
tet, ist der Handelsminister Möller bereit, seinen Wider-
stand -gegen den Eintritt in das Syndikat aufzugeben.
Darnach darf angenommen werden, datz der Hibernia-
Konflikt demnächst beigelegt wird, weyn auch formelle
Verhandlungen darüber -bisher noch nicht geführt worden
sind.

Berlin, 4. Juli. Nach einem der Regi'erung zuge-
gangenen Bericht hat der Missionar Graf Lubienski
aus Kr-akau bei Gelegenheit der Abhaltung einer Mission
in Groß-Strzelce (Kreis Gostyn) in einer Predigt na-
tional-polnifche Agitation getrieben. Die zuständigen
Minister habeu infolgedessen Anordnung-en dahin getrof-
fen, daß der gen-annte Misfionar, wenn er wieder preu-
ßischen Boden betreten follte, als lästiger Ausländer
ausgewies-en wird.

Aus der Karlsruher Zeitung.

— Se-ine K-öni-gliche Hvhell ber Gr-otzh«rzo-g haben
dem Prostssor M-a-x Humm-ol an der Baugc-Wrrkrschule in
Kavlsruhe 'das Rütcrkreuz 1. Klasse dos Orden-s vom Zähringrr
Löwen, dcm KapMmei-stcr Akbcrt Neudel vom Kgl. Baycr.
20. Jjns.-Meg. bie Ucine goMne Wer-dienstmcbaille, 'de-m Amts-
-vorstan-d und Oberamitmann Otto v. Senger in -Uc'bcvlingen
>den Titel a-ls Geh. Regierungsra-t -vcylishen, bas Kollegialmit-
gl-iod de.r Grotzh. Gcne.raldtrektion 'der Staatsei-senbahnen, Re-
giernngsrat Mois Endres, nach Mainz ivcrfatzt nnd ihm
die bet -der Kgl. Pre'utz. und Grotzh. Hess. Eisenba«hndire8ion
-daselibst von 'der Wad. Regierung zu Lesehen-de Mitylieidstelle
-ülbertragen und das Mitg'l-ied Ler GeneraldireU-ion ber Staa-ts-
eisonbahtiicN, Oberre'gie'run-gsrat Reiühold Ga-ihsch nnter
Enthebu-ng von 'der Stelle >des Betriebsinspektors in Manniheim
nach Karlsrnhe zur Di«nstleistu-ng in der genannten Behörde
-veVsetzt.

Karlsruhe, 4. 'Juli. Der Großherzog unb die
Großherzogin uahmen heute Vormittag halb 9 Uhr am
Schlosse in Baden den Vorbeimarsch des von einer Feld-
dienstübung zurückkehrenden 3. Badischen Jnfanterie-Re-
giments Markgraf Ludwig Wilhelm Nr. 111 und einer
Abteiluiig des 2. Badischen Dragoner-Regimeuts Nr. 21

Kleine Zeitung.

-Ig Frankfurt, 4. Juli. Es i st err -eicht! Schc
^ 8e yor sieben Uhr war gesterii Abend vor dem P a
^ei,, ^ ^ " ui eine stattliche Volksversammlung. Mäni
und Weiblein standen bei der unglaublichen- Hst

di^, ^veiotmn lumven vei ver uiigi-auvlicyen-
dei, Sedrängt nebeii einander und -hofften, etwas vc
Pa„ ^d°3en Dingen zu hören, die da oben im Saal d,
?btitums vor sich- gchen sollten. Und es ging etwc
^an, ^ vach ? wurde mit eiu p-aar kräftigc

ge^j^dkschlägen die Gipswand 'der „Hungerkabine" eii
^ even; und lang'sam, gemessenen Schrittes verlic
lls ^Hungersportsmensch, deu Schauplatz sein,
iy, W ? ' ^ ? u Fasteu s. Sacco unterwarf sich zunäch
obenzimmer einer ärztlichen Untersuchung. Wenic
sari„"^u darauf, betrat er, begleitet von seinem Jmpri
gqsj^jstuus Podium. Hier hatte man mittlerweile eir
bieh>.„^ Tafel, einen umfangreichen Lorbeerkranz un
'dete ^ouquets aufgebaut. Der Jmpr-esario verkür
Aexst"^ der Frankfurter Zeitung", d-as Gutachten dc
^ers,.st den Rekordhungerer in überraschend günMc
iiuiig vorfauden.

^ülle^N"' 1- Hüli. Durch Blitzschlag wurde eine
llk uus Pfalzel getötet; der Zugführer Wagner

^istee,,, ^ Ursache während der Fahrt auf einem
'rzug fchwer erkrankt.

legj P^^erlin,^ Tuli. Wie der „Börfenkurier" Mitteilt,
icpor S ch w e n n i n g e r die Leitung des Kreis-

krankenhauses in Lichterfelde nieder. Zu feinem Nach-
folger ist der bisherige Direktor des Krankenhauses zu
Dortmund, Dr. Burghardt, Sohn des früheren General-
direkkors der direkten Steuerü, gewählt worden.

— Berlin,- 4. Juli. Der Bäckergeselle Ernst Mog -
ler ist nach dem dreifachen Mord- von- Ort zu Ort ge-
reist und endlich in Berlin -angekommen. Wie Verbrecher
in den meisten ähnlichen 'Fällen, suchte auch Mogler sich im
Strudel der Großstadt zu betäuben und verpratzte das
Geld Zum großen Teil in Wirtfchaften mit Bedienung von
„zarter Hand". Als er keine Mittel mehr besaß, kam er
in ein Aöirtshaus des dritten- Polizei-Reviers, wo man
ihn festnehmen lassen wollte. E r stellte fich seIbst
der Polizei, wurde auch gleich erkaunt und festge-
uomm-en. Mogler gibt -an, datz -er, um in den Besitz des
'Geldes zu gekangen, mit dem Beil allerdings auf deu
Meister, die Meisterin und das Kind losgeschlageu, aber
nichi die ALsicht gchabt häbe, sie zu töten. Reue zeigt
er nicht und erklärt, daß alle drei Personen noch am Leben
gewesen seien, als er den Raub ausgeführt habe nnd da-
vongegangen sei. Er wird nach Heilbronn zurückgebracht
werden.

— Heilbronn, 4. Juli. Es foll der Verdacht beftehen,
daß Rk ogIe r auch den Raubmord an der
Empfängsdame Eugenie M a st in Canüstatt v-erübt hat.

— Osterburg, 26. Juni. Ein eigenartiger
Fall ereignete sich bei einem -Gewitter in Mahlsdorf.

Dort führte ein Besitzer eine Knh au der Leine einem
Hause zu, als plötzlich ein B'litzsträhl dicht vor ihm in die
Erde schlug. Der Mann 'stürzte betäübt zu Boden; als
er nach einer Weile wieder zu sich kam, Hatte er die Hälfte
des Strickes in der Hand, mit der anderen Strickhä-lfte
war die Kuh nach- Hause gelaufen. Der Blitz hatte den
Strick in der Mitte entzwei geschlagen! Ein -ebenfo selt-
fames Ereignis erlebte man in M-ackendorf. Ein jungeZ
Ehepaar -war in zwei versch-iedenen Häusern beschäftigt und
doch wurden beide Ehegatten vom B-litz getröffen. Der
Mann wurde nur leicht Letäubt, während die Frau etwas
m-shr betroffen war, jedoch nach einiger Zeit wieder zuni
Bowußtsein kam.

— Eine Stener auf Hanskatzen hat die fächsische Stadt
Sebnitz seit eiiiigen Jähren eingeführt. Wie es heißt,
fpürt man infolgedessen bereits eine Zunäh-me der Vögel
in dieser Gegend, worauf natürlich von vogelfreundlicher
Seite init Nachdruck hingewiesen wird. (Pravo!)

— Die 4. Millivn Ncwyorks ist in der Bevölkeruiigs-
zifser nahezu erreicht. Die ungchcure Bevölkerungszu-
nahrne wird durch folgende Zahlen beleuchtet; im Jahre
1750 hatte Ncw-york 10 380 Einwohner, 1890 bereits
(mit Brooklyn und Long Jsland City) 2 885 000.

Theater- und Kunftnachrichten.

— Wien, 4. Juli. Der Direttor 'dcs doubschcn Vottstchcelters,
Emeri-ch -v. Bukovic, ist heute <rn Dmbetes im 62. Lebens-
jahre gestorben. Er war ursprüngkich Offizier, widmetc sich

Die heutigeMummer umfaßt drei Vlätter zusammen 14 Seiten.
 
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